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Neuntes Kapitel.

Heiligabend im Süden. Mutters kleine Repetieruhr schlägt eben zwei Uhr. Ich sitze im Morgenanzug famos bequem am Schreibtisch und überlege, wo ich mit meinen Erlebnissen anfangen soll. Man wird der reine Schriftsteller ...

Durch die offene Balkontür trägt die laue, südliche Nacht das heimliche Märchenflüstern der Zypressen zu mir herein. Der alte Lebensbaum unter ihnen weiß von einem Lande zu berichten, in dem jetzt Schnee und Eis alles deckt, und ungläubig wiegen die Kronen der anderen hin und her.

Bei euch ist jetzt der Jubel schon verhallt, der kleine Hug hat sich heimlich noch einmal von der Stallwache auf den Pony aus Egenolfshausen heben lassen, der hoffentlich zur rechten Zeit eintraf, der kleine Egenolf aber träumt lallend von dem Schaukelpferd und drückt den Hampelmann zärtlich an sein kleines Herz. Und Elli überschaut gerade vielleicht jetzt mit dem flackernden Licht in der Hand noch einmal die weite Halle mit den feierlichen Tischen, dann geht auch ihr nach oben. Du läßt im Schlafzimmer noch ein winziges Tannenzweiglein im Lichte verglimmen, zerwedelst mit der Hand den würzigen Rauch, und dann steigt ihr unter dem Wappenhimmel in die altehrwürdigen Betten.

Wir verlebten den Abend in glückswehmütiger Stimmung. Ich hatte mit der Sophie den kleinen Baum aus Egenolfshausen im braunen Zimmer unter dem Bilde des Hochseligen aufgestellt, während die Großherzogin mit der Reutters in die Kirche gefahren war. Die gnädigste Frau war gerührt und sprach wieder ein Wort, das mich ins Herz traf: »Ich danke euch Lieben ...«

Mir schnürt sich noch bei der Erinnerung die Kehle zu. Je größer die königliche Güte dieser königlichen Frau ist, um so mehr leide ich unter den Qualen meiner Unehrlichkeit. Je besser die Menschen zu einem Missetäter sind, um so mehr empfindet er sein Unrecht.

Ich hatte zaghaft um die Erlaubnis geworben und freute mich wie ein Kind, daß ich schenken durfte, »aber nichts Wertvolles, nur Erinnerungen«.

Der Großherzogin durfte ich mein Bild in einem uralten indischen Bronzerahmen, den mir Sauton schweren Herzens zu diesem Zweck geschenkt hat, aufbauen, für die Reutters hatte ich eine Brosche von recht sichtbarem Wert, für den Marschall eine Mappe mit alten Stichen von beiden Rivieren. Und für die Prinzessin?

Ich hatte lange zwischen einer einfachen Gabe, etwa einem Buche, und einem Schmucke geschwankt. Wenn es schon recht bedenklich war, der Reutters, die doch schließlich auf einer Stufe mit mir steht, einen Schmuck zu schenken, so war es bei der Prinzeß kaum möglich. Dennoch tat ich es auf die Gefahr hin, anzustoßen. Der Reiz, mein Recht auf die Sophie zu fühlen, war zu groß.

