Ludwig Tieck
Tod des Dichters
Ludwig Tieck

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Aber freilich kamen bald andre Zeiten, und es war uns vorbehalten, die Schwäche meines Vaters ganz kennenzulernen. Ich war nun zur Palastdame ernannt, ich war gezwungen, viele Tage am Hofe zuzubringen. So unglücklich ich mich fühlte, so freudig war mein Vater, denn sein Stolz war befriedigt. Am Hofe war es, wo Rodrigo, einer der reichsten und mächtigsten Kavaliere, mich kennenlernte. Auf seinen Reichtum sich stützend, auf seinen Namen stolz, zögerte er nicht lange, mir mit ruhigem Anstande seine Wünsche zu erkennen zu geben. Verlegen, beängstigt wich ich ihm aus, und nun wendete er sich an meinen Vater. Dieser, von dem künftigen Glanz seines Hauses, von dem unerwarteten Glück seiner einzigen Tochter geblendet, vergaß aller Hoffnungen, die er bestätigt, aller Versprechungen, die er uns gegeben hatte. Entehrend schien ihm jetzt ein Eidam ohne Rang und Vermögen, er schämte sich des Jünglings, den er bis dahin mit so vieler Liebe in seinem Hause aufgenommen, den er vor allen Reichern und Vornehmern ausgezeichnet hatte.

Wir hatten bis zu jenen Stunden nur das Himmlische der Leidenschaft genossen und kennengelernt; jetzt taten sich in unserm Gemüt die Schrecklichkeiten derselben auf und die höllischen Kräfte. Seine Eifersucht war furchtbar, sein Zorn so unermeßlich wie seine Liebe. Ich zitterte vor dem Mann, der bis jetzt nur als ein holdseliger Engel an meiner Seite gestanden hatte. Verwirrung, Unruhe, Angst, Verzweiflung war jetzt mein Leben. Der Tod schien mir erwünscht. Und wieder, in guter Stunde, wenn ich den Geliebtesten wieder vor mir sah, in meinen Armen fühlte, war auf Augenblicke das Trostlose unserer Lage vergessen.

Jetzt durften wir uns nicht mehr öffentlich sehn. Das Geheimnis erregte Angst, erhöhte aber auch den Zauber unsrer verbotenen Zusammenkünfte. Wir hatten das Gefühl, als sei die ganze Welt uns feind und wir beide allein und ohne andern Schutz oder Hülfe auf uns beschränkt. So lange das Glück uns hold war, war Lachen, Scherz oder Rührung und Tränen in süßer Abwechselung unser Geschäft und Geleit, er war zufrieden, demütig und befriedigt, und ein Kuß war sein höchstes Glück. Ist die Liebe doch immer nur Unschuld und auch die innigste Vereinigung Weihe und Tugend. Und jetzt, in dieser Bedrängnis, da er ganz als mein Gatte sprach und flehte, da wir uns vor Gott schon vereinigt glaubten, war ich zu schwach, seinen Wünschen noch irgend etwas zu versagen.

Ihr, mein edler Ohm, werdet mich nach diesem Geständnis nicht geringer achten.«

Der Alte stand auf und umarmte sie, dann sagte er gerührt: »Bin ich nicht jung gewesen? Habe ich in meiner Jugend nicht die Allmacht der Liebe kennenlernen? Ihr wart durch heilige Bande verknüpft, der Vater war Euch untreu geworden, und Verzweiflung und Trauer erringen denn wohl in verfinsterten Augenblicken die Krone, die nur der Freude und der lichten Heiterkeit gebührt. Seit ich Euch kenne, habe ich Euch verehrt, und Wesen wie Catharina und Camoens sind keine geringen und gewöhnlichen.«

