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Achtes Kapitel.

Unaufhaltsam rollt das Rad meines Schicksals seinem Ziele zu. Und ich sehe untätig zu, greife nicht in die Speichen, suche es nicht zu hemmen, seine Richtung zu ändern ...

Mein letzter Brief ist nun schon vierzehn Tage alt. Die beiden Drahtungen, die du aus dem verschneiten Brägelsdorf in sorgender Liebe sandtest, trafen mich mit lachender, singender Seele unter warmem, blauendem Himmel. Meine wonnehüpfenden Verse werden euch beruhigt haben.

Wir sind fast den ganzen Tag zusammen, die Sophie und ich. Morgens machen wir unsere alten Ritte in die Berge, manchmal drei bis vier Stunden, dann kleide ich mich zum Frühstück um und gehe in die Villa. Ich bin jetzt ganz in den Hofstaat übernommen, nehme Lunch und Diner regelmäßig bei Großherzogs und bin unbesoldeter Kavalier à la suite der Prinzessin, wie unsere hohe Frau scherzend zu sagen beliebte. Mit der Reutters habe ich es anscheinend gründlich verdorben, sie beobachtet jeden Blick, den ich mit der Sophie wechsele, und findet unser vieles Beisammensein »komisch«.

Wir müssen uns sehr vorsehen. Die strahlenden großen Augen der Sophie sprechen so offensichtlich von unserem großen Glück, daß ich die fein und fragend tastenden Blicke unserer hohen Frau zu fürchten beginne.

In ganz harmlosen Gesprächen ruhen die Augen der Sophie oft so voll Hingabe, voll unermeßlicher Liebe auf mir, daß ich alle Kraft zusammennehmen muß, um unbefangen zu erscheinen.

Wir reiten weit in die bergigen Wälder, und die lachende Natur frohlockt um die Wette mit unseren jauchzenden Seelen. Tagtäglich nehmen wir auf der Heimkehr unsern alten Weg, die »Liebesstraße«, über die Osteria des Signor Giulio. Dann kommt der Paolo mit seinem Sparkassenbuch, das er an einem Bande um den Hals stets bei sich trägt, und zeigt stolz mit dem Finger auf die vierstellige Zahl. Hand in Hand sitzen wir vor ihm auf dem Staatssofa und hören ihm lächelnd zu, bis der Wirt ihn mit bedeutsamem Blick darauf aufmerksam macht, daß die Signorina dem Signore etwas zu sagen habe. Oder wir spielen wohl auch im Walde wie die Kinder; die Sophie bricht eine Mandarine oder ein Zweiglein und schleudert es mit komischer Gebärde nach mir. Dann haschen wir uns in rasendem Galopp, um uns hinter der nächsten Wegebiegung mit wilden Küssen zu strafen. Die Staller bleiben oft weit zurück, ich liebe sie, diese undurchdringlichen, verschwiegenen Gesichter mit der toten Gedankenwelt.

Es war eines solchen Tages beim Frühstück. Wir hatten wieder furchtbar gedalbert, und mir brannten die Lippen, so daß ich die Suppe wohl etwas vorsichtig nahm. Ich saß neben der Großherzogin, Sophie mir gegenüber. Schalkhaft schaute sie mich an, dann aber sagte sie in besorgtem Ton:

»Ihre Lippen sind aufgesprungen, Graf Brägelsdorff, ich empfehle Ihnen den Crême Pierre als ganz vorzüglich ...«

Eifrig schloß sich die Großherzogin der Empfehlung aus »Erfahrung« an.

Nachmittags machen wir häufig Partien im Automobil, oder wir spielen auch Tennis. Das Taubenschießen habe ich ganz aufgegeben, die Sophie liebt es nicht. Ich hatte es auch nur aus Ehrgeiz durchgeführt, um den Grafen Sauton, der als leidenschaftlicher Jäger im Klub für den besten Schützen gilt, nach dreitägigem heißen Kampf zu besiegen. Er lächelte liebenswürdig und schenkte mir eine Pistole, ein sehr wertvolles Stück mit eingelegter Arbeit. Der Sauton ist doch nicht nur ein ausgezeichneter Schütze, sondern auch ein ausgezeichneter Mensch.

Wenn der Nachmittag unbesetzt ist, nehmen wir um sechs Uhr das Diner, zu dem fast täglich Gäste erscheinen. Nach Tisch sitzen wir plaudernd zusammen, oder ich spiele, und die Sophie begleitet mich auf dem Flügel.

