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Das Leben des Liechtensteiners

Während wir von dem Lebenslaufe der meisten Minnesänger nichts, oder nicht viel mehr als nichts wissen, ist dies bei Ulrich von Liechtenstein anders. Sein Frauendienst ist eine ausgesprochene Selbstbiographie, liefert daher eine große Zahl von Angaben – und die Urkunden der Zeit bieten eine weitere Fülle.

Wir wollen uns nun einmal ganz trocken und sachlich in diesem Materiale umsehen.

Das Geburtsjahr des Liechtensteiners fällt vor das Jahr 1200 und dürfte 1198 sein.

Mit 12 Jahren kam er an den Hof einer Dame von fürstlichem Geblüte, die dann später seine Frowe ward, um dort Pagendienste zu tun, und zugleich Sitte zu lernen. Im 17. Jahre übernahm der Markgraf Heinrich von Istrien (oder Österreich) seine Erziehung, bei dem er das Waffenhandwerk und die Dichtkunst lernte, und mit dem er in vertrautem, persönlichem Verkehre gestanden zu haben scheint. Im vierten Jahre dieses Dienstes, also als Ulrich ungefähr 20 Jahre alt war, starb sein Vater, und er mußte in die Heimat, um die Güter zu übernehmen. 1219 finden wir ihn als Zeugen einer Urkunde zu Leibnitz in Steiermark – 1222 empfängt er in Wien den Ritterschlag. Schon damals hatte er seinen Dienst, wie der damals übliche Ausdruck lautet, seiner Dame geweiht, und es ist bezeichnend für die Zeit, daß »sie« davon keine Ahnung hatte. Sie sah ihn bei den Festen, die bei der Gelegenheit stattfanden, freute sich dessen, daß er Ritter geworden sei. Anläßlich des Besuches einer Burg teilte ihm eine Verwandte mit, eine Dame (eben jene, der er seinen Dienst gewidmet) habe gefragt, wer seine Herrin sei. Er benützte die Gelegenheit, ihr das Geständnis seiner Liebe zukommen zu lassen, was sie jedoch durchaus ablehnend beantwortete. Insbesondere, erklärte sie, gefalle ihr sein Mund nicht. Worauf er nach Graz ritt, sich dort einer Operation unterzog, die gelang, was er sie wissen ließ. Diese Tat scheint einigen Eindruck auf sie gemacht zu haben, denn sie gab ihm die Möglichkeit einer Aussprache, die er jedoch aus übergroßer Befangenheit nicht auszunützen verstand, so daß sie gegen ihn unmutig wurde. Doch den Liechtensteiner focht das nicht an. Er zog auch fernerhin zu Ehren seiner Frowe turnierend durch das Land, dichtete, sendete ihr seine Lieder, und hielt an seiner Liebe, trotz wenig ermunterndem Bescheid fest und nahm zu ihren Ehren an dem großen Turniere in Friesach 1224 teil. (Das hat man eine Zeit bezweifelt, bis von Jaksch sich für die Richtigkeit der Überlieferung ausgesprochen hat.)

Nach demselben ließ er seiner Herrin wieder eine Botschaft zukommen. Doch wurde die sehr ungnädig aufgenommen. Trotzdem wurde er in seiner Treue nicht wankend, turnierte, ihr Bild im Herzen, in Leibnitz, Triest und Brixen. Hiebei wurde ihm in letzterem Orte ein Finger der rechten Hand schwer beschädigt, vom Arzte verpfuscht, so daß er zu einem anderen nach Bozen zog. Während er dort krank lag, sendete ihm eine Dame vier Büchlein – er aber dichtete auf ihre Bitte nach einer fremden Weise ein Lied, wofür er von ihr ein Hündchen als Geschenk erhielt.

