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6. Kapitel.
Wie es Peter und Hanni im Kriegskinderhort gefiel.

Leise ging es selten in dem Kohlenkeller bei Storchbeins zu. Aber solch ein Hallo wie an diesem Morgen war wohl noch niemals gewesen.

Karl und Otto, zwei durchtriebene Rangen, hatten kaum die Augen aufgeschlagen, als sie auch schon die noch schlafenden fremden Kinder auf ihrem Strohsack entdeckten. Daß sie dieselben auf irgendeine bubenhafte Art wecken mußten, stand bei den beiden im selben Augenblick fest. Die Frage war nur, wie?

»Wenn wir bloß eine Gießkanne hätten! Ob ich mal zum Nachbar Lehmann rumlaufe, daß er uns eine borgt?« überlegte Otto flüsternd.

»Im Hemd kannst du doch nicht auf die Straße, und bis du angezogen bist, sind die längst von selbst aufgewacht«, meinte sein Bruder.

»Wollen wir sie mit dem Reisigbesen ein bißchen unter die Nase kitzeln?«

»Ei, ein Pinsel, der wär' noch viel schöner! Halt – ich hab's!« Karl machte einen Luftsprung vor Freude. »Unser Schild ist doch erst neulich frisch angestrichen worden. Da steht noch ein grünes Farbentöpfchen mit einem Pinsel in der Kammer in der Ecke, der geht!« Schon hatte der Junge sich in den Nebenraum geschlichen und kam, mit dem Pinsel bewaffnet, zurück.

»Und ich?« fragte Otto betrübt. Er wollte bei dem schönen Werk doch nicht unbeteiligt bleiben.

»Du nimmst einfach den Wasserkrug statt 'ner Gießkanne.« Die beiden Rangen schlichen sich zu dem Lager der schlafenden kleinen Gäste.

Die ahnten nichts von dem böswilligen Plan, der gegen sie geschmiedet wurde. Sanft schlummerten sie und waren im Traum wieder daheim bei ihrem Muttchen.

Da fühlte Peter plötzlich etwas Krabbelndes, abscheulich nach Ölfarbe Riechendes unter der Nase. Karl hatte den Pinsel mit der grünen Farbe, so, wie er war, in Bewegung gesetzt. Aber ehe das kleine Mädchen sich noch darüber klar werden konnte, was das wohl wäre, verwandelte sich ihr Strohsack plötzlich in einen großen See. Denn Otto wollte doch nicht hinter Karl zurückstehen.

»Muttchen – Muttchen –« laut auf kreischten Peter und Hanni vor Entsetzen. Aber ihr Muttchen war weit, weit fort, die hörte ihre kleinen Lieblinge nicht.

Die beiden Missetäter Karl und Otto johlten vor Vergnügen über den gelungenen Streich. Ja, Otto goß auch noch den Rest seiner Wasserkanne über den pudelnassen, laut brüllenden Hanni. Peter aber, kaum weniger durchweicht als ihr Bruder, sprang zornig auf die Füße und ging kampflustig auf die beiden Ruhestörer, die ihnen so arg mitgespielt, los. Eine wilde Schlacht entspann sich in dem Kohlenkeller, an der auch die beiden kleinen Zwillinge sich beteiligten. Aus Betten und Kisten lugten wieder neugierige Storchbeinchen.

Es wäre Peter trotz ihrer kräftigen Muskeln wohl arg ergangen, da sie sich gegen solche Übermacht zu verteidigen hatte, wenn nicht Frau Emilie Storchbein, gefolgt von Amanda und Meta, plötzlich zur Tür hereingestürzt wäre.

Die trennte scheltend die kleinen Kampfhähne, dabei freigiebig Katzenköpfe austeilend, ganz gleich, ob dieselben ihre eigenen Rangen oder die fremden Kinder trafen. Aber als ihr Blick jetzt auf den schwimmenden Strohsack und das darauf noch immer kauernde nasse Bürschchen fiel, kannte ihr Zorn keine Grenzen.

