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Drittes Kapitel.

Heute hat mir der alte Beserbeck einen Besuch gemacht. Er war so formell und so höflich, daß ich mich geradezu schämte, nur zwei Zimmer zu haben. Unser Alter und unser Geld imponieren ihm ganz gewaltig. Nichtsdestoweniger hatte er das Gönnerhafte der Hofleute, das von je beleidigend auf mich wirkte. Nachdem er sich sehr zeremoniell nach meinem Befinden, meinem Tageslauf und nach dir und Elli erkundigt hatte, rückte er mit einer Bitte heraus. Die Großherzogin hat den allerhöchsten Wunsch geäußert, mich kennen zu lernen. Ich bin ihr schon auf der Reise sehr angenehm ins »allerhöchste Auge gefallen«, und meine angebliche Distinktion hat Wohlgefallen erregt. Dann hat meine nächtliche Wimmerarie an die Nachtigallen die Herrschaften zu Tränen gerührt, und der Herzog von Vichien, der Präsident des cercle de la Méditerranée, hat sich äußerst anerkennend über mich ausgesprochen ... zu gütig! Das habe ich nun davon, daß ich mich für fünfhundert Franken in den Klub einkaufte, und daß ich die katzenjämmerlichen Gefühle des Nachts in Musik umsehen mußte.

Lianenduft und Saitenspiel
Bringen Freud' und Leide viel

hätte Hugdieterich, der Dichter, bei dieser Gelegenheit in sein Tagebuch geschrieben.

Kurz vor dem Frühstück führte Exzellenz Beserbeck mich durch das Vorgemach in den Salon der Großherzogin. Es war recht peinlich zuerst. Wir Brägelsdorffs als wahre Bauern kennen doch nun einmal auf Erden, wenn wir nicht im Dienst sind, nur einen über uns. Da mußte ich nun so tun, als ob ich noch andere für gleichstehend mit » ihm« hielt. Es ging aber trotzdem alles gut ab. Ich wurde sehr gnädig empfangen und durfte mich setzen. Ihre Königliche Hoheit war ganz außerordentlich liebenswürdig und natürlich, kurz herablassend, wie die Leute, die vom Hoheitsbazillus infiziert sind, zu sagen pflegen. Und dann sprach ich auch zum ersten Male die Prinzessin.

Du kannst sie dir gar nicht vorstellen. Sie ist so schön, so nett, so vollkommen Kind, daß ich ihr am liebsten mit der Hand kosend das Haar gestrichen hätte. Sie ist ein Mädchen für sich, so, wie man sie sich nur in einem Exemplar vorstellen kann. Ich war durch ihren leicht verschleierten Charme so frappiert, daß ich an mich halten mußte, um sie nicht aufdringlich anzusehen. Sie ist so unbeschreiblich ... na, du weißt ja schon, nur wieder durch Musik zur Empfindung zu bringen. Sie ist ein rührend ergreifendes, schlichtes Gedicht, ein Lied ohne Worte.

Wir sprachen kaum miteinander. Die Großherzogin nestelte an ihrem Tailor made und überreichte mir ein gedrucktes Blatt, auf dem ein Komitee von Klubmitgliedern unter ihrem Protektorat zur Beteiligung an einem Basar aufforderte. Aha! sagte ich mir, daher war der Herzog nicht weiter in mich gedrungen, als ich ihm seine Bitte, zum Besten der Krüppel Nizzas zu konzertieren, abschlug. Daher dieser plötzliche Wunsch der hohen Frau, mich kennen zu lernen!

»Eure Königliche Hoheit wollen gnädigst verzeihen!« antwortete ich, »aber die Ärzte haben mir schwerere Sachen, und nur um solche kann es sich doch handeln, unter allen Umständen verboten.«

Ich war empört. Ich, Egenolf Brägelsdorff, sollte in einem fremden Lande auf der Bühne mein Heiligtum zeigen, meine Sprache reden, mich von jedem hergelaufenen Protzen gegen Bezahlung bekritteln lassen?