Diesen Hund stiftete er mit anderen Dingen als Preis für ein Turnier in Friesach, an dem er seiner Wunde wegen nicht teilnehmen konnte. Was er hoffte, trat ein. Die Ritter zerstritten sich, und das Turnier fand nicht statt. Kurz darauf hatte er Gelegenheit, einen Boten zu seiner Frowe abzufertigen, der jedoch wenig Glück hatte.

Daraufhin zog Ulrich nach Rom, blieb dort zwei Monate, kam zurück, um seiner Dame neue Lieder zu singen, die sie aber nicht milder stimmten. Im Gegenteile – sie warf ihm vor, er habe gelogen, als er sie wissen ließ, er habe in ihrem Dienste einen Finger verloren, denn er habe ihn noch.

Worauf Ulrich den Finger, der verkrümmt geblieben war, abschlagen ließ und mit neuen Dichtungen der Frowe sendete. Dies rührte sie doch ein wenig, und Ulrich beschloß in seiner Freude, zu ihren Ehren eine Fahrt als Frau Venus zu tun.

Sie stimmte zu – und er führte sein Vorhaben auch tatsächlich im Jahre 1227 aus; er berichtet darüber mit einer solchen Genauigkeit, daß man annehmen muß, er habe damals ein Tagebuch führen lassen, in dem seine Gegner und die verschiedenen Ereignungen genau verzeichnet wurden.

Im selben Jahre finden wir ihn als Zeugen eines Vergleiches zwischen dem Bischöfe Ekbert von Bamberg und dem Herzog Bernhard von Kärnten. Zur Erläuterung sei bemerkt, daß den Bischöfen von Bamberg im Gebiete des heutigen Kärnten die Städte Villach und Wolfsberg, sowie der Markt Griffen gehörten, in welch letzterem sie das Münzrecht ausübten. Beide Herren waren ungemein mächtig, und es ist bezeichnend für das Ansehen, das der junge Ulrich (er war auf keinen Fall älter als 30 Jahre) sich erworben hatte, daß solche Herren ihn als Zeugen baten. Dies ist auch ein Beweis dafür, daß man auch in ernsten Kreisen, zu denen ein Bischof und ein Herzog doch zu zählen sind, seinen Einfall, einen ritterlichen Zug als Frau Venus zu unternehmen, nicht übel aufgenommen hat – er vielmehr durch denselben an Ansehen und Bedeutung gewonnen hatte.

Dieser Zug führte ihn von Mestre bei Venedig durch Oberitalien, Kärnten, Steiermark, Niederösterreich bis nach Böhmen. An ihn schloß sich ein Turnier in Kornneuburg, vor welchem er üble Botschaft von seiner Herrin empfing – die – sonderbar genug – sich eifersüchtig zeigte. Die Aufklärung, die er ihr durch seinen Knappen sendete, befriedigte sie aber – und sie bestellte ihn auf ihre Burg.

Dieses Abenteuer war nun zwar sehr romantisch – denn er mußte als Aussätziger verkleidet kommen, wurde an Leintüchern in ihr Zimmer emporgezogen usw. Doch war es, trotzdem Ulrich seine Herrin sah und sprach, doch eher unerfreulich. Die eine Nacht, die er im Freien zubringen mußte, wurde er in seiner ärmlichen Kleidung von Gewitterregen durchnäßt, von Kälte gepeinigt, von Läusen gebissen. Seine Dame blieb, trotz seines Flehens, hartherzig, ließ ihn sogar eine anscheinend nicht unbeträchtliche Höhe herabfallen, so daß er sich bald erschlagen hätte.

Man könnte glauben, daß er nun von seiner Leidenschaft geheilt worden wäre. Dies war jedoch nicht der Fall – im Gegenteile – er war bereit, um den Groll der Herrin zu besänftigen, in das heilige Land zu ziehen.

Doch kam es nicht dazu. Er ritt singend und turnierend im Lande umher, stets des Rufes gewärtig, der ihn nach Palästina bescheiden sollte. Aber der kam nicht. Dafür aber mit einem Male eine Botschaft – und die Erfüllung seines Sehnens.

