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18. Kapitel.
Annedore soll ein Komteßchen werden

Diesmal ging Tante Gines Migräne nicht so schnell vorüber wie sonst. Zu sehr hatte die alte Dame es sich zu Herzen genommen, daß sie die Ehrenpflichten, mit denen man sie zum Basar ausgezeichnet, nicht hatte erfüllen können. Tagelang lag sie im verdunkelten Schlafzimmer. Jeder Tritt, jedes laute Wort tat ihrem armen Kopf weh.

»Ruhe, Ruhe, und nochmals Ruhe!« verordnete Geheimrat Wedel, ihr Hausarzt.

Das war leichter gesagt, als getan. Der alte Herr Professor machte keinen Lärm. Der schlürfte daheim in seinen gestickten Morgenschuhen umher, um die kranke Schwester bloß nicht zu stören. Auch Minna hantierte möglichst geräuschlos. Und Annedore? Ja, die hatte den allerbesten Willen, leise zu sein, damit das arme Tantchen nicht noch mehr litt. Aber die Tür, die sie geräuschlos schließen wollte, flog manchmal ganz von selbst ins Schloß. Aus dem vorsichtigen Auf-den-Zehen-Schleichen wurde nur zu oft ein fideler Hopsaschritt und ihr Flüstern ein helles Kinderlachen. Es genügte nicht, daß Annedore die gute Absicht hatte, keinen Radau zu machen, sie mußte auch ständig daran denken. Und das war ja von einem Kinde, noch dazu von solch einem lebhaften, kaum zu verlangen.

Auch Hektor nahm nicht genügend Rücksicht auf Tante Gines Nervenschmerzen. Durch das verhängte Fenster schallten die Stimmen der beiden Spielgefährten aus dem Hofgärtchen zu der Patientin herein. Dann griff Tante Gine sich stöhnend an den Kopf. Zu ihrem Unglück hatten auch noch die großen Sommerferien begonnen, so daß der Wildfang den ganzen Tag über zu Hause war.

»Das geht so nicht weiter, Fräulein Kruse«, meinte der Geheimrat eines Tages, als die alte Dame bei dem lauten Kinderjauchzen und dem nicht leiseren Gebell des Vierfüßlers wieder mal stöhnend die Hände gegen die schmerzenden Schläfen preßte. »Das beste wäre, Sie siedelten nach Zoppot über. In der Seeluft werden die Nervenschmerzen am schnellsten besser. Ihr Pflegetöchterchen könnte dort den ganzen Tag am Strande sein, und sie hätten im Garten dann ihre Ruhe.«

»Ruhe, Herr Geheimrat, wenn ich das Kind unbeaufsichtigt am Strande weiß? Keine ruhige Minute hätte ich, daß die Kleine zu dicht ans Wasser geht, oder daß ihr sonst etwas passiert«, wehrte sich Fräulein Georgine gegen diesen Vorschlag.

»So geben Sie die Kleine in ein Kinderheim, dort ist sie unter ständiger Aufsicht«, riet der Arzt.

Aber auch davon wollte die alle Dame nichts hören. In einem Kinderheim konnte es ansteckende Krankheiten geben. Und außerdem war das Annedorchen ganz besonders wild, wenn es mit anderen Kindern zusammen war.

Da kam eines Tages ein Schreiben vom Gute Tiemendorf. Das trug nicht Hannis große Kinderschriftzüge und war nicht wie die sonstigen Briefe an »Fräulein Peter Kaschuba« adressiert. Frau von Breskow schrieb persönlich an den Professor Kruse und lud sein Pflegetöchterchen für die Ferienzeit nach Tiemendorf ein. Der kleine Hans habe Sehnsucht nach seinem Schwesterchen. Und da er ein so braver kleiner Kerl sei, würde sie ihm gern seinen Wunsch erfüllen. Sie hoffe, die Kleine schon in den nächsten Tagen bei sich zu sehen.

Annedore war rein aus dem Häuschen vor Glückseligkeit. Sie tanzte, sang und sprang von morgens bis abends durchs Haus. Dabei wurde Tante Gines Kopf natürlich nicht besser.

