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Siebzehntes Kapitel.

Egenolfshausen. Übermorgen komme ich zu euch, um wieder auf längere Zeit Abschied zu nehmen. Sauton hat seine Jacht verkauft und siedelt in Kiel ganz auf die »Sophie« über, die mir heute seeklar gemeldet ist. Wie immer ist es uns ziemlich gleich, wohin der Wind uns wehen wird. Ich denke an Indien und die Südsee, es kann aber ebensogut Südamerika oder Alaska in Betracht kommen. Der Kapitän hat die Leute auf zwei Jahre gechartert, so daß wir vorher wohl sicher nicht zurückkehren. Dann aber sicher, da Sauton immer die gleichen untergeordneten Gesichter um sich nicht länger erträgt.

Ich bin doch sehr glücklich, daß ich mit Sauton so harmoniere. Schiffsbibliothek, Koch, Einrichtung – alles entspricht unserem gemeinsamen Geschmack. Und da auch unsere Verhältnisse ziemlich die gleichen sind, kann ich mir keinen angenehmeren Reisegefährten denken.

Es schweigt sich besser zu zweien als allein und träumt sich besser hinaus in die endlose Einsamkeit des Meeres. Wenn man Expeditionen unternimmt, hat man immer jemand um sich, der vielleicht übrigbleibt und telegraphieren kann. Und wenn man die kleinen Küstenhäfen für Wasser und lebenden Proviant anläuft und so gegen Abend das überall in der Welt gleiche Bild sieht, wie die vielen Fischersegler heimwärts ziehen und am Strande die Frauen stehen und nach ihren Männern Ausschau halten, dann wird man doch nicht gar so schwer von der eigenen Verlassenheit und dem, was zurückliegt, überfallen ...

Vier Jahre sind es nun her, seit ich dir von der Sophie das letzte Mal schrieb, und ich danke dir von ganzem Herzen, daß du in den wenigen Tagen, die ich in der langen Zeit in Deutschland an Land war, mit keiner Silbe an der kranken Stelle meiner Seele gerührt hast. Aber da man bei dem Leben, das ich führe, nie weiß, ob man zurückkehrt, und da du meine Geschichte doch ganz in Briefen hast und sie für das Archiv doch einigen Wert haben kann, will ich dir auch das letzte schreiben, trotzdem uns nur drei Meilen Brägelsdorffscher Äcker und Wälder trennen. Ich kann dir dann zum letzten Abschied freier ins Auge sehen ...

Du weißt, daß ER mich in Kiel zu den Wiesbadener Tagen eingeladen hatte. Da habe ich sie denn gesehen, mit ihrem Manne und ihrem Kinde. Sie wohnten im »Nassauer Hof«, ich als Sein Gast im Schloß, und im Theater sahen wir uns das erstemal wieder. Kurz bevor wir eintraten – die Weidinger waren schon vorher gekommen – gab ER mir noch einen Auftrag an einen Feldjäger, der draußen wartete. Ich hätte IHM die Hand küssen können für Seine zarte Rücksicht. Wenn man bedenkt, was er alles in den Kopf zu nehmen hat und dann merkt, daß ER Ereignisse, die über vier Jahre zurückliegen, als ganz selbstverständlich beherrscht, kann man nur immer wieder staunen über Seine umfassende Persönlichkeit.

Ich hörte im Foyer, wie sich das volle Haus erhob und wieder setzte, dann rauschte die Tristanouvertüre an meine Ohren. Ich wartete, bis alles dunkel war, und schlich mich in die Loge. Und meine Hände zitterten doch, als ich die Vorhänge auseinanderschlug und den weiten Raum vor mir sah. Sie saß vorn neben IHM, und das erste, was ich von ihr sah, waren die Perlen. Und dann mußte ich mit einem Male an meine ergrauenden Haare denken, und es war, als ob sich ein Tropfen aus der Vergangenheit wieder in mein Herz verirrt hätte. Ich lehnte mich an die Wand und schloß für einen Augenblick die Augen. Dann war die Schwäche vorbei, und ich habe die Fassung nicht wieder verloren. Ich setzte mich ganz scheu in die hinterste Stuhlreihe und sah auf ihre Silhouette, die sich über der Logenbrüstung scharf gegen die helle Bühne abhob, sah ihr hochgewelltes Haar und die Perlen auf dem schimmernden Hals ...

Als der erste Akt vorüber war, erhoben sich die Herrschaften, um in das Foyer zu gehen. ER bot der Großherzogin den Arm und schritt mit ihr durch den Mittelgang der Loge. Als sie an mir vorüberkamen, blieb ER stehen.

»Haben Sie schon meinen Brägelsdorff begrüßt, Königliche Hoheit? Oder ist er schon vergessen?«

Dann drehte ER Sich ganz herum und sprach laute Worte zum Großherzog, daß die anderen alle auf IHM merkten.