»Gebüßt habe ich wenigstens für diesen Moment«, antwortete sie, »und viele Jahre hindurch währte meine Buße. Ich war elend, wäre es aber auch ohne diesen entscheidenden Augenblick gewesen. Unausweichbar war mein Unglück; so hatte das Schicksal mir die Kette aus dem Schönsten und Edelsten geflochten, dem ich mich so arglos, so sicher vertraute. Ja, mein Freund, alles Schöne und Große, alles, was uns von dieser rohen Erde emporhebt, bereitet uns das, was wir im rätselhaften Zustand unsers dermaligen Daseins Unglück nennen müssen. Der ebne Pfad ist der einzig sichre; der Alltäglichkeit sollen wir leben, der Nüchternheit uns ergeben – wehe dem, dem die Schönheit, die Wahrheit, der Glanz der Ewigkeit erschienen ist. Sie dulden es nicht, jene unsichtbaren Mächte, wenn, von der Erscheinung begeistert, unser Dünkel sich ihnen gleichstellen will: im Staub soll unsre Heimat sein, dem Tier, der Pflanze nahe gerückt, sollen wir kriechen und zagen und nicht begreifen und wünschen. Diese, die sich dort unten zurechtfinden, sind die Tugendhaften, die Glücklichen. Und kann denn der Mensch, der nur in einem einzigen Augenblick das Unsterbliche erschaut hat, kann er denn jene im Dunkel Kriechenden beneiden, kann er sich nur als ihresgleichen wünschen? – Darf er es?«

Sie stand auf, heftig erschüttert, und wandelte laut weinend im Zimmer auf und ab.

Der Greis erhob sich und ging ihr nach. Er faßte zärtlich die Hand der Zitternden und sagte weich: »So habe ich Euch noch nie gesehn; faßt Euch, geliebtestes Wesen. Wie kann, wie mag ich Euch Trost geben?«

Sie stand still, trocknete ihre Tränen und suchte ihre Fassung wiederzugewinnen. »Ich bin zu bitter«, fing sie ruhiger an, »auf diese Weise wäre ewiges, furchtbares Elend unser Los, wohin wir uns auch wenden möchten. Ist doch in jedem seligen Augenblick, den ich erlebt habe, auch die Ewigkeit: In der Erinnerung soll ihn der Sabbat des Herzens immer wieder von neuem begehn. Darum gibt es kein Untergehn und keinen Tod, und jedes Entzücken reicht in die Himmel hinein und erwartet uns dort, bis wir es und alle Gefühle und erlebten Gedanken, von allen verschwundenen Freuden umkränzt, wiederfinden. Der Übergang des Todes ist die Einweihung zu diesen Mysterien.«

Sie setzte sich wieder und fuhr dann fort: »Ihr betrachtet mich mit so liebevollen Blicken, daß ich Euch vertrauenvoller den Schluß meiner trüben Geschichte erzählen kann, den Ihr erwartet, den Schluß, der mich bewogen hat, Euch um diese Stunde zu ersuchen. – Ich ward gedrängt, mich zu entscheiden, mein sonst so weicher und unentschlossener Vater steigerte sich bis zum Grimm und zur Grausamkeit. Da, in der höchsten Angst, Todesnot und Verzweiflung gestand ich, daß Camoens mein Gatte sei, daß unser Bündnis in aller Ewigkeit und durch keine Menschenkraft wieder gelöset werden könne. Erschreckt und vom Zorne erschöpft, ward mein Vater ohnmächtig. Er entfernte sich dann schweigend, und ich glaubte den bittersten Augenblick meines Lebens überstanden zu haben. Mir schien, er müsse jetzt nachgeben und sich der Notwendigkeit fügen. Nach einigen Tagen sah ich ihn wieder, in einer Gestalt, daß ich ihn kaum wiedererkannte. Der Grimm hatte sein sonst edles Antlitz völlig entstellt, er war kalt und ruhig, aber diese Kälte war schrecklicher, als früher seine Wut erschien. Er kündigte mir mit der größten Bestimmtheit an, daß dieser Augenblick entscheiden müsse, ob ich sein Kind bleiben wolle oder nicht. Entschlösse ich mich, nach einiger Zeit dem Grafen Rodrigo meine Hand zu reichen, so habe er mir jetzt schon alles verziehn, er selbst wolle dafür sorgen, daß meine Schande verborgen bleibe, er würde mich auf sein Landgut im innern Gebirge entfernen – dort solle ich meine Niederkunft erwarten, er erlaube, daß ich selbst nach einigen Jahren das Kind sehn und zu mir nehmen dürfe. Weigre ich mich aber, so schwöre er mir, daß er selbst meine Schande weltkundig mache, daß er mich öffentlich verstoße und nicht mehr für seine Tochter anerkenne, daß er durch ein gültiges, deutliches Testament mir jeden Anspruch auf den kleinsten Teil seines Vermögens vernichte; so möge ich denn umirren, betteln und verschmachten, aber gewiß nicht in der Gesellschaft meines vorgeblichen Gatten, weil er diesen vor dem Kriminalgericht als hinterlistigen, bösartigen Verführer einer Tochter vornehmen Geschlechtes anklagen wolle. Fügte ich mich, so sei das Leben meinem Geliebten geschenkt, dieser frei und vor der Verfolgung sicher. Dies war die fürchterliche Wahl, die mir gestellt wurde. Und so versprach ich, mich nach einigen Jahren dem Grafen Rodrigo zu vermählen.«

