Heinrich von Treitschke
Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts – Erster Band
Heinrich von Treitschke

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Friedrich der Große und der deutsche Dualismus

Nicht Friedrich hat den deutschen Dualismus geschaffen, wie Mit- und Nachwelt ihm vorwarf; der Dualismus bestand seit Karl V., und Friedrich war der erste, der ernstlich ihn zu vernichten versuchte. Sobald die Verständigung mit dem Wiener Hofe sich als unmöglich erwies, faßte der König den kühnen Gedanken, die Kaiserkrone für immer dem Hause Österreich zu entwinden und also das letzte Band zu zerreißen, das diese Dynastie noch an Deutschland kettete. Er näherte sich den bayrischen Wittelsbachern, dem einzigen unter den mächtigeren deutschen Fürstengeschlechtern, das gleich den Hohenzollern nur deutsche Lande beherrschte und gleich ihnen in Österreich seinen natürlichen Gegner sah; er begründete zuerst jenes Bündnis zwischen den beiden größten rein deutschen Staaten, das sich seitdem so oft, und immer zum Heile für das Vaterland erneuert hat. Der Kurfürst von Bayern empfing die kaiserliche Würde, und Friedrich hoffte diesem neuen Kaisertume, das er selber »mein Werk« nannte, an der Krone Böhmen einen festen Rückhalt zu sichern.

Und alsbald erwachte in Berlin wie in München wieder jener rettende Gedanke der Säkularisation, der sich allezeit unabwendbar aufdrängte, sobald man die heilende Hand legte an den siechen Körper des Reichs. Es war im Werke, die Macht der größeren weltlichen Reichsstände, welche Friedrich als die allein lebensfähigen Glieder des Reichs erkannte, auf Kosten der theokratischen und republikanischen Territorien zu verstärken; eine rein weltliche Staatskunst schickte sich an, die politischen Ideen der Reformation zu verwirklichen. Einige geistliche Gebiete Oberdeutschlands sollten säkularisiert, auch mehrere Reichsstädte den benachbarten fürstlichen Gebieten zugeschlagen werden. Mit gutem Grunde klagte Österreich, wie schwer dies von Preußen geleitete bayrische Kaisertum den Adel und die Kirche zu schädigen drohe. Traten jene unfertigen Gedanken ins Leben, so war der deutsche Dualismus nahezu beseitigt, die Reichsverfassung, selbst wenn ihre Formen blieben, in ihrem Wesen umgestaltet; Deutschland wurde ein Bund weltlicher Fürsten unter Preußens beherrschendem Einfluß; die geistlichen Staaten, die Reichsstädte, der Schwarm der kleinen Grafen und Herren, des habsburgischen Rückhalts beraubt, verfielen dem Untergange, und das Trutzdeutschland im Herzen des Reichs, die Krone Böhmen, ward für die germanische Gesittung erobert. So konnte Deutschland aus eigener Kraft jene notwendige Revolution vollziehen, die ihm zwei Menschenalter später der Machtspruch des Auslandes schimpflich auferlegt hat. Aber das Haus Wittelsbach, ohnehin dem deutschen Leben entfremdet durch die erbliche Verbindung mit Frankreich wie durch die Härte katholischer Glaubenseinheit, erwies in großer Zeit eine klägliche Unfähigkeit; der Nation fehlte jedes Verständnis für die verheißungsvolle Gunst des Augenblicks. Auf einer Rundreise durch das Reich gewann der König einen so trostlosen Einblick in die Zwietracht, die Habgier, die sklavische Angst der kleinen Höfe, daß er für immer seine deutschen Hoffnungen herabzustimmen lernte; auch seine eigene Macht reichte noch nicht aus, den tapferen Widerstand der Königin von Ungarn gänzlich zu brechen. Der Zweite Schlesische Krieg endete trotz der Triumphe von Hohenfriedberg und Kesselsdorf mit der Wiederherstellung des österreichischen Kaisertums. Das Reich verblieb in seiner verfassungslosen Zerrüttung, Franz von Lothringen bestieg den Kaiserthron nach dem Tode Karls VII., und von neuem schloß sich der alte Bund zwischen Österreich und der katholischen Reichstagsmehrheit.

Die Lösung des deutschen Dualismus war mißlungen; schroffer, feindseliger denn je zuvor gingen die Parteien im Reiche auseinander. Gleichwohl blieb dem Könige ein dauernder Gewinn gesichert: die Großmachtstellung Preußens. Er hatte Bayern vom Untergange gerettet, die Macht seines eigenen Landes um mehr als ein Drittel verstärkt, die lange Kette habsburgisch-wettinischer Gebiete, welche den preußischen Staat im Süden und Osten umschloß, mit einem kühnen Stoße zersprengt, das stolze Kaiserhaus zum ersten Male vor einem Reichsfürsten tief gedemütigt. Er dankte alle seine Siege allein der eigenen Kraft und trat den alten Mächten mit so festem Stolze entgegen, daß selbst Horatio Walpole gestehen mußte, dieser Preußenkönig halte jetzt die Wage des europäischen Gleichgewichts in seinen Händen. Sachsen, Bayern, Hannover, alle die Mittelstaaten, welche soeben noch mit der Krone Preußen gewetteifert, wurden durch die schlesischen Kriege für immer in die zweite Reihe zurückgeworfen, und hoch über den zahllosen kleinen Gegensätzen, die das Reich zerklüfteten, erhob sich die eine Frage: Preußen oder Österreich? Die Frage der deutschen Zukunft war gestellt. Der König blickte jetzt aus freier Höhe auf das Gewimmel der deutschen Reichsstände hernieder, gab auf beleidigende Zumutungen gern die spöttische Antwort, ob man ihn etwa für einen Herzog von Gotha oder für einen rheinischen Fürsten halte; er spielte bereits, den kleinen Nachbarn gegenüber, die Rolle des wohlmeinenden Gönners und Beschützers, die er in seinem Anti-Machiavell als die schönste Pflicht des Starken bezeichnet hatte, und schon sammelte sich am Reichstage eine kleine preußische Partei, die norddeutschen Höfe begannen ihre Prinzen im Heere des Königs dienen zu lassen.

