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Sechzehntes Kapitel.

Als ich mich hoch oben hier in die Sarazenenburg Sautons einnistete, ahnte ich nicht, daß es nur für die kurze Zeit sein würde, die man gebraucht, um die Kraft zu dem schmerzlichen Schnitte zu sammeln, der das Gesunde von dem Ungesunden nicht nur in körperlichen Dingen scheidet ...

Nun alles hinter mir liegt, was so schwer war, vor allem aber das Schwerste, der Entschluß, habe ich wieder die innere Möglichkeit, dich abschiednehmend zu unterrichten. Ich bin es dir schuldig, nicht nur, um die große Sorge vollends von dir zu nehmen, die die ganzen Monate hindurch auf dir gelastet hat, sondern auch, um dir das bißchen Hoffnung mitzuteilen, das in jeder Rekonvaleszenz, auch in meiner liegt ...

Es war so etwa vierzehn Tage nach meinem Berliner Ausflüge, als das, was mit der körperlichen Schwäche und in dem Umgang mit dem sorgsamen Sauton in mir still geworden und eingeschlafen war, eines Nachts wieder zu vollem Leben erwachte.

Was dann kam, weißt du. Und wenn ich noch unter den Lebenden weile und meine Fassung so weit wiedergewonnen habe, daß ich alles in mir verschließen kann und mich als Mann nicht mehr vor mir selbst zu schämen brauche, so verdanke ich's allein dem Sauton, der mich gelehrt hat, was er selbst einst lernen mußte. In der höchsten Not, auf dem Gipfel, am Schlusse des Golgathaweges faßte er nach mir. Er wachte eine Woche Tag und Nacht an meinem Bett, und als er mich verließ, war ich gerettet ...

*

Und wieder ging ich im Zimmer umher, schlaflos, aber gefaßt. Und wieder war es mir, als ob mir irgend etwas ganz Besonderes bevorstände, als ob irgend etwas nach mir suchte, weit, weit in der Ferne ... Sophie ... Sophie ...

Und als ich an das Fenster trat, es aufriß und die duftende Nachtluft tief in mich hineinquellen ließ, hörte ich, daß sich ein Automobil mit schlechtem Motor die steilen Serpentinen, die zur Burg führen, heraufarbeitete. Verwundert hielt ich Ausschau und erkannte im Lichte des Mondes ein Mietsauto aus Nizza, dem eine einzelne verschleierte Dame entstieg.

Es war die Großherzogin. Außer Moritz, der das Portal öffnete, und Sauton, der sie wieder herunterfuhr, hat sie niemand gesehen.

Ich erschrak auf den Tod, als sie unangemeldet bei mir eintrat, den Schleier zurückschlug und ich sie erkannte. Sie sah alt aus, und ihr Schritt war so müde, als ob sie eine schwere, innere Last mit sich herumtrüge.

Zweimal schon, sagte sie mir, sei das Gerücht zu ihr gedrungen, daß ich im Tode läge, und ein Mitglied aus dem Klub hätte in Paris erzählt, daß ich alles täte, um mich schnell zu Ende zu leben. Es müßte doch mehr durchgedrungen sein, als man hätte annehmen können ...

Sie fühle nun, daß alle Schuld auf ihr ruhe, mache sich bittere Vorwürfe und sei in großer Sorge um mein Schicksal, das ihr untrennbar von dem der Prinzessin erscheine ...

Die Sophie sei noch so jung, so unerfahren und, wenn man so sagen könnte, so eigensinnig, daß man das Schlimmste fürchten müßte, wenn ich stürbe ... Bei diesen Worten sah sie mich prüfend an.

Ihre Unruhe sei so stark geworden, fuhr sie fort, daß sie selbst gekommen sei, um sich zu überzeugen, wie es mit mir stände. Und sie sei befriedigt, jetzt zu sehen, daß ich ein Mann sei, und daß sie sich nicht getäuscht hätte, als sie mich zu ihrem Freunde gemacht, mir ihr Vertrauen geschenkt hätte. Nichts läge ihr ferner, als nach Frauenart die Schuld von sich abzuwälzen und mir Vorwürfe zu machen. Die Jugend sei sonnentrunken und unbedacht. Ein ganz klein wenig Schuld trüge aber auch ich, und es läge in meiner Hand, sie nach Möglichkeit wieder gutzumachen. Es sei eine geistige Verwandtschaft, eine gewisse geistige Vereinsamung, die mich ihr sympathisch gemacht, und die sie veranlaßt hätte, mich in ihre unmittelbare Nähe zu ziehen. Sie sei überzeugt, daß ich auch heute noch kein Opfer scheuen würde, die Berechtigung ihrer gnädigen Gefühle zu beweisen.