Der alte Domingo fragte jetzt von außen, ob es der Donna Maria erlaubt sei, hereinzutreten. Catharina beschied ihr, daß sie sich gedulden solle.

»O dieses Kind, teuerster Mann«, begann sie jetzt wieder, »erinnert mich daran, daß es Zeit ist, meinen traurigen Bericht zu beschließen. Mein Vater reisete mit mir auf ein einsames kleines Gut im Gebirge: Hier lebte ich, von wenigen Vertrauten umgeben, unter einem fremden Namen. Ich genas nach einiger Zeit einer Tochter, die Ihr gekannt habt, weil sie auch nachher in meinem Hause lebte.

Dunkel nur vernahm ich, als ich nach der Stadt zurückkehrte, Camoens habe mit meinem künftigen Gemahl Rodrigo Streit gehabt und in blinder Wut den Degen auf ihn gezogen. Er sei dann verbannt und verwiesen worden und habe als Freiwilliger späterhin Dienste genommen. Ich hatte meine vorige Dienerschaft, der ich vertrauen durfte, verloren und mußte auch meinen Dienst im Palaste wieder antreten.

So ward ich ihm vermählt, dem Manne, den meine Hand nicht beglücken konnte, der aber auch ein solches Glück nicht forderte oder erwartete. Mein Vater sorgte dafür, daß ich den Namen meines unglücklichen Geliebten nicht wieder nennen hörte. Ich wagte auch nicht, nach ihm zu forschen, ich kannte niemand, der mir Bericht von ihm hätte geben können. Domingo, dem ich mich vertraut hatte, war auf das fernste Gut an der Grenze von Galicien verbannt.

Nach einigen Jahren wurde meine Tochter mit einem fremden Namen als arme Waise und ferne Verwandte in mein Haus geführt. Ich hatte von meinem Gemahl keine Kinder, mein Herz brannte, diesem teuern Wesen alle meine Liebe zu zeigen, aber ich mußte meine heiligsten Gefühle in meinem Busen verschließen. Wie oft, teuerster Oheim, wolltet Ihr mich trösten und erheitern und konntet die Ursache meines tiefen Grames nicht fassen.

Nach einiger Zeit starb mein Vater. Er war, nach jener Epoche seiner Wut, wieder freundlich und zärtlich geworden. Seine letzten Jahre verflossen in Melancholie, denn er sah mein unheilbares Unglück. Sein Stolz war nur halb befriedigt, denn keine Erben von mir erwuchsen für den Reichtum und Titel meines Gemahls.

Mein Gemahl, dem die große Welt nicht behagte, weil ihm keine Talente verliehen waren, sich in ihr auszuzeichnen, sehnte sich nach der Einsamkeit. Wir bezogen unsre Güter in der Estrella, dem Gebirge, und Bücher und die schöne Natur konnten mir in der Gesellschaft meiner lieben Tochter manchen Trost gewähren.

