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Fünfzehntes Kapitel.

Es war nur ein Traum, von dem mir nichts blieb, als die öde und Leere in der Brust und ein qualvoll lebendiger Tod, ein Tod, tausendmal schwerer als der, dem ich entrann. Und doch, das Glück war da, ich wanderte nur achtlos vorüber ...

Wir lagen einsam im Walde, nur fernab stampften an der Osteria unsere Pferde. Und wir lagen still und sprachen nicht und schwere Haarwellen hatten sich ihr gelöst und umspielten schmeichelnd mein Antlitz. Und gequälten Blickes sah sie mich an und umpreßte meinen Hals. Dann barg sie den Kopf auf meiner Schulter und flehend stöhnte sie auf. Da riß ich mich in die Höhe und trug sie zu den Pferden ...

War es nicht Sünde gegen das glückspendende Schicksal oder war es Sünde des Schicksals gegen das Glück?

Eins blieb mir, der Wein. Er heilt mir die Seele, die sein Bruder, der Eros zerstört. Der Wein und die Liebe, sie bekämpfen einander, doch der Wein ist stärker; der überirdische Wein, er ringt die Schwester zu Boden, er betäubt sie, bis sie entflieht. Doch zähe und schleichend kehrt sie zurück, dehnt sich und wächst, bis der Wein sie von neuem vertreibt.

Kein Tag vergeht ohne Leid, kein Tag vergeht ohne Wein.

Und wenn ich ihn fliehe, kommt es des Nachts, in der lauen, die Kräfte zersetzenden Nacht, wenn die Schleier, die das Licht des Tages über die heimlichen Dinge im Innern der Menschen breiten, zerreißen und aufersteht, was im Verborgenen blüht. Dann bäumt sich alles in mir auf, hetzt mich rastlos durch die Gemächer, an die Fenster und ich sehe auf das dunkle Meer, auf die düsteren Berge, auf die Sterne, auf den Mond. Doch der tiefe, stille Himmel, das ewige große Rauschen des Meeres, das Leuchten des Mondes ist das alte und es ist so gleichgültig, so ungeheuer gleichgültig, daß ich zerstören könnte, was in meiner Nähe ist, daß alles in mir wühlt und kocht, daß ich das Fensterkreuz ergreife und stöhnend meinen Kopf zerschlagen möchte.

Und ich fliehe wieder, kleide mich an, sattle mir ein verschlafenes Pferd und in verzweifelten Sätzen galoppiert es den steilen Burgweg hinab und auf der Straße nach Nizza dahin. Und ich trete in die niedere qualmerfüllte Schenke der Armenstadt und trinke hintereinander, bis das Ekelgefühl vorbei und das Bewußtsein, die Gedanken verschleiert sind. Und die Erinnerung, jene Hölle, von der die Dichter sagen, sie sei ein Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden könnte, zerrinnt und die Gedanken bewaffnen sich mit Keulen und Schwertern. Inmitten Kranker, Siecher, Bettler und Verbrecher sitzt der »verrückte deutsche Graf« und die Schenke wird immer voller von wilden Banditengestalten, von Briganten und Desparados, die lautlos im Kreise sitzen und unter dem Banne stehen eines tollkühnen, messerscharfen Geistes, der die Reichen geißelt, die Armen höhnt, die Natur verlacht.

Und die Nacht wird zum Tage und durch das schattenlose Licht der Dämmerung schallen die klatschenden Eisen des heimwärts stürmenden Pferdes. Und höhnend verhält der Reiter sein Tier an der jäh abschüssigen Straßenecke und listig drängt er das zitternde, schnaubende Pferd mit weichem Schenkel und starkem Kreuz fest an den Zügel und dicht an die Wand. Dann nimmt er alles zusammen, was in ihm ist, und mit aller Wucht stößt er dem Tier die Eisen in die Flanken. Und wie ein Kind schreiend hebt sich das Tier und wirft sich in wildem Satz auf die Straße zurück. Und heiser lachend galoppiert der Reiter zum Stall und übergibt dem Wächter das weiß überflockte keuchende Pferd. Dann steigt er die Treppe herauf, tritt an das Fenster und verhöhnt den fahl verleuchtenden Mond, die tückisch verblinkenden Sterne und wirft sich aufs Bett.