Unterdessen verwuchs die neue Erwerbung überraschend schnell mit der Monarchie; der Staat erprobte zum ersten Male auf einem weiten Gebiete jene starke Anziehungs- und Anbildungskraft, die er seitdem in deutschen und halbdeutschen Landen überall bewährt hat. Die frischen Kräfte der modernen Welt hielten ihren Einzug in die verwahrloste, unter ständischem und geistlichem Drucke darniedergehaltene Provinz; das monarchische Beamtentum verdrängte die Adelsherrschaft, das strenge Recht den Nepotismus, die Glaubensfreiheit den Gewissenszwang, das deutsche Schulwesen den tiefen Seelenschlaf pfäffischer Bildung; der träge knechtische Bauer lernte wieder auf ein Morgen zu hoffen, und sein König verbot ihm, den Beamten kniend den Rock zu küssen.

Noch kein anderer Staat hatte in jenem Jahrhundert der Machtkämpfe seinem Wirken so vielseitige, so menschliche Aufgaben gestellt. Erst die friedliche Arbeit der Verwaltung gab der Eroberung Schlesiens die sittliche Rechtfertigung und führte den Beweis, daß jenes vielgescholtene Wagnis eine deutsche Tat gewesen. Das von unheimischen Gewalten schon halb überflutete herrliche Grenzland wurde durch das preußische Regiment dem deutschen Volkstum zurückgegeben. Schlesien war das einzige der deutsch-österreichischen Erblande, wo die Politik der Glaubenseinheit eines vollen Sieges sich nicht rühmen konnte. Mit unüberwindlicher Zähigkeit hatte der leichtlebig heitere deutsche Stamm in den Tälern des Riesengebirges den Bluttaten der Liechtensteinschen Dragoner wie den Überredungskünsten der Jesuiten widerstanden. Die Mehrzahl der Deutschen blieb dem protestantischen Bekenntnis treu. Gedrückt und mißachtet, aller Güter beraubt, fristete die evangelische Kirche ein ärmliches Leben; nur die Drohungen der Krone Schweden verschafften ihr zu den wenigen Gotteshäusern, die ihr geblieben, noch den Besitz einiger Gnadenkirchen. Die katholischen Polen Oberschlesiens und jene tschechischen Kolonisten, die der Kaiserhof zum Kampfe gegen die deutschen Ketzer ins Land gerufen, waren die Stützen der kaiserlichen Herrschaft. Beim Einmarsch des preußischen Heeres erhob das Deutschtum wieder froh sein Haupt; jubelnd erklang in den Gnadenkirchen das Lob des Herrn, der seinem Volke ein Hartes erzeigt hat und ihm jetzund endlich ein Panier aufsteckt. Der Protestantismus gewann unter dem Schutze der preußischen Glaubensfreiheit bald das Bewußtsein seiner geistigen Überlegenheit wieder, das Polentum verlor zusehends an Boden, und nach wenigen Jahrzehnten standen die preußischen Schlesier in Gedanken und Sitten ihren norddeutschen Nachbarn näher als den Schlesiern jenseits der Grenze. Die römische Kirche aber beließ der protestantische Sieger im Besitze fast des gesamten evangelischen Kirchenguts, und während England seine irischen Katholiken zwang, die anglikanische Staatskirche durch ihre Abgaben zu unterhalten, mußte in Schlesien der Protestant nach wie vor Steuern zahlen für die katholische Kirche. Erst die landesverräterischen Umtriebe des römischen Klerus während des Siebenjährigen Krieges nötigten den König zurückzukommen von diesem Übermaße der Schonung, das zu Ungerechtigkeit gegen die Evangelischen führte; doch auch dann noch blieb die katholische Kirche günstiger gestellt als in irgendeinem anderen protestantischen Staate.

Das Aufblühen des schlesischen Landes unter dem preußischen Zepter zeigte genugsam, daß die neue Provinz ihren natürlichen Herrn gefunden hatte, daß die Entscheidung im deutschen Osten unabänderlich gefallen war. Doch unbeirrt hielt der Wiener Hof die Hoffnung fest, die erlittene Schmach zu rächen und den Eroberer Schlesiens wieder in den bunten Haufen der deutschen Reichsstände hinabzustoßen, gleich allen den anderen Vorwitzigen, die sich früherhin der Empörung gegen die alte Kaisermacht erdreistet hatten. Auch König Friedlich wußte, daß der letzte entscheidende Waffengang noch bevorstand. Er versuchte einmal während der kurzen Friedensjahre, den Sohn Maria Theresias von der Kaiserwürde auszuschließen, für die Zukunft mindestens das Reich von dem Hause Österreich zu trennen; der Plan scheiterte an dem Widerspruche der katholischen Höfe. Der unversöhnliche Gegensatz der beiden führenden Mächte Deutschlands bestimmte auf lange hinaus den Gang der europäischen Politik, entzog dem heiligen Reiche die letzte Lebenskraft. Die Nation sah in banger Ahnung einen neuen Dreißigjährigen Krieg heraufziehen, was in der stillen Arbeit schwerer Jahrzehnte langsam gereift war, erschien dem nächsten Menschenalter nur als ein wundersamer Zufall, als das glückliche Abenteuer eines genialen Kopfes. Ganz einsam steht in dem diplomatischen Briefwechsel des Zeitraums jenes Seherwort des Dänen Bernstorff, der im Jahre 1759 traurig an Choiseul schrieb: »Alles, was Sie heute unternehmen, um zu verhindern, daß sich in der Mitte Deutschlands eine ganz kriegerische Monarchie erhebe, deren eiserner Arm bald die kleinen Fürsten zermalmen wird – das alles ist verlorene Arbeit!« Alle Nachbarmächte im Osten und im Westen grollten dem Glücklichen, der aus den Wirren des österreichischen Erbfolgekrieges allein den Siegespreis davongetragen, und wahrlich nicht nur der persönliche Haß mächtiger Frauen wob an dem Netze der großen Verschwörung, das sich über Friedrichs Haupte zusammenzuziehen drohte. Europa fühlte, daß die altüberlieferte Gestalt der Staatengesellschaft ins Wanken kam, sobald die sieghafte Großmacht in der Mitte des Festlandes sich befestigte. Der Römische Stuhl sah mit Sorgen, wie die verhaßte Heimat der Ketzerei ihren eigenen Willen wiederfand; nur durch Roms Mithilfe ist es gelungen, daß die alten Feinde, die beiden katholischen Großmächte Österreich und Frankreich, zum Kampfe gegen Preußen sich vereinten. Es galt, die Ohnmacht Deutschlands zu verewigen.

