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Vorwort.

Es ist noch gar nicht lange her, da war das schmückende Beiwort, mit dem man das Mittelalter versah, das Wörtchen »finster«, mit welchem man jedenfalls andeuten wollte, daß jene, welche es gebrauchten, turmhoch über den Niederungen standen, in denen mittelalterlicher Aberglaube, Roheit usw. blühten, daß ihre Verstandeskräfte helleuchtend die der vergangenen Tage überstrahlten.

Wohl haben nacheinander Kunsthistoriker, Literaten, Kulturgeschichtler die Schönheiten der mittelalterlichen Zeit entdeckt, und hat sich dadurch in manchen Kreisen die Überzeugung durchgerungen, daß man die Erscheinungen des Mittelalters nicht mit einem Schlagworte abtun könne. Doch – Dank dem Gesetze der Trägheit der Massen, der famosen Aufklärung, lebt noch heute der gemeine Mann, zu denen man leider auch sehr viele zählen muß, die sich selbst zu den Gebildeten rechnen, in der sonderbaren aber festen Überzeugung, daß jeder Ritter, der etwas auf sich hielt, vom Raube lebte, jeder ein Henkersknecht war, der sich an den Qualen seiner Gefangenen im abgrundtiefen Burgverließ weidete, Jungfrauen schändete, arme Bauern plagte und plackte, ja, der ganz merkwürdig gering entwickelte historische Sinn der ländlichen Bevölkerung der östreichischen Alpenländer bringt Franzosenzeit, Türkennot, Römer, Jagd, Robot mit dem Raubrittertume, für das in Österreich überhaupt wenig Platz gewesen ist, in einen fast unlösbaren Zusammenhang. Und man kann sagen, daß sehr weite Kreise vom deutschen Mittelalter nicht mehr wissen, als daß es Turniere, Kreuzzüge, Miniaturmaler gab, vor deren Werken man »A!« machen muß und die man, für sich, scheußlich findet. Dann weiß man von Topfhelmen, Kettenpanzern, Zeltern, Jagdfalken, Minnesängern.

Diese betrübliche Erscheinung verdanken wir in erster Linie dem Humanismus, der einst, mit einem jähen Rucke, die logische Entwicklung des deutschen Volkes durchbrochen hat, beziehungsweise die möglichen Früchte derselben vorwegnahm, uns die Geschichte Roms und Griechenlands so lange als ungemein wichtig und bedeutsam anpries, bis man dies wirklich glaubte, sich mit jener Ehrfurcht vor dem Fremden, die dem Deutschen leider seit jeher innewohnt, vor der Sprache, den Sitten, dem Rechte der Antike beugte, in Demut die Anmaßung der Schulmeisterlein trug, welche die Lehre von der Barbarei der Ahnen verkündeten, das Ausland in den Vordergrund schoben.

Da die Geschichte der Heimat zudem eher verworren sich darstellte, dabei keine römischen und griechischen Autores vorlagen, so sah man lieber ganz von ihr ab. Und so mußten denn die deutschen Jungens auf Mord und Brand die Jahreszahlen der Schlachten von Zama, von Mantinea, die peloponnesischen Kriege, die Reihen der römischen Zäsaren, die solonische Verfassung lernen, und wußten dafür nicht viel mehr als nichts von der Vergangenheit des eigenen Volkes. Zudem wurde man bei jeder Gelegenheit auf die Antike geführt. »Kunst« – das war die von Rom und Hellas. »Recht« – war das römische. »Denker« – das waren Aristoteles, Plato, die Stoiker. »Historiographen« Cäsar, Livius, Xenophon. – Wohin man sich auch wendete – überall stand zuerst der Grieche oder Römer da. Dann kam lange nichts – dann kam ein Franzmann, ein Engländer, und erst irgendwo ganz hinten gab es einen Deutschen, eine deutsche Vergangenheit in Kunst, Kultur, Geistesarbeit.

Unter dem Einflüsse der rastlosen Arbeit der Fachleute und Gelehrten erkennt man langsam, daß wir einen Weg gegangen sind, der uns nicht zukam. Immer weitere Kreise fühlen es dumpf, daß die Leute, welche die gotischen Dome schufen, unmöglich Barbaren gewesen sein können. Immer mehr haben den Mut, einzugestehen, daß ein griechischer Tempel zwar schön sei, daß aber nichts in ihnen mitschwinge – ihnen ein alter Dom wesentlich mehr sage.