Und es kommt die Göttin des Weins, die ewig tröstende Mutter. Und sie kommt als ein rosiges Mädchen mit seidigem, langem Haar, mit leuchtenden dunklen Augen und zarten kosenden Händen. Und sie schmiegt sich innig an den Schläfer und singt mit süßer, süßer Stimme die alten, fernen Lieder, die der Schläfer in dem großen Traum seiner Liebe einst selbst gefunden zu haben vermeinte. Und sie schmeichelt und küßt und kost, bis der lodernde Wunsch in den jäh aufschäumenden Wogen der unmöglichen Erfüllung ertrinkt, bis die stürzenden Fluten zerrinnen und die Qual des Kampfes verstummt ...

Welch großer Sieger ist der Wein ...

*

Was gräbt der Wind seine Runzeln in die spiegelnde Flut des abendlichen Meeres, was bricht er den schimmernden Glutschein der Sonne? Was läutet das Ave vom Tal, was glühen die Berge?

Was glitzert der Mond auf dem Meere, was dringt er durch die Zypressen in mein einsames stilles Gemach? Was singt tief unten am Strande ein Pärchen von ewiger Sonne und Glück? Was raunen die alten Bäume dem bröckelnden Sandstein zu?

Verzehrend brennt mir das Auge und flackert und dräut aus dem Spiegel. Die heißeste Sehnsucht rauscht durch die keuchende Brust, die Leidenschaft glüht mir wie nie. Warum kommst du nicht, mir den fiebernden Durst zu stillen wie einst, als unsere Lippen in seeligem Genießen zu tiefster Verheißung verschmolzen? Wo sind deine kosenden Hände, deine weichen Arme, wo ist dein schmiegender Leib? Wo ist der berauschende Duft deines Haares, der zitternde Hauch deiner heischenden, wehrenden Stimme, die mir das Blut erstarrte und doch aus dem kraftvollen Manne den zitternden Schwächling schuf?

Verschwendet habe ich dich, verschwendet als törichter Knabe und bin nun wie du – ein verschwendeter Mensch!

*

Hug, weißt du, was du verlangst, wenn du forderst, ich soll nicht mehr trinken, weißt du, was du erstrebst, wenn du das Leid meiner Seele zu teilen, mir tragen zu helfen begehrst?

Du willst mein Innerstes sehen? Hug, du forderst Unmögliches! Der schwüle Regen, der mit dumpfem Gebrause die Burg umfegt, der höhnende, alles verneinende Schrei der Eulen in den Türmen über mir vermöchte dir mehr zu sagen als ich.

Kann dir ein unter unendlichen Qualen vom Tode Umschlungener Einblick in seine Seele gewähren? Könntest du je den Zustand seiner Seele erfassen, die Unendlichkeit und die Größe der furchtbaren Qual auch nur ahnen?

Es würde sich wie ein eisiger Schleier um deinen Verstand, um dein Herz legen und dein Lachen wäre für immer verstummt.

Ich ringe mit dem Schicksal um den letzten inneren Halt, ich schrie in verzweifelten Nächten zu Gott, ich lag auf den Knien und lästerte furchtbar. Ich umklammerte das Bild unserer Mutter, küßte es wie wahnsinnig und schleuderte es zu Boden und trat es mit Füßen. Und ich sprang in der Qual meiner Seele zum Fenster und unter Zuckungen brach ich in meinem Blute zusammen.