Durch einen verwegenen Angriff rettete der König seine Krone vor dem sicheren Verderben, und als er nun durch sieben entsetzliche Jahre seinen deutschen Staat am Rhein und Pregel, an der Peene und den Riesenbergen gegen fremde und halbfremde Heere verteidigt hatte und im Frieden den Bestand seiner Macht bis auf das letzte Dorf behauptete, da schien Preußen wieder an derselben Stelle zu stehen wie beim Beginn des mörderischen Kampfes. Kein Fußbreit deutscher Erde war ihm gewonnen, das halbe Land lag verwüstet, die reiche Friedensarbeit dreier Geschlechter war nahezu vernichtet, die unglückliche Neumark begann die Arbeit der Kultur zum vierten Male von vorn. Der König selber konnte niemals ohne Bitterkeit jener schrecklichen Tage gedenken, da das Unglück alle Pein, die ein Mann ertragen mag, bis über das Maß des Menschlichen hinaus, auf seine Schultern häufte; was er damals gelitten, erschien ihm wie die sinnlos boshafte Laune eines tückischen Schicksals, wie ein Trauerspiel ohne Gerechtigkeit und Abschluß. Dennoch lag ein ungeheurer Erfolg in dem Ergebnis des scheinbar so unfruchtbaren Kampfes: die neue Ordnung der deutschen Dinge, die mit der Begründung der preußischen Macht begonnen, hatte sich in der denkbar schwersten Prüfung als eine unwiderrufliche Notwendigkeit erwiesen. Hundert Jahre zuvor vermochte Deutschland nur durch die Kämpfe eines vollen Menschenalters sich der habsburgischen Herrschaft zu erwehren und mußte dann ausländischen Bundesgenossen schmählichen Helferlohn zahlen; jetzt genügten den ärmsten Gebieten des Reichs sieben Jahre, um den Ansturm einer Welt in Waffen abzuschlagen, und deutsche Kraft allein entschied den Sieg, denn die einzige fremde Macht, die dem Könige zur Seite stand, gab ihn treulos preis. Deutschlands Stern war wieder im Aufsteigen; es galt den Deutschen, was in allen Kirchen Preußens frohlockend gebetet ward: »Sie haben mich oft bedränget von meiner Jugend auf, aber sie haben mich nicht übermocht.«

Beim Beginne des zweiten Feldzugs hat Friedrich die stolze Hoffnung gehegt, die Schlacht von Pharsalus gegen das Haus Österreich zu schlagen und vor den Mauern Wiens den Frieden zu diktieren, wie denn diese reiche Zeit überall die ersten Keime der großen Neubildungen einer fernen Zukunft erkennen läßt und auch ein Bund Preußens mit Österreichs anderm Nebenbuhler, mit Piemont, schon versucht wurde. Dann warf die Schlacht von Kollin den König in die Verteidigung zurück, er kämpfte nur noch für das Dasein seines Staates. Was er versuchte, um einen Gegenreichstag zu berufen, eine norddeutsche Union der kaiserlichen Liga entgegenzustellen, ward zunichte an der unbesieglichen Eifersucht der kleinen Höfe und vornehmlich an dem hochmütigen Widerwillen des welfischen Bundesgenossen. Für die Beseitigung des deutschen Dualismus, für einen Neubau des Reichs war die Stunde noch immer nicht gekommen; aber durch die furchtbare Wahrhaftigkeit dieses Krieges wurden die verlebten alten Formen des deutschen Gemeinwesens sittlich vernichtet, der letzte Schleier hinweggerissen von der großen Lüge des Heiligen Reichs. So hirnlos hatte noch nie ein Kaiser an dem Vaterlande gefrevelt, wie dieser lothringische Mehrer des Reichs, der alle Tore Deutschlands den fremden Plünderern auftat, die Niederlande den Bourbonen, die Ostmarken den Moskowitern preisgab. Und derweil der Kaiser seinen Eid mit Füßen trat, seinem Hause jedes Anrecht auf die deutsche Krone verwirkte, spielte zu Regensburg die freche Posse des reichs-rechtlichen Strafverfahrens. Der Reichstag rief dem Eroberer Schlesiens sein »darnach hat Er, Kurfürst, Sich zu richten« zu, der brandenburgische Gesandte warf den Boten der erlauchten Versammlung die Treppe hinunter, die e(i)lende Reichsarmee sammelte sich unter den Fahnen des bourbonischen Reichsfeindes, um sofort vor Seydlitz' Reitergeschwadern wie Spreu im Winde zu zerstieben. Die deutsche Nation aber feierte mit hellem Jubel den Sieger von Roßbach, den Rebellen gegen Kaiser und Reich. Mit diesem wüsten Satirspiele ging die große Tragödie der Reichsgeschichte in Wahrheit zu Ende; was noch übrigblieb von dem alten deutschen Gemeinwesen, bewahrte kaum noch den Schein des Lebens.

Der Sieger aber, der im Donner der Schlachten die alten theokratischen Formen über den Haufen warf, war der Schirmherr des Protestantismus. Wie verblaßt auch die kirchlichen Gegensätze dem Zeitalter der Aufklärung erschienen, Friedrich erkannte doch, daß der Bestand des Westfälischen Friedens, die Parität der Glaubensbekenntnisse im Reiche unhaltbar wurde, sobald die beiden katholischen Großmächte triumphierten; die gemeinsame protestantische Sache bot ihm die einzige Handhabe, um die zagenden kleinen Fürsten in den Kampf gegen Österreich zu drängen. Wachsam folgte sein Auge den geheimen Umtrieben der »prêtraille« an den protestantischen Höfen; sein Machtwort schützte die Freiheit der evangelischen Kirche in Württemberg und Hessen, als dort die Thronfolger zum römischen Bekenntnis übertraten. Und noch klarer als er selber erkannten seine kleinen norddeutschen Bundesgenossen die religiöse Bedeutung des Krieges: in den Briefen des hessischen Ministers F. A. von Hardenberg heißen die Verbündeten Preußens stets kurzweg »die evangelischen Stände«, und das treue Festhalten an der preußischen Partei wird als das natürliche System aller protestantischen Staaten des Reichs gepriesen. Unter den Klängen lutherischer Kirchenlieder zog der preußische Grenadier zur Schlacht, die evangelischen Soldaten des schwäbischen Kreises liefen fluchend auseinander, weil sie nicht gegen ihre Glaubensgenossen fechten wollten; in den Konventikeln der englischen Dissenters beteten gottselige Prediger für den Makkabäer des Evangeliums, den Freigeist Friedrich. Der Papst aber beschenkte den Feldmarschall der Kaiserin mit geweihtem Hut und Degen, und jede neue Siegesbotschaft aus dem preußischen Lager rief im Vatikan einen Sturm des Unwillens und der Angst hervor, wie zerfahren und zerfallen hatte hundertundzwanzig Jahre zuvor die protestantische Welt zu den Füßen Roms gelegen, als die Fahnen der Wallensteiner am Ostseestrande wehten und die Stuarts das Parlament ihrer römischen Königskunst zu unterwerfen trachteten. Jetzt gab eine protestantische Großmacht dem Heiligen Reiche den Gnadenstoß, und durch die Schlachten am Ohio und am Ganges wurde für alle Zukunft entschieden, daß die Herrschaft über das Weltmeer und die Kolonien den protestantischen Germanen gehörte.

