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Elftes Kapitel.

Ich las eben die letzten Zeilen noch einmal durch, es ist wirklich lächerlich. Ich, der Verwöhnte, fürchte die Konkurrenz eines sommersprossigen Jünglings, auf dessen Oberlippe schüchtern die ersten Flaumhaare sprossen.

Meine mächtige Erregung hielt an, bis ich ihn von Angesicht zu Angesicht sah. Vielleicht war er inzwischen schön, stark und klug geworden. Dann aber löste sich alle Besorgnis in ein inneres Lachen auf, und mit jener Ehrfurcht, die so leicht durchmischt ist mit dem Ausdruck der Überlegenheit, erwiderte ich den etwas verlegenen Händedruck. Der alte Beserbeck hatte ihn strahlend von der Bahn abgeholt und mühte sich beim Cercle vor dem Essen, die verlegene Unbeholfenheit seines Schützlings überall zu verbergen. Feierlich erschien der Haushofmeister in der weit geöffneten Flügeltür, und wir wanderten in den Speisesaal.

Unsere hohe Frau wurde von Wales geführt, die Prinzessin vom Weidinger, die anderen Fürstlichkeiten folgten, dann Vichien mit der glücklichen Reutters, und schließlich reichte mir Sauton sarkastisch lächelnd den Arm. Der Adjutant des Weidingers war verschwunden.

Ich hatte einen Eckplatz an der rechtwinkligen Tafel, neben mir saß rechts die jüngste Dänin, links an der Schmalseite der Hofmarschall. Die Prinzeß saß mir schräg gegenüber, auf der einen Seite den Weidinger, auf der anderen den Großfürsten Michael. Sie sah wieder entzückend aus, trug eine ausgeschnittene mattgelbe Dinertoilette, am Halse meine Perlen, in dem hochaufgewellten dunklen Haar eine leuchtende gelbe Rose, die ich ihr am Vormittag besorgt hatte, und aus ihrem bleichen, lieben Gesichtchen leuchteten die großen Märchenaugen. Es fiel mir erst jetzt auf, wie elend sie all die letzten Tage ausgesehen hatte, und wie das ganze seine Gesicht im Schatten der Augen lag. Leuchtenden Blickes sah sie zu mir herüber, dann wandte sie sich mit einer gleichgültigen Frage an den Weidinger, und ich konnte bemerken, wie sie ihn prüfend anschaute und bei dem Gedanken lächelte, daß er sie küssen könnte. Der Marschall erhob sich und hielt allerhöchst beauftragt eine kurze Begrüßungsansprache, in der er die willkommene Aufnahme des hohen Gastes in die Familie betonte und die Hoffnung aussprach, daß er sich gut erholen würde. Und nach einer kurzen verlegenen Pause entledigte sich auch der Erbgroßherzog seines Dankes, hob die alten Beziehungen der Häuser, die vielfache Verwandtschaft hervor und überbrachte die Grüße seiner Eltern. Er sprach ein recht mangelhaftes Französisch, und ich sah, wie Sauton auf der anderen Seite der Tafel in den einzelnen Pausen der gedankenscharfen Großfürstin Michael spöttische Bemerkungen zuraunte. Sein hageres Gesicht mit der scharf geschnittenen Nase zuckte vor ironischer Freude. Ich spielte dann mit der Sophie ein reizendes Liebesspiel. Sie unterhielt sich plötzlich mit dem Weidinger auf das lebhafteste, fragte und sprach, ohne Antwort abzuwarten, weiter. Er hielt es für ernstes Interesse, versuchte verlegen, sie recht warm anzublicken, und errötete vor Freude. Dann blickte sie schalkhaft zu mir herüber, blitzte mich mit den schneeigen Zähnen an, und die schmalen und doch so herzhaften Lippen zuckten fast unmerklich. Ich meinerseits machte der jungen Dänin den Hof, sprach ihr von einigen Prinzen und legte ihr eine Verbindung nahe, ohne auf Gegenliebe zu stoßen. Sie wunderte sich zunächst über meinen, ihr ungewohnten natürlichen Ton, war dann aber allerliebst graziös in ihren Gedanken und sehr amüsiert. Und während wir beide zusammen lachten, schaute ich auf die Sophie, erwiderte ihren symbolischen Kuß, und manchmal ertappten wir uns beide, wie wir argwöhnisch einander beobachteten. Dann fühlte ich, wie unsere hohe Frau über den Tisch hinweg mit dem Weidinger über mich sprach, sah ihren fast zärtlichen Blick auf mir ruhen und wurde von Friedrich, der sein Volk sicher herrlichen Zeiten entgegenführen wird, unter verlegenem, freundlichem Lächeln durch einen Zutrunk ausgezeichnet.