Sein Liebesglück dauerte nicht lange – durch der Herrin Schuld kam es zum Bruche. Was sie tat, wissen wir nicht. Es ist daher Vermutungen Tür und Tor geöffnet. Jedenfalls muß sie sich arg vergangen haben – denn selbst der sanftmütige Ulrich geriet dadurch in Zorn, so zwar, daß er, allerdings nur dem Wissenden verständliche Schmählieder auf die einst Geliebte verfaßte. Unterdessen laufen die Angaben der Urkunden weiter. Wir finden Ulrich 1230, 1231, 1232 als Zeugen, 1259 als Bürgen für 100 Mark Friesacher Pfennige, 1241 und 1242 in Salzburg als Zeugen eines Vertrages zwischen dem Erzbischof und dem Grafen von Ortenburg.

Ulrich blieb nicht lange ohne Herrin. Er wählte sich eine neue – und diese Zeit des Bruches, des Suchens und Findens ist reich an Liedern der verschiedensten Art. Der neuen Frowe zu Ehren unternahm er dann im Jahre 1240 eine zweite Ritterfahrt, bei welcher er sich als König Artus kleidete und bei der er auch starken Erfolg errang. Herzog Friedrich der Streitbare von Österreich wünschte selber in die Tafelrunde des Liechtensteiners aufgenommen zu werden, ein weiterer Beweis dafür, daß entgegen der oft geäußerten Ansicht, der Liechtensteiner sei von seinen eigenen Zeitgenossen nicht als ganz voll betrachtet worden, dies doch der Fall gewesen ist. Man hat an solchen phantastischen Maskeraden nichts Übles gefunden, hat selbst dabei mitgetan. Sie entsprachen – wie schon der Erfolg der Venusfahrt es beweist, – dem Geiste unserer Vorfahren.

Herzog Friedrich war es auch, der 1245 den Liechtensteiner zum Landeshauptmann für Steiermark bestellte, in welcher Eigenschaft er der Stellvertreter des Herzogs war, Recht zu sprechen und den Heerbann aufzubieten hatte. Diese Ernennung hätte der Herzog kaum gewagt, da er ja, wenn er einen anerkannten Halbnarren damit betraut hätte, Einbuße am eigenen Ansehen hätte befürchten müssen. Es haben also – wie man aus dem Frauendienste mit aller Deutlichkeit entnimmt – die Großen dieser Zeit, die Bischöfe, Äbte und Prälaten, die Grafen, Freiherrn und Ritter keinerlei Anstoß an dem Mummenschanze genommen, dessen Veranstalter und Hauptperson Ulrich zweimal war.

Es ist eben jede Epoche nur aus sich selbst heraus zu verstehen und zu beurteilen. Ich möchte hiebei erinnern, daß es kommenden Geschlechtern vielleicht unverständlich sein wird, daß ein deutscher Kronprinz an Bobrennen teilgenommen – der Prinz von Wales Pferderennen mitgeritten ist. Gar zu scharf möchte ich allerdings mit jenen, die einst über den Liechtensteiner abfällig urteilten, nicht zu Gericht gehen. Denn der Sport, der das Verständnis seiner Gestalt wesentlich erleichtert, ist erst in den allerletzten Jahrzehnten Gemeingut geworden. Man begreift, wenn man sich dies vor Augen hält, daß Gelehrte vor 50 Jahren den größten Teilen des Frauendienstes kopfschüttelnd gegenüber standen, es nicht verstanden, wie man an den Dingen, die er schildert, Gefallen finden konnte. Sie maßen ihn und seine Zeit nach sich und ihrer Gegenwart, sahen in ihm eine Ausnahme, werteten ihn entsprechend, sprachen von einem Zerrbilde, einem Gecken, wo wir, wenn wir schon den Fehler einer unzulässigen Wertung machen wollen, eher einen Höhepunkt, einen Typus in Reinkultur erkennen. Mir wenigstens scheint es, daß Ulrich wie ein Brennspiegel die verschiedenen Gedanken, Empfindungen und Anschauungen seiner Standesgenossen gesammelt hat, so daß er als ein Höhepunkt des Rittertums gelten kann, das leider bald seinen idealen Schwung verlor, wozu der Wohlstand nicht wenig beigetragen haben mag.