Als mein Kind erwachsen war, empfand ein junger Mann aus der Nachbarschaft Liebe für sie. Er war Soldat und lernte sie kennen, als er seine Eltern, die im hohen Gebirge wohnten, besuchte. Diese waren von jenen armen Edelleuten, die von geringem Vermögen in knapper Beschränkung leben müssen. Ich steuerte sie aus von meinem Gut, und mein Gemahl war großmütig genug, da er meine Liebe zum Kinde seit so vielen Jahren gesehen hatte, eine bedeutende Summe hinzuzufügen. Sie zogen bald nach Coimbra, wo das Standquartier des jungen Kriegers war.

So war ich nun ganz der Einsamkeit hingegeben. Alles, was ich liebte, hatte ich verloren, und mein Herz selbst hatte sich seit Jahren der Liebe und Wahrheit entwöhnen müssen. Ich hatte mein Kind erzogen und es doch niemals als Tochter behandeln, ihm niemals sagen dürfen, was ich ihm sei. Und doch mußte diese fortgesetzte Lüge das Glück meines Lebens bilden. Jetzt erst erlebte ich, wie viel ich eingebüßt hatte. Meinem Gemahl, der sich der Jagd ergab, konnte ich kaum eine alltägliche Gesellschafterin und Wirtin seines Hauses sein. Die Geistlichen, welche er oft sah, vermied ich, soviel es nur der Anstand erlaubte: sie schnürten seinen schon beschränkten Geist in noch engere Bande. Alles, was ich für das Wahre und Gute erkannte, durfte ich im Gespräche nicht berühren, Bücher hatte ich nur wenige, Menschen, die mich irgend verstanden hätten, fand ich gar nicht. Ich begriff nicht, warum ich nicht starb: aber vielleicht, daß. ein solches untätiges, völlig gedankenloses Leben das in uns hervorbringt, was so viele Menschen Gesundheit nennen.

Eine große Erschütterung stand mir zwar bevor, indem ich an dergleichen Vorstellungen haftete. Nach wenigen Jahren war mein Eidam in einem Gefecht geblieben, und fast um dieselbe Zeit war meine Tochter an einer schweren Entbindung gestorben. Als Kind, indem man lesen lernt, lieset man wohl mit Anstrengung und Qual ganze Seiten hinab und Bogen hindurch, ohne auch nur das mindeste dabei zu denken oder zu fühlen, zerstreut ist man aber auch nicht, weil die Buchstaben unsre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen: So, auf diese Weise, habe ich manche Wochen, Monden und Jahre meines Lebens hindurch gelebt. Ganz und völlig ausgehöhlt kann der Mensch, so vegetierend, werden, und ich fragte mich wohl, ob sich nicht die Seele, in diesen Wegen schleichend, vernichten und die ihr angeborne Unsterblichkeit zerstören könne.

Mein Großkind, eine Tochter, ward von den Eltern meines Eidams nach dem Gebirge abgeholt. Ich konnte mich lange nicht entschließen, sie zu sehn, ich mochte kein Gefühl in mir wieder aufkommen lassen. Mir dünkte zuweilen, mein erstorbnes Herz sei keiner Empfindung mehr fähig. Die stete Einsamkeit machte mich so verwirrt und elend, daß mir zuweilen einfiel, jedes Gefühl sei ein Unrecht und jeder Gedanke eine hoffärtige Anmaßung.