Um ein kleines Vermögen kaufte ich eine Kette aus großen, schweren Perlen. Der Schließmechanismus ruht auf einer Platinplatte und ist durch zwei besonders prächtige Perlen von seltener Größe und seltenem Schimmer verdeckt. Die Platte wieder besteht aus zwei aufeinander gelegten Platinscheibchen und auf der unteren ist in feinster Emaillearbeit mein Bild eingelassen. Die Prinzessin weinte fast vor Freude, und als wir nach dem Diner ins Musikzimmer traten, schlang sie die Arme um meinen Hals und küßte mich, bevor wir spielten: aus der Neunten. Und als wir an jene bange, langgezogene Frage mit den vier Tönen im Takt kamen und die schalkhaft bedauernde Antwort erklingen sollte, griffen unsere Finger, durch die gleiche Lage und die seelische Erregung verführt, spontan und fast gleichzeitig um und das Totenlied der Isolde umklagte uns. Ich war stark mit Musik geladen. Die Freude der Sophie hatte mich so glücklich gemacht, daß ich einen Ausweg brauchte. Er kam mir im Gefolge Wagners am Instrument. Die Begleitung der Sophie verstummte und ich gab alles heraus aus mir, was in mir war, bis ich mich erschöpft fühlte. Gewiß, die Ärzte haben es mir verboten, aber von Zeit zu Zeit ist mir dies gänzliche Aufgehen in der Musik doch ein unüberwindlich starkes Bedürfnis und ich habe dann Sehnsucht nicht allein nach dem freien Spiel, sondern auch nach der süßen Erschöpfung und der restlosen Befriedigung, die es bringt. Diese Gefühlsgipfel sind für mich das schönste an der schöpferischen Kunst.

Als ich aufhörte, kämpfte die Sophie tapfer mit den Tränen und wir lehnten die Köpfe aneinander ... glücklich! Und doch, Hug, bei allem Glück ... ein elendes, trostloses Sehnen bleibt, zerrt an den Nerven und macht unsere Seelen krank und matt. Mitten in unseren schönsten Stunden überfällt es mich oft wie eine unerträgliche Last und die Sophie wird bleich und droht mir in den Armen die Besinnung zu verlieren ...

Die Großherzogin schenkte mir allerliebste Platinknöpfe für die Frackwesten mit einer geschlossenen Krone aus kleinen Diamanten darauf. Die Sophie hat mir ein einfaches mattsilbernes Kästchen gearbeitet, in das sie ringsherum selbst unsere Namen eingraviert hat. Für Liebesbriefe, sagte sie scherzhaft. Jetzt ruhen die vielen Bilder darin, die ich selbst von ihr aufnahm.

*

O sole mio ... O lachendes Glück, o himmlische Sonne, o sonniger Himmel! O blauende Berge, o leuchtendes Meer! O Lüfte, die ihr das Herz mir weitet und segenspendend Empfängnis verleiht für unendliches Glück, für unendliche Freude! O jauchzende Brust, wie bist du so leicht ...

Du kennst das Wort Glück, Hug, aber das Glück selbst? Kennst du den Frohsinn eines Knaben, der mit der Büchse in die Ferien geht? Kennst du die frohe Zuversicht, den freien Stolz und den festen Glauben an sich selbst, mit dem er in die Welt tritt, um dem Glücke, das ihn sucht, entgegenzugehen?

Ich, der ich den Glauben nie besaß, ich glaube. Ich glaube an das Glück, an die gütige Allmacht des Schöpfers, ich glaube an die Pflicht des Glückes und an die Achtlosigkeit der Menschen, die an ihm vorübergehen. Und ich glaube an die Liebe, die nimmer aufhörende, und denke, daß Liebe ohne Glück und Glück ohne Liebe nicht denkbar sind.

Unser Tageslauf ist der alte. Morgens Reiten, nachmittags Partien, nach dem Diner Musik oder Promenade im Park. Die Nächte sind jetzt wundervoll. Lind, klar und still. Unsere hohe Frau sitzt mit dem Marschall und der Reutters auf der Terrasse, ich wandle mit der Sophie durch den nächtlichen Garten, und wir sprechen ruhig und vernünftig über die Zukunft. Es gibt ja für uns keine Hindernisse mehr, wir warten nur aus den geeigneten Augenblick, an dem wir uns unserer gütigen Herrin offenbaren können, und dann, Hug, dann fliehen wir alles Menschengetriebe und leben nur uns, »bis daß der Tod uns scheidet«. Wir werden uns wohl ganz zu Wassermenschen wandeln und den größten Teil des Jahres in der Welt herumsegeln. Das Egenolfshausener Schloß haben wir in Gedanken schon ganz umgebaut; die Sophie möchte doch lieber, daß die Küchen nicht im Souterrain, wie bisher, sondern im Nebenbau untergebracht werden, damit man nicht jedes Gericht schon vorher riecht. Für unsere gnädigste Frau und die Reutters haben wir die Fürstenzimmer vollständig neu eingerichtet ...

