Heinrich von Treitschke
Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts – Erster Band
Heinrich von Treitschke

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Die Burschenschaft

Das Wartburgfest

Das Jubelfest der Reformation erweckte überall unter den Protestanten ein frohes Gefühl dankbaren Stolzes; auch Goethe sang in diesen Tagen: »Ich will in Kunst und Wissenschaft wie immer protestieren.« Die Studentenschaft ward von dieser Stimmung der Zeit um so stärker ergriffen, da ihr der christlich-protestantische Enthusiasmus des Befreiungskrieges noch in der Seele nachzitterte. Als der Gedanke eines großen Verbrüderungsfestes der deutschen Burschen zuerst in Jahns Kreise aufgetaucht war, beschloß die Jenenser Burschenschaft, den Versammlungstag auf den 18. »des Siegesmonds« 1817 zu verlegen, um damit zugleich das Jubelfest der Reformation und die übliche Jahresfeier der Leipziger Schlacht zu verbinden. Armin, Luther, Scharnhorst, alle die hohen Gestalten der Führer des Deutschtums gegen das welsche Wesen flossen in den Vorstellungen der jungen Brauseköpfe zu einem einzigen Bilde zusammen. Den Radikaleren galt Luther als ein republikanischer Held, als ein Vorkämpfer der freien »Überzeugung«; in einer Festschrift von Karl Sand, die unter den Burschen verteilt ward, erschien die evangelische Lehre von der Freiheit des Christenmenschen mit modern-demokratischen Ideen phantastisch verbunden. »Hauptidee unseres Festes«, hieß es da, »ist, daß wir allzumal durch die Taufe zu Priestern geweiht, alle frei und gleich sind; Urfeinde unseres deutschen Volkstums waren von jeher drei: die Römer, Möncherei und Soldaterei.« Dadurch ward freilich der gesamtdeutsche Charakter des Festes von vornherein getrübt. Die katholischen Universitäten des Oberlandes, die ohnehin mit den norddeutschen noch keinen regelmäßigen studentischen Verkehr unterhielten, konnten keine Einladung erhalten; die Freiburger Burschen mußten für sich allein am 18. Oktober auf dem Wartenberge bei Donaueschingen ihr Siegesfeuer anzünden. Von den österreichischen Hochschulen war nicht die Rede, da sie dem deutschen Studentenbrauche ganz fern standen, auch, mit Ausnahme der Siebenbürger Sachsen und weniger Ungarn, noch fast kein Österreicher in Deutschland studierte. Aber auch auf den preußischen Universitäten hatte die Burschenschaft noch so wenig Anhang, daß allein Berlin der Einladung Folge leistete. So war denn bei der Feier der Völkerschlacht gerade die Studentenschaft der beiden Staaten, welche allein schon bei Leipzig für die Sache der Freiheit gefochten, fast gar nicht vertreten; und alle die wundersamen Märchen, womit die Liberalen der rheinbündischen Länder die Geschichte des Befreiungskrieges auszuschmücken liebten, fanden freien Paß.

Schon lange zuvor hatte die Presse mit mächtigen Trompetenstößen den großen Tag angekündigt. Eine freie Zusammenkunft von Deutschen aller Länder, allein um des Vaterlandes willen, war diesem Geschlechte eine so erstaunliche Erscheinung, daß sie ihm fast wichtiger vorkam als die weltbewegenden Ereignisse der letzten Jahre. Im Laufe des 17. Oktober langten an fünfhundert Burschen in Eisenach an, etwa die Hälfte aus Jena, dreißig aus Berlin, die übrigen aus Gießen, Marburg, Erlangen, Heidelberg und andern Universitäten der Kleinstaaten; die rüstigen Kieler hatten nach Turnerbrauch den weiten Weg zu Fuß zurückgelegt. Auch vier der Jenenser Professoren fanden sich ein, Fries, Oken, Schweitzer und Kiefer. Jede neu eintreffende Schar ward schon am Tore mit stürmischer Freude begrüßt und dann in den »Rautenkranz« geleitet, um dort vor den gestrengen Herren des Ausschusses auf dreitägigen Burgfrieden Urfehde zu schwören. Andern Tags in der Frühe stieg »der heilige Zug« bei hellem Herbstwetter durch den Wald hinauf zu der Burg des Reformators: voran der Burgvogt Scheidler mit dem Burschenschwerte, darauf vier Burgmänner, dann, von vier Fahnenwächtern umgeben, Graf Keller mit der neuen Burschenfahne, welche die Jenenser Mädchen ihren sittenstrengen jungen Freunden kürzlich gestickt hatten, dann endlich die Burschen Paar an Paar, viele schöne germanische Reckengestalten darunter, mancher im Vollbart, was bei ängstlichen Gemütern schon als ein Zeichen hochverräterischer Gesinnung galt. Allen lachte die Freude aus den Augen, jene glückliche Selbstvergessenheit der Jugend, die noch ganz im Genusse des Augenblicks aufzugehen vermag; ihnen war, als ob ihnen heute zum ersten Male die Herrlichkeit ihres Vaterlandes leibhaftig entgegenträte.