Damals kamet Ihr auf einer Reise zu uns, vielgeliebter Ohm, und waret sehr betrübt, mich in einem solchen Zustande wiederzufinden. Mein Mann hatte zu Eurem höchsten Erstaunen gar nicht bemerkt, daß eine Veränderung mit mir vorgegangen war. Ihr brachtet mir Bücher, Instrumente, Musik, Ihr machtet einige kleine Reisen mit mir, und so besuchten wir auf der kalten Höhe die Eltern meines Eidams. Gedanken, Schmerzen, Leiden stiegen wieder in mir auf, und ich fühlte mich in dieser Wehmut, in Tränen, die sich wieder häufig ergossen, beglückt. Ich sah das Kind, die kleine Maria. Ihr erinnert Euch wohl noch, daß es uns wie eine Wundererscheinung entgegenkam. Wie ein schwerer Vorhang fiel es plötzlich in meinem Innern nieder, als ich zum erstenmal in die schönen Augen des Kindes blickte. Ihr verstandet meine Verwunderung, meinen Schmerz, meine unendliche Freude nicht, und ich merkte Euch wohl an, daß Ihr damals glaubtet, mein Verstand möge gelitten haben. Ach! Ihr tatet mir auch nicht unrecht: denn in dumpfen Blödsinn war meine Seele hinein erstarrt.

Ich selbst schien mir in dem Kinde mich wieder umzuwandeln: So mußte ich in diesen ersten Traumjahren gewesen sein. Dieser liebe Mutwille, der noch nicht ahndet, wozu das Leben erwächst, dieser klare, tiefsinnige Blick, der alles anstaunt und sich über nichts verwundert: diese Seligkeit im Kindischen rührten mich wieder, beglückten mich wieder nach langer Zeit. Ihr halfet mir damals die schon bejahrten Eltern dahin stimmen, mir das Kind zur Erziehung anzuvertrauen, indem ich dem lieben Wesen einen Teil meines Vermögens zusicherte. Arm, wie sie waren, fanden sie sich gern in die Vorschläge, besonders da sie auch eine Unterstützung erhielten, und besuchten uns nachher, so lange sie lebten, in den Sommermonaten.

Auch mein Gemahl war über das Kind erfreut, als wir es ihm zuführten. Je mehr es sich entwickelte, je mehr wuchs der Geliebte meiner Jugend aus dem zarten Wesen heraus. So war sein Blick, sein plötzliches, freundliches Lachen, wenn er eben ernst gewesen war, ebenso erfaßte er meine Hand und sah mir mit dem zärtlichen, mit dem süßen Blick ins Auge, ein Blick, der sich nicht beschreiben läßt, in welchem aber ewige Treue, Zuverlässigkeit und himmlische Unschuld glänzten. O seht diesem Kinde einmal recht tief in die Augen, wenn sie im Vertrauen holdselig bittend zu Euch tritt, so könnt Ihr jenen Blick empfinden, den er vor so vielen, vielen Jahren mir in die tiefste Seele warf.

Als Ihr damals das Gebirge wieder verließet, war die Pflege dieses Kindes meine ganze Sorge und Beschäftigung. Rodrigo verwunderte sich nicht, daß dadurch ein neues Leben in mir begann. Ich war auch viel dreister und unbefangener, diesem Wesen meine ganze Liebe zu zeigen als der eignen Tochter. Mit dem Kinde war ich wieder verjüngt.

Jetzt werden es sechs Jahre sein, als Ihr mir einmal mit andern Büchern zugleich das neuerschienene Gedicht des Camoens überschicktet. Ihr hattet es noch nicht gelesen, wie Ihr mir schriebt, eine Gesandtschaft von Wichtigkeit rief Euch in jenem Jahr aus Euerm Vaterlande fort. Welche Schmerzen, welche Wonnen, welchen süßen Wahnsinn Ihr mir mit diesem herrlichen Buche in mein einsames Schloß schicktet, konntet Ihr freilich nicht wissen. Das war ein Osterfest, eine Auferstehung aus dem Grabe, als ich dieses Werk las, wieder las, und immer wieder, am Tage und in den stillen Nächten, zu ihm zurückkehrte. Diese Tränen, die Gefühle, diese schmerzliche Wollust, diese überirdische Entzückung, alles das, was ich in allen Fibern des Daseins sterbend erlebte, läßt sich niemals in irdische Worte fassen. So war er denn doch der gewesen, als den ich ihn geliebt hatte, ja er war mehr, er war ein Übermenschlicher, und sein Gefühl war das rechte, uns, die wir ihn nicht erkannten, mit wehmütigem Todeslächeln zu verlassen.

