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Zweites Kapitel.

Es geht in meiner Schreiberei alles ein wenig durcheinander, lieber Hug, aber ich bin gewiß, daß du mich verstehen wirst und auch die gelegentlichen Bemerkungen von mir und über mich so auffaßt, wie sie aufgefaßt sein wollen ...

Ich wohne ganz reizend. Rivierapalast. Im ersten Stock ein großes, dreifenstriges Zimmer mit herrlichem Blick über die Stadt und aufs Meer, und vom Balkon auch auf die Berge. Ich habe mir den Schreibtisch heraussetzen lassen, jetzt, Ende November, wo bei euch die Buchen für den Kamin geschnitten werden. Ich schreibe dir, indem mein Blick unbeschreibliche Herrlichkeiten umfaßt. Unbeschreiblich, ja unbeschreiblich. Nur die einzig vollkommene Sprache, meine Sprache, die Musik, könnte sie wohl beschreiben. In mächtigen Fortissimes die gewaltigen Schroffen, Grate und Berge, in sanften Adagios die lieblichen Matten, das blauende Meer mit den winzigen Seglern und der murmelnden Brandung ... und den Himmel und die Lüfte und die Düfte und die Blumen und die Farben. Es würde ein gewaltiges Lied, eine mächtige, unendliche Weise, die uns bis in die tiefsten Tiefen des Herzens erschütterte, unsere Seele mit eiserner Faust packte, mit sanfter Hand koste, die uns das Gift der Welt und alles andere, alles, alles hinwegspülte, bis sie ganz allein herrschte ...

Es würde ein neues Lied der Schöpfung, eine Krone aller Lieder. Und es würde verheißend beginnen mit tiefen Tönen: im Anfang war das Lied ... und es würde ein Jauchzen, ein Frohlocken und Jubilieren, ein Lied der Allmacht und des unendlichen Glückes sein und kein Klagen, Stöhnen und Jammern würde darin sein, nur ein unsäglich inniges Flüstern der Liebe würde es durchwehen und der heiße sündige Atem des Lebens, der Atem des Glückes und der Wonne ...

Ich sehe dein Gesicht, mein lieber Hug! Du staunst über deinen maßlos blasierten Herrn Bruder, der so kalt ist wie eine Hundeschnauze, wie du zu sagen pflegst. Aber dafür, daß mir, dem Grafen Egenolf Brägelsdorff-Egenolfshausen, die Natur die Gabe versagt hat, mich wie ihr mit schönen Frauen à prix fixe zu amüsieren, gab sie mir etwas weit Höheres: die Liebe zur Musik. Und ich kann dich versichern, liebes Brüderchen, es sind in ihr nicht so schrille Dissonanzen wie in euren Aventüren ...

Eine Treppe über mir wohnen die Fürstlichkeiten. Die alte Villa » La joie« ist noch nicht ganz fertig restauriert. Den Gedanken, mich einzuschreiben, habe ich wieder aufgegeben. Frei will ich sein, frei wie der Vogel, um auch innerlich frei zu bleiben.

Den alten Beserbeck habe ich schon mehrmals auf der Hotelterrasse gesehen, bin ihm aber bisher glücklich entwischt. Mit hochmütiger Miene ging er an den Amerikanern vorüber, die die Riviera in diesem Jahre wieder gründlich heimsuchen und sich im Vestibül und auf der Terrasse herumlümmeln wie unerzogene junge Hunde. Über den guten Beserbeck, der vor Steifheit die Beine kaum setzen kann, wenn ihn etwas indigniert, lachen sie, vor mir haben sie einigen Respekt, seit ich auf dem Schießstand in einer Minute zwölf Ringe ausschoß und am Abend des gleichen Tages der gelähmten Fürstin Loskutoff einen stählernen Krankensessel, an dem sonst zwei Diener schleppen, zureichte. Es macht mir doch immer noch Spaß, den Leuten die Kraft meines schlanken Körpers zu zeigen.