Nach Tisch nahm mich die Großherzogin zur Seite und fragte, ob ich zum Musizieren aufgelegt sei. Es sei der Wunsch geäußert, mich zu hören, aber ich solle ganz offen antworten, ob ich Lust hätte. Sie ist so überaus zartfühlend, unsere hohe Frau! Ehe ich antworten konnte, trat der Weidinger mit freudig erregtem Gesicht zu uns und schloß sich lebhaft der Bitte der Großherzogin an. Es galt ihm, den ersten Wunsch der Sophie durchzusetzen, den Wunsch, sie mit mir allein zu lassen, denn nichts anderes hatte ihre Bitte bezweckt. Er legte die Hand auf meinen Arm, und während die Prinzeß hinter ihm stand und mir mit den Augen zuwinkte, tat ich bei ihm das gleiche, weil er immerhin acht Jahre jünger ist wie ich und mir die Hand eines so jungen Mannes auf meinem Arm keinerlei angenehme Emotionen verschafft. Ich sehe dein ellenlanges Gesicht! Immerhin – das Jahr an der Botschaft in Washington hat demokratisch abgefärbt. Amerika, das Land der gutmütigen, so ganz kulturlosen Knoten und der schrecklichen, ungewaschenen und hysterischen Weiber – pfui Spinne – hat abgefärbt! Mein Nebenbuhler geriet in ungeheure Verlegenheit, hatte aber doch den Instinkt, der Prinzessin den einen Arm zu bieten und mir als altem Bekannten den andern. In diesem Augenblick war er ganz Thronfolger. Manchmal ist doch das Blut mehr wert als die Intelligenz.

Hug, du weißt doch, was eine Posse ist! Aber was eine tragische Posse ist, das weißt du sicher nicht. Nun, ich habe an diesem Abend mit der Sophie eine tragische Posse aufgeführt.

Die Prinzessin hatte am Flügel Platz genommen, während ich mein Instrument stimmte. Die Rolltüren vom braunen Zimmer zum altdeutschen Saal waren weit auseinander geschoben. Der Erbgroßherzog hatte sich an den Flügel gelehnt und suchte nach einer netten, gefälligen Pose, die übrigen Herrschaften waren teils im altdeutschen Saal, teils im braunen. Ich setzte mich aus meinen alten Sessel und wie immer nicht neben die Prinzessin, sondern mit dem Rücken gegen die Klaviatur des Flügels. Die Großherzogin hatte mir diese nahe Stellung zur Sophie ausdrücklich erlaubt, damit ich nicht im Durchgang der Tür zu sitzen brauchte. Während ich noch leise stimmte, unterhielt sich der Weidinger mit der Sophie über Musik. Ich mochte wohl etwas ungeduldig ausgesehen haben. Unsere hohe Frau schaute herein, und wenige Augenblicke später kam der alte Beserbeck, mischte sich mit einem ärgerlichen Blick auf mich ins Gespräch und sagte dann in seiner schlauen Art:

»Aber Ihre Königliche Hoheit wartet auf das Spiel, wenn sich Hoheit in das braune Zimmer bemühen wollten ...«

