Heinrich von Treitschke
Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts – Erster Band
Heinrich von Treitschke

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Die letzten Reformen Hardenbergs

Derweil die Wiener Konferenzen den Sisyphusstein der Bundesverfassung auf und nieder wälzten, gelangte in Berlin eine Arbeit zum Abschluß, die außerhalb Preußens, wenig beachtet für Deutschlands Zukunft, ungleich folgenreicher werden sollte als alle Verhandlungen der Bundespolitik. Der greise Staatskanzler legte die letzte Hand an das Werk der inneren Reformen. Wie zuversichtlich blickte er wieder ins Leben, seit er den verhaßten Humboldt in den Sand geworfen hatte. Er fühlte sich wie verjüngt, alle die stolzen Hoffnungen der ersten Jahre seiner Kanzlerschaft wurden ihm wieder lebendig. Wie er damals als ein Diktator den Staat zweimal mit einem ganzen Füllhorn neuer Gesetze überschüttet hatte, so dachte er jetzt die Neuordnung des Staatshaushaltes mit einem Schlage zu beendigen. Eine Kommission des Staatsrats unter dem Vorsitz von Klewitz und Bülow hatte mittlerweile die Entwürfe der neuen Steuergesetze vollendet, eine andere unter der eigenen Leitung des Staatskanzlers den Stand des Staatshaushaltes und des Schuldenwesens geprüft. In jener war J. G. Hoffmann, in dieser C. Rother der leitende Kopf, beide Männer zählten zu Hardenbergs nächsten vertrauten, und er betrachtete ihre Arbeiten als sein persönliches Werk. – – (68.) Fast noch wichtiger als der finanzielle war der politische Inhalt des Staatsschuldengesetzes, das nach Hardenbergs Ansicht nicht bloß die Ordnung im Staatshaushalte wiederherstellen, sondern auch den Abschluß des Verfassungskampfes sichern sollte. Im dritten Artikel der Verordnung stand hinter der Bestimmung, daß der Staat mit allen seinen Domänen für die Schuld Gewähr leiste, der unscheinbare Zusatz: »Mit Ausnahme der Domänen, welche zur Aufbringung des jährlichen Bedarfs von 2,5 Mill. für den Unterhalt der königlichen Familie erforderlich sind.« Mit diesem beiläufigen Satze vollzog sich eine folgenreiche Veränderung des preußischen Staatsrechts. Die Krone hatte bisher die Bedürfnisse des Hofhalts nach freiem Ermessen aus den Domanialeinkünften bestritten; jetzt schrieb sie sich selber ein unüberschreitbares Jahreseinkommen vor, eine bescheiden bemessene Summe, die nur bei knapper Wirtschaft ausreichte, da die Ausgaben des Hofes durch die Erwerbung der neuen Provinzen beträchtlich gestiegen waren. Der absolute König bezog also fortan, gleich den konstitutionellen Fürsten, eine gesetzliche Zivilliste; indes wurde der verrufene moderne Name vermieden und das königliche Einkommen nicht, wie in mehreren der süddeutschen Staaten, bloß für die Lebenszeit des Landesherrn, sondern ein für allemal festgestellt, was der Würde des Thrones besser entsprach. Die Prinzen erhielten auch keine Apanagen vom Staate, sondern der König blieb, den Traditionen der Hohenzollern gemäß, das unbeschränkte Oberhaupt des königlichen Hauses, er bestimmte den Mitgliedern der Dynastie ihr Einkommen nach alten Vorschriften und Testamenten, die als Familiengeheimnis behandelt wurden. Damit ward ein schweres Hindernis der Verfassung aus dem Wege geräumt, da Friedrich Wilhelm so unziemliche Verhandlungen, wie sie der badische Landtag über das Einkommen des Fürstenhauses geführt, nie ertragen hätte, und zugleich den künftigen Reichsständen ein wirksames Recht gewährt; denn ohne deren Genehmigung durfte die Krone fortan die zur Verzinsung und Tilgung der Staatsschuld bestimmten Domanialeinkünfte nicht mehr schmälern.

Das ganze Schuldenwesen sollte künftighin den Reichsständen untergeordnet werden; nur unter ihrer Mitgarantie, so versprach der Artikel 2, konnte der König neue Anleihen aufnehmen. Bis ins einzelne wurden die Rechte der reichsständischen Versammlung im voraus bestimmt. Die Schuldenverwaltung erhielt den Auftrag, den Reichsständen jährlich Rechenschaft abzulegen; schied eines ihrer Mitglieder aus, so hatten die Reichsstände dem Könige drei Kandidaten zu bezeichnen. Einstweilen sollte der Staatsrat die ständischen Rechte ausüben; zur Aufbewahrung der eingezogenen Obligationen aber wurde vorläufig, bis zur Einberufung des allgemeinen Landtags, eine Deputation des Berliner Magistrats hinzugezogen – eine Vorschrift, die, seltsam und willkürlich wie sie war, offenbar nur als Notbehelf für kurze Zeit dienen sollte. Alle diese Zusagen hatte der König unbedenklich genehmigt. Der Staatskanzler glaubte sich schon fast am Ziele seiner Wünsche. Nach allen diesen neuen Verheißungen schien die Vollendung der Verfassung unausbleiblich, und mit schwerem Herzeleid betrachtete der Badener Berstett, der Getreue Metternichs, dies unglückliche Edikt, das so schlimme Mißdeutungen veranlassen müsse. Wohl war es ein gefährliches Wagnis, daß Hardenberg wieder wie so oft schon das königliche Wort für eine unbekannte Größe verpfändete, die Rechte der Krone zugunsten eines Reichstags, der noch gar nicht bestand, im voraus beschränkte. Indes, er hoffte jetzt bestimmt den allgemeinen Landtag schon in Jahresfrist zu eröffnen, und bis dahin konnte man eine neue Anleihe sicher vermeiden, selbst wenn ein Krieg über Nacht hereinbrach, besaß der Staat noch einen Notpfennig an den zurückbehaltenen Staatsschuldscheinen. Die Zusage der ständischen Mitwirkung war auch durch finanzielle Rücksichten geboten; denn nur darum fand das Schuldenedikt bei der Geschäftswelt eine so günstige Aufnahme. Selbst Rother, der keineswegs zu den liberalen Parteimännern gehörte, erklärte offen, ohne Reichsstände könne der öffentliche Kredit nicht mehr auf die Dauer gesichert werden.