Die Großherzogin war ganz fein errötet.

»Dann ist es also leider nichts.«

Wir sprachen natürlich nun vom Wetter, ich erwartete meine Entlassung und muß zu meiner Schande gestehen, daß ich mich keineswegs beschämt fühlte, als mich die hohe Frau aufforderte, an der Frühstückstafel teilzunehmen. Ein bißchen plötzlich die Bekanntschaft, dachte ich und hatte schon wieder eine Auflehnung im Kopfe. Aber ich sah das entsetzte Gesicht des Hofmarschalls und die großen, ein wenig verwunderten Kinderaugen der Prinzessin und verabschiedete mich mit untertänigen Verbeugungen, durfte mich über die allerhöchste Hand beugen und wurde von der wütenden Exzellenz durch das Vorzimmer geleitet, wo sie sich höchst kühl von mir, als einem höchst undankbaren und denkbar unerzogenen, schlechthin unmöglichen Menschen verabschiedete. Diese Herren vom Hofe können es nun einmal nicht vertragen, wenn man sein eigener Herr bleiben will und auf ihren Schutz verzichtet. Es ist nicht Bosheit, und ich kann nichts dafür, aber ich muß jedesmal, wenn sich Hofleute wichtig tun, an Bismarck denken, der den Hofmarschall der alten Kaiserin auf der Treppe im Schloß anhielt und ihm sagte, daß er es gewohnt sei, in den Häusern, in denen er verkehre, vom Personal gegrüßt zu werden.

Beim Frühstück saß ich neben dem Herzog und der Gräfin Reutters. Aus Rücksicht auf den Herzog wurde ausschließlich Französisch gesprochen, nur die Reutters, die es wie eine Gouvernante spricht, erlaubte sich hin und wieder ein deutsches Wort.

Man redete vom Basar, und die Großherzogin erzählte dem Herzog meine Absage. Harmlos erkundigte sich der alte Fuchs nach meinen Studien, und ich erzählte, daß ich fast nie mehr nach Noten spiele und am liebsten ganz frei meine Empfindungen in Töne umzusetzen versuche. Das sei natürlich Stimmungssache. Manchmal sei ich bis zum Platzen mit Musik gefüllt, manchmal hätte ich keinen Ton in mir. Der Herzog aber fing mich, indem er fragte, ob ich denn nicht wenigstens einige ganz leichte Sachen auf dem Basar spielen wollte. Es war eine ganz harmlose Bemerkung, aber mir schien sie, nachdem ich einmal abgelehnt hatte, doch so aufdringlich, daß ich dem alten Rokokomännchen am liebsten aus Versehen auf den Fuß getreten hätte.

Man ist überhaupt als Soldat oder Jochen vom Lande den Hofleuten in keiner Weise gewachsen. Nie weiß man, wo sie hinaus wollen, fühlt sich in einem unsichtbaren Netze und kommt sich oft unglaublich dumm vor, auch wenn man sie an positiver geistiger Bedeutung alle miteinander in die Tasche stecken kann. Ich weiß nicht, ich halte mich nicht für besonders unintelligent, aber einer Hofintrige, glaube ich, kann nur der widerstehen, der unmittelbar der höchsten Stelle untersteht, die ja, wenn sie eine Persönlichkeit ist, sehr oft die eigenen Hofleute heimlich verachtet.

Die Großherzogin blieb in königlicher Würde schweigsam. Aber die Prinzeß sah mich mit ihren rührenden Augen bittend an, und da schaute ich auf die Mutter, ob sie mir jetzt noch erlaubte, zuzusagen. Sie tat es mit freundlicher Geste.