Sie hielt mir die Hand entgegen und sah mir in die Augen.

Sie hätte es gewußt, daß ich ihr ergeben sei, fuhr sie dann fort, und sie hätte in diesem Bewußtsein an den Grafen Sauton schreiben können, der fein und klug genug sei für die delikateste Mission. Aber sie hätte es doch schließlich vorgezogen, selbst zu kommen. Menschen, wie wir, die sich so oft tief verstanden hätten, auch ohne ein Wort zu wechseln, seien den Verzicht auf dritte einander schuldig. Danach hätte sie gehandelt.

Und nun, was nötig sei!

Ich müsse an die Prinzessin schreiben, die viel ärger daniederläge, als es auch nur einer außer ihr, der Mutter, ahnen könnte. Ich müsse sie trösten und aufrichten, erhärten und widerstandsfähig machen. Jeder Tag bröckele an ihrer Kraft, für nichts mehr habe sie Interesse, alles sei ihr gleichgültig, sie schriebe die Briefe an ihren Verlobten mit dem gleichen Gleichmut ab, mit dem sie ihrer Krankheit freien Lauf ließe und eine böse Schlaflosigkeit ertrüge. Sie lebe in einem so aufreibenden und ungesunden Zustand, daß man alles zu fürchten und nichts zu hoffen sich gezwungen fühle.

Es sei kein Verrat an der Sophie, es sei Pflicht an ihr, ihr Gleichgewicht wieder herzustellen.

Und dann, Hug, sagte die hohe Frau, wie ich schreiben sollte, und ich versprach ihr alles. Es war wie ein Entschluß in mir, den man nach einer Katastrophe faßt, um noch gutzumachen und zu retten, was zu retten ist. Die Verehrung für die hohe Frau, die einzig stark in mir geblieben ist, gab mir die Kraft. Und während sie eine Erfrischung befahl und ein gnädiges Wort an den vor Aufregung zitternden Moritz richtete, setzte ich mich an den Schreibtisch und entwarf einen Brief in dem Versuch, den richtigen Ton zu finden. Es war eine traurige Minute für uns beide, in der ich ihn vorlas, in der der Betrug gegen die begann, die wir beide liebten und retten wollten ...

Nie mag der hohen Frau, die sich doch so ganz in der Gewalt hat, die Selbstbeherrschung schwerer als bei diesem unserem Abschied geworden sein.

Mit Sauton fuhr sie in meinem Wagen nach Nizza zurück.

*

Es war doch zu leichtsinnig von dir, schrieb ich in meinem ersten Briefe an die Sophie, daß du mich damals küßtest, als ich so krank daniederlag. Hoffentlich bist du tapfer und machst mir die Freude, bald gesund zu werden, damit meine Selbstvorwürfe aufhören und jeder von uns seiner Pflicht gerecht werden kann. Wenn ich denke, daß du nicht fleißig im Gesundwerden bist, fühle ich mich tagelang schwach, elend und ohne Fortschritte im Befinden. Denke doch nur an meine große Verantwortlichkeit!

Ihre Drahtantwort auf diesen Brief war anders, als ich sie erwartet hatte:

»Komme in der Nacht mit dem Automobil und hole mich ab. Graf Lennsahn, der vor kurzem von einer Weltreise zurückgekehrt ist, erzählte mir, daß es in Amerika eine wundervolle Halbinsel namens Florida gäbe, wo viele Schwindsüchtige gesund würden. Dahin wollen wir mit Sautons Jacht segeln. Da können sie uns lange suchen ...«