Ein äußeres Ereignis hat in Österreich diesen Niedergang beschleunigt. Es ist dies der 1246 in der Schlacht an der Leitha erfolgte Tod des Herzogs Friedrich. Auch davon erzählt der Liechtensteiner, der anscheinend, trotzdem er dies nicht ausdrücklich erwähnt, an dem Treffen teilgenommen hat, bei dem sein Vetter Heinrich von Liechtenstein der herzogliche Bannerträger war, und den Sieg der Österreicher entschied.

Ulrich hat den Tod seines Herren aufrichtig betrauert, und war auch einer der ersten, die in der nun folgenden Zeit der Unordnung zu leiden hatten. Er selbst erzählt uns, wie er im Jahre 1248 auf seiner eigenen Burg Frauenburg von zwei falschen Freunden, Pilgerim von Karse und Herren Weinold gefangen gesetzt, am Leben bedroht und erst nach über einjähriger Gefangenschaft durch die Einflußnahme des kaiserlichen Statthalters, Grafen Meinhard von Görz, aus der Haft befreit wurde. Es ist anzunehmen, daß Ulrich sich darauf hin der kaiserlichen Partei in Steiermark anschloß. Doch dürfte die tiefe Religiosität, die Ulrich erfüllte, und von der wir besonders anläßlich seiner Gefangennahme erfahren, dazu geführt haben, daß er sich bald der Partei Ottokars von Böhmen, der vom Erzbischof von Salzburg unterstützt wurde, anschloß. Es ist natürlich nach so viel Jahrhunderten fast unmöglich, sich über die Beweggründe des Handelns einzelner Personen Rechenschaft zu geben, insbesondere in Zeiten, in denen die Quellen spärlich fließen. Man muß daher zu Vermutungen greifen, und zufrieden sein, wenn man sie wahrscheinlich macht. Aus dem Lobe, das Ulrich der Ordnung im Staate spendet, kann man vermuten, daß er ein Anhänger einer starken staatlichen Gewalt war, und in der Person Ottokars eine Gewähr für ein kräftiges Regiment fand.

Zudem sprach noch für Ottokar das, was wir heute Legitimitätsprinzip nennen, da er sich am 8. April 1252 mit Margarete, der Schwester des gefallenen Herzogs, verehelicht hatte. Jedenfalls sehen wir Ulrich bald als Führer der steirischen Adeligen, die Ottokar freundlich gesinnt waren.

Welche Gründe ihn bewegen haben, nach einer Weile dieser Partei den Rücken zu kehren, wissen wir nicht. Jedenfalls ist er 1254 einer der Anhänger des Königs Bela von Ungarn.

1255 macht er sich auf Bitte seiner zweiten Dame an die Abfassung des Frauendienst, 1256 finden wir ihn als Zeugen in einem Lehnbriefe des Herzogs von Kärnten, betreffend die Bergwerke zu Turrach, 1257 diktiert er seinen Frauendank. 1258 ist er in dem Kriege zwischen Ungarn und Ottokar auf Seite der Ungarn. Er überfällt und erobert die salzburgische Stadt Radstadt. Doch die Sieger sind sorglos. Plötzlich werden sie angegriffen und geschlagen, doch entkommt Ulrich.

1259 hält er noch mit den Ungarn, 1260 aber hat er seinen Frieden mit Ottokar gemacht und ist sein Zeuge bei der Bestätigung der Freiheiten des Zisterzienserstiftes Rain, einige Kilometer nördlich Graz.

