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Ich bin mir im Laufe eines ziemlich langen Lebens dessen bewußt geworden, daß es das, was man Objektivität nennt, bei Wertungen künstlerischer Art, auch beim besten Willen, nicht gibt. Mag man auch noch so sehr davon überzeugt sein, Licht und Schatten mit aller Gerechtigkeit verteilt zu haben – so ist man doch im Augenblicke, in dem man zu messen und zu wägen beginnt, ein Kind seiner Zeit, seiner und ihrer Anschauungen, wird von geheimen Gedanken und Wünschen beeinflußt, über die man sich selbst nicht Rechenschaft abgeben kann, da sie regelmäßig unter der Schwelle des Bewußtseins bleiben.
Diese Erkenntnis ist für jemanden, der besprechen, Kritiken schreiben soll, keine angenehme. Denn man geht mit der Überzeugung an die Arbeit, daß das, was man da macht, eine Halbheit ist – die redliche Mühe und Plage, die man hineingesteckt hat, in einigen Jahrzehnten nur ein mitleidiges Lächeln auslösen werden.
Leider läßt sich an dieser Erkenntnis nicht rütteln. Man braucht nicht einmal die Tafeln zu sehen, die in Wien im kunsthistorischen Institute des Hofrates Strzygowski ausgearbeitet wurden, und welche die Wertung, welche große Künstler zu verschiedenen Zeiten erfahren haben, zum Inhalte haben. Man braucht sich nur ehrlich daran zu erinnern, wie man in seiner Jugend über dies oder das dachte, wie sich der eigene Geschmack unter dem Einflusse der Begebenheiten und Kenntnisse geändert hat.
Was unseren Vätern wohl gefiel, ist uns ein Greuel – und Böcklin, der in meiner Jugend eine heiß umstrittene Persönlichkeit war, ist unterdessen ein Klassiker geworden.
Deshalb verzichte ich darauf, mich in den Mantel des unfehlbaren Richters einzuhüllen, und auf Grund der Paragraphen der Musenordnung ein Urteil über den Liechtensteiner als Dichter zu fällen. Das überlasse ich gerne jenen, die noch an die Unfehlbarkeit des »man« glauben – der Ansicht sind, daß wir in der besten aller Welten leben, und daß unsere Gegenwart den Gipfelpunkt der Entwicklung des menschlichen Geistes bedeutet, der wieder in dem Intellekte des Schreibenden seinen höchsten Ausdruck findet. Ich verzichte auf Beweise und Gelahrsamkeit – erkläre lieber, feierlich und vor allen Lesern, daß ich ein sterblicher Mensch, nicht frei von Sympathien und Antipathien bin, daß mir der Liechtensteiner sympathisch, mein Urteil daher ein persönliches ist, auch wenn ich mich auf den Richterstuhl setzte.
Und nach dieser Einleitung erkläre ich, daß ich den Herren Ulrich für einen ganzen Kerl und für einen echten, manchmal sogar großen Dichter halte.
Da hätten wir also ein Urteil – eine Wertung – die ich nun zu begründen trachten werde – wobei ich aufmerksam mache, daß es mich gar nicht wundern würde, wenn jemand zu einem anderen Ergebnisse gelangt – und ich dies nicht als einen Angriff gegen meine Geistesgaben und meine Person betrachten würde.
Weitab, in einem wenig bevölkerten Gebiete wächst der Knabe heran. Seine Spielkameraden sind Jungens – nicht viel besser als Bauernbuben. Ein Kämpfer, ein Ritter soll der Knabe werden. Höfische Sitte soll er kennen lernen, um, wenn er einmal mit den Großen zu tun hat, nicht als Hinterwäldler dazustehen. Lesen und Schreiben braucht er nicht. Wichtiger ist es, wenn er gut zu reiten, Schwert und Speer zu führen versteht. Liedchen muß er kennen, damit er die Zeit vertreibe, bei den Damen einen Stein im Brett habe. Und aus dem Analphabeten, dem jungen Rüpel aus den einsamen Waldtälern der Steiermark wird ein Dichter, ein richtiger Dichter, der in beinahe zu kunstvoll gebauten Strophen, mit allerlei verzwickten Reimverschlingungen von der Liebe singt.
Manche von diesen Liedern sind spielerisch. Sie spielen mit dem Worte Minne, mit Gedanken, Vorstellungen – mit dem Reime, dem Versmaße, der Sprache. Sie sind unbedingt reizvoll – aber sie erinnern doch an die Blumen, die verblaßt und duftlos in einem Herbarium liegen, uns interessieren und auch gefallen, ohne daß wir uns für sie begeistern könnten. Denn es fehlt das Leben. – Und was als solches scheint, läßt sich als ein künstliches, antiquarisches erkennen, das seinen Ursprung zum Teile dem Übersetzer, seiner Liebe zum Gegenstande verdankt.