Von meinem greisen Vetter Christoforo habe ich erfahren, wie meine Liebe sein Unglück auch im fernen Indien war, denn seine Feinde und meine Verwandten ermüdeten nicht, ihn zu verfolgen. Durch welche Mühsal, durch wieviel kränkende Bedrängnisse mußte der große Mann sich winden, bevor er eine unverfolgte Armut, das ungestörte Verschmachten fand, welches uns Portugiesen, die wir so glücklich waren, ihn den Unsern zu nennen, ein unauslöschliches Brandmal aufdrückt.

So kennt Ihr nun diese Maria, der Ihr schon so viel Liebe bewiesen habt, und wißt, wer sie ist. Seit meines Gemahls Tode, seit ich hier wieder in der Stadt lebe, habt Ihr mir so vielfältige, so schöne Beweise Eurer Liebe gegeben, daß ich es wage, diese in noch höherm Maß in Anspruch zu nehmen. Nehmt, edler Freund, das arme, liebe Kind in Euren unmittelbaren Schutz: verteidigt sie durch Euer Ansehn und Euren Einfluß. Sie soll nichts von den Gütern meines Gemahls erben, fern sei der Gedanke, aber mein Vermögen und alles das, was mir seitdem gegen mein Verhoffen durch Erbschaft von Verwandten meiner Mutter zugefallen ist, möchte ich ihr zurücklassen, damit sie reich und bedeutend sei und im vielfachen Unglück des Lebens wenigstens dem der Armut entgehe. Sie wird schön und gut, der Geist ihres Großvaters regt sich in ihr, und sie wird es verdienen, wenn Ihr Euch väterlich ihrer annehmt. – Seht, das ist die Bitte, die ich Euch vortragen wollte und die meine vielen, vielleicht beschwerlichen Worte einleiten sollten.«

Der Greis stand auf, nahm die tief Bewegte in seine Arme und sagte feierlich: »Da ich nun weiß, von wem dieses edle Kind stammt, von Euch, die ich innigst verehre, und ihm, dem Manne, den ich über jeden Ausdruck liebe, möcht ich doch sagen, vergöttre, so sei Donna Maria mein Kind, ich will sie adoptieren, und niemand wird es wagen, ihr die Güter, welche Ihr Marien schenken wollt, streitig zu machen. Ich bin überzeugt, der Regent und des Königs Majestät werden diese meine Adoption bestätigen. Auch werde ich dieser Eurer Tochter von meinem großen Vermögen zulegen, um sie zu einer reichen Erbin zu machen. Über diesen Punkt, liebe Nichte, könnt Ihr Euch also völlig beruhigen.«

Catharina dankte, und der Marques fuhr fort: »Auch den Grafen Fernando sehe ich für meinen Sohn an, und da ich keine Erben habe, indem mir der Himmel keine Kinder verlieh, will ich ihn in den Besitz meiner vielen Güter setzen, da seine Vorfahren den größten Teil ihres Vermögens einbüßten. Aber nun, da Ihr mir alles vertraut habt, vernehmt auch meine Gedanken. Schon jetzt zeigt der junge Graf eine Zärtlichkeit für das holdselige Wesen, ich seh es voraus, aus diesem Gefühl kann und wird Liebe werden; sie wird in wenigen Jahren den hohen Wert des schönen Jünglings erkennen, und so sollen sie ein Glück bauen und gründen, wie Ihr es auch hättet finden sollen. Diese Ehen sind oft glücklich, und ich lernte ebenso meine Gattin kennen, als sie noch ein Kind war. Erlaubt mir nur, und Ihr müßt es mir nicht abschlagen, meinem Pflegesohn das mitzuteilen, was Ihr mir anvertraut habt. Ihr achtet ihn, ich weiß es, aber Ihr kennt ihn noch zu wenig, um zu wissen, wie sehr er jede Liebe verdient. Seht den trefflichen Jüngling schon jetzt als Euren Sohn an: Keine Vorstellung reicht dahin, mit welcher enthusiastischen Liebe er unsern großen Dichter umfängt. Erfährt er, was ich ihm sagen will, so umstrahlt in seinen Augen eine heilige Weihe das schöne, liebe Kind, und er wird den Gedanken, der in ihm vielleicht auch schon keimt, als einen Herold des Himmels begrüßen.«