Auch der Professor und der Geheimrat Wedel begrüßten diese Lösung mit Freuden. Die Einwendungen der Tante, daß sie das Kind, das dort in der Gutsfreiheit sicher ganz verwildern würde, später niemals wieder zur Vernunft kriegte, drangen nicht durch. Es war notwendig, daß die alte Dame mal vollständige Ruhe bekam.

So packte denn Minna den kleinen altmodischen Lederkoffer und die noch ältere Reisetasche mit dem gestickten Kreuzstichmuster fürs Annedorchen.

Der Professor wollte das Kind selbst hinbringen. Denn es war ihm ängstlich, daß die Kleine unterwegs irgendwelche Dummheiten machen könnte: die Notbremse zog oder gar den Türriegel öffnete und hinausstürzte.

Noch ein Dritter wurde mit auf die Reise genommen – Hektor. »Denn wenn ich ohne den Hektor komme, dann freut sich mein Hannibruder nicht halb so mit mir«, meinte Annedore.

Da Tante Gine keinen besonderen Wert darauf legte, den Hund in ihrer Nähe zu behalten, so erhielt auch Hektor die Reiseerlaubnis.

Zwei Tage später hopste Annedore, nach stürmischem Abschied von Tante Ginchen und der Minna, zum letztenmal die ausgetretenen Steinstufen, die vom Beischlag zur Frauengasse hinabführten, hinunter. Sie ahnte nicht, daß sie das alte Professorenhaus, in dem sie so viel Gutes empfangen, sobald nicht wiedersehen sollte.

Tante Ginchen aber siedelte nach Zoppot über.

Wenige Stunden später hielten sich auf dem einsamen Bahnhof zu Tiemendorf ein braunäugiges Mädelchen und ein kleiner Flachskopf innig umschlungen. Mit Freudengeblaff umkreiste Hektor die Gruppe.

»Hanni, Jungchen, was bist du groß geworden! Du bist ja gar nicht mehr kleiner als ich!« Das war nach der zärtlichen Begrüßung das erste, was Annedore sagte.

Und »Peterchen, ach, wie gut, daß ihr beide, du und der Hektor, wieder bei mir seid!« Hannis Blauaugen leuchteten ganz verklärt.

Der Professor und die Breskowschen Jungen – alle drei hatten sie den Hans zur Bahn gefahren – sahen voll Freude das Wiedersehensglück der Kinder.

Die Annedore, die schien ja ein ganz famoses Mädel zu sein. Noch vor den Jungen war sie – eins – zwei – drei – gewandt wie ein Eichkätzchen, auf den Kutschbock geklettert. Und als sie bei scharfem Trab Lothar dreist bat: »Du, laß mich doch mal kutschieren!« da hatte sie sich ein für alle mal die Zuneigung der Jungen erworben. Die hatte Mut!

Jeder von den Breskowschen Söhnen verglich damit unwillkürlich das scheue und ängstliche Benehmen des kleinen Hans damals bei seiner Ankunft. Und hatte er es inzwischen auch bewiesen, daß er ebenfalls, wenn es darauf ankam, Mut zeigte, trug er auch stolz seine Ehrenmedaille, die ihm der Prinz zur Erinnerung an seine Heldentat nachträglich hatte überreichen lassen, die lebhafte Schwester gefiel ihnen nun mal besser.

Bei dem alten Herrn Professor war dies gerade umgekehrt der Fall. Freundlich ruhte sein Blick auf dem sanften kleinen Hans, dessen träumerische Blauaugen so sinnig dreinschauten. Jammerschade, daß die Verwechselung bei der Elbinger Flüchtlingsstelle stattgefunden. So hatte er sich seinen kleinen Pflegesohn damals gedacht. Aber vielleicht ließ sich die Sache noch einrenken. Vielleicht ging Frau von Breskow bei einer persönlichen Besprechung darauf ein, die beiden Geschwister auszutauschen. Trotz all ihrer Zuneigung fürs Annedorchen – Junge blieb nun mal Junge! Und dieser stille, verständige Knabe würde auch für die Nerven seiner Schwester entschieden vorteilhafter sein. So überlegte der alte Herr Professor, während es die von Pappeln besäumte Landstraße dahinging.