Ich lebe tote Tage und immer lähmender wird der Versuch zu trotzen. Ich kann mich nicht unter das Joch der Selbsttäuschung zwingen, ich kann es nicht. Und ich flehe inbrünstig zum Himmel, daß sie stirbt, dann bin ja auch ich erlöst, aber sie lebt und gesundet und ihr Leben hängt von dem meinen ab. Sterbe ich, stirbt sie. Das ist der einzige Glaube in mir geblieben. Raube ihn mir, wenn du kannst und ich will dich segnen. So aber bleibt mir nichts, als mich aufrechtzuerhalten, bis sie verheiratet ist. Lange aber darf es nicht mehr dauern. Jede Zeile, die ich an sie schreibe, um sie zu trösten und aufzurichten, um sie zu erhärten und widerstandsfähig zu machen, ist mit Herzblut geschrieben und nimmt einen Teil meines Lebens mit sich fort, jeder ihrer verzweifelten Briefe bröckelt an meiner Kraft.

Glaubst du wohl, Hug, daß in mir nur noch eins ist, die Sehnsucht nach Ruhe, nach einer unveränderlichen, ewigen Ruhe? Stundenweise muß ich um sie kämpfen, und diese furchtbaren Stunden tragen den Wahnsinn in sich. Ruhe erflehe ich, wo ich gehe und stehe, in jeder Minute des Tages.

Nur eine Stunde, eine halbe Stunde, nur eine Minute. Aber die Schlaflosigkeit martert und foltert, ich sträube mich gegen den Wein und fliehe und laufe an den Strand. Aber das Wasser lockt und lauert um mich her, zieht mich wie mit unsichtbaren Armen an, irre Rufe, wie gellend in sinnloser Angst um Hilfe in höchster Not, dringen aus der Brandung zu mir herüber und es ist mir, als ob ich nicht anders könnte, als mich in das Meer zu stürzen. Und dann schlägt ein wildes, höhnisches Gelächter an mein Ohr. Und ich fürchte für meinen Verstand, stoße wild nach Minka, die ihre schweren Pranken winselnd aus meine Schultern legt und ihr Heulen setzt mich in die Wirklichkeit zurück.

Oder ich sitze oben und schreibe. Dann ist es, als suche die Sophie nach mir, weit, weit in der Ferne, als irre sie von wühlender Angst und Qual gefoltert umher wie ich, Liebe und Tod im Herzen, an einen Unschuldigen gekettet, vergrämt und sterbend vor Sehnsucht ... und ich sinke zusammen und schluchze wie ein Kind ... und richte mich wieder auf und horche. Und dann, Hug ... Da ist sie schon wieder, sie kommt, sie kommt ... Der Schweiß tropft mir von der Stirne, ich umklammere die Feder und starre auf die tanzenden Buchstaben ... aber ich sehe sie, sehe sie ganz genau ... sie steht dicht neben mir und beugt sich und küßt mich ... und winkt und schluchzt ... Das Gesicht, das Gesicht, das schneeweiße Gesicht ... große, tote, leere Augen wie in Berlin ... sie winkt und schluchzt ... Minka heult auf ... jetzt ist es wieder totenstill, nur wie ein leises, fernes Wehen ...

Der Morgen dämmert bläulich über den fernen Häusern Villafrancas, ich schließe mit mühsam atmender Brust und schwerer stockender Hand. Minka sitzt scheu am Fenster und sieht ängstlich auf ihren verhetzten, verhärmten Herrn, dem die Haare wirr in das Gesicht hängen, dessen denkmüdes Antlitz verstört, dem der ganze Körper wie Blei ist ...

Du hast nun den Blick in mein Inneres, Hug, den Blick auf eine Ruine, unter der ein Vulkan glüht, eine Ruine, die in einem düsteren Lande der tiefsten Einsamkeit, in einem Reich, in dem es keine Hoffnung, kein Entrinnen gibt, nachtschwarz und todesreif gen Himmel ragt ...


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