Unsere abendlichen Wanderungen enden regelmäßig an dem Pavillon, der, an der Seeseite der Mauer ganz von Lebensbäumen umgeben, ein gar lauschiges Liebesplätzchen bietet. Hier sitzen wir und schauen auf das friedliche Meer, über das der Mond seine glitzernde Silberstraße zieht, auf die leicht schaukelnden Boote und auf das feine Zerrinnen der Wellen am Strande. Und wir hören die Duette der Nachtigallen, wir hören das leise Raunen der Nacht in den Bäumen und hören das schlaftrunkene Glucksen der Wellen. Wortlos sitzen wir Hand in Hand, schmiegen die Köpfe aneinander und träumen uns in das selige Märchen unserer Zukunft hinein.

Wie war es nur möglich, Hug, daß ich so lange tappte, so lange an dem sich mir darbietenden Glück vorbeiging? War es nur die Sorge um unsere gnädige Frau, die Furcht, bei ihr nie Erhörung zu finden? Und ganz plötzlich und einfach kam dann die Erleuchtung über mich.

Es war vor einer Fahrt nach Cannes, wohin die Dänen zum Diner geladen hatten. Ich stand im Vestibül und erwartete die hohen Herrschaften, in der rechten Hand einen Strauß ägyptischer Rosen für unsere hohe Frau, in der linken, die vom Herzen kommt, einen mit gelben für die Sophie. Die Herrschaften erschienen, fertig zur Reise, jedoch noch ungeschützten Hauptes. Die Sophie brach eine Rose und sah in den Spiegel, um sie in das dunkel leuchtende, hoch aufgewellte Haar zu stecken. Wie selbstverständlich trat ich hinter sie und half ihr. Im Spiegel trafen sich unsere strahlenden Augen, und als ich aufblickte, sah ich den gütigen Blick der hohen Frau fast zärtlich auf uns ruhen. Da war der Bann gebrochen, ich lebte wieder auf, und wenn ich auch mit der Sophie wie auf Verabredung über die entscheidende Unterredung mit der hohen Frau hinweggehe, so wissen wir doch beide ganz genau, daß einst der Tag kommen wird, an dem sie unser Glück sanktioniert. Würde unsere gnädigste Herrin sonst erlauben, daß ich Stunden um Stunden mit der Sophie allein verbringe, daß wir wie selbstverständlich abends in den Pavillon gehen, daß ich täglich Blumen zum Diner bringe?

*

Sauton wohnt in einer alten Sarazenenburg am Meer. Er kaufte sie ganz billig von den Erben eines römischen Herzogs. Sie liegt wunderschön zwischen der Corniche und dem Meere auf einer bewaldeten kegelförmigen Kuppe. Von der Straße erscheint sie hoch oben ganz klein. Die Silhouetten der Zinnen und Türmchen des arabisch-byzantinischen Stiles heben sich flimmernd gegen den intensiv blauenden Himmel ab. Um zur Burg zu kommen, biegt man von der Straße in den spiralförmig um den Berg herumgewundenen Burgweg ein und gelangt schließlich aus einer spitzwinkligen Straßenecke, deren äußere Seite ohne jede Verkleidung jäh und schroff zum Strande abfällt, aus dem Walde in den Park, durch den sich die letzte Wegestrecke schnurgerade in die Höhe bis zur Auffahrt zieht. Ist man oben, dann staunt man über die mächtigen Höhenabmessungen und das ehrwürdige Alter der von Efeu umwucherten, schwarzgrauen Sandsteinmassen. Da das letzte Ende des Weges sehr steil ist, kommt es häufiger vor, daß anfahrende, sehr besetzte Equipagen nur mit Mühe und Not den Schloßhof erreichen. Sauton müßte hier eine Vorspannstation in der Art der indischen Bergposten einrichten. Er hat es aber vorgezogen, an jener gefährlichen Stelle den lakonischen Befehl anschlagen zu lassen: Ventre à terre!