Nach schwerem Kampfe habe ich mein Instrument jetzt ganz in der Villa stationiert. Wir spielen meist ohne Noten. Die Prinzessin hat einen wundervoll weichen, wie zur Begleitung geschaffenen Anschlag, ist keine Künstlerin, aber hat die Gabe der Improvisation gleich mir. Wir haben uns so eingespielt, daß ich geben kann, was in mir ist, und nach leisen Direktiven begleitet sie mich vorzüglich. Unsere Musik ist schlicht, aber wunderschön. Niemand, der sie hört, will glauben, daß wir improvisieren.

Das sind die Stunden der Andacht, des Genusses unserer reinen Liebe. Die Großherzogin sitzt mit den Gästen nebenan im braunen Zimmer und lauscht oder träumt auch wohl. Und ich glaube, ich weiß, was sie träumt. Sie träumt sich in die Zeit ihres eigenen jungen Glückes und träumt hinüber in die Jetztzeit und in die Zukunft. Und sie setzt auch wohl mich auf einen Thron und ihr geliebtes Kind an meine Seite und sieht in uns beiden ihr eigenes großes Glück aufs neue erblühen. Und ich sitze nebenan, dicht an der Seite der Prinzessin, und sie beugt sich im Spiel, küßt mich auf die Stirn und sieht mir tief in die Augen. Und die scherzenden Tonfiguren werden wehmütig und klagende, sehnsüchtige Weisen quellen unter meinen Fingern hervor, und sie werden immer klagender, immer sehnender, bis ich merke, daß die Sophie nicht mehr folgen kann, ihre Augen sich mit Tränen füllen. Dann breche ich ab und folge suchend ihren mechanischen Akkorden, bis ich eine bekannte Melodie habe. Ein Wagnermotiv flutet dann wohl eine kurze Weile durch das Musikzimmer, bis die alte, klagende Weise von der Sophie selbst wieder gesucht wird. Wir haben uns unsere eigenen Lieder gemacht, traurige Lieder, die uns so alt, so alt erscheinen und die doch neu sind, aber auch schalkhafte Liebesspiele ... Mein Cello hat nie so gejauchzt, nie so geschluchzt, wie an diesen Abenden.

Und dann der allabendliche Abschied. Wenn wir allein sind, bleibt unsere hohe Frau sitzen, und ich beuge mich mit einem tiefen, tiefen Dankbarkeitsgefühl über ihre schmale Hand. Dann sieht sie mich mit klarem Auge groß und frei an, faßt mich auch wohl an den Frackaufschlag, und neulich sprach sie ein Wort, das mich im Innersten traf. Wir hatten lange musiziert, und gleich darauf verabschiedete ich mich. Sie saß weit zurückgelehnt in ihrem Sessel und strich mit der Hand über die Stirn, als wollte sie sich in die Wirklichkeit zurückversetzen. Als ich ihre Hand küßte, hielt sie die meine mit leisem Drucke fest und sah mir sinnend in die Augen.

»Gute Nacht, mein Sohn ...«

Ich fühlte, wie mir die Scham der Unehrlichkeit das heiße Blut in die Stirn trieb, beugte mich zum zweitenmal tief über ihre Hand und führte sie an meine brennende Stirn. Da sprach sie noch zwei Worte:

»Bleib brav ...«

*

Sauton will mich durchaus für den Wassersport erwärmen. Er behauptet, es gäbe auf der Welt nichts Schöneres als Segeln. Da habe ich ihm dann den Gefallen getan und bin mit ihm gestern nach Monte gesegelt; die hohen Herrschaften waren in Cannes.

Die Jacht Sautons segelt wunderbar. Sie hat eigentlich gar keinen rechten Namen; wenigstens kann man die Inschrift, die sich um das ganze Schiff herumzieht, schwerlich so auffassen:

La vie un jeu –
si peu à peu
en quelques années
est-elle passée.

L'heure vient à nous
on tombe à genoux:
Rouge ou noir ...?
On reste sans croire!