*

Ich reite jetzt sehr viel, habe mir einen großen, hochgezogenen französischen Vollbluthengst von einem Rittmeister der afrikanischen Jäger gekauft und begleite die großherzogliche Kavalkade jeden Vormittag. Sie besteht aber meistens nur aus der Prinzessin, mir, einem Lakai und dem Staller, den du mir geschickt hast. Die Reutters bleibt bei der Großherzogin, und der alte Beserbeck schont seine alten Knochen, wo er kann. Gefahr ist nicht vorhanden, und schließlich sind Domestiken ja auch Elefanten. Großherzogs sind in die » La joie« übergesiedelt, und beim ersten Anblick der fürstlichen Pracht der Räume dämmerte mir doch das Bewußtsein, daß die Regierenden mehr sind wie wir Grafen von der Scholle, und daß fünf Millionen gegen hundert recht wenig sind.

Die Prinzessin ist einzig. Wenn ich ihr ins lachende Gesicht schaue, sehe ich nur die großen, fast schwermütigen Augen, in denen irgend etwas wie ein Schicksal schlummert. Schwermütig sind ihre Augen. Schwermütig! ... Für mich liegt in dem Wort ein unendlicher Zauber, ein Lied von einem verwunschenen Schloß, von einer Stadt auf dem Grunde des Meeres, von einer leisen Dämmerung, die sich über ein herbstendes Land senkt, von einer weiten, einsamen Heide, auf der die Nebel brauen, von einer vom Monde durchfluteten Waldlichtung, auf der ein Geweihter röchelnd verendet ... und doch zieht sich durch das alles ein tiefes, tiefes, unsagbar seliges Glück, eine Stimmung, in der die Seele leise vergehen, sich unmerklich auseinanderlösen möchte ...

Du glaubst nun sicher, ich bin verliebt, aber ich denke gar nicht daran. Ich frage mich nur immer wieder, woher die Prinzessin, das achtzehnjährige Kind, diese schwermütigen Augen hat, die mich immer wieder enthusiasmieren, die mich Tag und Nacht ansehen. Ich will dir etwas gestehen, Hug, du bist ja weit ab vom Schuß: Ich fürchte mich vor der Sophie ...

Es ist wirklich lächerlich. Ich muß mich einmal recht deutlich aussprechen, ganz analysieren, um klar zu werden.

Also zunächst bin ich doch zu gar keiner Liebe fähig, weil ich mit zu offenen Augen durch die Welt ging. Dann bin ich ein Mann, der die anerkannt schönsten Frauen der Alten und Neuen Welt studierte, in Berlin, Paris und Neuyork, junge, alte, große, kleine, reiche und arme, erlauchte, hochgeborene, hochwohlgeborene und überhaupt nicht geborene. Auch hier auf dem Hauptrendezvousplatze der »Welt« öffnen sich mir alle Pförtchen, versucht man mich in Netze zu locken. Hochgebildete, schöne und geistreiche Frauen könnten um mich sein, wenn ich nur wollte. Und ich, der ich mich mit jungen Mädchen nur gönnerisch, auch herzlich, aber im Gefühl einer weiten, weiten Distanz unterhielt, reite täglich zwei Stunden und länger mit einem achtzehnjährigen Dinge spazieren, erzähle ihr wie einem vertrauten Freunde aus meinem Leben, von euch, und, was das sonderbarste ist, ich versuche, sie in meine Sprache, in die Musik einzuweihen.

Du wirst es wohl kaum für möglich halten, daß ich meine Augen jetzt an den schwunglosen Linien einer fast zu schlanken Mädchengestalt erfreue, daß mein frostiges Herz warm durchrieselt wird durch einen Blick ihrer Augen, durch die weichen Töne ihrer Stimme, die mich kosend und schmeichelnd umflattern, oder durch die unnachahmliche Grazie einer nichtigen Armbewegung. Sollte dies Jahr im Süden die Renaissance meiner Empfindungen bergen?

Wir reiten oft weit in die Berge, die Prinzessin und ich.

*

In acht Tagen wird der Große Preis in Cannes gelaufen, vielleicht treffe ich Bekannte aus Deutschland. Vichien bat mich, einen Ritt in der internationalen Steeplechase auf einem seiner Pferde zu übernehmen. Soll ein sehr gutes, chancenreiches Pferd sein, aber unsicherer Springer. Ich habe noch keine bestimmte Antwort gegeben, da ich erst die Ärzte fragen muß, auch erst Erkundigungen einziehen will, was für Leute mitreiten. Die Prinzessin freut sich schon sehr, vielleicht tue ich ihr den Gefallen.

