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Achtes Kapitel

Der Harmlose geht an den Hof. Unterwegs speist er mit Hugenotten zu Nacht

Der Harmlose nahm den Weg über Saumur mit der Post, da es damals keine andere Fahrgelegenheit gab. Als er in Saumur ankam, überraschte es ihn, die Stadt fast verlassen zu finden und mehrere Familien beim Wegzug zu sehen. Man erzählte ihm, Saumur habe vor sechs Jahren mehr als fünfzehntausend Einwohner gehabt, während es jetzt nur noch sechstausend seien. Er sprach davon bei Tisch in seinem Gasthaus. Mehrere Protestanten waren anwesend: die einen beklagten sich bitterlich, die anderen zitterten vor Zorn, dritte sagten unter Tränen: »... Nos dulcia linquimus arva, nos patriam fugimus.« Virgil, Eklogen I, Vers 3.

Der Harmlose, der kein Latein verstand, ließ sich diese Worte erklären. Sie bedeuteten: »Wir verlassen unsere sanften Fluren, wir fliehen unser Vaterland.«

»Und warum fliehen Sie Ihr Vaterland, meine Herren?« – »Weil man will, daß wir den Papst anerkennen sollen.« – »Und warum tun Sie das nicht? Sie haben wohl keine Patinnen, die Sie heiraten wollen? Man hat mir gesagt, daß er es sei, der die Erlaubnis erteile.« – »Ach! mein Herr, dieser Papst behauptet, er sei Herr über das Staatsgut der Könige.« – »Welchen Beruf haben Sie, meine Herren?« – »Wir sind meist Tuchwirker und Fabrikanten.« – »Wenn Ihr Papst sagt, er sei Herr über Ihre Tuche und Fabriken, haben Sie ganz recht, ihn nicht anzuerkennen. Was aber die Könige betrifft, so ist das ihre Sache; was kümmert dies Sie?« Nun ergriff ein kleiner schwarzer Mann das Wort und setzte ihm sehr gelehrt den Kummer der Gesellschaft auseinander. Er sprach mit so viel Energie von der Aufhebung des Edikts von Nantes, er beklagte mit so viel Pathos das Schicksal von fünfzigtausend Flüchtlingsfamilien und fünfzigtausend anderen, durch die Dragoner umgestimmten Menschen, daß diesmal der Harmlose Tränen vergoß. »Woher kommt es,« sagte er, »daß dieser große König, dessen Ruhm bis zu den Huronen dringt, sich so vieler Herzen beraubt, die ihn geliebt hätten, und so vieler Arme, die ihm gedient haben würden?«

»Das kommt daher, daß man ihn getäuscht hat wie andere große Könige,« antwortete der schwarze Mann. »Man hat ihm vorgeschwatzt, daß er nur ein Wort zu sagen habe, und alle Menschen dächten wie er; daß er uns unsere Religion wechseln lassen könne, wie sein Musiker Lulli in einem Augenblick die Dekorationen seiner Opern wechseln läßt. Nicht nur, daß er schon fünf- bis sechshunderttausend sehr tüchtige Untertanen verliert, er macht sie sich auch zu Feinden. Der König Wilhelm, der jetzige Herrscher von England, hat mehrere Regimenter aus denselben Franzosen gebildet, die bereit gewesen wären, für ihren Monarchen zu kämpfen. Ein solches Unglück ist desto erstaunlicher, als der regierende Papst, dem Ludwig XIV. einen Teil seines Volkes opfert, sein ausgesprochener Feind ist. Seit neun Jahren brennt ein heftiger Streit zwischen ihnen. Es war schon so weit, daß Frankreich hoffen durfte, endlich das Joch dieses Fremden zerbrechen zu sehen, welches ihm seit so viel Jahrhunderten auferlegt war. Vor allem hoffte man, ihm kein Geld mehr geben zu müssen, was die bewegende Kraft aller Angelegenheiten dieser Welt ist. Es ist also klar, daß man diesen großen König über seine Interessen und den Umfang seiner Macht getäuscht und dem Hochsinn seines Herzens Eintrag getan hat.«

Der Harmlose fragte in immer stärkerer Rührung, wer die Franzosen seien, die einen von den Huronen so sehr geliebten Monarchen auf diese Art täuschten. »Es sind die Jesuiten,« antwortete man ihm, »besonders der Pater de la Chaise, der Beichtvater Seiner Majestät. Man kann nur hoffen, daß Gott sie eines Tages strafen möge und daß sie verjagt werden, wie sie uns verjagen. Gibt es ein Unglück, das dem unseren gleicht? Herr von Louvois schickt von allen Seiten Jesuiten und Dragoner auf uns.« – »Nun, meine Herren,« versetzte der Harmlose, der nicht mehr an sich halten konnte; »ich gehe nach Versailles, um die Belohnung für meine Dienste entgegenzunehmen. Ich werde mit diesem Herrn von Louvois sprechen: man hat mir gesagt, daß er es sei, der mit seinem Kabinett die Kriege mache. Ich werde den König sehen; ich werde ihm die Wahrheit erzählen; es ist unmöglich, daß man sich dieser Wahrheit nicht ergibt, wenn man sie fühlt. Ich werde bald zurückkehren, um Fräulein von Saint-Yves zu heiraten; ich lade Sie zu meiner Hochzeit ein.« – Die guten Leute hielten ihn für einen großen Herrn, der inkognito im Postwagen reiste. Einige hielten ihn für den Narren des Königs.

An der Tafel saß auch ein versteckter Jesuit, der dem hochwürdigen Pater de la Chaise als Spion diente. Er berichtete ihm stets alles, und der Pater de la Chaise benachrichtigte dann den Herrn von Louvois. Der Spion schrieb auch jetzt. Der Harmlose und der Brief kamen beinahe zu gleicher Zeit in Versailles an.


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