On voit la figure
et le rire d'la nature
»Vous venez, vous allez
que voulez-vous ... hé?
«

Wir saßen in bequemen Korbsesseln an Deck und genossen schweigend die herrliche Fahrt. Eine leichte Brise schwellte vor und über uns die blendend weißen Segel, hin und wieder klatschten die Wellen gegen die Schiffswände und sandten nasse Spritzer auf Deck. Das Wasser teilte sich rauschend, warf zu beiden Seiten leuchtende Schaumstreifen auf, und lustig flatterte hoch oben der Wimpel in den Sautonschen Farben. Ich lag weit zurückgelehnt in meinem Stuhl. Und während ich dem haschenden Spiel der silbernen Wölkchen am schimmernden Himmel zusah, dachte ich an die Sophie. Sauton spielte mit einem Tauende und sah ins Meer. Dann begann er von seinen weiten Seereisen zu erzählen, von den schweren Wettern, die er durchgemacht, von den Regatten, die er in der ganzen Welt mitgesegelt, und von einer seltsamen Wettfahrt mit dem Fürsten von Monako, den er auf der Fahrt von der algerischen Küste bis Nizza um zwei Stunden schlug, trotzdem die Dampfjacht des Fürsten mit äußerster Kraft fuhr. Und merkwürdig, der spöttische Ton, den er sonst auch im vertrauten Gespräch mit mir so liebt, versagte auf dem Wasser, fast warm und lebhaft kamen die Schilderungen über seine Lippen. Dann erzählte er mir auch zum ersten Male näheres über seine Familie, seine Besitzungen und seine Vergangenheit. Wie ich mir dachte, ist es eine Liebesaffäre, die seine innere Einsamkeit auf dem Gewissen hat. Warum sind es nur immer die klugen Männer und Frauen, deren inneres Leben an der Liebe Schiffbruch leidet? Sind die Dummen alle so eitel, daß sie zur Liebe nicht fähig sind?

Das einzige Mittel, sagt Sauton, sich gegen alle Wirkungen des Lebens zu feien, ist, die innere Armut der Menschen zu erkennen und sie heimlich zu verachten, ohne sie es merken zu lassen.

Am schönsten war die Rückfahrt. Du kennst ja von deiner Mittelmeerreise das wunderbare Panorama der Küste unter dem sternklaren, nächtlichen Himmel, der sich in seinem tiefen südlichen Blau über das Meer, die Uferfelsen und die düsteren, schweigsamen Berge spannt. Dazwischen liegen dann wie Totenköpfe mit feurigen Augen die bleichen erleuchteten Häuser an der Meerstraße oder terrassenförmig gegen die Berge ansteigend.

Langsam glitt das Schiff über den leichtgekräuselten Wasserspiegel und glucksend brachen sich die Wellen an den Schiffswänden. Wir saßen wieder an Deck, in Pelze und schwere englische Schiffsplaids gehüllt, und wieder sprach Sauton mit leiser Stimme von der Einsamkeit seines Lebens. Ich aber empfand in dieser Stunde die Einsamkeit als Glück. Ich fühlte den unendlichen Zauber, der in solch nächtlicher Meerfahrt liegt, und dachte an ihn und Seine Nordlandsfahrten, und ich sah ihn einsam auf der Kommandobrücke stehen, »allein mit Seinem Gott«, über Sich den nordischen Nachthimmel und um Sich das endlose Meer. Und ich entsann mich Seiner Worte, daß auch er Rechenschaft geben müsse ...

Es war fast dunkel für eine südliche Nacht, kaum konnte ich Sauton in seiner Vermummung erkennen. Er hatte eine Weile geschwiegen und nahm dann mit seltsam weich und sympathisch durch die Dunkelheit klingender Stimme das Gespräch wieder auf.

»Ich habe die Absicht, in allernächster Zeit nach Kleinasien zu segeln. Ich lasse in Ninive graben und muß einmal wieder sehen, ob es lohnt. Begleiten Sie mich! Ich will Ihnen zeigen, wie man sein Leben nutzbar verwenden kann, ohne gebunden zu sein und vor den Kulissen zu stehen. Überallhin in die Welt will ich Sie führen, wo mein Kopf arbeitet und meine Lebensketten vor Anker liegen.

Antworten Sie nicht gleich, sondern überlegen Sie einige Tage. Ich kenne Sie, Brägelsdorff, und möchte Sie warnen, bevor es zu spät ist. Ein Mann in Ihren Jahren, mit Ihrem Kopf und Ihren Erfahrungen übersteht eine große Leidenschaft nicht mehr. Er zerbricht ... oder ... wird wie ich. Seien Sie mir nicht böse, Sie wissen, wie ich es meine ...«

Er erhob sich, drückte mir die Hand, und wir sprachen von gleichgültigen Dingen.

Ich habe hart gekämpft, Hug, und bin unterlegen. Ein Zurück gibt es nicht mehr für mich ...

Und als ich es am nächsten Tage Sauton sagte, lächelte er sein spöttisch-mitleidiges Lächeln:

»Ich wußte es ... rien ne va plus!«


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