Da sich Catharina ganz der Leitung des Marques überließ, so gab sie nach einigem Bedenken ihre Zustimmung und sagte endlich: »Nun habe ich also meinen innigsten Wunsch erlangt und sollte fröhlich sein; aber nach unserm Gespräch bin ich in einer ernstlichen, feierlichen Stimmung. Die Last des Lebens liegt heut schwerer auf mir als sonst, und ich kann Euch, edelster Mann, nur mit stummen Gefühlen für Eure überschwengliche Liebe zu uns und den Meinigen danken. Kann sein, daß wir noch Freude erleben, wie sie dem Menschen nur irgend gegönnt ist.«

Jetzt öffnete Catharina die Türe, um nach Marien zu senden. Als diese erschien, fragte die Mutter: »Wolltest du etwas, Kind, daß Domingo dich anmelden mußte?«

»Nein«, sagte Marie, »aber als ich unten war, liebste Mutter, ward mir mit einem Male so angst, so unendlich angst, ich kann nicht sagen wie. Draußen im Gebirge, als wir in dem grünen, engen Tal spazierengingen, war es einmal so. Die Sonne schien so schön, und alles funkelte wie lauter Freude und Lust, und tausend Vögelchen sangen: Mit einem Male war der Himmel dunkel, schwarz und das Tal so finster wie im Keller. Wir konnten die Wolken und das Gewitter zwischen den engen, hohen Wänden nicht kommen sehn. So war mir heute unten. Ich dachte, du lebtest nicht mehr, du wolltest eben sterben, ach, ich mußte weinen, bis dann mein lieber Graf Ferdinand kam und mich wieder so schön tröstete, daß ich lachen mußte. Nicht wahr, die Kinder und die Menschen können recht albern sein?«

Ferdinand, der mit ihr zugleich eingetreten war, sagte: »Ja, mein liebes Bräutchen war ganz ausgelassen in seinem unartigen Schmerz; sie wollte nicht hören und sehen und drohte mir sogar, mich gar nicht mehr liebzuhaben. Diese Bosheit hat sie mir aber nachher mit einem Kusse wieder abgebeten.«

Der Marques war sowenig wie Catharina in der Stimmung, um in diese kindlichen Scherze einzugehn, sondern die Mutter faßte das schöne Kind zärtlich in ihre Arme, drückte es oft an ihre Brust und weinte herzlich. »O mein liebstes, liebstes Kind«, sagte sie dann schluchzend, »wie unendlich liebe ich dich!«

Auch der Greis konnte sich der Tränen nicht enthalten, er umarmte die Kleine, die ihn mit Verwunderung ansah. »Ja«, rief der Alte in Bewegung, »auch mein Kind, auch meine Tochter sollst du sein, auch ich will teil an dir haben, und ich will deinen Dank verdienen!«

Ferdinand betrachtete beide, zwar mit Bescheidenheit, aber doch mit Erstaunen: Er sah wohl, daß irgend etwas Bedeutendes geschehen war, aber er wollte nicht fragen.