Aber daneben stehen einige, deren Ton noch heute ins Herz greift (ich nenne jenes, das er in Friesach dichtete und das beginnt: »In dem Maien süße Töne«), die meines Erachtens – den Perlen der deutschen Literatur zuzuzählen sind, die goetheischen Geist und Sprachgewalt bekunden, die genügen, um dem Dichter einen Platz in der Ruhmeshalle deutschen Geistes und deutscher Art zu sichern. Hiebei ist zu bedenken, daß uns ja eigentlich nur das halbe Werk des Liechtensteiners überliefert ist. – Ich meine damit nicht, daß er weit mehr Lieder gedichtet habe, als die Handschriften uns geben. Aber ich mache darauf aufmerksam (was oft übersehen wird), daß er ja auch selbst die Weisen zu seinen Liedern ersonnen hat, daß also Lied und Melodie zusammen erst ein Ganzes bilden – sein Werk darstellen – und daß mir bis nun nicht bekannt wurde, daß die Weisen des Liechtensteiners aufgefunden worden seien. Jedenfalls drängt sich in diesem Zusammenhange die Frage auf, wie sich Lied und Musik verhielten.
Ich bin nicht musikalisch, finde aber, daß manche der Lieder nach Melodie förmlich schreien – und schon deshalb möchte ich glauben, daß die musikalische Begabung des Liechtensteiners noch stärker war, als seine dichterische.
Hierin werde ich durch den oft ungemein komplizierten Vers- und Strophenbau bestärkt. Denn man darf nicht vergessen, daß der Dichter des Lesens und Schreibens unkundig war – und ich stelle mir daher vor, daß ihm der Bau dieser kunstvollen Gebilde dadurch möglich bzw. erleichtert wurde, daß er die Melodie mit ihren Takten und Intervallen im Ohre hatte, während er die Reime suchte und die Zeilen dichtete.
Das Hauptwerk des Liechtensteiners ist sein Frauendienst, in welchem er sein Leben beschreibt. Dieses Werk hat dem Liechtensteiner oft die Bezeichnung und Wertung als Epiker eingetragen – womit ich mich nicht einverstanden erklären kann. Denn ein Epiker hat eine gewisse Freiheit in der Behandlung seines Stoffes – und diese Freiheit ist dem Liechtensteiner abgegangen. Denn er ist – was einen großen Unterschied bedeutet – Chronist und nicht Epiker. Er hat die Form der gebundenen Rede verwendet – das ist das ganze. Aber schon die bloße Tatsache, daß er für einen Epiker angesehen werden konnte, ist, trotzdem dann die Wertung meist nicht sehr günstig ausfiel, eine Verbeugung davor, was der Dichter hier geleistet hat. Denn man hat ihn mit dem Maßstabe gemessen, den man an Hartmann von der Aue, an Wolfram von Eschenbach usw. anlegte – und ist, trotz dieses Fehlers, so viel ich weiß, niemals zu einer glatten Ablehnung gelangt.
Man fand ihn schwach – Längen, Wiederholungen – und vergaß dabei ganz, daß er, wenn er sein Leben beschreiben wollte, sich keine dichterischen Freiheiten erlauben konnte. Er konnte nicht von spannenden Abenteuern im Morgenlande erzählen, wenn er es nie gesehen, konnte nicht aus künstlerischen Gründen Ereignisse des Jahres 1240 in das Jahr 1222 verlegen. Er konnte nichts »von kühner Recken strîten« dichten – wenn seine Frowe wissen wollte, wie es beim Turniere in Friesach zugegangen – keine Personen handeln lassen, mit denen er nicht zusammengekommen.
Seine Aufgabe war eine sehr schwierige. Zunächst mußte er ohne jegliches Vorbild arbeiten. Denn seine Lebensbeschreibung ist überhaupt die erste in deutscher Sprache – und ich muß gestehen – ich kann mich auch aus der Antike derzeit keiner erinnern, die irgendwie bekannter wäre, wenn überhaupt eine besteht. Außer man wollte das Denkmal von Ancyra als solche nehmen. Zudem hat er sich selbst die Aufgabe noch dadurch erschwert, daß er sein Leben nur insofern schildern wollte, als es durch die Frauen bestimmt war – was der gewählte Name Frauendienst betont – und schließlich wollte er auch noch erzieherisch, didaktisch, wirken.