Der Kampf um Preußens Dasein war der erste europäische Krieg; er schuf die Einheit der neuen Staatengesellschaft und gab ihr die aristokratische Form der Pentarchie. Als die neue mitteleuropäische Großmacht sich die Anerkennung der Nachbarmächte erzwang, da verschmolzen die beiden alten Staatensysteme des Ostens und des Westens zu einer einzigen unzertrennlichen Gemeinschaft, und zugleich sank das Ansehen der mindermächtigen Staaten, welche früherhin zuweilen durch ihren Zutritt zu einer Koalition den Ausschlag in einem großen Kriege gegeben hatten, doch jetzt den schweren Anforderungen der neuen großartigen Kriegsweise nicht mehr genügen konnten; die Staaten zweiten Ranges beschieden sich fortan, die Leitung der europäischen Dinge den großen Kriegs- und Seemächten zu überlassen. Unter diesen fünf führenden Mächten aber waren zwei protestantisch, eine schismatisch, die Rückkehr Europas unter die Herrschaft des gekrönten Priesters blieb nunmehr undenkbar. Die Befestigung der protestantisch-deutschen Großmacht war die schwerste Niederlage, welche der Römische Stuhl seit dem Auftreten Martin Luthers erlitten; König Friedrich hat wirklich, wie der englische Gesandte Mitchell von ihm sagte, für die Freiheit des Menschengeschlechts gefochten.

In der Schule der Leiden und der Kämpfe erwuchs dem Volke Preußens eine lebendige Staatsgesinnung; sie berechtigte den König von seiner nation prusienne zu reden. Ein Preuße zu sein, war vordem eine schwere Pflicht, jetzt ward es eine Ehre. Der Gedanke des Staates, des Vaterlandes drang erregend und stärkend in Millionen Herzen; auch die gedrückte Seele des kleinen Mannes spürte einen Hauch von dem antiken Bürgersinne, der aus den schlichten Worten des Königs sprach: »Es ist nicht nötig, daß ich lebe, wohl aber, daß ich meine Pflicht tue und für mein Vaterland kämpfe.« Überall in Preußen regten sich unter den steifen Formen des absoluten Königtums der Opfermut und die große Leidenschaft des Volkskrieges. Das Heer, das Friedrichs letzte Schlachten schlug, war national; die Werbungen im Auslande verboten sich selber in der Not der Zeit. Die Stände der Marken rüsteten freiwillig jene Regimenter aus, welche die Festungen Magdeburg, Stettin und Küstrin dem Staate retteten, die pommerschen Seeleute traten zusammen, um mit ihrer kleinen Flotte die Odermündungen gegen die Schweden zu halten. Sechs Jahre lang empfingen die blutarmen Beamten kein Gehalt und versahen ruhig ihren Dienst, als verstünde sich's von selber, wetteifernd taten alle Provinzen ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, wie die neue Redensart der Preußen lautete: von den tapferen Bauern der rheinischen Grafschaft Mörs bis hinüber zu den unglücklichen Ostpreußen, die dem russischen Eroberer ihren zähen stillen Widerstand entgegenstemmten und sich in ihrer festen Treue gar nicht stören ließen, als der unerbittliche König sie des Abfalls zieh und mit Beweisen der Ungnade überhäufte.

Die völkerbildende Macht des Krieges erweckte in diesen norddeutschen Stämmen zuerst wieder jenen schroffen Stolz, der einst die Romfahrer und die Slawenbesieger unseres Mittelalters beseelte; das kecke Selbstgefühl der Preußen stach seltsam ab von der harmlos gemütlichen Bescheidenheit der anderen Deutschen, voll Zuversicht widerlegt Graf Hertzberg die Lehre Montesquieus von der republikanischen Tugend: wo sei denn je in Republiken eine festere Bürgertugend gediehen, als hier unter dem stählenden nordischen Himmel, bei den Nachkommen jener heroischen Nationen, der Goten und Vandalen, die einst das Römerreich in Trümmer schlugen? Derselbe Sinn lebt in den Massen des Volks; er verrät sich bald in dreister Prahlerei, in den tausend landläufigen Spottgeschichten von kaiserlicher Dummheit und preußischer Husarenlist, bald in rührenden Zügen gewissenhafter Treue. Der junge Seemann Joachim Nettelbeck kommt nach Danzig und wird gedungen, den König von Polen über den Hafen zu rudern; man setzt ihm einen Hut auf mit dem Namenszuge König Augusts; er sträubt sich lange, denn das fremde Hoheitszeichen zu tragen, scheint ihm ein Verrat an seinem Preußenkönig; endlich muß er sich fügen, doch der verdiente Dukaten brennt ihm in der Hand, und sobald er nach Pommern heimkehrt, schenkt er das Sündengeld dem ersten preußischen Invaliden, der ihm in den Weg kommt. So reizbar ward jetzt der politische Stolz in diesem Volke, das vor wenigen Jahrzehnten noch in der Armseligkeit seiner häuslichen Sorgen verkam.