»Das kommt davon, wenn man sich fremdes Volk von der Straße aufliest und ins Haus nimmt. Hab' ich's nicht gleich gesagt? Jetzt verdirbt mir dieser Tunichtgut den Strohsack, gießt aus Schabernack die Wasserkanne darüber«, so begann Frau Emilie Storchbein ihrem Herzen Luft zu machen.

»Hanni hat das Wasser nicht ausgegossen, das war Ihr Junge!« rief Peter, kirschrot vor Ärger, daß man den Bruder ungerecht beschuldigte, dazwischen, während sie sich immer noch gegen heimliche Knüffe ihrer kleinen Feinde wehren mußte.

Frau Emilie Storchbein hörte nicht oder wollte nicht hören. Wenn sie erst mal mit Schimpfen angefangen, kannte sie so schnell kein Ende.

»Sieh mich nicht so unverschämt an – nein, da hat die Marjell sich doch die teure Ölfarbe, mit der noch die Kellertür angestrichen werden sollte, ins Gesicht geschmiert. Jetzt hab' ich aber die Sache satt – raus mit euch!« so schloß sie, nach Atem suchend.

»Wir gehen schon, wir gehen sogleich!« Peter wollte ungestüm, so wie sie ging und stand, aus der Tür.

Aber Meta vertrat ihr den Weg. »Ihr müßt euch doch erst anziehen und einen Schluck warmen Kaffee sollt ihr auch vorher noch trinken«, sagte sie beruhigend, denn die armen Kinder taten ihr von Herzen leid.

»Karl hat ja überhaupt noch den grünen Pinsel in der Hand, das Mädel kann nichts dafür«, rief da auch Amanda.

»Ja, ich hab' ihn ihr weggenommen«, log Karl dreist. Aber Mutter und Schwester kannten den Schwindelmeier und glaubten ihm nicht. Er bekam noch eine mütterliche Ohrfeige für die Lüge, dann zog sich Frau Emilie Storchbein wieder in ihr Geschäftslokal zurück, denn die Türschelle erklang.

Amanda wischte inzwischen die Sintflut auf, während Meta den fremden Kindern die Sachen trocknete und ihnen beim Anziehen zur Hand ging. Aber trotz Wasser und Seife wollte der grünfarbige Bart, der unter Peters Näschen prangte, nicht weichen. Karl hatte seine Sache zu gut gemacht.

Im Stehen tranken die Geschwister den braunen irdenen Topf Zichorienkaffee, welchen Meta ihnen brachte, aus. Sie nahmen sich nicht mal mehr Zeit, das Brot zu essen, sondern schoben es in die Tasche. Der Boden brannte ihnen unter den Füßen in diesem ungastlichen Keller, wo sie so ungern gesehen wurden.

»Wenn Vater zu Hause wäre, würde er dafür sorgen, daß ihr nicht fortgejagt werdet«, meinte Meta noch beim Abschied.

Dankbar reichten die Geschwister den beiden Mädchen die Hand und nickten den vielen kleinen Storchbeinchen freundlich zu. Peter wechselte noch ganz schnell einen Abschiedspuff mit Karl und Otto. Dann standen sie wieder in dem dunklen Kohlenverkaufsraum, der am Tage kaum heller war als am Abend.

Peter schwankte. Sollte sie der mürrischen Frau, die sie gescholten, Lebewohl sagen? Sie brachte es nicht über sich.