Gleichzeitig kam ein Telegramm von der hohen Frau in der verabredeten Chiffreschrift, in dem sie mich anwies, in dem besprochenen Sinne weiter zu schreiben. Ich schrieb also an die Sophie, daß sie mich mit dem Telegramm, das doch nur ein Scherz gewesen sein könnte, recht erschreckt habe. Wenn sie etwa dächte, daß mir die Lösung unseres Verhältnisses allzu leicht geworden wäre, sei sie im Irrtum. Man müßte aber doch immer wieder überlegen, daß man nicht seiner selbst wegen auf der Welt sei, sondern Pflichten habe, deren Erfüllung eine größere und dauerndere Genugtuung gewähre, als alle Liebe zusammen genommen, selbst dann noch, wenn die Pflicht nichts sei als Entsagung. Andererseits aber bewiese mir ihr scherzhaftes Telegramm, daß sie wohl und munter sei. Und damit habe sie mir eine wirkliche große Freude gemacht. Und wenn ich mir noch einen Rat erlauben dürfte, so sei es der, daß sie bei Eingehung der vor der Tür stehenden Vermählung sich stets bewußt bleiben sollte, daß wahre Liebe nichts als Sympathie sei, die erworben sein wollte und sich in der Ehe nach einiger Zeit ganz von selbst durch die Gewöhnung aneinander einfände. Das schönste Beispiel hierfür lieferten ihre eigenen hohen Eltern, die sich nur wenige Male vor der Vermählung gesehen und doch so selten glücklich gelebt hätten.

Ihre Antwort auf dies lange Schreiben war vor Tränenspuren kaum zu lesen.

»Laß mich wenigstens«, schrieb sie, »im Glauben an deine Liebe sterben, wenn ich nicht bei dir leben soll. Den Ton, in dem du schreibst, glaube ich einfach nicht, weil er unmöglich ist. Wenn es nicht deine Schrift wäre, müßte ich denken, daß es ein anderer geschrieben hat, um mich irrezuführen und die vielen Mißverständnisse zu säen, die immer bei dem Briefwechsel zweier, die sich lieben, herauskommen und die schon viele auseinandergebracht haben sollen. Du weißt doch, daß ich nicht dumm bin. Und mein Gefühl ist viel zu stark, um sich durch irgend etwas verschleiern zu lassen. Es sagt mir auch ganz genau, wie lieb du mich hast.«

Und dann, nach einem neuerlichen Briefe, in der ich wieder von der Pflicht der Entsagung gesprochen, kam eine verzweifelte Antwort, die wie in Tränen gebadet war.

»Es kommt mir jetzt langsam doch so vor,« schrieb sie, »als ob du mich wirklich nicht richtig lieb gehabt hast. Sonst könntest du nicht andauernd solche Gouvernantenbriefe schreiben. Die Reutters hat mir gleich von Anfang an durch die Blume gesagt, ich sollte mir nur nicht einbilden, daß du mich besonders gern hättest. Dazu seiest du viel zu kalt und eingebildet. War ich nicht schön und klug genug für dich? Schreibe mir wenigstens, warum du mich nicht mehr lieb hast. Es martert mich Tag und Nacht, zu denken, daß du nur mit mir gespielt hast. Wenn du mich noch weiter so quälst, weiß ich nicht mehr, was ich tue.«

Auf diesen Brief, Hug, hatte ich wieder ein paar furchtbare Tage und Nächte, in denen ich gern von Tür zu Tür betteln gegangen wäre, wenn man Schlaf und Ruhe auch nur minutenweise zusammenbetteln könnte. Und dann endlich half mir Sauton. Er gab mir den Ton an, der den Weg zum Herzen der Sophie fand und es weit öffnete. Ich schrieb ihr einen langen, langen Brief mit allem darin, was ich für sie fühle und fühlen werde, solange ich lebe, mit allem, was ich um sie gelitten. Zugleich schickte ich ihr den Hund, die Minka.

Die Wirkung war seltsam. Es war, als sei die Sophie mit einem Male reif geworden zu freiwilliger Entsagung, als sei sie zu einer Größe emporgewachsen, die an die Mutter erinnerte, und die man ihrer Jugend nicht zugetraut hatte.

