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Erstes Kapitel.

Gott schütze Nizza! Nach trüber Fahrt über den Brenner ... Aber ich will dir ja alles der Reihe nach erzählen.

Also dein Kuß auf dem Anhalter schmeckte weniger gut als der deiner reizenden Frau. Im Speisewagen aß ich zu Abend, wo sollte ich auch sonst hingehen! Suppe à la reine, ein uraltes Steppenhuhn und ganz gemeinen Harzer Käse. Dazu eine Flasche Rüdesheimer Schloßabzug.

Es war nicht sehr voll. Die beiden Damen, die wir mit ihrem ganzen Train, der anscheinenden Gesellschafterin, den Kammerdienern und den Zofen, vom Stationsvorsteher eskortiert, in den Zug steigen sahen, saßen mir beim Essen gegenüber, das heißt, sie hatten den scheinbar für sie hergerichteten Längstisch an der einen Seite des Wagens ganz für sich. Sie kamen etwas später, so daß ich sie schon beim Kommen prüfen konnte.

Daß es irgend ganz hohe Tiere sein mußten, wußte ich sofort. Die große Alte mit der imposanten Figur wurde Königliche Hoheit angeredet, die schlanke mit den wundervollen braunen Augen und dem zarten, feingeschnittenen Gesicht war die Tochter. Aber die dritte, mittelalterliche, die Schwägerin Elli trotz der eleganten Reisetoilette für die Gesellschafterin hielt, war ich noch nicht klar. Die alte Dame nannte sie chère comtesse oder auch liebe Gräfin. Wahrscheinlich also dachte ich mir, ist es eine Hofdame, Oberhofmeisterin oder so etwas Ähnliches.

Ich hatte glücklich einen Eckplatz erobert und ließ die Speisenden Revue passieren: Zwei Industrieehepaare, die nach Kohlen und Eisen aussahen und derb in Manieren und Bewegungen waren, ein eleganter Gelehrter mit einer zarten Frau und zwei niedlichen Kindern, ein alter unbekannter Bekannter mit blassem, verbummeltem, aber distinguiertem Gesicht, den ich schon zehnmal und öfter in Monte, Spa, Baden, Ostende, Sebastian usw. sah und für einen Hochstapler halte, dann Wolf Lerthern von den Husaren mit seiner Freundin und schließlich zwei recht schmuddlige Amerikaner mit einer lächerlich angezogenen Dame ... voilà tout.

Du kannst dir denken, daß sich meine Augen an den Feudaltisch hielten. Es ist doch ein eigener Hauch, der um die Höchsten weht, und du weißt, noch immer war es die Distanz, die mich reizte. So unauffällig wie möglich musterte ich das schlanke Reh. Üppiges, brünettes Haar, wundervolle Zähne, nicht zu kleiner, etwas blasser Mund, entzückende, durchsichtige, blaugeäderte Hände, deren feine Finger alles erst zu tasten schienen, bevor sie griffen, und über der ganzen Erscheinung ein unsagbarer Liebreiz.

Da schaute sie mich an. Ich mußte doch wohl etwas zu unverfroren gestarrt haben. Scheußlich, wenn sie gemerkt hätte, daß sie mir gefiel. Ich will ihr gefallen ...!

Aber sie sah nicht fort. Im Gegenteil, sie schaute sogar einen Moment länger, als die Gräfin erlauben mochte, etwas befremdet, erstaunt ... klar meine Physiognomie in sich aufnehmend und mit jener unendlichen Natürlichkeit, die nur in der raffinierten Fernhaltung aller Alltäglichkeit gedeihen kann.

Die Fürstinmutter lorgnettierte die übrigen, souverän, hoheitsvoll, genau – wie man ein Pferd, dessen Ankauf man ablehnt, lorgnettiert. Lerthern fühlte sich sehr unbehaglich, verbarg sein Gesicht krampfhaft im Taschentuch und versuchte, seine Freundin zu bewegen, den Platz mit ihm zu wechseln. Sie fühlte sich aber gekränkt, maulte und blieb sitzen. Schließlich band er sich verzweifelt die Serviette um den Hals und aß mit dem Messer, damit ihn niemand schon einmal gesehen zu haben glauben könnte.