Da aber war Hanni, der gutherzige kleine Kerl, schon auf die Kohlenfrau zugegangen, machte seinen schönsten Diener und sagte wohlerzogen: »Ich danke auch vielmals.«

Frau Emilie Storchbein machte ein verblüfftes Gesicht. Wollte der Junge sie zum Besten haben? Oder dankte er ihr wirklich für das feuchte Lager und die Prügel, die er bekommen? Aber der Blondkopf schaute so treuherzig drein, daß an der Aufrichtigkeit seiner Worte nicht zu zweifeln war. Als nun auch Peter sich bezwang, und dem guten Beispiel ihres Bruders folgend, ihr die Hand zum Abschied reichte, brummte Frau Emilie Storchbein, lange nicht so unfreundlich, wie sie sich bisher gezeigt: »Na, laßt's euch gut gehen – hoffentlich findet ihr eure Eltern wieder.«

Peter und Hanni aber atmeten doch erleichtert auf, als die Türschelle des Kohlenkellers hinter ihnen erklang und Hektor sie mit Freudensätzen begrüßte.

Ach, hier draußen war Licht und Sonne! Die beiden kleinen Menschenpflänzchen, die man aus dem heimischen Erdreich gerissen, und die in der dumpfen Kellerluft ganz verzagt die Köpfe hatten hängen lassen, hoben sie jetzt wieder zuversichtlich.

Zum Bahnhof – flink, zum Bahnhof! Heute würden sie die Eltern dort sicherlich finden!

Durch die Straßen und Gäßchen fragten sie sich zum Bahnhof zurück. Es herrschte ein reges Gewühl dort. Militär- und Flüchtlingszüge waren soeben eingetroffen. Aber ach – unter all den vielen fremden Gesichtern tauchte auch heute kein bekanntes auf, soviel die Kinder auch forschten und suchten.

Nur der Gepäckträger schnaufte ein paarmal, schwer beladen, an ihnen vorüber und nickte seinen kleinen Freunden einen Gutenmorgengruß zu.

Als der schlimmste Andrang vorüber war, suchte Herr Storchbein seine beiden Schützlinge wieder auf.

»Na, gut geschlafen, Kinderchen, hat's euch bei mir gefallen?« fragte er.

»Nee, gar nicht!« stieß Peter mehr ehrlich als höflich heraus, während Hanni lieber schwieg.

»So – so – hm – – –« Herr Storchbein kratzte sich seinen Schädel. Er konnte sich denken, daß sich seine liebe Frau wohl nicht allzu freundlich gegen die kleinen Gäste gezeigt haben mochte. »Na ja, ärmlich ist es ja nur bei uns, aber hoffentlich geht es euch niemals schlechter als in unserem Keller.«

»Noch schlechter?« Peter schüttelte lachend das hübsche Köpfchen. Das war doch ganz unmöglich.

»Es wird wohl das Richtigste sein, ich übergebe euch gleich einer Dame vom Roten Kreuz. Die wird am besten Rat wissen, wie ihr eure Eltern wiederfindet.« Herr Storchbein nahm die Kinder an die Hand und ging mit ihnen auf eine der Vorstandsdamen zu.

»Hier bring ich zwei ostpreußische Flüchtlingskinder. Sie sind vorgestern mit einem Flüchtlingszug hier eingetroffen. Die Verwandten, die sie mitgenommen, sind ihnen unterwegs verlorengegangen. Und die Eltern, auf die sie hier warten, sind bisher auch noch nicht angekommen«, erstattete er Meldung.

»Ach, ihr armen Kinder!« der warmherzigen Dame traten die Tränen in die Augen. »Nun erzählt mir mal, wie ihr heißt.«

»Peter und Hanni.«

»Und mit Vatersnamen?«

»Kaschuba«, Peter antwortete für den Bruder mit.

»Also Hanni und Peter Kaschuba«, notierte die Dame. Sie nahm als selbstverständlich an, daß der Junge Peter hieß und das Mädel Hanni. Nachdem sie auch noch den Wohnort, die näheren Fluchtangaben und die Bahnstation, auf der sie die Verwandten verloren, festgestellt, meinte sie: »Ich werde sofort Nachforschungen anstellen lassen. Mit Gottes Hilfe gelingt es uns, eure Eltern oder wenigstens die Verwandten ausfindig zu machen. Inzwischen bringe ich euch in unserm Kriegskinderhort unter. Da könnt ihr mit kleinen Altersgenossen spielen und bekommt warmes Essen.«

»Au fein!« Peter strahlte.