Droben im Rittersaale der Wartburg, den der Großherzog gastfreundlich geöffnet hatte, wurde zuerst unter Pauken- und Trommelschall »Ein feste Burg ist unser Gott« gesungen. Darauf hielt der Lützower Riemann aus der Fülle seines ehrlichen Herzens heraus eine Festrede, die in hochpathetischen überschwenglichen Sätzen von den Taten Luthers und Blüchers sprach und dann bei den Geistern der erschlagenen Helden die Burschen mahnte zum »Streben nach jeglicher menschlichen und vaterländischen Tugend«. Einige der landläufigen Schlagwörter von den vereitelten Hoffnungen des deutschen Volks und dem einen Fürsten, der sein Wort gelöst, liefen zwar mit unter; das Ganze war ein jugendlich unklarer, durchaus harmloser Gefühlserguß, ebenso vieldeutig und unbestimmt, wie die neue Losung Volunto!, welche die Burschen gern im Munde führten. Auch was nachher noch von Professoren und Studenten geredet ward, ging nicht über dies Maß hinaus, selbst Oken sprach mit ungewohnter Selbstbeherrschung und warnte die jungen Leute vor einer verfrühten politischen Tätigkeit.

Nach dem Mittagsmahle gingen die Burschen zur Stadt hinab in die Kirche, wo auch der Eisenacher Landsturm dem Gottesdienste beiwohnte; dann gaben noch die Kämpen des Berliner und des Jenenser Turnplatzes den staunenden Landstürmern ihre Künste zum besten. Als die Dämmerung hereinbrach, zog man mit Fackeln wieder hinauf nach dem Wartenberge, der Wartburg gegenüber, wo mehrere große Siegesfeuer brannten, die mit patriotischen Reden und Liedern begrüßt wurden. Bis dahin war das Fest in glücklicher Eintracht verlaufen; hier aber ward zum ersten Male offenkundig, daß sich bereits eine kleine extreme Partei innerhalb der Burschenschaft gebildet hatte: jene fanatischen Urteutonen aus Jahns Schule, die man die Altdeutschen nannte. Diese köstliche Gelegenheit für eine fratzenhafte Eulenspiegelei konnte sich der Turnmeister doch nicht entgehen lassen. Er regte zuerst den Gedanken an, dies Lutherfest durch eine Nachäffung der kühnsten Tat des Reformators zu krönen und, wie einst Luther die Bannbulle des Papstes verbrannt hatte, so jetzt die Schriften der Feinde der guten Sache ins Feuer zu werfen. Da die Mehrheit des Festausschusses, klüger als der Alte, den Vorschlag ablehnte, gab Jahn gleichwohl seinen Berlinern ein Verzeichnis der zu verbrennenden Bücher mit auf den Weg, und diese Getreuen, Maßmann voran, beschlossen, nunmehr den Plan des Meisters auf eigene Faust auszuführen, was der Ausschuß um des Friedens willen nicht geradezu verbieten wollte. Kaum war auf dem Wartenberge das letzte ernste Lied der die Flammen umringenden Burschen verklungen und die eigentliche Feier beendet, so trat Maßmann plötzlich hervor und forderte in einer schwülstigen Rede die Brüder auf, zu schauen, wie nach Luthers Vorbilde in zehrendem Fegefeuer Gericht gehalten werde über die Schandschriften des Vaterlandes. Jetzt sei die heilige Stunde gekommen, »daß alle deutsche Welt schaue, was wir wollen; daß sie wisse, wes sie dereinst sich von uns zu versehen habe«.