Wir fuhren gestern mit dem Herzog zur Besichtigung der Burg und schlossen daran eine Segelfahrt. Unsere hohe Frau hatte von der steilen Anfahrt gehört und wollte sich nur ihrem alten Leibkutscher anvertrauen. Da fuhr denn die »La, joie« geschlossen im Landauer, ich folgte im Selbstfahrer des Herzogs, der die Bespannung, ein paar nervöse Lippizaner Jucker, selbst lenkte. Da der Herzog behauptet hatte, das Gelände der Straße von zahlreichen Fahrten her ebenso genau zu kennen wie seine Pferde, bat die Großherzogin uns, den Burgweg hinaus vorauszufahren. Im scharfen Trabe nahmen wir die Windungen um den Berg, dicht hinter uns folgte das großherzogliche Gespann. Unsere Rotschimmel konnten gar nicht schnell genug vorwärts kommen, gingen stark auf den Zügel, und der Herzog war gerade im Begriff, mir den Grund zu erklären, als wir an die merkwürdige Warnungstafel kamen. Plötzlich stiegen die Pferde kerzengerade in die Luft, rissen in einem wilden Satz dem Herzog die Zügel aus der Hand und stürmten alter Gewohnheit getreu zum Schlosse hinauf. Trotz scharf angezogener Bremse und wütenden Riegelns des Herzogs schleiften sie den leichten schleudernden Wagen zu Berg und hielten erst dicht vor dem Portal, vor dem Sauton uns empfing. Die sonst sehr zuverlässigen, hochgebauten Oldenburger der Großherzogin versuchten dem Beispiel zu folgen, wurden aber von dem Kutscher, der sie doch kennen mußte, mit jähem Ruck aufgehalten. Dabei verhakten sich die Kandaren, die Pferde blieben stehen und der bremslose Straßenwagen rollte langsam den steilen Abhang hinunter. Schritt für Schritt gaben die Pferde der wachsenden Rückwärtsbewegung nach und beantworteten die angstvollen Peitschenhiebe des Kutschers mit verständnislosem Piaffieren oder ruckweisem Heben der Hinterhand. Sauton war sofort mit seinen Dienern die Straße hinabgeeilt; ich folgte mit dem jammernden Vichien. Die Gefahr war in der Tat groß. Der Diener war vom Bock gesprungen und versuchte durch Zerren an den Zügeln die Tiere zum Vorwärtstreten zu bringen. Dadurch machte er sie kopfscheu und verstärkte die Rückwirkung der verhakten Kandaren. Die Pferde wurden unruhiger, stiegen und immer schneller rollte der Wagen der unbeschützten, jäh abfallenden Straßenwand zu. In heftigen Sprüngen waren wir hinabgeeilt, die Diener griffen in die Speichen und ich bemühte mich mit Sauton, den aufgeregten Pferden die Zäumung in Ordnung zu bringen.

Die hohen Herrschaften hatten zum Glück nichts von der Gefahr gemerkt oder sie doch nicht in ganzer Tragweite erfaßt. Die Sophie war aufgestanden und hatte sich nach vorn über den Bock gebeugt, um dem Kutscher das sinnlose Prügeln zu untersagen. Unsere hohe Frau lächelte nervös, unangenehm berührt von der Rauheit ihres Leibkutschers. Der Marschall rührte sich nicht und die Reutters fand das Intermezzo jedenfalls »komisch«.