Hanni zupfte die Schwester heimlich am Ärmel.

»Wir können doch nicht vom Bahnhof weg, wenn Vater und Mutter ankommen«, flüsterte er scheu.

Richtig – das hatte Peter durch die in Aussicht gestellte Freude, mit Altersgenossen zu spielen, wieder mal vergessen.

Die Dame hatte Hannis leisen Einwurf gehört. »Ei, mein Jungchen, ihr könnt unbesorgt sein. Eure Eltern halten sicherlich zuerst auf der hiesigen Flüchtlingsstelle nach euch Nachforschungen. Kommt nur, ich liefere euch selbst ab.«

Die Kinder verabschiedeten sich von dem guten Gepäckträger und folgten ihrer neuen Beschützerin zur Stadt zurück. Hektor trottete selbstverständlich hinterdrein.

Das war eine freundlichere Stätte als der Kohlenkeller von Frau Emilie Storchbein, welche die Dame mit den Kleinen betrat. »Auskunftsstelle für ostpreußische Flüchtlinge« prangte an der einen Seite des großen Hauses. Und auf der andern »Kriegskinderhort«.

Trotzdem Peter und Hanni eigentlich viel lieber gleich in den Kinderhort gegangen, von dem durch die Fenster frohe Liedchen herausschallten, öffnete die Dame erst die Tür zur Flüchtlingsstelle.

Die Kinder betraten ein großes Zimmer mit einem langen Tisch. Daran saßen mehrere Damen und Herren und schrieben, schrieben ohne aufzusehen.

»Sicherlich lauter Briefe an Eltern von verlorengegangenen Flüchtlingskindern«, dachte Peter.

Hier wurde noch einmal ein Examen mit ihnen angestellt und alle Angaben in einem dicken Buch notiert.

Auch, ob sie noch irgendwelche Verwandten hätten, fragte man sie.

»Ja, Tante Friedchen in Thüringen«, rief Peter stolz. Aber wie der eigentliche Name von Tante Friedchen war, und an welchem Ort sie lebte, das wußten sie alle beide nicht.

Dann brachte die nette Dame sie endlich auf die andere Seite des Hauses hinüber in den Kriegskinderhort.

»Was machen wir aber mit dem Hund?« überlegte sie, ehe sie die Tür öffnete. »Einen Hundekriegshort haben wir noch nicht eingerichtet«, setzte sie scherzend hinzu. »Und die andern Kinder mögen am Ende bange vor dem großen Tier sein.«

»Das brauchen sie nicht, Hektor beißt nicht. Und wenn ich zu ihm sage: ›Kusch dich, Hektor‹, dann legt er sich gleich nieder und schläft den ganzen Tag«, beteuerte Peter.

»Hektor ist ja so gut«, klang es auch von den Lippen des kleinen Hanni, der bisher immer nur der Schwester das Wort überlassen.

»Na, dann meinetwegen!« Hektor wurde in den Kriegskinderhort mit aufgenommen.

Und ich muß gleich im voraus erzählen, daß er sich musterhaft dort benahm. Er tobte und lärmte nicht wie Peter öfters. Er zankte und raufte nicht mit den Spielgefährten wie seine kleine Herrin, und er weinte nicht, wie es bei Hanni einige Male vorkam.

Vorläufig aber waren Peter und Hanni ebenfalls musterhaft artig, denn sie fühlten sich ja noch ganz fremd. Sie machten ihren Knicks und Diener vor einer jungen Dame mit einem freundlichen Gesicht, zu der die Kinder »Tante Ilse« sagten. Die begrüßte die fremden kleinen Ankömmlinge herzlich und führte sie zu zwei leeren Plätzen. Denn in dem Raum standen Tische und Bänke wie in einer Schule. All die kleinen Mädchen und Jungen sahen mit großen Augen auf die beiden Neuen.