Es ließ sich doch nicht vergessen, daß zu den zwei großen Kriegsfürsten der Geschichte, zu Cäsar und Alexander, sich nunmehr ein Preuße als dritter gesellte. Im Gemüte des norddeutschen Volks liegt dicht neben der festen Ausdauer ein Zug übermütigen Leichtsinns, der mit der Gefahr vermessen zu spielen liebt, und dies ihr eigenes Wesen fanden die Preußen in dem Feldherrn Friedrich zu genialer Mächtigkeit gesteigert wieder: wie er, nach harter Lehrzeit rasch zum Meister gereift, die behutsamen Regeln der schwerfälligen alten Kriegskunst zur Seite warf und selber dem Feinde »das Gesetz des Krieges diktierte«, stets bereit, die Entscheidung in freier Feldschlacht zu suchen; wie er die kühnste der Waffen, die Reiterei, wieder zu der Stellung erhob, die ihr im großen Kriege gebührt; wie er nach jedem Siege und nach jeder seiner drei Niederlagen immer von neuem »das stolze Vorrecht der Initiative« behauptete. Der Erfolg lehrte, wie glücklich der König und sein Volk einander verstanden. Ein dichter Kreis von Helden scharte sich um den Feldherrn und verbreitete bis in die untersten Schichten des Heeres die frohe Wagelust, jenen Geist der Offensive, der in allen ihren großen Zeiten die Stärke der preußischen Armee geblieben ist; aus märkischen Junkern und pommerschen Bauernburschen erzog sich Friedrich die gefürchteten Regimenter Ansbach-Bayreuth-Dragoner und Zietenhusaren, die im tollen Dahinjagen und schneidigen Einhauen bald die wilden Reitervölker Ungarns übertrafen. Mit Stolz sprach der König aus, für solche Soldaten gebe es kein Wagnis: »Ein General, der in andern Heeren für tollkühn gelten würde, tut bei uns nur seine Pflicht.« Die zwölf Feldzüge der friderizianischen Zeit haben dem kriegerischen Geiste des preußischen Volkes und Heeres für immer seine Eigenart gegeben; noch heute verfällt der Norddeutsche, wenn auf den Krieg die Rede kommt, unwillkürlich in die Ausdruckweise jener heroischen Tage und spricht wie Friedrich von brillanten Kampagnen und fulminanten Attacken.

Die gutherzige Gemütlichkeit der Deutschen außerhalb Preußens bedurfte langer Zeit, um das Grauen zu überwinden vor dem harten Realismus dieser friderizianischen Politik, die ihre Gegner so ungroßmütig immer angriff, wenn es ihnen am wenigsten willkommen war. Aber als das große Jahr 1757 über das deutsche Land dahinbrauste, siegreicher Angriff und schwere Niederlage, neue verwegene Erhebung und neue strahlende Siege in sinnverwirrender Hast sich drängten und aus der wilden Flucht der Ereignisse immer gleich groß und beherrschend das Bild des Königs heraustrat, da fühlte sich das Volk in Herz und Nieren gepackt und erschüttert von dem Anblick echter Menschengröße. Die verwitterte und verknöcherte Gestalt des Alten Fritz, wie der Hammerschlag des unerbittlichen Schicksals sie zurecht geschmiedet, übte ihren dämonischen Zauber auf unzählige treue Gemüter, die zu der glänzenden Erscheinung des jugendlichen Helden von Hohenfriedberg nur mit befangener Scheu emporgeblickt hatten. Die Deutschen waren, wie Goethe von seinen Frankfurtern sagt, fritzisch gesinnt – »denn was ging uns Preußen an?« – und lauschten mit verhaltenem Atem, wie der unzähmbare Mann jahraus, jahrein, sich des Verderbens erwehrte. Jener überwältigende Einmut ungeteilter Liebe und Freude, der die Geschichte glücklicher Völker zuweilen mit goldenem Lichte verklärt, blieb freilich dem zerrissenen Deutschland auch jetzt noch versagt. Wie Luther und Gustav Adolf, die beiden einzigen Helden vordem, deren Bild sich den Massen unseres Volkes unvergeßlich ins Herz prägte, so ward auch Friedrich in den Krummstabslanden am Rhein und Main als der große Feind gefürchtet. Doch die ungeheure Mehrheit des protestantischen, auch weite Kreise des katholischen Volks, und vor allem sämtliche Wortführer der jungen Wissenschaft und Dichtung folgten ihm mit warmer Teilnahme; man haschte nach seinen Witzworten, erzählte Wunder über Wunder von seinen Grenadieren und Husaren. Dem verschüchterten Geschlechte ward die Seele weit bei dem Gedanken, daß der erste Mann des Jahrhunderts unser war, daß der Ruhm des großen Königs bis nach Marokko und Amerika drang.

Noch wußten wenige, daß in dem preußischen Schlachtenruhme nur die uralte Waffenherrlichkeit der deutschen Nation wieder zutage kam; selbst Lessing spricht von den Preußen zuweilen wie von einem halb fremden Volke und meint verwundert, denen sei der Heldenmut so angeboren wie den Spartanern. Nach und nach begannen doch selbst die Massen zu fühlen, daß Friedrich für Deutschland focht. Die Schlacht von Roßbach, die bataille en douceur, wie er sie spottend nennt, ward der folgenreichste seiner Siege für unser nationales Leben. Wenn in diesem Volke von Privatmenschen noch irgendeine politische Leidenschaft lebte, so war es die stille Erbitterung gegen den französischen Hochmut, der, so oft vom deutschen Schwerte gezüchtigt, zuletzt doch immer das Feld behauptet hatte und jetzt wieder die rheinischen Lande mit Blut und Trümmern bedeckte. Nun traf ihn Friedrichs guter Degen und stürzte ihn in einen Pfuhl der Schande; ein lautes Frohlocken ging durch alle deutschen Gaue, und der Schwabe Schubart rief: »Da griff ich ungestüm die goldne Harfe, darein zu stürmen Friedrichs Lob.« Damals zuerst überkam die Deutschen im Reiche wieder ein Gefühl, das dem Nationalstolze ähnlich sah, und sie sangen mit dem alten Gleim: »Laßt uns Deutsche sein und bleiben!« Die von den deutschen Schlachtfeldern heimkehrenden französischen Offiziere verkündeten in Paris selber unbefangen das Lob des Siegers von Roßbach, da ihr Stolz noch gar nicht für möglich hielt, daß dies kleine Preußen die Macht Frankreichs jemals ernstlich bedrohen könnte; im deutschen Lustspiel aber erhielt der einst gefürchtete Franzose jetzt zuweilen die Rollen der komischen Person und des windigen Abenteurers.