Wir eskortierten den Wagen vor das Portal und Sauton sprach dankend begrüßende und entschuldigende Worte. Dann säuberten wir uns, nahmen einen kurzen Imbiß und wanderten durch die Burg. Sauton hat die gesamte Einrichtung übernommen und nur wenig geändert. Es sind die typischen Räume des italienischen Großherrn. Wenig Licht, viel klassische Kunst, altrömische Waffen und in jedem Zimmer Bronzen und Marmors großer Männer aus der Blütezeit der ewigen Stadt. Vor jedem Kamin Räucherzeug, in den Erkern, auf den Simsen und auf den unzähligen Paneelbrettern andere Erzeugnisse plastischer Kunst, Nachbildungen alter Meisterwerke. Dazwischen wieder ganz orientalische Ecken mit niederen breiten Ruhelagern, die von unzähligen Kissen übersät sind, darüber an den Wänden riesige Gobelins mit fast chinesisch unreinen Darstellungen und in einem Zimmer, wenige Schritte von einer solchen, von heißer Sünde sprechenden Stätte, über einem Hausaltar die ausgezeichnete Reproduktion des geigenden Eremiten von Böcklin. Kurz, ein wildes bric-à-brac, das zunächst dem Auge weh tut, dann aber die Lachmuskeln reizt. Ich habe Sauton im Verdacht, daß er die an und für sich schon grotesk wirkende italienische Einrichtung durch möglichst unmögliche Zusammenstellungen absichtlich übertrieben und durch bizarre Karikatur aus eine lächerliche Wirkung hingezielt hat. Bei genauer Prüfung des Ganzen findet man aber doch den Adel, den die klassische Kultur und Geschichte Italiens über die Räume breitet, und fühlt trotz barocken Spottes das feinsinnige große Verständnis des Schloßherrn, vor allem in einem Saale, den er trotz eines lieblichniedlichen Watteaus das florentinische Quattrocento genannt hat. Nicht unerwähnt schließlich möchte ich lassen, daß er in seinem Ankleidezimmer, in das ich allein flüchtig hineinschaute, der Kopie der Pauline Bonaparte aus der Villa Borghese einen Platz angewiesen hat. Ihre herrliche Nacktheit liegt im vollen Lichte eines mächtigen Fensters und man kann Sauton nicht unrecht geben, wenn er meint, daß sie die vollkommensten Formen zeigt, die man sich denken kann. Es ist solche Sache, sich eine derartige Schönheit gerade im Ankleidezimmer zu halten. Die Praxis desillusioniert zu häufig, was Schönheit der Form anbetrifft, und ich meine, man müßte etwas unvollkommen Lebendiges im Angesicht des vollkommen Schönen, aber Toten hassen ...

Leicht plaudernd führte er uns durch die Räume, machte hin und wieder auf einen alten Meister, eine besonders seltsame Zusammenstellung aufmerksam oder erklärte auch wohl den Ursprung einer Tapete, einer alten Waffe. Schließlich standen wir hoch oben auf dem umzäunten Dach eines Türmchens und genossen den wahrhaft wunderbaren Blick. Vor uns der endlose, leicht gekräuselte Wasserspiegel mit den winzigen Seglern und dem stilliegenden Rauchstreifen eines langsam und majestätisch dahinziehenden Dampfers am fernen Horizont, tief und scharf unter uns wie ein feiner gebogener Strich der Schaum der den Strand bespülenden Wellen, und in der Mitte fast senkrecht zu unseren Füßen die blendend weiße Landungsbrücke, an der die Sautonsche Jacht, am ganzen Tauwerk festlich bewimpelt, festgemacht hatte und ihrer hohen Gäste wartete. Dann landeinwärts, deutlich durch die klare Luft zu uns herüberleuchtend, die firnbedeckten Häupter der Hochalpen, die sich dem Auge des Wanderers auf der Corniche durch die vorgelagerten bewaldeten Bergrücken und Kuppen entziehen.

Wir gingen dann wieder hinab und stiegen in den großen Break Sautons, der uns sicher den Berg hinunter an die Landungsbrücke brachte. Da uns Sauton auf der Rückfahrt in Nizza, wo die Jacht meist vor Anker liegt, ausbooten wollte, schickten wir unsere Wagen nach Hause.