Es waren nicht lauter Flüchtlingskinder, wie Peter und Hanni annahmen, sondern meistens Kinder von Feldgrauen, die in den Krieg gezogen waren und deren Mütter einem Lebensunterhalt nachgehen mußten und ihre Kleinen daher nicht selbst beaufsichtigen konnten.

Tante Ilse legte bunten Ton vor die Neuhinzugekommenen. »So, Kinder, nun knetet mal daraus etwas ganz Schönes. Was willst du machen, Peter?« Sie wandte sich an Hanni, da sie, wie alle andern, glaubte, er sei der Peter.

»Unsern Kaiser!« lautete die patriotische Antwort.

»Und du, Kleine?«

»Ich mache unser Haus und Mutter und Vater!« Eifrig setzten sich die kleinen Hände in Bewegung.

»Du, Tante Ilse, ich brauche aber noch viel mehr Ton, unser Haus ist so groß«, damit nahm Peter ganz ungeniert ihrer kleinen Nachbarin die Knetmasse fort.

Das ließ die sich natürlich nicht gefallen. Sie wollte ihr Eigentum wieder haben. Peter sprang lachend damit in der Stube herum, auf den Tisch, auf die Bänke und schließlich – hast du nicht gesehen – war der Wildfang zum Parterrefenster hinaus in den Garten. Die Kinder, die noch eben so nett und ruhig gespielt hatten, tobten und lärmten vor Vergnügen. Und Hektor konnte man es schließlich auch nicht verdenken, wenn er sich ein bißchen an der lustigen Jagd durch lautes Gebell beteiligte.

Tante Ilse hielt sich beide Ohren zu. »Ruhig, Kinder, ruhig. Ihr tobt ja schlimmer als ein ganzes Heer Russen. Komm mal gleich wieder herein, Kleine, aber bitte zur Tür, nicht durch das Fenster«, denn Peter machte bereits Anstalten, wieder auf demselben Wege zurückzuklettern.

»So, mein Kind, und nun wird hübsch Frieden untereinander gehalten. Niemand darf dem andern etwas fortnehmen. Und dann merke dir, daß ohne meine Erlaubnis kein Kind das Zimmer zu verlassen hat.« Trotzdem Tante Ilse unzufrieden war, blieb sie gleichmäßig sanft.

Die Herzchen der beiden Flüchtlingskinder, die soviel Liebe von Hause her gewöhnt waren, flogen der netten Tante daher sogleich zu. Peter nahm sich fest vor, nicht mehr Grund zur Unzufriedenheit zu geben.

Dieser Vorsatz wurde ihr dadurch erleichtert, daß zwei junge Mädchen jetzt mit Frühstück erschienen. Beim Essen, Trinken und Schlafen sind die meisten Kinder ja artig. Vor jedes der Kleinen wurde ein Topf Grießsuppe gesetzt, dazu erhielten sie eine Semmel. Es war eine Freude, mit anzusehen, wie die Mäulchen leckten und schleckten. Keins von all den Kindern empfand so dankbar wie Peter und Hanni, daß wieder für sie gesorgt wurde.

»Warum ißt du denn nicht deine Semmel, mein Jungchen?« erkundigte sich Tante Ilse bei Hanni, der trotz seines Appetits unschlüssig auf das Backwerk blickte.

»Unser lieber Hektor muß doch auch was kriegen«, ängstlich sah Hanni zu der Dame auf. War sie auch nicht ärgerlich, daß er sein Brot für den Hund aufsparte?

»Du bist ein gutes Kerlchen.« Tante Ilse streichelte freundlich Hannis Flachskopf. »Iß nur ruhig, für euren Hektor werden wir schon sorgen. Der erhält Milch und Brot.«

Nun schmeckte es den Kindern noch einmal so gut, da auch Hektor sein Teil bekam.