Da sah ich denn ihr Gesicht, Hug, ein altes, müdes Gesicht mit einem harten Zug um den Mund, und es ging mir wie ein Stich durchs Herz, als ich mich über ihre krankhaft zarte Hand beugte. Aber die Augen hatten mich wie einst angeleuchtet, und als ich mich wieder aufrichtete und meine Hand aus der ihren glitt, da sah ich, daß auch die Augen wieder erloschen und tot und leer wurden ...

ER wandte sich wieder zu uns, und sie hob die Hand an die Platinplatte am Halse und antwortete leise auf Seine Frage:

»Den Schäfer meiner Frühlingstage kann ich doch nicht vergessen ...?«

Sie lächelte, sah ins Leere, und dann schritten sie weiter. Ich sah ihr nach und fühlte, daß die Leute recht haben, die ihr nur noch ein kurzes Leben prophezeien ...

Der Großherzog hat sich recht verändert. Er begrüßte mich sehr gnädig und erzählte der großen Suite, sein Sohn, der Erbgroßherzog, hieße mit einem Namen nach mir, weil ich der eigentliche Urheber seiner Ehe sei. Meine Musik hätte ihn in das Herz der Großherzogin hineingespielt.

Als dann der letzte Akt kam, mußte ich mich hinter die Großherzogin setzen, und ich tat es beklommen. ER wandte den Kopf und sah mich ernst und leise mahnend mit einem Blick auf das Gefolge an. Ich verstand IHN ...

Und dann scholl der Liebestod der Isolde zu uns herauf. Die Großherzogin drehte sich brüsk um, packte im Schatten der Logenbrüstung meinen Arm und sagte mit harter, fast lauter Stimme:

»Entsinnen Sie sich noch des Weihnachtsabends in der La joie, Graf Brägelsdorff?«

Und als ich traurig nickte, fügte sie leise hinzu:

» La joie est morte, mon Egi, morte pour toujours ...«

Ich fühlte, wie sich ihre Finger auf meinem Koller zusammenkrampften, sah, wie der Großherzog sich ärgerlich umsah, und wie ER Sich zu mir drehte. ER hat jedes Wort deutlich gehört, ER saß ja dicht neben ihr. Ich beugte mein Ohr an Seinen Mund und nahm den Befehl entgegen, irgend etwas Gleichgültiges an den Souperplätzen im Foyer zu ändern.

Am nächsten Tage saß ich eine lange, qualvolle Stunde neben ihr an den Tennisplätzen. Ich nannte sie Königliche Hoheit, sie sagte unentwegt »du«, lachte forciert und zeigte mir Minka, die sehr bösartig geworden ist und nicht von ihrer Seite geht. Sie erkannte mich erst, als ich sie streichelte und ansprach. Dann aber freute sie sich so, daß ich merkte, wie es der Großherzogin unangenehm war. Sie lenkte ab und deutete auf den Erbgroßherzog, einen schmächtigen Knaben.

»Sieh mal, Brägelsdorff,« sagte sie, »das ist mein Sohn. Alles, was ich noch an Liebe habe, gehört ihm. Er ist sehr klug und sehr zart. Findest du nicht, daß er ganz deine Augen hat? Aber auch, wenn du es nicht findest, hat er sie. Willst du ihn mal auf den Arm nehmen? Du hast doch Kinder gern.«

Ich tat es, aber setzte ihn bald wieder hin – feucht vor Erregung ...

»Küsse ihn auf die Stirn,« sagte sie dann in befehlendem Ton, »ich will es!«

Ich nahm ihn noch einmal auf und küßte ihn. Und als ich ihn wieder hinsetzte, fing er an zu weinen und wollte wieder auf meinen Arm. Auch als ihn die Mutter rief, blieb er bei mir und hielt meine Knie umfaßt. Sie stampfte heftig mit dem Fuß.

»Versuche doch mal,« rief sie laut, »ob du mir den Hund auch abspenstig machen kannst. Rufe ihn!«

Ich sah sie bittend an, es mir zu erlassen.

»Sieh mich nicht so an,« schrie sie, »ich ertrage das nicht! Rufe den Hund!«

Ich ging ein paar Schritte fort, und noch ehe ich gerufen hatte, war der Hund schweifwedelnd an meiner Seite, um mit mir fortzugehen. Sie wurde totenbleich, zerrte mit den Zähnen an den Spitzen ihres Taschentuches und sah starr in die Luft. Dann beugte sie sich in ihrem Sessel vor, sah mich an und sagte:

»Alles hast du mir genommen ... alles, alles, alles ...«

Dann stampfte sie wieder mit den Füßen, schluchzte laut auf und rief nach einer Hofdame. Ich mußte sie an den Wagen führen, und dann rief sie weinend:

»Adieu ... Adieu ... Adieu ...«

Der Weidinger kam mit dem Racket in der Hand, bemühte sich um sie, und als sie fortgefahren war, nahm er mich wie einen alten Vertrauten unter den Arm und sagte gedrückt:

»Die alte Geschichte! Hat sie das eigentlich schon früher gehabt? Sie kennen sie doch noch als Mädchen ...«

Ich weiß nicht mehr, was ich ihm antwortete ...

 

Ende.

 


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