Ein politisches Verständnis für das Wesen des preußischen Staates ging der Nation freilich auch jetzt noch nicht auf; dies gelehrte Volk lebte in einer wunderbaren Unwissenheit über die entscheidenden Tatsachen seiner neuen Geschichte wie über die Institutionen seiner mächtigsten Staatsbildung. Wenn die Siege Friedrichs den alten Haß gegen Preußen etwas beschwichtigt hatten, so pries sich doch selbst in den protestantischen Reichslanden jeder Bürgersmann glücklich, daß er kein Preuße war. Die geschäftigen Erdichtungen der österreichischen Partei fanden überall willige Hörer: »Diese freien Leute«, schrieb Friedrich Nicolai um das Jahr 1780 aus Schwaben, »sehen auf uns arme Brandenburger wie auf Sklaven herab.« Nur auf starke und hochstrebende Naturen wirkte die Anziehungskraft des mächtigen Staates. Seit den friderizianischen Tagen begann eine stattliche Schar junger Talente aus dem Reiche in preußische Dienste einzutreten; die einen trieb die Bewunderung für den König, andere die Sehnsucht nach reicher Tätigkeit, mancher ahnte auch dunkel die Bestimmung dieser Krone. Die Monarchie war jetzt der Engherzigkeit des territorialen Lebens völlig entwachsen, nahm alle gesunden Kräfte aus dem Reiche willig auf und fand in den Kreisen der Einwanderer viele ihrer treuesten und fähigsten Diener, auch ihren Retter, den Freiherrn Karl vom Stein.

Mit den Hubertusburger Verträgen brachen für den deutschen Norden vier Jahrzehnte tiefer Ruhe an: jene reich gesegnete Friedenszeit, deren der alte Goethe späterhin so oft mit dankbarer Rührung gedachte. Damals begann die alte Überlieferung von Preußens Armut zur Fabel zu werden. Das soziale Leben, vornehmlich in der Hauptstadt, gewann reichere und freiere Formen, der Volkswohlstand nahm einen überraschenden Aufschwung, die deutsche Dichtung trat in ihre großen Jahre. Der Krieg hatte die Lage des Reiches zugleich vereinfacht und erschwert, von der alten Ordnung war nichts mehr lebendig als der ungelöste Gegensatz der beiden Großmächte. Das Vorgefühl einer schweren Entscheidung ging durch die deutsche Welt; die kleinen Höfe berieten in geschäftigen Verhandlungen, wie sie durch einen Bund der Mindermächtigen sich decken sollten, falls ein neuer Zusammenstoß »der beiden Kolosse Deutschlands« sie zu zermalmen drohe. König Friedrich aber, gründlich belehrt über die unendliche Macht der Trägheit in diesem alten Reiche, beschied sich die erschöpften Kräfte seines eigenen Staates von neuem zu sammeln; seine deutsche Politik zielte fortan nur dahin, jedes Einwirken fremder Mächte vom Reiche fern und dem Einfluß Österreichs das Gleichgewicht zu halten. (54-65.)

Die Politik des Föderalismus war im Reiche seit zweihundert Jahren nicht über halbe Anläufe hinausgekommen; nun da sie sich auf die Macht des preußischen Staates stützte, errang sie plötzlich einen großen Erfolg. Die Erinnerung an die Zeiten Maximilians I. und die Reformversuche Kurfürst Bertholds tauchte wieder auf. Der Fürstenbund war geschlossen, um das alte reichsständisch-theokratische Deutschland aufrechtzuhalten. Doch wenn er dauerte, wenn Preußen seine Führerstellung an der Spitze der großen Reichsstände behauptete, so mußten die alten Formen des Reichsrechtes ihren Sinn verlieren; es eröffnete sich die Aussicht, das österreichische System in seinen Grundlagen zu erschüttern, wie Graf Hertzberg freudig ausrief, die Erzherzöge von den großen deutschen Stiftern auszuschließen, bei der nächsten Wahl die Kaiserkrone auf ein anderes Haus zu übertragen und die Leitung des Reichs in die Hände der mächtigsten Stände zu legen. Der junge Karl August von Weimar schlug bereits vor, jene alten Privilegien, welche dem Hause Österreich seine Sonderstellung sicherten, einer Prüfung von Reichs wegen zu unterwerfen. Fast schien es, als sollte das große Rätsel der deutschen Zukunft in Frieden gelöst werden. Aber der Fürstenbund konnte nicht dauern; und am wenigsten der nüchterne Sinn des alten Königs hat sich diese bittere Wahrheit verborgen. Nur eine Verkettung zufälliger Umstände, nur der Abfall Kaiser Josephs von den altbewährten Überlieferungen der österreichischen Staatskunst hatte die kleinen Fürsten in Friedrichs Arme hinübergescheucht; ihr Vertrauen zu Preußen reichte nicht weiter als ihre Angst vor Österreich. Mit äußerstem Widerstreben fügte sich Kursachsen der Führung des jüngeren und minder vornehmen Hauses Brandenburg, kaum weniger mißtrauisch zeigte sich Hannover; selbst die ergebensten und schwächsten der verbündeten Stände, Weimar und Dessau, berieten insgeheim, so erzählt uns Goethe, wie man sich decken könne gegen die Herrschsucht des preußischen Beschützers. Sobald die Hofburg ihre begehrlichen Pläne fallen ließ, mußte sich auch die alte natürliche Parteibildung wiederherstellen; die geistlichen Fürsten, die jetzt in Berlin Hilfe suchten, konnten in dem protestantischen Preußen nur den geschworenen Feind ihrer Herrschaft sehen, weil Friedrich dies wußte, weil er mit seinem durchbohrenden Blicke den getreuen Bundesgenossen bis in Mark und Nieren schaute, darum ließ er auch durch den Erfolg des Tages sich nicht darüber täuschen, daß dieser neue Schmalkaldische Bund nur ein Notbehelf war, nur ein Mittel zur Wahrung des augenblicklichen Gleichgewichts. Karl August entwarf in großherziger Schwärmerei kühne Pläne für den Ausbau der neuen Reichsassoziation, er dachte an einen Zollverband, an Militärkonventionen, an ein deutsches Gesetzbuch; Johannes Müller verherrlichte den Fürstenbund in schwülstigen Pamphleten, Schubart in schwungvollen lyrischen Ergüssen, und Dohm gelangte in einer geistreichen Flugschrift zu dem Schlusse: »Deutsches und preußisches Interesse können sich nie im Wege stehen.« Den überlegenen Verstand des greisen Königs berührten solche Träume nicht; er wußte, daß nur ein ungeheurer Krieg die Herrschaft Österreichs im Reiche brechen konnte; ihm genügte, sie in den Schranken des Rechts zu halten, da er des Friedens für sein Land bedurfte. Für eine ernstliche Reform des Reiches fehlten noch immer alle Vorbedingungen, es fehlte vor allem der Wille der Nation. Über das alte Wahngebilde der deutschen Freiheit kamen auch die reichspatriotischen Verteidiger des Fürstenbundes nicht hinaus. Die josephinische Politik, so versichert Hertzberg beweglich, drohe die Kräfte Deutschlands zu einer Masse zusammenzuballen, das freie Europa einer Universalmonarchie zu unterwerfen; und in Dohms Augen erscheint es als eine preiswürdige Aufgabe des neuen Bundes, die Westgrenzen Österreichs offen zu halten, damit Frankreich jederzeit zugunsten deutscher Freiheit einschreiten könne. Das Volk empfand dunkel, daß das Bestehende nicht wert sei zu bestehen; in Schubarts Schriften werden die kleinen schwäbischen Territorien oft geschildert als ein offener Taubenschlag, der dem fürstlichen Marder dicht vor den Klauen liege. Doch alle solche Einfälle und Ahnungen wurden darniedergehalten von einem Gefühle hoffnungsloser Entsagung, das die kräftigere Gegenwart kaum noch versteht; den Deutschen war zumute, als ob eine unerforschlich geheimnisvolle Schicksalsmacht dies Volk verdammt hätte, für alle Ewigkeit in einem widersinnigen Zustande zu verharren, der jedes Recht des Daseins längst verloren. Als der Große König schied, da hinterließ er zwar ein Geschlecht, das froher und stolzer in die Welt blickte denn die Väter, und gewaltig hatte sich die Macht des Staates gehoben, der vielleicht dereinst einen neuen Tag über Deutschland heraufführen konnte. Doch die Frage: durch welche Mittel und Wege eine lebensfähige Ordnung für das deutsche Gemeinwesen zu schaffen sei? – erschien bei Friedrichs Tode fast noch ebenso rätselhaft wie bei seiner Thronbesteigung; ja sie wurde von der ungeheuren Mehrzahl der Deutschen nicht einmal ernstlich aufgeworfen. Noch bestanden kaum die ersten Anfänge einer Parteibildung in der Nation; nur ein Wunder des Himmels schien der Ratlosen Hilfe bringen zu können. Die entsetzliche Verschrobenheit aller Verhältnisse erhellt mit unheimlicher Klarheit aus der einen Tatsache, daß der Held, der einst mit seinem guten Schwerte die Nichtigkeit der Institutionen des Reichs erwiesen hatte, nun damit enden mußte, diese entgeisteten Formen selber gegen das Reichsoberhaupt zu verteidigen.

