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22.

Nechljudow erzählte dem General, die Person, für die er sich interessiere, sei eine Frau – sie sei unschuldig verurteilt und habe ein Gnadengesuch an die Allerhöchste Stelle eingereicht.

»So–o! Na – und?« sagte der General.

»Man versprach mir in Petersburg, mir die Nachricht darüber, wie sich das Schicksal dieser Person weitergestalten würde, hierher zugehen zu lassen, und zwar noch im Laufe dieses Monats.«

Ohne die Augen von Nechljudow abzuwenden, streckte der General die Hand mit den kurzen Fingern nach dem Tisch aus, klingelte und fuhr fort, schweigend zuzuhören, wobei er seine Zigarette weiterrauchte und ab und zu auffallend laut abhustete.

»Ich würde also bitten, diese Frau, wenn möglich, so lange hier zurückzubehalten, bis die Antwort auf das Gnadengesuch eingegangen ist.«

Eine Ordonnanz, welche die Stelle eines Lakaien vertrat, kam herein.

»Frage, ob Anna Wassiljewna aufgestanden ist,« sagte der General zu der Ordonnanz – »und besorge noch Tee. Gibt es sonst noch etwas?« wandte der General sich an Nechljudow.

»Meine zweite Bitte,« fuhr Nechljudow fort, »betrifft einen politischen Gefangenen, der sich bei demselben Transport befindet.«

»So, so!« sagte der General und nickte bedeutsam mit dem Kopfe.

»Er ist schwer krank, ein Sterbender. Man wird ihn jedenfalls hier im Krankenhause zurücklassen müssen, und nun möchte eine von den politischen Frauen bei ihm bleiben.«

»Ist sie ihm fremd?«

»Ja, aber sie ist bereit, sich mit ihm trauen zu lassen, wenn sie es dadurch ermöglichen kann, daß sie bei ihm bleibt.«

Der General schaute Nechljudow unverwandt mit den glänzenden Augen an, schwieg dabei und rauchte immer weiter, offenbar in der Absicht, den Gast durch seinen Blick zu verwirren.

Als Nechljudow geendet hatte, nahm der General ein Buch vom Tische, schlug rasch mit den Fingern, die er zuvor beleckt hatte, die Seiten darin um, fand den Abschnitt über die Ehe der Gefangenen, den er suchte, und durchlas ihn.

»Zu welcher Strafe ist sie verurteilt?« fragte er und hob die Augen vom Buche auf.

»Zu Zwangsarbeit.«

»Dann kann die Lage des Verurteilten durch eine Ehe nicht verbessert werden.«

»Ja, aber ...«

»Erlauben Sie. Wenn ein Unbestrafter sie heiraten würde, müßte sie ihre Strafe ganz ebenso abbüßen. Die Frage ist, wer zu einer schwereren Strafart verurteilt ist, er oder sie?«

»Sie sind beide zu Zwangsarbeit verurteilt.«

»Na also – dann sind sie ja quitt!« sagte lachend der General. »Sie hat dasselbe, was auch er hat. Er kann krankheitshalber hier bleiben,« fuhr er fort – »und man wird natürlich alles tun, was sich tun läßt, um sein Los zu erleichtern; sie aber kann nicht hier bleiben, selbst wenn sie sich mit ihm trauen ließe ...«

»Die Frau Generalin trinken eben Kaffee,« meldete die eintretende Ordonnanz.

Der General nickte mit dem Kopfe und fuhr fort:

»Ich will die Sache übrigens noch einmal erwägen. Wie heißen die beiden Leute? Schreiben Sie doch ihre Namen auf.«

Nechljudow notierte die Namen.

»Auch das kann ich nicht erlauben,« sagte der General zu Nechljudow, als dieser ihn bat, den Kranken sehen zu dürfen. »Ich habe Sie natürlich nicht in irgendeinem Verdacht,« sagte er, »aber Sie interessieren sich für ihn und für die andern, und Sie haben Geld. Und hier bei uns ist alles käuflich. Man sagt mir, ich solle die Bestechlichkeit ausrotten. Wie soll ich aber einen Menschen über fünftausend Werst hinweg kontrollieren? Er ist dort ein kleiner Zar, so wie ich es hier bin,« sagte er und lachte auf. »Sie haben die Politischen jedenfalls gesehen, haben Geld gegeben, damit man Sie zu ihnen ließ?« fragte er lächelnd. »Nicht wahr?«

»Ja, so ist's.«

»Ich kann es begreifen, daß Sie so handeln mußten. Sie wollen einen Politischen sehen. Und Sie bedauern ihn. Der Inspektor aber, oder der Mann, der ihn eskortiert, nimmt Geld, weil er ein erbärmliches Gehalt und eine Familie zu ernähren hat. Er muß es eben nehmen. Ich würde an seiner wie an Ihrer Stelle ganz ebenso handeln. An meiner Stelle jedoch gestatte ich mir nicht, vom strengen Buchstaben des Gesetzes abzuweichen, um so mehr, als ich menschlich fühle und mich leicht durch das Mitleid hinreißen lassen könnte. Ich bin nur der Ausführende, man hat mir mein Amt unter ganz bestimmten Bedingungen anvertraut, und die muß ich einhalten, muß das in mich gesetzte Vertrauen rechtfertigen. Na, die Frage wäre erledigt. Jetzt erzählen Sie, was in der Metropole los ist?«

Der General begann zu fragen und zu erzählen, wobei es ihm offenbar darauf ankam, gleichzeitig etwas Neues zu erfahren und seine eigene Bedeutung wie auch seine Humanität ins rechte Licht zu setzen.


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