Aber Frau von Breskow wollte bei einer baldigen diesbezüglichen Unterhaltung nichts von seinen Vorschlägen wissen

»Nein, mein verehrter Herr Professor, der kleine sanfte Hans ist mir nun mal ans Herz gewachsen, den geb' ich nicht her. Ihre kleine Annedore ist ein entzückendes Kind, aber ein wilder Schlingel. Wilde Schlingel habe ich allein genug«, setzte sie noch hinzu und wies lächelnd von der Terrasse in den Garten hinaus. Dort kletterten Fritz und Annedore um die Wette in die Obstbäume, während Hans von unten zuschaute.

»Ja, leider ist sie das!« seufzte der alte Herr. Und er dachte voll Sorge, gleich seiner Schwester, wie sich der Wildfang, der hier seine Freiheit voll auskostete, wohl jemals wieder in ihre stille, geordnete Häuslichkeit hineinfinden würde.

Onkel Adalbert reiste, beladen mit unzähligen Grüßen von Annedore für Tante Ginchen und Minna, wieder ab. Frau von Breskow hatte versprochen, für die Heimfahrt ihres kleinen Gastes zum Schulbeginn selbst Sorge zu tragen.

Herrliche Ferientage verlebten die beiden so lange voneinander getrennten Geschwister auf dem schönen Gut. Unzertrennlich waren sie, und Hektor war der dritte im Bunde.

Sie spielten in dem ausgedehnten Garten, machten schöne Spazierwege mit den andern und halfen auf den Feldern. Dabei sangen sie aus frohen Kehlen ihre Vaterlandslieder.

Am liebsten aber hatte es der Hanni, wenn er allein mit seinem Peterchen irgendwo im Grünen sitzen konnte. Dann mußte sie ihm immer wieder von der unerwarteten Begegnung mit dem Vater im Lazarett erzählen. Wie er ausgesehen habe, was er gesagt, jedes bißchen wollte Hanni wissen. Und wenn Annedore ihm dann berichtete, daß nur er und seine Heldentat schuld daran gewesen, daß sie den Vater überhaupt erkannt habe, dann strahlte der kleine Junge.

Meinte aber Annedore voll Zuversicht: »Paß mal auf, Hanni, unser Muttchen lebt auch noch, eines Tages ist sie bestimmt wieder da!« dann schüttelte der Bruder traurig den Flachskopf.

»Nein Peterchen, die Tante sagt, ich solle mir nicht falsche Hoffnungen machen. Wenn unser Muttchen lebte, hätte sie schon mal Nachricht gegeben.«

Aber nicht immer führten die Kinder so ernsthafte Gespräche. Dafür sorgte schon der wilde Fritz. Je toller die Spiele, um so feiner. Annedore war zu allen Streichen zu haben. Hanni mußte seinen ganzen Einfluß aufbieten, daß nicht allzu viel Dummheiten von den beiden gemacht wurden.

»Ach, könnte ich doch immer hier auf dem Gute bei meinem kleinen Hannibruder bleiben!« dachte Annedore so manch liebes Mal. Und sie begriff es gar nicht, wie sie es in dem engen Danziger Hofgärtchen, wo man nicht mal auf den Rasen treten durfte und stets leise sein mußte, ausgehalten hatte. Wie einem Vöglein war ihr zumute, das dem engen Bauer entronnen und wieder seine Schwingen frei regen darf.

Annedore war nicht der einzige Gast in Tiemendorf. Auch Frau von Breskows Schwester, die Gräfin Maria von Hülsen, war auf einige Wochen zu Besuch gekommen. Die Dame trug tiefe Trauer. Früh verwitwet, hatte sie jetzt auch noch ihren einzigen Sohn dem Vaterlande zum Opfer bringen müssen. Er hatte bei einem Sturmangriff den Heldentod erlitten.