Wenn man diese Schwierigkeiten bedenkt, so muß man gestehen, daß er derselben glänzend Herr geworden ist, und ein Werk geschaffen hat, das viel mehr Beachtung verdient, als ihm zuteil wurde.
Es gibt Längen – aber auch Homer hat seinen Schiffskatalog – und das Nibelungenlied hat Teile, die weniger gelungen sind. Mich persönlich haben die Füllzeilen mehr gestört als die sogenannten Längen, weil sie mir verraten haben, daß der Dichter nicht immer bei der Sache war – es vorgezogen hat, an Stelle des Nachdenkens ein Klischee zu setzen.
Ich finde, der Liechtensteiner ist über einen Chronisten weit hinausgewachsen – und eben die Art, in der er den trockenen Stoff gemeistert, ihn mit Leben erfüllt hat, zeigt, daß er ein großer Dichter war – und daß man bis zu »Dichtung und Wahrheit« gehen muß, um ein Werk zu begegnen, das man zum Vergleiche heranziehen kann.
Denn es wird nicht nur die Zeit lebendig – und die Gestalt des Helden tritt uns näher – auch die Sprache ist dort, wo es sein kann, voll Schwung und von einer hinreißenden Lebhaftig- und Bildmäßigkeit. Auch Nebengestalten werden plastisch, so einmal die Niftel, Wülfing von Stubenberg, der von Lengenbach, Herzog Friedrich. Vor allem aber fallen die Schleier, die uns die Vergangenheit unklar, mit verschwommenen Umrissen erscheinen lassen – und wir stehen im Sonnenglanze mitten unter den ritterlichen Gesellen, ihren Knappen, den Damen, den Grojern. Es gibt einzelne Stellen, die so vom Pulsschlage der Zeit erfüllt sind, daß man um die nächste Ecke einen ritterlichen Zug kommen zu sehen vermeint.
Der Liechtensteiner will uns nichts absonderliches erzählen – und eben deshalb wirken seine Worte um so nachhaltiger, führen sie uns unvermerkt so in seinen Alltag ein, daß wir in die Schönheit und Größe der Zeit langsam hineinwachsen, zum Schlusse auch das geschichtliche Interesse vergessen, uns völlig in sie einfühlen – ja einleben. So lernen wir nicht Kulturgeschichte – sondern sie wird unser. Und wir fühlen dabei, wie verschüttete Bronnen wieder anfangen zu fließen, fühlen Fäden, die vom Heute in die Vergangenheit führen; daß sie stärker sind, als die Gelehrsamkeit, als unsere Bewunderung der Antike. Und wenn auch die meisten edlen Geschlechter, von denen der Liechtensteiner erzählt, ausgestorben sind – ihr Name keinen Widerhall mehr weckt, so ist es doch Blut von unserem Blute, sind es doch die Ideale, die noch heute in uns schlummern. Leider geht bei einer Übertragung hievon viel, sehr viel verloren. Ich wollte davon retten, so viel nur möglich war, habe daher nicht sklavisch am Worte geklebt. Ich habe den Sinn und die Kraft wiederzugeben versucht – trotzdem ich mir dessen bewußt war, daß unsere Sprache unmöglich mit jener des Mittelalters in Wettbewerb treten kann. Sie ist zu weich, zu abgeschliffen – ohne jene Herbheit, die einer der Reize der mittelhochdeutschen Dichtung bedeutet.
Ich halte also den Herren Ulrich von Liechtenstein nicht bloß für einen bedeutenden Menschen, sondern auch für einen großen Dichter – und hoffe, daß manche meiner Leser zu dem Originale greifen, an ihm noch mehr Freude haben werden, als an meiner Arbeit.
Schließlich möchte ich betonen, daß uns der Frauendienst leider nicht zur Gänze überliefert ist. Es fehlt ein großes Stück mit dem Anfange der Artusfahrt – es fehlen auch Lieder. So störend auch die Lücke im Flusse der Erzählung ist, so dürfte sie doch ein Verständnis des Dichters nicht hindern.
Auch hat Tieck den Frauendienst im Anfange des 19. Jahrhunderts übersetzt. – Dies Buch hat zwei Auflagen erlebt.
Ich mag nicht sagen, daß diese Arbeit schlecht ist – denn sie scheint ihrer Zeit gefallen zu haben. Aber man kann ruhig behaupten, daß sie heute unzulänglich ist – eben weil Tieck zu sehr am Worte klebte, nicht den Mut hatte, etwas auf andere Weise zu sagen, als sein Text es ihm zeigte.