Übrigens habe ich mir ein Töff-Töff erstanden. Nicht so einen alten Klapperkasten wie den deinen, sondern einen großen achtzigpferdigen Mercedes-Wagen. Eigentlich doch eine lächerliche Protzerei. Mais enfin, wie dein guter Pfarrer immer sagt, wenn er eine elegante Schlußwendung sucht, mais enfin, für wen soll man seine Revenüen auf die hohe Kante legen? Chauffeur und Diener tragen Blaugelb, wie einst am Mittelmeer die Knappen Hugdieterichs des Frommen, als er mit seinem Kaiser gen Rom zog.

Die Großherzogin, die sich nicht von ihrem alten Leibkutscher trennen will, bat ich, den Wagen fleißig zu benutzen, und zum Entzücken der hohen Herrschaften und zu meiner größten Freude sausten wir an einem der nächsten Tage zunächst nach Cannes, frühstückten dort und fuhren dann in die bewaldeten Ausläufer der Seealpen, in das eigentliche Südfrankreich hinein. Es war eine herrliche Fahrt unter dem klaren, weithin blauenden Himmel. Infolge der nächtlichen Niederschläge waren die Straßen staubfrei, und fast geräuschlos glitten wir in dem sanftlaufenden Wagen zu Berg, zu Tal. Auf dem Rückwege umkreisten wir das Kap Gil, das erste der unzähligen, die die beiden Rivieren entlang in das Meer springen. Dann rasten wir auf der ebenen, breiten Chaussee, die schließlich in die Promenade des Anglais übergeht, dahin. Der Chauffeur hatte schon eine größere Geschwindigkeit eingeschaltet, und ich hatte eben im Bewußtsein meiner riesigen Verantwortung ein »Langsamer« auf den Lippen, da jauchzte die Prinzessin laut auf, riß mit beiden Händen den Autoschleier vom Gesicht und lachte, während ihr der scharfe Luftzug die Worte nahm, den alten Beserbeck aus, der bleich und mit geschlossenen Augen dem sicheren Tode entgegensah. Auch die Großherzoginmutter lächelte gnädig. Ich hatte sie in diesem Augenblick lieb, wie sie mir da gegenüber saß, das feine Batisttuch an den Schleier drückte und mit starken Nerven den Genuß der tollen Fahrt in sich aufnahm. Die Reutters hatte einen der Rückfauteuils inne und infolgedessen den starken Luftzug im Rücken. Da sie keine Ahnung von der eventuellen Gefahr hatte, sah sie nur erstaunt den vorbeiflitzenden Bäumen nach und fand die zugekniffenen Augen der Prinzessin »komisch«, wie sie nachher sagte. Alles, was sich ihrem Horizonte entzieht, findet sie komisch.

Es dämmerte bereits stark, als wir den hohen Herrschaften aus dem Wagen halfen. Die Prinzessin war heiterster Laune, deutete mit der Hand auf die großen goldenen Buchstaben über dem Portal und rief übermütig: » Vive la joie!« Ich wurde zum Essen befohlen und war der einzige Gast.

Der Haushofmeister hatte mir eben Pelz und Zylinder abgenommen, während sich der Hofmarschall krampfhaft bemühte, mir Elogen über die Sicherheit des Automobils zu sagen. Und während ich vor dem hohen Vestibülspiegel stand und versuchte, meiner Frackkrawatte etwas gefälligere Formen zu geben, schlüpfte die Prinzessin herein, sah meine vergeblichen Anstrengungen und hatte mir im Nu zum Entsetzen des alten Beserbeck eine Schleife gebunden. Was ich in dieser Minute empfand, als der Duft ihres schweren Haares meine Sinne aus nächster Nähe umgaukelte, als ich den schalkhaften Blick, das leicht verlegene Erröten in mich einsog ... ich glaube, selbst meine Sprache versagte ...


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