Der blonden »Tante Maria«, wie die Kinder sie sämtlich nannten, die stets so traurige Augen hatte, schlug Annedores warmes kleines Herz voll Mitleid entgegen. Auch die Gräfin fühlte sich zu dem allerliebsten Mädelchen hingezogen. Bei seinem drolligen Geplauder huschte oft ein Lächeln über ihre verhärmten Züge. Ja, einmal geschah es sogar, als Annedore die Geschichte von Paulchens Schaukelpferd und Tante Gines Zopf berichtete, daß die Tante Maria laut in das Lachen der andern einstimmen mußte.

Frau von Breskow war ganz glücklich darüber, ihre Schwester wieder heiter zu sehen. »Weißt du, Maria,« sagte sie sinnend, nachdem die Kinder das Zimmer verlassen, »du solltest dir die kleine Annedore ins Haus nehmen. Sie würde dich mit ihrem Frohsinn am ersten wieder von deinem Schmerz heilen.«

»Ich habe selbst schon daran gedacht. Solch ein sonniges Kind im Hause, ja, da müßte einem das Leben wieder hell werden. Wie wollte ich es lieb haben! Wie mein eigenes Töchterchen würde ich es erziehen«, sagte die Gräfin leise.

»Ei, Maria, so schreibe doch mal an den Professor Kruse in Danzig.«

»Er wird mir das süße, kleine Ding nicht überlassen. Solch Sonnenschein behält jeder gern im Haus.«

»Es käme doch auf einen Versuch an«, redete Frau von Breskow zu. »Soweit ich den Professor richtig verstanden habe, ist seine Schwester leidend und die kleine Annedore oft allzu lebhaft für die ruhegewohnten Leutchen. Er hätte sie gern mit unserm kleinen Hans ausgetauscht. Vielleicht willigen sie ein.«

»Meinst du wirklich, mein Herz?« Das blasse Gesicht der Gräfin überzog lebhafte Röte. Ihre matten Augen leuchteten auf. »Aber der Vater lebt ja, der wird sein Kind nicht einer Fremden abtreten.«

»Wenn er es in so glänzenden Verhältnissen, als kleines Komteßchen, aufwachsen sieht, ist auch er vielleicht damit einverstanden. Wir können ja jedenfalls mal an beide schreiben.«

Dies geschah.

Inzwischen freundeten sich Tante Maria und Annedore immer mehr miteinander an. Auf den gemeinsamen Spaziergängen versuchte die Gräfin die eigenen Wünsche des kleinen Mädchens zu ergründen.

»Bist du gern in Danzig?« fragte sie.

»Ach ja – aber hier in Tiemendorf ist es viel feiner. Hier möchte ich immer bleiben!« war die Antwort.

»Der Onkel und die Tante dort sind doch gewiß sehr lieb zu dir, nicht wahr?« forschte die Gräfin weiter.

»Ja, lieb sind sie schon. Aber schimpfen tun sie auch mit mir. Weil doch die Tante Gine so oft Migräne hat, und ich immer solchen Krach mache«, setzte sie entschuldigend hinzu.

Gräfin Maria lächelte über die edle Selbsterkenntnis der Kleinen.

»Wenn du mein kleines Mädchen wärst, solltest du gar keine Schelte bekommen. Nur lieb haben wollte ich dich, Annedorchen. Ich wohne in einer schönen Villa im Grunewald bei Berlin. Da könnte ich dir ein hübsches Zimmer einrichten mit weißen Möbeln und einem kleinen Balkon. Einen Wagen habe ich, damit würden wir täglich spazieren fahren. Und Spielsachen solltest du haben – die schönsten, die sich ein Kind nur wünschen kann. Sag', Annedore, hättest du Lust, mit mir zu kommen und ein kleines Komteßchen zu werden?«

»Au ja – fein!« Annedore vollführte einen Luftsprung. »Ja, Tante Maria, ich will mit dir in deine Grunewaldvilla reisen. Aber Hektor muß auch mitkommen. Und mein Hanni? Sag', Tante Maria, hast du für meinen kleinen Hannibruder nicht auch noch Platz in deinem Haus?« Wie erwartungsvoll die Braunaugen an den Lippen der Gräfin hingen.