Den stärksten Anstoß zu solchen Ansichten gab die Romantik, die allerdings ein gefährlicher Bundesgenosse war.

Diese, von der Stimmung ausgehend, die in Ruinen liegt, verstand es, ein einseitig gefärbtes und daher falsches Bild des Mittelalters zu schaffen. Denn leider scheinen die Herren Romantiker nicht viel kritischen Sinn gehabt zu haben. Typisch dünkt mir hiefür der Kupferstich, der Tiecks Übertragung des Frauendienst schmückt. Da sehen wir Ulrich von Liechtenstein in einer Tracht, halb Landsknecht, halb Burschenschafter aus der Zeit um 1820 pathetisch vor seiner Frowe Frowe hat im Mittelhochdeutschen die Bedeutung von Frau, Herrin und Herzensdame. Im Text verwende ich das Wort meist in letzterem Sinne. Hrsg. knien, in deren Tracht ebenso disparate Elemente friedlich vereinigt sind. Der Mond blickt durch ein gotisches Fenster, wie Österreich es nur unter Kaiser Franz I. gekannt hat, in das Gemach, und betrachtet sich erstaunt die Sitzgelegenheiten, die Beleuchtung, die sich die Zeit um 1230 geleistet haben soll. Da dieses Bild sich in der zweiten Auflage des Frauendienst findet, so muß Tieck selbst damit einverstanden gewesen sein – ein Beweis, wie wenig positive Kenntnisse damals führende Geister vom Mittelalter hatten, das sie verherrlichten, wie gefühlsmäßig, d.h. konfus, man mit demselben fertig wurde.

Doch können die Romantiker das ungeheure Verdienst für sich in Anspruch nehmen, nachhaltig auf die große Vergangenheit des deutschen Volkes hingewiesen zu haben.

Seit den Tagen der Romantik fängt das deutsche Mittelalter wieder zu leben an. Es ist noch immer kein solches Leben, wie es die Antike in den deutschen Landen führt. Es ist ein mühseliges Aufsteigen, ein Wachwerden, das, bezeichnend genug, enge mit einzelnen Namen verknüpft ist. Da ist Lachmann, der die ersten guten Ausgaben der verschiedenen Minnesänger usw. besorgte, Henne am Rhyn, der eine Kulturgeschichte des deutschen Volkes verfaßte, ist es Richard Wagner, der die Gestalten der Vorzeit zu neuem Leben erweckte, ist es Lindenschmid, der die Aufmerksamkeit auf die Denkmäler der Merowinger lenkte. Die deutschen Götter- und Heldensagen fanden Verbreitung in guten, zum Teile reich bebilderten Büchern, Nachdichtungen fanden durch Simrock statt, der auch die Welt der Edda eröffnete. Man entdeckte den Meister Ekkehardt – der Physiologus machte unverständliche Darstellungen klar – die Biblia pauperum wurde erläutert. Die Münzkunde hellte dunkle Partien auf – schuf neues Material zur Beurteilung der Wirtschaftsgeschichte, und die Rechtsgeschichte gab die alten Taidingbücher, die verschiedenen Spiegel, die Stadtrechte heraus. Und der Jurist mußte bemerken, wie da ein Gebilde sich zeigte, das er nicht kannte – das trotz seiner Unterdrückung noch nach Jahrhunderten genügend Kraft besaß, in das herrschende System des römischen Rechts Bresche um Bresche zu schlagen.

Nun haben, man kann sagen: volle vier Generationen Schutt hinweggeräumt und für das Auge des Kundigen zeigt sich immer mehr von den alten Prächten. Aber der Kundigen sind leider im Verhältnisse wenig. – Wohl erinnern sich immer mehr Deutsche daran, daß die Geschichte die beste Lehrmeisterin sei – und daß die Geschichte des deutschen Volkes nicht eine Sache der Einzelnen, Wenigen, sondern die der Gesamtheit ist. Aber noch immer rinnen die Quellen, die das Erdreich bewässern sollen, nicht in breitem Strome, sondern als kleine Wässerlein durch blumige Wiesen, und ergötzen eine kleine Zahl.