Der Weidinger verstand und zog sich mit dem Marschall zurück. Sophie schlug einige Akkorde an, und wir würfelten wie immer im Anfang allerlei durcheinander. Schließlich lösten sich einige Schmachtfetzen aus dem Knäuel, »Wer uns getraut« und »Liebchen, komm mit mir ins duftige Grün«, das sehr beklatscht wurde, weil ich es wie ein Bänkelsänger spielte. Ermutigt durch diesen Erfolg, intonierte ich einen Armeemarsch, konnte ihn aber leider nicht spielen, da die Sophie derart in sich hineinlachte, daß ihr ganzer Körper bebte.

Dann kehrten wir wieder zu Liedern und bekannten Opern zurück. Wenn ich auch wußte, daß sich die Gedanken unserer hohen Frau auf so vornehmer Höhe bewegen, daß sie keine böse Absicht in unserem ungewohnten Spiel vermutete, sondern nur den Wunsch, den Weidinger angemessen zu unterhalten, so erinnerte ich mich doch, daß die dänischen Herrschaften alle sehr musikalisch sind. Als wir eben aufhören wollten, kam der Erbgroßherzog vorsichtig in das Zimmer geschlichen, und wir spielten auf seinen Wunsch die Arie aus »Samson und Dalila«, trotzdem er so gar kein Samson ist, und schließlich, als er nach lächerlich offen verliebtem Blick auf die Sophie wieder gegangen war, schlossen wir mit dem Lied der Mignon, aus dem man gerade auf meinem Instrument alles herausholen kann, was an Musik drin ist: C'est là, c'est là, que je voudrais vivre, aimer, aimer et mourir ...

Aber wir spielten schlecht wie bezahlte Virtuosen. Wir spielten mit totem Herzen, sprachen nicht unsere Sprache, wir ließen die toten Instrumente klingen und weckten nicht ihre Seelen. Ich spielte für die befohlene Konventionsliebe des Erbgroßherzogs und kam mir nicht wie ein Brägelsdorff, sondern wie ein Trompeter vor, der den Befehl zur Attacke weitergibt.

Wir wurden sehr gelobt. Der Weidinger schüttelte mir die Hand mit einer Gebärde, die seinen Dank für mein Eingehen auf sein Liebeswerben ausdrücken sollte, und auch die übrigen hohen Herrschaften zeichneten mich durch lebhaften Beifall aus. Nur die Großherzogin sagte nichts. Ich streifte sie mit einem flüchtigen Blick, sekundenlang ruhten unsere Augen ineinander, und ich erkannte, daß sie alles weiß, wenn sie auch nicht die Größe meiner Schuld ermessen kann.

Das war die tragische Posse, Hug, eine Posse mit bitterem Nachgeschmack.

Die Gäste verabschiedeten sich bald darauf. Ich saß dann noch mit Großherzogs und dem Weidinger im braunen Zimmer bei einem Tee, den uns die Prinzessin bereitete. Ich half ihr, die zierlichen gemischten Schälchen aus dem Speisesaal zu holen, und während unsere Hände sich berührten, entglitt mir eine der Tassen. Mit feinem Klirren zersprang sie auf der Ebenholzplatte des Büfetts; es war die letzte ihrer Art. Als wir dann wieder in das Braune traten und ich Verzeihung heischend die feinen Scherben der Großherzogin entgegenhielt, lächelte die hohe Frau ein feines, wehes Lächeln und schaute mir tief in die Augen.

»Es ist etwas Besonderes um die Scherben eines letzten Exemplares. Sie wecken oft wehmütige Erinnerungen an die Spanne Zeit, die das Glück eines Lebens umschließt, und scheinen das Siegel des Unvermeidlichen, das wir tapfer ertragen müssen in dem Bewußtsein, eine Erinnerung, die Erinnerung unseres Lebens zu behalten ...«

Fast brutal klangen die Worte des Weidingers:

»Ich dachte immer, Scherben bringen Glück ...«


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