Um diese Zeit müssen sich seine Vermögensverhältnisse, die nach der Freilassung aus seiner Gefangenschaft im Jahre 1249 nicht sehr günstige gewesen sein können, gebessert haben. Denn 1260 baut er eine Wasserleitung für das Städtchen Judenburg in Obersteiermark. In Urkunden wird er 1261, 1262, 1263, 1265 und 1266 erwähnt. Die letzte ist in Lack in Krain, das damals Besitz der Bischöfe von Freisingen war, ausgestellt. Ich erwähne dies, um zu zeigen, daß auch der alternde Ulrich noch immer nicht ruhig auf seiner Burg sitzen konnte, noch immer den Strapazen einer Reise gewachsen war.

Im Jahre 1268 beginnt für ihn eine neue Leidenszeit. Friedrich von Pettau bezichtigte ihn und andere steirische Adelige einer Verschwörung gegen König Ottokar, der sie alle nach Breslau lud. Dort wurden sie in Haft genommen, Ulrich als Gefangener nach Burg Klingenberg in Böhmen gebracht. Jedem der Herren wurde bloß ein Diener gelassen – der Rest der Begleitung durfte mit Sack und Pack, sehr zum Leidwesen der Böhmen, die schon voller Freude plündern wollten, in die Heimat ziehen.

Ulrich mußte seine festen Burgen Frauenburg, Liechtenstein und Murau herausgeben – Liechtenstein und Murau wurden, sowie die Burgen der anderen, in Haft gesetzten, zerstört. 26 Wochen saßen sie gefangen – dann wurden sie vor den Herrscher gefühlt – alle arg verwahrlost. Bloß der Liechtensteiner hatte es verstanden, sich neue Kleidung zu verschaffen und sich den Bart scheeren zu lassen. Man sieht aus diesem kleinen Zuge, daß er auch damals den Mut nicht verloren hat, noch immer auf eine tadellose äußere Erscheinung bedacht war.

Ottokar nahm die angeblichen Verschwörer wieder in seine Gnade auf, versöhnte sie mit Friedrich von Pettau, gab dem Liechtensteiner seine Burgen wieder zurück, von denen Murau wieder aufgebaut wurde.

Diese Episode verdient deshalb Erwähnung, weil sie über das Leben des Minnesängers hinausgehend uns einen Blick in den Hintergrund eines Stückes Weltgeschichte tun läßt.

Es scheint, daß dem ganzen Vorgehen des Tschechen gegen die Steirer kein greifbarer Tatbestand zugrunde lag, daß wir es hier mit einem Akte reiner Willkür zu tun haben. Der König mag die Opfer eines Verdachtes und eines Verleumders wohl wieder aufrichtig in seine Huld aufgenommen haben – doch werden diese ihm kaum mehr vertraut haben und nun, auch wenn sie früher daran nicht gedacht haben sollten, einen Wechsel in der Person des Herren gewünscht haben.

Dies wird den Schlüssel für den raschen Anschluß der Steiermark an die Habsburger geben.

So hat das peinliche, aber doch kleine Schicksal des Liechtensteiners die Schlacht auf dem Marchfelde vorbereiten geholfen.

König Ottokar scheint gefühlt zu haben, daß er Ulrichs nicht mehr sicher sei. So erkläre ich mir, daß er den nun Siebzigjährigen nach Znaim berief, wo wir ihm als Zeugen begegnen. 1270 ist er Zeuge in Wien, Marburg und Villach.

1271 ist er Marschall der Steiermark, nimmt Philipp von Kärnten gefangen, dessen Leben auch eines jener ist, die nach einem Forscher, der auch Dichter ist, rufen. Herzogssohn, Bischof von Salzburg, gewählter aber nicht bestätigter Patriarch von Aquileja, wollte er nun Herzog von Kärnten werden, was ihm aber nicht gelang. 1272 ist Herr Ulrich wieder Marschall und Landrichter in Steiermark, ist trotz seines hohen Alters noch so rüstig, daß er nach Wien reisen, dort Urkundenzeuge sein kann. 1274 begabt er das Kloster in Göß (Steiermark) und stirbt 1275 oder 1276.