Die Hoffnungen der Verfassungsfreunde begannen sich wieder zu beleben. Marwitz aber meinte, durch die neue Zivilliste und den Verkauf der Domänen verliere der König seine Wurzel im Staate, während umgekehrt der liberale Schön klagte, seit der Errichtung des Kronfideikommisses sei der Monarch nur noch der erste der Landjunker. Nach der Ansicht des Führers der Brandenburgischen Adelspartei hätte man einfach die Staatsschuld auf ein Drittel oder ein Zehntel ihres Nennwertes herabsetzen sollen, da die Zinsen doch nur den Wucherern den Beutel füllten. Und zu allem Unheil vollzog der Staatskanzler gleichzeitig mit dem Schuldenedikte den längst vorbereiteten notwendigen Eingriff in die ständischen Institutionen Brandenburgs. Da der Staat mit der gesamten Staatsschuldenmasse auch die alte bisher von den Ständen der Kurmark verwaltete brandenburgische Staatsschuld wieder selbst übernahm, so wurde die kurmärkische Landschaft mitsamt ihren Biergelds-, Hufen- und Giebelschoßkassen von Rechts wegen aufgehoben. »Die sonstigen ständischen Verhältnisse«, erklärte der König, »sollten dadurch nicht berührt, sondern später auf Grund der Verordnung vom 22. Mai neu geregelt werden.« Als die Ritterschaft in einer höchst unehrerbietigen Vorstellung ihre angeblich verletzten Rechte verwahrte, erteilte ihr der Monarch eine scharfe Rüge. Der Oberpräsident nahm das Berliner Landhaus in Besitz; die Führer der Ritterschaft verweigerten jede Mitwirkung, allen voran der alte Minister Voß-Buch. Also erschien Hardenberg wieder, wie vor neun Jahren, als der rücksichtslos entschlossene Bändiger des märkischen Adels. Friedlich Buchholz aber, der früher die Herrlichkeit märkischer Ständefreiheit gepriesen, hielt nunmehr für zeitgemäß, in der »Neuen Monatsschrift für Deutschland« zu beweisen, daß die Wiederherstellung der alten Zustände unmöglich sei; nur eine wirkliche Volksvertretung könne der neuen Zeit genügen.

Auch der ständische Partikularismus der rheinisch-westfälischen Edelleute begegnete kalter Ablehnung. Sie waren vor kurzem von dem Justizminister abgewiesen worden, als sie um Wiederherstellung des privilegierten Gerichtsstandes baten. Jetzt beschwerten sich die Stände der Grafschaft Mark, an ihrer Spitze abermals der rastlose Bodelschwingh-Plettenberg, über die neuen Steuern und verlangten »Fixation der Steuern für die Grafschaft Mark, um dadurch den unseligen Immoralitäten, dem Untergange so vieler Familien und des Bodenbaues, ja dem Verfall der ganzen Provinz vorzubeugen«. Den Einwand, daß die Fixation der Branntweinsteuer ohne Absperrung der Provinz sich nicht durchführen lasse, beseitigten sie mit der einfachen Versicherung, bei den hohen Getreidepreisen der Grafschaft sei Branntweinausfuhr dort »nie gedenkbar«. Der König erwiderte, er könne nicht eingehen auf »den Antrag, den Sie in Gemeinschaft mit einigen andern Gutsbesitzern und Städtebewohnern der Grafschaft Mark an Mich haben gelangen lassen,« und ermahnte, »die Opfer darzubringen, welche die Notwendigkeit und das Wohl des gemeinsamen Vaterlandes erfordern«. Darauf eine neue Eingabe: »Schmerzhaft war es, hier zum ersten Male unsere Eigenschaft als Stände beseitigt zu sehen.« Der Staatskanzler blieb unerschütterlich und stellte endlich, wie früher erzählt, am 10. Mai den allgemeinen Grundsatz auf: Der Staat erkenne die von der Fremdherrschaft aufgehobenen Stände nicht mehr an.

So schien denn der altständischen Bewegung wieder der feste Wille der Majestät des Staats entgegenzutreten. Auch das unselige Mißtrauen, das Metternichs und Wittgensteins Einflüsterungen in der Seele des Monarchen erweckt, verschwand zuzeiten. Als die Berliner Stadtverordneten einen großen Verein zu bilden dachten, der durch freiwillige Beiträge die Staatsschuld abtragen sollte, lehnte der König (2. März) das naive Anerbieten als unnötig ab und dankte gerührt: »Ich weiß, daß ich auf die standhafte Ergebenheit meiner treuen Untertanen, wie sie solche in der jüngstverflossenen Zeit zum unsterblichen Ruhme des preußischen Namens gegen mich und das Vaterland bewiesen haben, mit Vertrauen und Zuversicht zählen kann.« Die hellen herzbewegenden Klänge aus dem Jahre 1813 tönten wieder in die verstimmte und verbitterte Zeit hinein. (76-79.)


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