Ich war heilfroh, die Aufforderung, an seinen Tisch zu kommen, abgelehnt zu haben. Nun dachte ich, wie ich um die Bekanntschaft mit der Lerthernschen Freundin überhaupt herum kommen könnte. Du weißt ja, wie schrecklich mir dies Weibersystem ist. Er ist jung, sie ist bekannt ... aber das wollen sie gerade voneinander. Du hast es ja auch einmal so gemacht. Keine Frau konnte dir bekannt genug sein, um dich in den Theaterlogen und auf den öffentlichen Bällen in ihrem Besitz zu sonnen. Tempora mutantur ... nun sitzest du in Brägelsdorf, hast eine richtige, kluge und schöne Frau und erglühst, wenn man ihr die Hand zum Kusse etwas zu hoch hebt.

Ich ging in meine Kabine, zog die Lichtvorhänge herunter und setzte mich, die Zigarette zwischen den Lippen, in eine Ecke, um zu dösen. So allein, mutterseelenallein, ist doch schön. Und ich dachte an das graue, kalte Berlin mit seinem wolkenschweren Winterhimmel, an das traurige Licht seiner müden Tage und freute mich auf das blaue Meer des Südens, auf den lächelnden Himmel, auf die märchenflüsternden Wellen, die den kiesigen Strand bespülen, auf die raunenden Zypressen und die einsam zerfallenen Tempel und Burgen, von deren Geschichte sie flüstern.

Aber inmitten meiner in den Süden vorauseilenden Gedanken wurde ich gestört. Aus der Zwillingskabine drangen flüsternde Mädchenstimmen zu mir herüber. Es ist doch eine Tränenwelt! Ausgerechnet ich hatte wieder mal das Glück, die einzigen Kinder neben mir zu haben und ihre Plaudereien über die romantische Nachtfahrt des Südexpreß anhören zu müssen. O Elend!

Resigniert erhob ich mich, machte Licht und begann mich auszukleiden. Die Mädels stritten sich gerade, wer oben und wer unten schlafen sollte. Schließlich schupsten sie sich hin und her und polterten an meine Tür.

Dann lag ich im Bett und dachte, wie man so vorm Schlafen denkt. An das saure Gesicht des Kommandeurs, als ich ihm meldete, daß Er mir auf dem Familienfrühstück das Urlaubsjahr selbst angeboten, an die Verhaltungsmaßregeln des Professors für die angeknaxte Lunge, an meine Pferde, die du freundlicherweise in Egenolfshausen beaufsichtigen willst, und schließlich sah ich dich in der weiten Halle des Brägelsdorfer Schlosses einsam mit deiner Frau am Kamin sitzen, du über ein neues Forstbuch, deine Frau über das Buch des Koches oder des Obergärtners gebeugt. Dazu flackerten die Scheite gar seltsam durch den hohen Raum mit seinen Rüstungen und Waffen, und das Licht warf eure Schatten gedämpft über die Diele. Schließlich brachte Christian das Obst. Du warst, wie immer, so faul zu danken, verzehrtest aber doch mit Behagen die vielen schönen Stücke, die dir die rosigen Finger deiner Frau in den Mund schoben.

Auf den gleichen Plätzen saßen die Brägelsdorffs schon vor tausend Jahren und werden – will's Gott – nach tausend Jahren noch sitzen. Ich, Brägelsdorff, aber fuhr einsam durch die stürmische Nacht übers Bayernland. Und der Regen, der gegen die Fenster klatschte, sang mir mein Schlaflied, und die Wagenachsen stuckerten den Takt dazu.

Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Früher, wie ich, der passionierte Frühaufsteher, der schon als Knabe mit der Büchse auf der Schulter von der Pirsche heimkehrend die Leute heraustrommelte, es eigentlich vorgehabt hatte. Von dem herrlichen Übergang der Hochebene in die Voralpen hatte ich leider wegen des unausgesetzt rieselnden Regens diesmal gar nichts. Bis über Tirol hinaus lag alles in dunstige, regenschwere Schleier gehüllt.

Meine Nachbarinnen hatten sich, der mütterlichen Ermahnung eingedenk, während der Nacht recht artig verhalten. Nun wähnten sie mich jedenfalls noch schlafen. Im Toilettenraum hörte ich leises Flüstern, den vorsichtigen Gebrauch eines Schwammes und dann und wann ein etwas lauteres Wort über zu unvorsichtiges Wasserplanschen oder ein Schelten auf die zu harte Zahnbürste. Wohlig räkelte ich mich im Bett. Da merkte ich, daß die beiden über mich sprachen. »Er hat einen so müden Zug um den Mund als ob er krank wäre oder einen schweren Kummer hat. Hast du gesehen, wie die Prinzessin ihn verliebt ansah? Entweder möchte ich ihm eine Backpfeife geben oder ihn küssen. Aber lieber noch küssen. Übrigens muß er riesig stark sein, Papa hat einmal gesehen, wie er ein durchgehendes Pferd aufhielt.«

Ja, ja, lieber Hug, da kannst du mal wieder sehen, was du für einen wertvollen Bruder hast. Wenn er nur erst selbst wüßte, was das mit dem wehen Zug um den Mund bedeutet. Ob das Schicksal mich wohl gezeichnet und die alte Krögersch im Dorf doch recht hat? Ich verspüre ja nicht die geringste Lust, mir selbst das Leben zu nehmen, wie die Alte andeutete, aber manchmal packt mich doch ein gelindes Grauen, wenn ich an ihre anderen Voraussagungen denke. Seit die Kaiserin von Österreich ermordet ist, bin ich doch etwas abergläubisch geworden. Du weißt, daß ihr und ihren Geschwistern vorausgesagt war, sie würden durch Wasser, Feuer und Stahl eines gewaltsamen Todes sterben. Nun – der arme König ertränkte sich, die Herzogin verbrannte auf dem Basar in Paris und die schöne Elisabeth fiel am Ufer des Genfer Sees einem Dolch zum Opfer. Apropos – die Krögersch muß ja in der nächsten Zeit die Hundert voll haben, schenke ihr doch auch von mir den symbolischen Schein.

Ich begann mich zu erheben und tummelte mich zur Belustigung meiner Nachbarinnen laut in der zusammengequetschten Gummiwanne herum. Dann kam der Steward und fragte, wohin ich den Tee haben wollte. Und auf mein Zögern fügte er wichtig hinzu:

»Ihre Königliche Hoheit, die Frau Großherzoginwitwe, hat in den Sonderwagen befohlen.«

Also ich wußte nun, mit wem ich reiste. Es war die Biesenburger Großherzoginwitwe mit ihrer einzigen Tochter Sophie, und der Gräfin Reutters auf dem Wege ins Winterquartier. Vielleicht könnte man sich in Nizza in der Villa » La joie« einschreiben. Den alten Hofmarschall Beserbeck, der die Biesenburger Beziehungen zu unserm Hofe aufrechterhält, kennt man ja zur Genüge.

Ich ließ die Frage offen und vertiefte mich in die »Innsbrucker Neuesten Nachrichten«, die mir der aufmerksame Steward mitgebracht hatte. Man reist doch prachtvoll mit dieser internationalen Gesellschaft. Alles, vom Zugführer bis zum Koch ist von der größten Zuvorkommenheit, natürlich in Erwartung eines Goldstückes. Aber wo wäre das nicht?