Ein langes und reiches Leben ist an uns vorbeigezogen – reich an Erlebnissen, an Taten und Geschehnissen.

Es führt von den stillen Waldtälern der Alpen, in denen Gott durch die gewaltige Einsamkeit schreitet, an Burgen und Fürstenhöfe von Rom bis nach Breslau, zu Festen, Turnieren, durch jubelnde Freude zu Todesnot – ein Spiegelbild einer großen, reichen Zeit, in die wir durch den Liechtensteiner einen Blick, der uns sonst verwehrt wäre, tun. Immer ist der Held frohgemut, fromm, von einer Frömmigkeit, die vielleicht einer dogmatischen Prüfung nicht standhält, aber dafür tief verankert ist. Durch dieses ganze Leben singt und klingt es von der Liebe, von der Frowe. Selbst in den verzweifeltsten Lagen bleibt der Mund nicht stumm – ersinnt er neue Weisen zu Ehren der Frauen, was ihm, im Vereine mit der Venusfahrt und seinem Werben um seine erste Frowe den Beinamen »Don Quichotte der Liebe« eingetragen hat.

Ich weiß nicht, wer das Wort prägte – ich weiß aber, daß noch heute die Frauen auf die Frauenburg und zum Grabe des Sängers pilgern sollten, statt auf den Père Lachaise zum Grabe Heines. Mit mehr Recht als jenen Stein in Paris sollten sie in stillem Gedenken den Stein in der Kirche der Frauenburg, der als Wappen die Schrägbalken im Schilde führt, in Erinnerung an den Mann mit Blumen schmücken, der von den holden, reinen, süßen Frauen sang, der in ihnen etwas so Hohes, Heiliges sah, von dem Mysterium, das sie sind und welches erst wir in tiefen Stunden wieder in seiner unerhörten Größe und Schönheit zu fühlen beginnen, so erfüllt war, daß es ihn ganz durchdrang, daß ihm daneben die Schicksale, die nicht mit ihnen zusammenhingen, unbedeutend, nicht der Rede wert erschienen.

Ihm ist – ob gefühlsmäßig oder verstandesgemäß ist einerlei – die Liebe das ganz große Erlebnis, das ihm selbst erst Wert verleiht, ihn zum ritterlichen Dichter und Sänger macht. Liebe ist es, die ihn geheißen hat, sein Leben zu beschreiben. Denn über Auftrag seiner zweiten Frowe hat er den Frauendienst verfaßt. Sein Lied gilt aber nicht bloß der Minne, die ihrem letzten Ende nach fleischlich ist. Dadurch trennt ihn eine Welt von Neidhardt von Reuental. Ulrich verlangt auch Treue, Beharren, Stätigkeit. Er selbst wirbt lange vergeblich, läßt sich aber durch nichts abschrecken, dient unentwegt, trotzdem ihm seine Dame nichts weniger als entgegenkommt, kann schließlich (das liest man zwischen den Zeilen), ihren Verlust nur schwer verwinden. Wir wissen von seinen beiden Frowen so gut wie nichts. Denn Ulrich war, wie es sich schon damals geziemte, verschwiegen. Wir erfahren nur, daß die erste aus hohem Geschlechte war. Das ist nicht viel. Eben deshalb hat man mit einer fast unangenehmen Neugierde Hypothesen aufgestellt. Ich glaube, es ist nicht notwendig, die Zahl derselben zu vermehren. Aus dem Frauendienste heraus möchte ich glauben, daß die erste Frowe irgendwo in Obersteiermark einen Sitz hatte.