Das Diner lasse ich mir allein servieren. Wir Brägelsdorffs sind ja nun einmal so schrecklich genau, und da schon seit sechshundert Jahren merkwürdigerweise kein generationsältester Brägelsdorff anders als reichsunmittelbar geheiratet hat, können wir uns ja auch in eine eigene Kategorie rechnen.

Also ich speise allein. Am Nebentisch sitzt die alte Fürstin Loskutoff mit einer rührend aufmerksamen und bescheidenen deutschen Gesellschafterin, einem Fräulein von Vils. Die Fürstin ist eitel und möchte ihr Leiden – der linke Fuß ist gelähmt – gern kaschieren. Aber sie ist sehr geistvoll, sehr treffsicher satirisch und sprüht ein derart elegantes Französisch, daß ich nur mühsam manchmal den feinen Sinn ihrer Worte erfasse, ich, den man wegen seines guten Französisch in die große rote Bude stecken wollte.

Zu meiner großen Freude fand ich auch recht gute Musik, selbst der Bassist ist ein Künstler ersten Ranges. Die Fürstin macht auch über die Musik ausgezeichnete Bemerkungen, leider alles negierend, ob sie von Wagner oder Mozart spricht. Sie zieht mich überhaupt ganz eigenartig an. Stelle dir eine alte Dame mit schneeweißem, locker hochfrisiertem Haar vor, dazu ein Antoinettengesicht, in dessen wache Klugheit sich ein leiser, fortwährender Spott mischt, und eine mittelgroße, etwas volle Figur. Besonders die ungalanten Engländer bewitzelt sie gern, Männlein und Weiblein, die man weder am Schuhzeug, noch am Gesicht, noch an den Körperformen unterscheiden kann, sondern lediglich an dem, die dürren Glieder unanständig deutlich umschlackernden Rock, den manche sogar die Unverfrorenheit haben, fußfrei zum Diner zu tragen.

Gestern nachmittag hat mich Exzellenz Beserbeck nun glücklich auf der Promenade des Anglais attrappiert. Er begleitete die Prinzeß und die Gräfin Reutters auf einem Spazierritt. Der alte Fuchs äugt wie ein Tiger und hat mich sicher schon in den vorhergehenden Tagen entdeckt. Er tat ganz erstaunt, setzte sein Pferd scharf auf die Hinterhand und ließ das Einglas aus dem Auge fallen. Dann sprach er einige Worte zur Prinzeß und war in drei Sprüngen an meiner Seite.

»Sehe ich recht, mein bester Graf, Sie?«

»Jawohl, Exzellenz, habe wegen der Lunge mal ausspannen müssen!«

»Leider gar keine Zeit ... Ihre Hoheit ... Sie wohnen Palace, natürlich ... A revederci, a revederla ...«

Einige Galoppsprünge trugen ihn wieder an die Seite der Prinzessin. Vorsichtig trat ich zurück, lehnte mich an das Gitter, das die Promenade vom Strande trennt, und sah den Reitern nach. Dann schlenderte ich langsam hinterher: die Reiter trabten an, und ich konnte so recht den wundervollen Wuchs der Prinzessin bewundern, wie sie mit ihrem Pferde mitging und es in leichter Haltung hielt. Sie ist doch ein herrliches Geschöpf.

Wie mir der Oberkellner verriet, werden die Biesenburger jetzt öfter unten speisen. Sie entbehren die Musik sehr, und es ist ihnen auch zu einsam. Kann mir lebhaft vorstellen, wie tödlich erschöpfend der Umgang mit der Reutters und dem alten Beserbeck auf die Dauer wirken muß.

Jeden Vormittag reitet die Prinzeß mit dem Hofmarschall spazieren, dann frühstücken sie und fahren in die Berge oder auch wohl die Corniche hinunter. Ich benutze ihre Abwesenheit und die ziemlich isolierte Lage meiner Zimmer, um mich mit meinem Cello zu unterhalten.