Sauton speist fast täglich im Klub und hat dicht am Meer ein kleines Absteigequartier, das er früher selten, jetzt fast täglich benutzt. Wie mir der Herzog erzählte, hat sich Sauton in letzter Zeit recht sehr verändert. Früher hat man ihn wochenlang nicht im Klub gesehen, er lag auf dem Meere oder vergrub sich in seiner einsamen Burg. Jetzt ist er fast lebhaft, scherzt mit der Prinzeß und wetteifert mit mir in der Aufmerksamkeit um unsere gnädige Frau. Dann macht er der alternden Reutters den Hof und vertieft sich mit dem alten Beserbeck scheinbar äußerst interessiert in die Biesenburger Geschichte. Ich bin ihm besonders dankbar für die zarte Aufmerksamkeit, mit der er auf unseren gemeinsamen Ausflügen jede Gelegenheit ergreift, mir einige Augenblicke des Alleinseins mit der Prinzeß zu verschaffen. Er geht fast zu weit in seiner Sorge. Als ich ihm neulich eine Bemerkung darüber machte, sah er mich erstaunt an. Im stillen denkt er sicher, daß jede Minute, die ich mit der Sophie allein verbringe, die kostbaren Heiligtümer eines Abschiednehmens umschließt und daß wir alle Tage auseinandergerissen werden können.

Langsam zog die Jacht vor dem Winde ins offene Meer hinaus. Wir saßen am Achterdeck und nahmen Mokka und Biskuits, echte Seemannskost, wie Sauton sagte. Dann führte ich die Sophie durch die wohnlichen Kajüten, zeigte ihr die vielen Segelpreise und ließ sie einen Blick in Sautons Allerheiligstes tun. Im Speiseraum, dem größten des ganzen Schiffes, setzten wir uns eine Weile. Mitten über dem runden ausziehbaren Tisch hängt vom Plafond das Modell der Jacht herunter, das bis ins kleinste der Wirklichkeit nachgebildet ist. An den Wänden hängen neben und übereinander die Vorfahren Sautons, teils in Photographien nach den Originalen der heimischen Galerie, teils in verwitterten Stichen, dann zwischen zwei Bull-Eyes die wundervoll farbenprächtigen Gemälde der Sautonschen Schlösser im Frühling. Ich denke es mir nicht leicht, in einem fast nur durch skylight erhellten Raum alle Bilder so zu hängen, daß sie genügend belichtet sind.

Wir waren aufs offene Meer gekommen, in regelmäßigen Zwischenräumen hob und senkte sich die Jacht. Sophie klammerte sich ängstlich an meinen Arm und lachend schritten wir auf das Pianino zu, das dem Büfett gegenüber steht. Die Sophie versuchte zu spielen und ich knipste auf einer uralten, langhalsigen Gitarre ein normannisches Lied dazu. Dann kam unsere gnädigste Frau mit Sauton, gefolgt von der Reutters, dem Herzog und dem Kapitän. Sie hatten die Mannschaftsräume und die Küchen besichtigt und wollten jetzt die Behausung Sautons sehen. Ich ging mit der Sophie wieder an Deck. Wir setzten uns ganz nach hinten und ich las ihr aus einem angefangenen Buche vor. Unsere hohe Frau kam bald darauf und setzte sich mit den anderen weit vor uns auf das Freideck, um uns in unserer Lektüre nicht zu stören. Ich schloß jedoch bald das Buch und wir sahen aufs Meer.

Das Wetter war herrlich. Die leichte östliche Brise genügte gerade, die Leinwand zu spannen und uns mit steter Langsamkeit vorwärts zu treiben. Mit leisem Singen schienen die Wellen aus unendlichen Fernen zu kommen und spülten weich gegen die Schiffswände. Unsere Hände suchten und fanden sich und es überkam uns wie ein wunschloser Friede ... Unter verglühendem Abendrot machten wir vor Nizza fest. Und als wir am Abend spielten, gesellte sich ungesucht dein altes Trauungslied zu uns:

Wo du hingehst, da will auch ich hingehen, wo du stirbst, da sterbe auch ich ...


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