So bleibt der kommenden Generation, der Jugend, die sich in den letzten Jahren der Entdeckung ihres Volkstumes gewidmet hat, sich zu demselben durchrang, heute als Wandervogel, Pfadfinder, Sturmvolk in die Weiten zieht, noch mehr als genug Arbeit vorbehalten – eine Arbeit, die getan werden muß, soll all das, was von Volksgemeinschaft gesprochen wird, einmal Sinn und Inhalt erhalten.

Gefühlsmäßig ist der Zusammenschluß der Ergebnisse all der verschiedenen Forschungen schon da. Aber auch die Romantik hat auf den Gefühlen gebaut, und ist dabei zu keinem Ergebnisse gelangt, das brauchbar gewesen, sich in die Tat hätte umsetzen können. Diese Gefahr wird zu vermeiden sein. Und man wird sich mit kühlem Kopfe – wenn auch das Herz brennt, darum bemühen müssen, aus all den Teilen, die in den verschiedensten Richtungen liegen, ein Ganzes zu schaffen, das aus der deutschen Vergangenheit all das hebt, was heute noch Schatz ist, uns eine feste Verbindung mit den Urvätern gibt, uns erlaubt, dort anzuknüpfen, wo einstens die Fäden abgerissen wurden.

Ich bin überzeugt, daß es einmal zu einer solchen Zusammenfassung kommen wird – ja, daß sie kommen muß. Denn die Zeit verlangt sie. Noch immer hat man in den Stunden der Not die bessere Vergangenheit heraufbeschworen, um in ihr das Elend des Tages zu vergessen, aus ihr neue Kraft zu ziehen. Und das deutsche Volk ist schwach geworden, trägt schwer an doppelter Not.

Eine äußere bedrückt es, die vom Feinde stammt und eine innere, die aus dem Zusammenbruche aller Werte, auf die man baute, hervorgeht. Diese innere Not ist die schwerere. Sie macht den einzelnen schlaff und energielos – sie zermürbt ihn, daß er sich von den Strömungen des Tages treiben läßt, ohne ihnen Widerstand entgegensetzen zu können. Und ich – und nicht ich allein – führe diesen Zusammenbruch, der viel weiter geht, als es berechtigt wäre, darauf zurück, daß die Einzelnen und die Massen es empfinden, daß das klägliche Ende des Krieges und die daran anschließenden Erscheinungen auf Dinge zurückzuführen sind, – welche die Jugend als Zivilisation im Gegensatze zur Kultur zu bezeichnen pflegt – die letzten Endes und mit anderen Worten gesagt, das deutsche Wesen so stark mit fremden Einflüssen durchsetzt haben, daß es die Last nicht mehr zu tragen vermochte. Wenn man das einmal erkannt hat, so heißt es abstoßen. – Dieser Prozeß ist – wie man es heute beobachten kann – schmerzhaft. Denn die Krämpfe, die das deutsche Volk durchschütteln, sind zum Teile Auswirkungen dieses Vorganges. Er ist auch gefährlich. Denn es ist nicht ausgeschlossen, daß der kranke Organismus auch Dinge ausscheidet, die er zu seinem Wiederaufbaue braucht. Und eine Genesung kann nur dann erfolgen, wenn man zu den Wurzeln der Kraft, zu den Müttern zurückkehrt – dafür Sorge trägt, daß rechtzeitig Heilstoffe zugeführt werden.

Und aus all den Gründen müssen wir bescheiden zu den Großen zurückfinden, welche man uns geschickt zu verekeln versucht hat – müssen sie bitten, uns von jener Kraft zu geben, die sie einst erfüllte, um wirklich ihr Wesen und nicht etwa bloße Äußerlichkeiten zu erfassen.

Das deutsche Volk braucht guten alten Geist – und daher muß das Werk kommen, von dem ich früher sprach. Und meine Bearbeitung des österreichischen Minnesängers Ulrich von Liechtenstein möge einen Baustein hiezu abgeben. Ich werde froh und stolz sein, wenn ich dies Ziel erreicht habe – wenn aus dem Frauendienste der Geist, der den Liechtensteiner erfüllte, zu neuem Leben ersteht.


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