»Dein Brief hat mich froh, frei und stolz gemacht,« schrieb sie. »In der Gewißheit, daß du mich liebst, werde ich alles tun, was man von mir verlangt, was du Pflicht nennst, und auf alles verzichten, was mir bisher in meinen Träumen als höchste Sehnsuchtserfüllung vorschwebte. Und in allem werde ich stark und entschlossen sein. Recht ist es, daß du weit fort gehst, um Expeditionen und Forschungen zu unternehmen. Ich wünsche dir Mut und Erfolg, und wenn ich von dir höre, werde ich stolz auf dich sein. In der nützlichen Verwendung der Kraft und mit einem Ziele vor Augen überwindet man Verluste am besten, sagte unser alter Prediger an dem Sonntag, als ich deinen Brief erhielt. Es war ein wirklicher Sonntag. Wir wollen beide danach handeln, und wenn uns das Schicksal das, was in uns lebt, doch versagt, so kann es unseren Willen doch nie besiegen und wenn wir darüber zugrunde gingen.

Es macht mich froh, daß Mutter in großer Güte von dir spricht. Sie weiß, daß ich dir schreibe, und läßt dich grüßen. Von mir grüße den Grafen Sauton. Ich glaube, daß er immer mein Freund war, und es freut mich, daß er um dich ist, wenn du an mich denkst, wie Minka um mich ist ...

Adieu ... Adieu ... Adieu ...«

*

Wie ich alles ertragen habe, Hug, ohne mit meinen geschwächten körperlichen und seelischen Mitteln vollends bankrott zu werden, ist mir selbst fast unerklärlich. Es war eine fast heitere Ruhe, in die mich der letzte Brief versetzt hatte, eine Stimmung, die wohl etwas von der Freude des Märtyrers hatte, die nur aus dem tiefsten Ernst herauswächst und aus der endgültigen Entscheidung, der immer eine gewisse Befreiung zugrunde liegt.

Was mir erst allmählich immer stärker zum Bewußtsein kommt, ist der große Dank, den ich Sauton schulde. Die starke Persönlichkeit, die er ist, der scharfe, unaufdringliche Verstand, über den er verfügt, dabei sein schier unerschöpfliches Verständnis für alle Schwankungen und Irrtümer, Leidenschaftlichkeiten, Überspanntheiten und Schwächen, denen ein Mensch in meiner Lage preisgegeben ist, haben mir mehr geholfen, als ich bisher ermessen konnte. Es ist, als ob sich in diesem weltflüchtigen Einsiedler, dessen von leiser Ironie sprechende Maske ganz andere Schlüsse nahelegt, alle guten Eigenschaften vereint haben, die ein Mensch nur irgend haben kann. Seine geistigen Formen, wenn man so sagen kann, sind von einer vollendeten Sicherheit, und die leise Überlegenheit, die jede starke Persönlichkeit ausstrahlt, ist bei ihm so gedämpft, daß sie die stärksten sittlichen Kräfte, die der absoluten Selbstzucht, ahnen läßt und sein Wesen zu einem überaus anziehenden macht.

*

Die Jacht wird klar gemacht. Noch vierzehn Tage, und alles ist hier öde und leer ...

Es ist das beste so. Eine Weltreise, das moderne Mittel der Vergessensuchenden, wird auch mir gut tun. Eindrücke auf Eindrücke zu häufen, unabhängig zu sein, verweilen zu können, wo es schön ist, zu fliehen, wo man auf Schritt und Tritt von Erinnerungen überflutet wird, einsam zu sein auf hoher See, weil man unter den Menschen doppelt einsam ist, in ferne Länder einzudringen, zu suchen, zu forschen und zu finden – alles das wird die Befriedigung erwerben helfen, die man nun einmal braucht, um überhaupt leben zu können.

*

Nur noch zwei winzige Leinen fesseln mich an Europa, in wenigen Minuten segeln wir los.

Dies mein letzter Gruß! Ich sehe dir in die Augen, Hug, drücke deine Hand und danke dir für alle aufopfernde Liebe, für die Klugheit, mit der du praktischer Mann dich in mein Innenleben hineinversetzt hast, für das große restlose Verständnis, das ich allezeit in deinem Gemüte und deinem Herzen gefunden habe, für alle Opfer, die du mir gebracht hast – seit unserer frühesten Jugend, in der unsere kluge, gute Mutter unsere Brüderlichkeit zu einem Felsen zusammengeschmiedet hatte, den nichts zu spalten vermochte. Und wenn wir uns nicht wiedersehen sollten, vergiß nie, Hug, daß dir, deiner Frau und deinen Kindern mein ganzes heimatloses Herz bis zuletzt gehört hat ...


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