Nach dem Frühstück ging es hinaus in den Garten. Ach, war das dort schön – so schön wie daheim. Nein, eigentlich noch viel feiner, fand Peter, weil all die lustigen Spielgefährten dabei waren.

Hanni aber, der ein stilleres, sinnigeres Kind war, meinte, sein Muttchen müsse aus dem Haus treten und ihren kleinen Jungen in den Arm nehmen. Der dachte gerade in dem schönen Garten mit Sehnsucht an daheim.

Auch Peter wurde daran erinnert, daß sie sich nicht in ihrem Heimatsgarten befand. Das war, als sie nur mal ganz schnell auf den hohen Birnbaum hinaufkletterte und zwei wilde Jungen es ihr sofort nachmachten.

Tante Ilse glaubte ihren Augen nicht zu trauen, wie sie die drei da oben halsbrecherisch von Ast zu Ast turnen sah. Das Herz setzte ihr vor Schreck aus, denn sie hatte doch die Verantwortung für die Kinder.

»Wollt ihr wohl sogleich herunterkommen, Hanni«, befahl sie ernst.

Peter kicherte wie ein Kobold. »Ich heiße doch nicht Hanni, sondern Peter«, rief sie lachend hinab. Aber weder Tante Ilse noch die Kinder glaubten ihr das. Sicher machte die übermütige Hummel nur Spaß. Solange sie im Kriegskinderhort waren, nannte man daher Peter Hanni, und den Hanni Peter.

Es war nicht so einfach, Peter dazu zu bewegen, ihr luftiges grünes Nest zu verlassen. Die beiden Jungen, die sie zu dem Unfug verleitet, waren sogleich gehorsam von ihrem unerlaubten Ausflug zurückgekehrt. Peter aber schmauste eine saftige Birne nach der andern.

»Schmeckt fein!« frohlockte sie. »Dir bringe ich auch eine mit hinab, Tante Ilse, weil ich dich lieb habe.«

»Ich kann dich aber nicht lieb haben, wenn du so ungehorsam bist«, Tante Ilse sah bekümmert drein.

Peters gutes Herz machte sich geltend. Tante Ilse sollte nicht traurig über sie sein. Wunsch – da war sie auch schon wieder den Stamm hinabgerutscht. Ungestüm schlang sie ihre Arme um den Hals der jungen Dame.

»Ich will nur noch auf die Bäume klettern, wenn du es erlaubst, Tante Ilse,« versprach sie eifrig, »damit du mich lieb haben kannst.«

Es war unmöglich, dem reizenden Dingelchen böse zu sein. Tante Ilse mußte lachen. »Na, da kannst du lange warten, bis du von mir die Erlaubnis dazu bekommst.«

Es war aber auch so wunderschön im Kriegskinderhort. Tante Ilse spielte lustige Kreisspiele mit den Kleinen, daß Peter gar nicht mehr ans Klettern dachte. Daß auch der scheue Hanni auftaute und sich nicht mehr heimbangte.

So verging der Tag im Umsehen bei frohem Spiel und Sang. Die beiden kleinen Flüchtlingskinder brauchten sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, wie sie ihren Hunger stillen sollten, dafür sorgten gute Menschen, die den Kriegskinderhort errichtet. Auch nach einer Schlafgelegenheit hatten die verlassenen Kleinen heute nicht nötig zu suchen. In einem Nebenzimmer waren Betten aufgestellt, da brachte Tante Ilse Peter und Hanni, sowie drei andere Kinder, welche der Krieg ihrer Eltern beraubt, eigenhändig zur Ruhe. Sie betete mit ihnen und küßte die heimatlosen Kleinen warmherzig.

»Weißt du, Tante Ilse, ich möchte immer hier im Kinderhort bei dir bleiben,« flüsterte Peter ihr zärtlich beim Gutenachtsagen zu, »wenn – ja, wenn Vater und Muttchen auch hier wären!«


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