Darauf trugen seine Gesellen einige Ballen alten Druckpapieres herbei, die mit den Titeln der verfehmten Bücher beschrieben waren. Auf eine Mistgabel aufgespießt flogen dann die Werke der Vaterlandsverräter unter tobendem Gejohle in das höllische Feuer: eine wunderlich gemischte Gesellschaft von etwa zwei Dutzend guten und schlechten Büchern, alles was gerade in jüngster Zeit den Zorn der »Isis« und ähnlicher Blätter hervorgerufen hatte. Da brannten Wadzeck, Scherer und, der Vollständigkeit halber, gleich »alle andern schreibenden, schreienden und schweigenden Feinde der löblichen Turnkunst«, desgleichen die »Alemannia« »und alle andern das Vaterland schändenden und entehrenden Zeitungen«; dann natürlich drei Schriften von dem verhaßten Schmalz (»Gänse-, Schweine- und Hundeschmalz« brüllte der Chor) und der Kodex der Gendarmerie von seinem Genossen Kamptz. Neben dem Code Napoléon, Kotzebues Deutscher Geschichte und Saul Aschers Germanomanie, der ein »Wehe über die Juden« nachgerufen ward, wanderte auch Hallers Restauration in die Flammen: – »Der Gesell will keine Verfassung des deutschen Vaterlandes«, hieß es zur Erläuterung, da doch keiner von den Burschen das ernste Buch gelesen hatte. Aber auch die Liberalen Benzenberg und Wangenheim mußten den Grimm der Jugend erfahren, weil die Jenenser Publizisten ihre Schriften nicht verstanden. Zuletzt wurden noch ein Ulanenschnürleib, ein Zopf und ein Korporalstock verbrannt, als »Flügelmänner des Gamaschendienstes, die Schmach des ernsten heiligen Wehrstandes«, und mit einem dreimaligen Pere-Pereat auf »die schuft'gen Schmalzgesellen« gingen die Fehmrichter auseinander.

Es war eine unbeschreiblich abgeschmackte Posse, an sich nicht ärger als viele ähnliche Ausbrüche akademischer Roheit, bedenklich nur durch den maßlosen Hochmut und die jakobinische Unduldsamkeit, die sich in den Schimpfreden der jungen Leute ankündigten. Darum sprach sich Stein in den schärfsten Worten über »die Fratze auf der Wartburg« aus, und der immer schwarzsichtige Niebuhr schrieb besorgt: »Freiheit ist ganz unmöglich, wenn die Jugend ohne Ehrerbietung und Bescheidenheit ist.« Seine Wahrhaftigkeit fühlte sich angeekelt von dieser »religiösen Komödie«: dort der kühne Reformator, der sich gegen die höchste und heiligste Gewalt der Zeit empörte, und hier das ungefährliche Feuergericht großsprecherischer junger Burschen über eine Reihe von Schriften, woraus sie kaum eine Zeile kannten – welch ein lächerlicher Kontrast! Auf der Burschenversammlung am nächsten Tage sprachen die Studenten wieder ruhiger, verständiger mindestens als ihr Lehrer Fries, der ihnen eine unglaublich geschmacklose, von mystischer Bibelweisheit und sachsen-weimarischem Freiheitsdünkel strotzende Rede schriftlich zurückgelassen hatte: »Kehret wieder zu den eurigen und saget: Ihr waret im Lande deutscher Volksfreiheit, deutscher Gedankenfreiheit ... Hier lasten keine stehenden Truppen! Ein kleines Land zeigt euch die Ziele! Aber alle deutschen Fürsten haben dasselbe Wort gegeben usw.« Wahrlich, Stein wußte wohl, warum er die Jenenser Professoren als faselnde Metapolitiker verdammte, und Goethe nicht minder, warum er seinen Fluch aussprach über alles deutsche politische Gerede; denn was ließ sich von der Jugend erwarten, wenn ihr gefeierter Lehrer die vierundzwanzig weimarischen Husaren dem übrigen Deutschland als ruhmreiches Vorbild darstellte! Dieselbe widerliche Vermischung von Religion und Politik, die schon aus Fries' Rede sprach, offenbarte sich dann noch einmal am Nachmittage, als einige der Burschen auf den Einfall kamen, noch das Abendmahl zu nehmen. Der Superintendent Nebe gab sich in der Tat dazu her, den aufgeregten und zum Teil angetrunkenen jungen Männern das Sakrament zu spenden – ein charakteristisches Probestück jener jämmerlichen Schlaffheit, welche die weltlichen wie die geistlichen Behörden der Kleinstaaterei in unruhigen Tagen immer ausgezeichnet hat.

Trotz aller Torheiten einzelner war die Feier im ganzen harmlos, glücklich, unschuldig. Als man am Abend unter strömenden Tränen sich trennte, blieb den meisten eine Erinnerung für das ganze Leben, strahlend wie ein Maientag der Jugend – so gesteht Heinrich Leo; sie hatten sich brüderlich zusammengefunden mit den Genossen aus Süd und Nord, sie meinten, die Einheit des zerrissenen Vaterlandes schon mit Händen zu greifen, und wenn die öffentliche Meinung verständig genug war, die jungen Feuerköpfe sich selber und ihren Träumen zu überlassen, so konnten die guten Vorsätze, welche mancher wackere Jüngling in jenen erregten Stunden gefaßt hatte, noch heilsame Früchte bringen. (424-428.)


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