Euch sehe ich fleißig Jagd reiten. Hoffentlich hat die Meute die Seuche gut überstanden. Hast du Hubertus wieder einen Geweihten hetzen lassen? Ich hätte die Jagd gar zu gern mit euch geritten und habe treu zu euch hingedacht. Ich sah euch zur Feier des Tages im roten Frack ausreiten, über die weiten Brägelsdorfer Gründe jagen, sah euch nach dem Halali über die herbstenden Felder heimkehren, den letzten Graben nehmen und zwischen den beiden Sandsteinsäulen, durch die schon Hugdieterich der Fromme nach dem ersten Kreuzzug einzog, in den Park einreiten. Und dann schmaustet und pokuliertet ihr, bis die Ritter in der Halle zu tanzen begannen und Schwägerin Elli in der Meinung, es ginge um Leib und Leben, vorsichtig in ihrer Matinee über das Treppengeländer herunterlugte. Hoffentlich ist beim Jeu nichts herausgekommen.

Auch an den alten Christian habe ich gedacht. Ich sah ihn im Beamtenkasino bei seinem geliebten Chateau Mouton Rotschild sitzen im Kreise der Sekretäre, Inspektoren, Förster, Rent- und Stallmeister und ihnen in immer romantischerer Form die Geschichte von der Komtesse Hugelinde erzählen, bis die Aufgeklärten unter seinen Zuhörern, die »Technischen«, der Brennmeister und der Maschinenmeister, die Köpfe ungläubig schüttelten. Wie interessiert hörte ich als Knabe seinen Erzählungen zu, wenn er aus der Zeit berichtete, in der er als dritter Diener seine Karriere begann und abwechselnd mit Hugdieterich-Vater und Egenolf-Onkel von Hugdieterich-Großvater mit der Reitpeitsche traktiert wurde.

Ich saß währenddessen am Tage des heiligen Hubertus auf einem alten nervösen Vollblüter des Herzogs von Vichien und ritt mit dem Herzog und dem Grafen Sauton auf teilweise recht schlechten Wegen in die Berge. Vichien ist ein Neffe des alten Königs von Belgien; ich lernte ihn und den Grafen Sauton im cercle kennen.

Es wird jetzt hier so milde, daß ich den Pelz, den ich bisher abends recht gut vertragen konnte, wenn ich im Freien saß, ganz entbehren kann. Nur aus Pflichtgefühl hülle ich mich noch in ein Plaid, wenn ich den aufgehenden Mond und die schlafende Natur einsam von meinem Balkon aus genieße. Es wird mir dann immer so seltsam wehmütig ums Herz, die riesenhaften, grotesken Schatten der Zypressen zu meinen Füßen, die schwer duftenden Lianen, dazu die schimmernde Straße des Mondes auf dem Meere und die in fahlem Weiß leuchtenden Häuser Nizzas bergen einen seltsamen Zauber ... Kennst du das Land ... Man ist doch Deutscher und bleibt nun mal in Ewigkeit sentimental.

Ich werde alt. Die Sehnsucht, die aus der Zukunft zu den Menschen kommen soll, kommt aus der verschwendeten Vergangenheit zu mir. Das ist sehr traurig und macht die Einsamkeit, das Alleinsein, so schrecklich empfindlich, weil man glaubt, alle Glücksmöglichkeiten hinter sich zu haben und nichts mehr erwarten zu dürfen.

Gestern packte es mich besonders. Dicht vor meinem Fenster schluchzte eine Nachtigall, und sehnsüchtig und schwermütig schlug tief unten in einem Stadtgarten die Antwort. Da konnte ich nicht widerstehen, holte das Cello, setzte den Dämpfer auf und schickte leise Lieder in die Nacht. Und seltsam, wenn ich aufhörte, tönte von vier, fünf Nachtigallen die Antwort, näher, immer näher. Sie mochten sich den Vogel ansehen wollen, der so hoch und so tief und so klagend zu singen vermochte ...


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