Wenn Friedrich die Entscheidung der deutschen Verfassungsfrage nur vorbereiten, nicht vollenden konnte, so hat er dagegen auf die innere Politik der deutschen Territorien tief und nachhaltig eingewirkt und unser Volk zu einer edleren Staatsgesinnung, einer würdigeren Ansicht vom Wesen des Staates erzogen. Er stand am Ende der großen Tage der unbeschränkten Monarchie und erschien gleichwohl den Zeitgenossen als der Vertreter eines neuen Staatsgedankens, des aufgeklärten Despotismus. Nur der Genius besitzt die Kraft der Propaganda, vermag die widerstrebende Welt um das Banner neuer Gedanken zu scharen. Wie die Ideen der Revolution erst durch Napoleon wirksam verbreitet wurden, so ist auch jene ernste Auffassung der Pflichten des Königtums, die seit dem Großen Kurfürsten auf dem preußischen Throne herrschte, erst durch Friedrich in das Bewußtsein der Menschen übergegangen. Erst seit den blendenden Erfolgen der schlesischen Kriege wendeten sich die Blicke der Welt, die bisher an der Hofpracht von Versailles bewundernd gehangen, nachdenklich auf die prunklose Krone der Hohenzollern. Im Kriege und in der auswärtigen Politik zeigte der König die unvergleichliche schöpferische Macht seines Geistes; in der inneren Verwaltung war er der Sohn seines Vaters. Er hat die überlieferten Formen des Staates durch die Kraft des Genius belebt, das Unfertige in freiem und großem Sinne weitergebildet; einen Neubau unternahm er nicht. Doch er wußte den Gedanken des politischen Königtums, den sein Vater als ein handfester Praktiker verwirklicht hatte, mit der Bildung des Jahrhunderts in Einklang zu bringen; unablässig gab er sich und andern Rechenschaft von seinem Tun. Schon als Kronprinz errang er sich einen Platz unter den politischen Denkern des Zeitalters; sein Anti-Machillvell bleibt, bei allen Schwächen jugendlicher Unreife, doch das Beste und Tiefste, was jemals über die Pflichten des fürstlichen Amts in der absoluten Monarchie gesagt wurde. Nachher, in den ersten Jahren des Siegerglückes, schrieb er den Fürstenspiegel für den jungen Herzog von Württemberg; doch mächtiger denn alle Lehren sprachen seine Taten, da er in den Tagen der Prüfung seine Worte bewährte und der Welt zeigte, was es heiße »als König denken, leben, sterben«. Zuletzt ward ihm noch jene Schicksalsgunst, deren auch der Genius bedarf, wenn er einem ganzen Zeitalter den Stempel seines Geistes aufprägen soll: das Glück, in einem reichen Alter sich völlig auszuleben. Er war jetzt der Nestor, der anerkannt erste Mann des europäischen Fürstenstandes; sein Ruhm hob den Glanz aller Throne, aus seinen Worten und Werken lernten die Könige groß zu denken von ihrem Berufe.

Die althergebrachte Vorstellung des Kleinfürstentums, daß Land und Leute dem durchlauchtigen Fürstenhause zu eigen gehörten, verlor an Boden, seit dieser König trocken aussprach: »Der Fürst hat keinen näheren Verwandten als seinen Staat, dessen Interessen immer den Banden des Blutes voranstehen müssen.« Die dynastische Selbstüberhebung der Bourbonen erschien in ihrer Nichtigkeit, seit er bei seiner Thronbesteigung den leichten Genüssen des Lebens den Rücken wandte mit den Worten »mein einziger Gott ist meine Pflicht« und nun durch ein halbes Jahrhundert mit allen Kräften seiner Seele diesem einen Gott diente und auf jeden Dank seines Volkes immer nur die gelassene Antwort gab: »Dafür bin ich da.« So weltlich unbefangen hatte noch nie ein gekröntes Haupt von der fürstlichen Würde geredet wie dieser Selbstherrscher, der unbedenklich die Berechtigung der Republik wie des parlamentarischen Königtums anerkannte und die Größe der absoluten Monarchie allein in der Schwere ihrer Pflichten suchte: »Der Fürst soll Kopf und Herz des Staates sein, er ist das Oberhaupt der bürgerlichen Religion seines Landes.«