Dafür ist uns durch Ulrich ihr geistiges Porträt geblieben, das nicht sonderlich günstig wirkt, und auf die Vorstellung von ihrem Äußeren abfärbt. Sie ist kalt, rücksichtslos, verlogen und sinnlich, eine unerfreuliche Erscheinung, die zu lieben einen starken Idealismus erforderte. Es will sogar manchmal scheinen, als sei sich ihr Anbeter selbst seiner Empfindungen ihr gegenüber nicht ganz klar gewesen und daß außer Liebe noch zweierlei bei ihm mitspricht. Erstens eine Überlegung, die gegen das Vorhandensein einer Leidenschaft zeugen könnte. Wir dürfen nicht vergessen, daß Ulrich eigentlich ein Ministeriale, ein Unfreier war, der zwar über bedeutendes Vermögen verfügte, aber doch ein Unfreier blieb. Für den konnte es nicht bloß einen eigenen Reiz haben – wie etwa Napoleon eine Kaiserstochter freite – die Gunst einer gesellschaftlich höher stehenden Dame zu genießen – sondern auch allerlei heute nicht erfaßbare aber doch wertvolle Vorteile bieten, durch diese Tatsache mit den höheren Kreisen in Verbindung zu sein. Vielleicht liegt sogar hier der Grund für sein Bestreben, Aufsehen zu erregen, sich einen Ruf zu machen. Vielleicht rechnete er damit, hiedurch den Weg in die damalige exklusive »Gesellschaft« zu finden, was ihm auch ersichtlich gelungen ist. Er mag auch zu der in Österreich merklichen besseren rechtlichen Stellung der Ministerialen beigetragen haben – ein Prozeß, der sich nachweisbar im dreizehnten Jahrhundert vollzogen hat.

Auch will es scheinen, daß Ulrich, wenigstens in seiner Jugend, das war, was man in Kärnten einen »Justamenter« nennt – ein Ausdruck, der kaum eines Kommentars bedarf. Weil sie »Nein!« sagte, reizte es ihn, dieses Nein in ein »Ja!« zu verwandeln.

Durch diese beiden Momente entsteht manchmal für das Gefühl eine gewisse Unklarheit, die man weniger nachweisen als empfinden kann. Wesentlich anders stellen sich die zweite Frowe und die Liebe zu ihr dar.

Von ihr erfährt man im Frauendienst so wenig, daß es nicht einmal zu einer Vermutung, wer sie gewesen sein könnte, langt. Dafür ist ihr Bild klarer. Es ist eine sonnige, anmutige Frau, die schalkhaft zu plaudern, einen geistig hochstehenden reifen Mann zu fesseln und anzuregen vermag, die an dem Schaffen des Dichters eifrig Anteil nimmt, ihn dazu bringt, seine Lieder zu sammeln, entgegen der guten Sitte der Zeit von sich selbst zu sprechen und den Frauendienst zu verfassen. Sie entspricht dem Typus der österreichischen Adeligen oder der Österreicherin überhaupt, wie er heute noch vorkommt, der die Gabe der leichten gesellschaftlichen Unterhaltung mit dem Verständnisse für tiefere Fragen und einer ansprechenden äußeren Erscheinung verbindet, dessen Frohsinn mit Güte gepaart ist, der herumtollen, lachen und weinen, und wirklich ergriffen den Worten des Künstlers lauschen kann.

Dieser Frau müssen wir dankbar sein. Denn ohne sie wüßten wir vom Liechtensteiner wenig oder gar nichts. Vielleicht hätte ihn sogar das Los so vieler ritterlicher Sänger getroffen, deren Namen uns erhalten sind, ohne daß wir in der Lage wären, ihr Werk in der Masse des überlieferten zu erkennen.

