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Viertes Kapitel.

Eben erzählte mir Exzellenz Beserbeck mit wichtiger Miene, daß Ende Januar der Erbgroßherzog von Weidingen die hohen Herrschaften besuchen kommt. Der alte Hofnarr möchte gern, daß ich an eine Verlobung glaube, muß aber früher aufstehen, wenn er mich durch seine Redereien dumm machen will. Erst gestern, als ich der Großherzogin ägyptische Rosen brachte, die sie so sehr liebt, sprachen wir von den Verwandtenheiraten. Sie recht absprechend. Da bin ich denn ganz beruhigt, da der jetzige Weidinger ihr rechter Vetter, die Weidingerin eine Cousine zweiten Grades ist. Außerdem kenne ich den jüngeren Weidinger sehr gut aus dem Regiment, einen Jüngling von zwanzig Jahren, der nichts, aber auch nichts an sich hat, was ihn für ein Geschöpf wie die Prinzessin Sophie liebenswert erscheinen lassen könnte.

Die Idee mit dem Rennen habe ich wieder aufgegeben. Weißt Du, lieber Hug, wenn man in so großem Stile, wie ich jetzt, hier lebt, darf man nicht die Affenjacke des Rennreiters anziehen und mit den windigen jungen Marquis um den Preis konkurrieren. Es verträgt sich nun einmal nicht mit der Rolle des Grandseigneurs oder, wie man hier richtiger sagt, mit der des Grande, vor tausend und abertausend Augen ein Finish mit der Peitsche zu reiten oder ohne Kappe durchs Ziel zu kommen. Überlassen wir das den jungen Heißspornen des Klubs, von denen ich auch ferner lieber ein höfliches mon comte, als ein kurz kordiales comte höre.

Gestern fuhr ich die hohen Herrschaften im Automobil nach Monte Carlo. Wir nahmen im Hotel de Paris einen Imbiß und gingen dann in der Hauptzeit, so gegen sechs nachmittags, ins Kasino hinüber. Es war recht voll. Einige Dächse aus Berlin waren natürlich auch da. Im Frack und mit dem Einglas wanderten sie durch die Säle und suchten sich ein müdes internationales Aussehen mit einem Stich ins Reiche zu geben. Unter anderen Bekannten traf ich auch den jungen Sterll von den Dragonern, er sah ungeheuer reich aus, erleichterte mich aber nichtsdestoweniger um tausend Franken. Er hatte nur fünf Tage Urlaub, »um nach seinen Kartoffeln zu sehen«.

Die Großherzogin hatte sich an einen Roulettetisch gesetzt und pointierte. Sie spielte sehr routiniert und doublierte fast jeden gewonnenen Satz. Wir ließen den alten Beserbeck zu ihrem Schutze zurück und gingen in die neuen Säle. Die Prinzeß hatte kein Geld da. Ich gab ihr ein zusammengefaltetes Tausendfrankenbillett, das sie in der Meinung, es seien nur hundert Franken, im letzten Moment setzte. Sie gewann. Erstaunt über die vielen Noten, die ihr der Rechen des Croupiers zuschob, merkte sie erst jetzt ihren Irrtum und ihr liebes Kindergesichtchen strahlte:

»Für den Paolo!« rief sie selig.

Ach, den Paolo kennst du ja noch gar nicht. Also Paolo ist ein Geschöpf, das der liebe Gott wahrscheinlich in einem Augenblick höchsten Zornes erschaffen hat. Ein etwa 16jähriger Knabe, auf dessen elendem, abgemagertem Körperchen sich sämtliche Krankheiten der Welt ein Rendezvous gegeben zu haben scheinen. Dabei ein selten schönes Gesicht mit reinen, freien Linien und riesigen Italieneraugen, die in ihrer fragenden unschuldigen und erstaunten Schönheit leicht an die der Prinzessin erinnern. Kurz, eine ganz eigenartige Komposition. Wir treffen ihn täglich weit draußen vor der Stadt in den Bergen an einem ganz herrlich gelegenen Punkt. Seine Eltern bearbeiten dort einen Acker, der zu der Osteria des Signore Giulio gehört. Wir nehmen hier öfter eine Erfrischung, Paolo humpelt auf seinen Krücken herbei, nimmt mit unnachahmlich verächtlicher Gebärde – zum Betteln ist er zu stolz – unsere Gabe entgegen und läßt sich dann langsam in seinen Krücken herunter, um voll demütiger Grandezza der Prinzeß den Saum des Reitkleides zu küssen, womit er ihr das erstemal einen fürchterlichen Schreck einjagte. Sein sehnlichster Wunsch war ein Stuhl, in dem er sich selbst fahren könnte; jetzt hat er ihn schöner, wie er ihn je erträumt.

Auf der Heimfahrt bot sich uns wieder das alte wunderbare Bild Monte Carlos in der Abendbeleuchtung ... hoch oben auf dem Monte das von einem Flammenmeer umstrahlte Kasino mit dem Theater, auf der anderen Seite der Bucht auf schroffem Fels das in totem Dunkel daliegende Schloß des Fürsten, unten an der gebogenen Bucht die erleuchteten Häuserreihen, aufsteigend bis zum Riviera-Palace, dann im Hintergrund die großen gigantischen Silhouetten der Berge, und über dem allen der klare, nächtliche Himmel des Südens.

Ich war schweigsam auf der Fahrt, ebenso die Prinzessin. Ich weiß nicht, es lastet etwas auf mir, wie vor einem großen Ereignis. Meine Unbefangenheit, meine leichte Konversation ist dahin. Ich fürchte mich vor der Zukunft und sehne sie doch herbei. Warum kann es nicht so bleiben ...?

Die Großherzogin, die so über alle Maßen fein und zartfühlend ist, schien meine Stimmung zu ahnen. Sie redete mir denn auch nicht zu, als ich mich für den Abend mit Müdigkeit entschuldigte. Es war der erste Abend, an dem ich nicht im Frack war. Ich schickte Moritz ins Bett und ging, wie ich war, im Pelz und Panama an den Strand, setzte mich dicht ans Wasser auf einen umgestülpten Kahn und starrte auf das Meer ...


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