An Friedrichs Beispiel und an den menschenfreundlichen Gedanken der neuen Aufklärung bildete sich das heranwachsende Geschlecht des hohen Adels. Auf die kleinen Sultane, die zur Zeit Friedrich Wilhelms I. gehaust, folgte jetzt eine lange Reihe wohlmeinender pflichtgetreuer Landesväter, wie Karl Friedrich von Baden, Friedrich Christian von Sachsen. Schon geschah es häufiger, daß die Prinzen nach preußischer Weise eine militärische Erziehung erhielten; kirchliche Duldsamkeit, Förderung des Wohlstandes und der Schulen galten als Fürstenpflicht; einzelne Kleinstaaten, wie Braunschweig, gewährten der Presse noch größere Freiheit als Preußen selber. Selbst in einigen geistlichen Gebieten trat eine Wendung zum Besseren ein, das Münsterland pries die milde und sorgsame Verwaltung seines Fürstenberg. Nicht überall freilich und nicht mit einem Schlage konnten die tief eingewurzelten Sünden des kleinfürstlichen Despotismus verschwinden; die alte Unsitte des Soldatenhandels erreichte eben jetzt, während des amerikanischen Krieges, den Gipfelpunkt ihrer Ruchlosigkeit und zeigte, wessen das deutsche Kleinfürstentum fähig war. Das friderizianische System der Völkerbeglückung von oben führte in der Enge der Kleinstaaten oft zu leerer Spielerei oder zu erdrückender Bevormundung. Der badische Markgraf nannte seine Hofkammer kurzweg »die natürliche Vormünderin unserer Untertanen«; mancher wohldenkende kleine Herr mißhandelte sein Ländchen durch das neumodische physiokratische Steuersystem, durch allerhand unreife philanthropische Experimente, und das Fürstlich Öttingen-Öttingensche Landesdirektorium mußte dem wißbegierigen Landesherrn über »Namen, Gattung, Gebrauch und äußerliche Gestalt« sämtlicher in fürstlichen Landen befindlichen Hunde genauen Bericht erstatten nebst beigefügtem ohnmaßgeblichen alleruntertänigsten Gutachten. Doch im ganzen war die Fürstengeneration der achtziger Jahre die ehrenwerteste, die seit langem auf den deutschen Thronen gesessen. Wo er nur konnte, trat der König den Ausschreitungen seiner Standesgenossen entgegen, befreite den alten Moser aus dem Kerker, sicherte den Württembergern den Bestand ihrer Verfassung. Das Reich als Ganzes lag hoffnungslos darnieder, aber in vielen seiner Glieder pulste wieder ein neues hoffnungsvolles Leben.

Und weit hinaus über Deutschlands Grenzen wirkte das Vorbild Friedrichs. Maria Theresia wurde seine gelehrigste Schülerin, sie hat den Gedanken der friderizianischen Monarchie in der katholischen Welt verbreitet. Von schwachen Nachbarn umgeben hatte das alte Österreich bisher sorglos und schläfrig dahingelebt; erst das Erstarken des ehrgeizigen Nebenbuhlers im Norden zwang den Kaiserstaat, seine Kräfte tapfer anzuspannen. Der Norddeutsche Haugwitz gestaltete die Verwaltung Österreichs, soweit es anging, nach preußischem Muster um, und von diesen österreichischen Reformen wiederum lernte der aufgeklärte Despotismus, der nunmehr in allen romanischen Landen, in Neapel und Toskana, in Spanien und Portugal, seine rastlos gewaltsame Völkerbeglückung begann. Am längsten sträubte sich der Stolz der französischen Bourbonen wider die neue Auffassung der Monarchie; mit spöttischem Lächeln erzählte man sich zu Versailles, daß am Potsdamer Hofe der Oberkammerherr noch niemals dem Könige das Hemd gereicht habe. Erst da es zu spät war, da die Mächte der Revolution schon an die Tore klopften, begann man etwas zu ahnen von den Pflichten des Königtums. Die Krone der Bourbonen ist aus dem trüben Dunstkreise höfischer Selbstvergötterung und Menschenverachtung niemals gänzlich hinausgekommen, darum ging sie schimpflich zugrunde. Den Deutschen aber wurde die monarchische Gesinnung, die unserem Volke im Blute lag und selbst in den Jahrhunderten der ständischen Vielherrschaft nicht völlig verlorenging, durch König Friedrich aufs neue gekräftigt. In keiner andern Nation der neuen Geschichte hat das Königtum seine Aufgabe so groß und hochsinnig verstanden; darum blieb das deutsche Volk, selbst als die Zeit der parlamentarischen Kämpfe kam, das am treuesten monarchisch gesinnte unter den großen Kulturvölkern.

Die Friedensliebe des hohenzollernschen Hauses war auch in seinem größten Kriegsfürsten lebendig. Friedrich schätzte die Macht, doch nur als ein Mittel für den Wohlstand und die Gesittung der Völker; daß sie jemals Selbstzweck sein, daß der Kampf um die Macht als solche schon historischen Ruhm verleihen sollte, erschien ihm als eine Beleidigung der fürstlichen Ehre. Darum schrieb er seine leidenschaftliche Streitschrift gegen Machiavelli. Darum kam er in seinen Schriften immer wieder auf das abschreckende Beispiel Karls XII. von Schweden zurück. Er mochte insgeheim fühlen, daß in seiner eigenen Brust dämonische Kräfte arbeiteten, die ihn zu ähnlichen Verirrungen mißleiten konnten, und ward nicht müde, die Hohlheit des zwecklosen Kriegsruhms zu schildern, ließ im runden Saale zu Sanssouci die Büste des Schwedenkönigs verächtlich unter den Füßen der Muse aufstellen. Schon in seinen brausenden Jünglingsjahren war er mit sich im reinen über die sittlichen Zwecke der Macht; »dieser Staat muß stark werden,« so schrieb er damals, »damit er die schöne Rolle spielen kann, den Frieden zu erhalten allein aus Liebe zur Gerechtigkeit, nicht aus Furcht, wenn aber jemals in Preußen Unrecht, Parteilichkeit und Laster überhandnähmen, dann wünsche ich dem Hause Brandenburg schleunigen Untergang. Das sagt alles.« Als er nach dem Siebenjährigen Kriege sich stark genug fühlte, aus Gerechtigkeit den Frieden zu wahren, da wendete er seine Sorge mit solchem Eifer der Wiederherstellung des Volkswohlstandes zu, daß die Armee geradezu geschädigt wurde. (68-73.)


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