Der wurde es schwer, dem kleinen Mädchen seine erste Bitte abzuschlagen. Aber sie wußte, daß ihre Schwester den Hans nicht hergeben würde.

»Platz genug ist schon, Herzchen. Aber denke mal, wie traurig die Tante hier wäre, wenn wir ihr den kleinen Hans fortnehmen würden.«

»Och, die behält ja noch so viele Jungs übrig«, beruhigte sie Annedore.

Von diesem Tage an hatte Annedore keinen anderen Gedanken mehr, als wie es wohl sein würde, wenn sie erst ein kleines Komteßchen wäre. Dann trug sie gewiß immer nur weiße Spitzenkleider. Das war eigentlich gar nicht angenehm. Da sah man ja jeden Fleck. Im Wachen und im Schlafen träumte sie von der schönen Grunewaldvilla.

»Au, du hast's gut,« sagte Fritz ein wenig neidisch, »daß dich die Tante Maria mitnehmen will. Da wirst du mal Augen machen. Ein großes Palmenhaus hat sie und einen See mit einem kleinen Nachen im Park. Und Diener in Livree gibt's dort und sieben süße, kleine Zwerghunde. Ja, du hast's gut, Annedore!«

»Ihr dürft mich mal besuchen«, meinte das zukünftige Komteßchen großmütig, trotzdem die Sache bei ihr noch durchaus nicht sicher war. »Aber meine feinen Spielsachen darfst du nicht anfassen, Fritz, die machst du mir entzwei. Mit denen darf nur mein lieber Hannibruder spielen.«

Hanni sah dankbar zärtlich auf die Schwester.

»Wickele ihn dir doch in Watte, deinen Hannibruder, das Zuckerpüppchen«, höhnte Fritz.

Mit geballten Fäusten ging Annedore recht wenig »komteßchenmäßig« auf den Jungen los. Denn ihren Hanni durfte keiner beleidigen. Und es wäre wohl zu einer kunstgerechten Balgerei zwischen ihnen gekommen – nicht die erste –, wenn nicht in diesem Augenblick der Postbote am Gartentor sichtbar geworden wäre.

»Der Briefträger!« – Der war ihnen doch noch wichtiger. Vielleicht brachte er heute die ersehnte Antwort.

Tatsächlich, ein Brief des Professor Kruse an Frau von Breskow war bei den Postsachen. Annedore sah ihn nachdenklich an – was mochte darin stehen?

War sie nicht eigentlich ein recht undankbares Kind, daß sie so darauf brannte, von Onkel Adalbert und Tante Ginchen, die doch so gut zu ihr gewesen, fortzukommen? »Ja, aber bei Tante Maria darf ich auf den Rasen laufen, und im Hofgärtchen nicht. Und für Tante Gines Kopf ist es auch entschieden besser, wenn sie mich los wird«, entschuldigte sich das kleine Mädchen vor sich selbst. Denn es hatte doch Gewissensbisse. Dann trug sie den Brief, der über ihr künftiges Leben entscheiden sollte, ins Haus.

Professor Kruse sowohl, wie seiner Schwester wurde es – wie er schrieb – nicht leicht, das liebe Annedorchen wieder herzugeben. Aber im Hinblick darauf, daß die angegriffenen Nerven seiner Schwester noch äußerster Schonung bedurften, hielten der Hausarzt und er selbst es doch für richtiger, wenn das lebhafte Kind nicht zu ihnen zurückkam. Viele gute Abschiedsworte von ihm und der Tante fürs Annedorchen waren noch angefügt.

Als die Kleine die liebevollen Worte las, schwieg der laute Jubel in ihrer Brust, daß sie nun mit Tante Maria in die feine Grunewaldvilla durfte. Da perlte sogar ein Tränchen von den Braunaugen. Wenn Onkel Adalbert und Tante Ginchen auch manchmal gescholten hatten, sie hatte sie doch lieb gehabt.

Als nun bald darauf auch noch eine zustimmende Antwort des Vaters eintraf, da war es beschlossene Sache, daß aus dem heimatlosen Flüchtlingskind ein kleines Komteßchen werden sollte.


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