Dann kam Lerthern zu mir in den Rauchwagen. Seine Gefährtin verleugnete auch auf der Reise nicht die Gewohnheit ihrer Art, bis zum zweiten Frühstück im Bett zu liegen. Er hat acht Wochen Urlaub, natürlich auch zur Wiederherstellung seiner Gesundheit, und wollte in Mailand aussteigen, um über Florenz und Rom nach Neapel zu gehen. Wie er mir seufzend erzählte, hat er fünftausend Mark an den Theaterdirektor als Konventionalstrafe zahlen müssen. Es scheint mit hübschen Schauspielerinnen der reine Kuhhandel getrieben zu werden.

Es geht mir überhaupt manchmal so merkwürdig. Du weißt ja, daß ich alles Überschwengliche hasse, über Liebe recht skeptisch denke und oft wider Willen fast zynisch sein kann. Die Frauen sind daran schuld, die vielen, vielen Frauen, um die ihr mich immer beneidet habt ... Aber ich eroberte sie genau so leicht, wie ich mich wieder von ihnen trennte. Ihr mußtet euch von jeder Frau emanzipieren, ich brauchte es bei keiner. Und doch ließen sie mich weit schwerer gehen, wie sie euch gehen ließen. Du kennst nicht die flehenden und verzagten Verzweiflungsbriefe, die aus dem Innersten kamen und mein Herz suchen sollten, nachdem sie die Seele nicht gefunden ...

Merkwürdig sind die Frauen! Hinter dem, der nicht viel von ihnen wissen will, laufen sie her, bis er sich eines Tages in eine Dumme verliebt und hereinfällt. Wirkliche Liebe können doch nur die vertragen und vergelten, die klug und gut sind. Gibt es die? Ich suche sie noch immer, und wenn du eine finden solltest, telegraphiere mir.

Je höher wir kamen, um so mehr klärte sich der Himmel auf. Die schwersten Wolken mochten wir unter uns gelassen haben. Ein trüber Blick über die verschneite, im Dunst daliegende Brennergruppe, ein kurzer Halt und mit wachsender Geschwindigkeit rollten wir zu Tal, vorbei an der Franzensfeste, die mir jedesmal wie ein fein säuberlich eingepackter Baukasten aus der Kinderzeit vorkommt.

Ich saß mit der letzten der Bocks, die du mir großmütig noch auf dem Bahnhof in den Pelz stecktest, im Rauchwagen am Fenster und ließ die schwermütig wirkenden Berge an mir vorüberziehen. Leise senkte sich die Dämmerung auf die im Schnee schwarzgrau daliegenden, dicht mit Kiefern bestandenen Kuppen. Hart neben dem Zuge zog sich die verschneite Brennerstraße zu Tal, und tief gähnte auf der Ostseite die gewaltige Flötzgerschlucht. Die Natur schien tot, im Winterschlaf. Nur hin und wieder blinkten tief unten die ersten Lichter auf in einem einsamen Älplerdorf, so entrückt jedem Verkehr, jeder Kultur, ganz seltsam anzusehen ... Und durch all das sauste das Symbol des verwöhnten, schnellebigen Kulturmenschen: der Luxuszug, der treno direttissimo, in rasender Eile zu Tal. Und mir altem Skeptiker wurden die Augen feucht, wußte nicht warum, fühlte mich einsam ...

Da öffnete sich die Tür des nächsten Wagens, und ein heller Strahl des elektrischen Lichtes blendete meine verschleierten Augen. Die Prinzessin Sophie trat, von einer Zofe gefolgt, ein. Sie wollte wohl mit dem Zugführer wegen der Zollabfertigung in Ala verhandeln. Schnell ging sie durch den Wagen und bemerkte mich in meiner Ecke erst, als sie unmittelbar neben mir war. Mit einem leisen Aufschrei eilte sie weiter.

Der Aufwärter kam und entschuldigte sich. Aber da der Rauchsalon um diese Zeit meist leer sei, habe er kein Licht gemacht. Und als er mein gleichgültiges, auf die Berge gerichtetes Gesicht sah, fügte er hinzu:

»Ja, die Landschaft ist hier öde und traurig!«

Ich nahm im Speisewagen einen Imbiß und ging zur Ruhe.

Und ich träumte von der Prinzessin.


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