Und da so viel über die erste Frowe gemutmaßt wurde, scheint es gestattet, einem Einfalle Raum zu geben, der uns zwar die geschichtliche Persönlichkeit der zweiten nicht näher bringt, dafür aber geeignet scheint, ihre und des Dichters Gestalt greifbarer zu machen. Ich glaube nämlich, daß es möglich ist, einige Stellen des Frauendienst auf sie zu beziehen, trotzdem sie im Laufe der Erzählung noch nicht vorkommt. Es ist möglich, mehrere Aufmerksamkeiten, die Ulrich von ungenannten Damen erwiesen werden (so in Bozen das Geschenk eines Hundes, Geschenke, die er während der Venusfahrt erhält, das Abenteuer in Wiener Neustadt) mit ihr in Verbindung zu bringen. Man kann es tun – kann aber auch anderer Ansicht sein. Schwer aber ist es, jenes, was er über Feldsberg schreibt, anders zu deuten. Er nimmt dort über Einladung des Burgherren Kadolt an einer Messe in der Burg teil und erblickt während des Gottesdienstes unter den Damen eine Frau, deren Schönheit und Anmut auf ihn einen so nachhaltigen Eindruck machen, daß er noch so viele Jahre nach dem Erlebnisse bei der Erzählung desselben Worte findet, die so fein, rein und klar klingen, daß man kaum im Zweifel sein kann, daß da sein Herz mitspricht. Diese Strophen fallen so aus den chronikartigen Schilderungen der Venusfahrt heraus, daß ich in ihnen eine Huldigung für die zweite Frowe erblicken muß.

Nun sei noch erwähnt, daß Ulrich von Liechtenstein verheiratet war, Kinder hatte und von seiner Gemahlin kurz, aber in durchaus einwandfreier Weise spricht.

Man hat ihm oft daraus einen Vorwurf gemacht, daß er als Ehemann Liebesabenteuern nachgegangen sei. Man wird dies, je nach dem prinzipiellen Standpunkte, entschuldigen oder verdammen. Es ist nicht meine Aufgabe, in einen dieser Chöre einzustimmen. Ich kann nur auch an dieser Stelle wieder darauf hinweisen, daß Ulrich nicht nach dem Maße, das wir heute an diese Dinge legen, zu beurteilen ist, daß man, wenn man schon das dringende Bedürfnis hat, sich dazu zu äußern, ihn auch hierin vielmehr aus seiner Zeit und seinem Milieu zu beurteilen hat. Und wenn man nicht die Gabe besitzt, sich in vergangene Tage einzufühlen, so kann man sich, vom Standpunkte der Gegenwart ausgehend, vorstellen, daß seine Ehe eine Vernunftheirat war, bei der etwa Güter abgerundet, Bergwerke vereinigt, mit Überlegung der Grund zu größerem Wohlstande gelegt wurde. Die Gattin mag eine tüchtige Hausfrau, eine gute Mutter gewesen sein, der Ulrich weder Achtung noch eine gewisse Zuneigung verweigern konnte, die aber nicht in der Lage war, dem geistig überragenden Manne das zu geben, was er brauchte – Anregung und Anteilnahme an seinem Schaffen.

Man sieht bei den verschiedensten Anlässen, daß die Zeit um 1240 in vielen Dingen anders dachte als wir – und da erscheint es mindestens überflüssig, von Sittenlosigkeit und Verderbnis zu sprechen – und dies um so mehr, als Ulrich selbst gegen die Flatterhaften beiderlei Geschlechtes wettert, energisch das einer Fraue in Stäte und Treue dienen, unterstreicht.

Der eigenen Ehefrau zu dienen, mag vorgekommen sein – man kann sich aber vorstellen, daß solchem Dienste leicht eine gewisse Lächerlichkeit anhängen konnte und daß dies z. B. auch beim Liechtensteiner der Fall gewesen sein kann. Ein hausbackenes Wesen wird einen Dichter selten zu Schöpfungen anregen, selbst wenn es noch so vorzüglich kochen, Kleider nähen und Kinder zu warten vermag. Singt er trotzdem von ihr, so ist der großen Menge, welche derartige Vorzüge nicht sieht und kennt, die Lächerlichkeit und dem Manne ein wenig schmeichelhaftes Urteil fertig.


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