Doch Maria entwand sich endlich mit dem Ausdruck der größten Verwunderung den Umarmungen und rief aus: »Es ist recht schön, wenn ihr mich beide liebhaben wollt, aber ich habe heute noch nichts Artiges und Besonderes getan, daß ich es so sehr verdienen sollte. Ich war, wie gesagt, verdrießlich und traurig, da habe ich meine Duennen sehr angefahren und war auch gegen meinen Grafen Ferdinand, meinen Bräutigam, wie er sich immer nennt, ungezogen. Mutter, das kommt wirklich dem Menschen manchmal, er weiß selbst nicht wie. Die böse Laune will aber auch manchmal ihr Recht haben, so wie die gute.«

»Mein geliebtes Kind«, sagte der Greis, »du sollst meine Tochter werden, so gut wie Ferdinand mein Sohn ist, und wie ich das meine, werde ich diesem heute noch erklären, wenn er mir zur Stunde folgen will.«

Die beiden Männer nahmen Abschied, und Catharina blieb mit ihrem Kinde zurück, im beglückenden Gefühl, daß sie von edlen Gemütern nicht verkannt werde.

 

Die Stadt Lissabon war seit einigen Tagen durch eine große und auffallende Naturerscheinung in der größten Bewegung und Aufregung. Ein furchtbarer Komet, dessen drohender Schein sich in jeder Nacht vergrößerte, hatte sich am Himmel gezeigt. Man ging an den Strom, auf die Hügel, in das Feld, um ihn zu beobachten, und alle freien Plätze waren von Menschen erfüllt, deren Blicke zu den Sternen gerichtet waren und die Unheil oder Glück aus dieser wunderbaren Erscheinung vorhersagten.

In den ersten Tagen des August war es, als nach großer Hitze das Volk sich am Abend wieder auf dem großen Platz versammelte, von wo man den Strom und den Himmel weit hinaus übersah. Man hörte Summen, Sprechen, Streiten, und das sich drängende Volk wogte im dunkeln Gewimmel hin und her, Bekannte fanden und trennten sich wieder, und das Reden der einzelnen, das Schreien mancher tönte seltsam in das dumpfe Brausen des Stromes, den kühle Abendwinde aufregten.

Eine große Gestalt drängte sich hindurch und rief: »Mir nach, Gesellen! Seht ihr, daß es jetzt Zeit ist, mit Gewalt jene Schiffe zu fordern, die uns versprochen sind?«

»Nein, Minotti«, sagte ein Maultiertreiber, »es ist ein Glück, edler Freund, daß wir noch nicht hinausgeschifft sind, denn dieser furchtbare Komet bedeutet uns und unserm Königreich das allergrößte Unglück, er bedeutet, so wie er mit dem langen, gräßlichen Strahl nach Afrika hinüber weiset, daß unser König und unsre ganze Armee schon untergegangen sind. So hat es uns auch gestern der Freund Melchior, der fromme Mann, ausgelegt.«

»O mit Eurem Melchior«, rief Barnaba, der Holzarbeiter, ihm entgegen, »der heut so und morgen wieder anders spricht! Und wo Ihr die Augen habt, begreife ich gar nicht. Afrika, Freund, das liegt, wenn Ihr hier so gegen den Tajo steht, begreift mich, so links weg, etwas hinter unserm Rücken, da, dort so um die Ecke, und der lange, lange Finger des Unglücks- oder Glückssternes weiset ja gerade auf uns hieher, ganz genau auf die Spitze vom königlichen Schloß.«

»Nein«, schrie ein andrer, »Ihr wißt nicht, was Ihr redet, und versteht den Henker von Kometen! Afrika liegt ganz geradeaus, hinter uns, wenn Ihr Euch nur in die Weltgegenden hineindenken wollt, denn Süden bleibt auf jeden Fall Süden, und wir stehn hier mit der Nase ziemlich gegen Norden, also zeigt der grausige Feuerschweif des Kometen freilich nach Afrika hin. Aber es gilt ja den Mohren und nicht uns, soviel ist doch wohl jedem Menschenverstande klar und einleuchtend. Warum käme überhaupt der ganze Komet, und gerade jetzt, wenn er nicht den Untergang der afrikanischen Reiche bedeutete? Unser König und seine Feldherren und die großen Bischöfe, die mit ihm gegangen sind, und die Verständigen alle und die Menge von Bagage und Lebensmitteln und Marketendern und die geistlichen Herren und die Kavallerie, das, begreift, wird nicht so weggeblasen oder in Stücke gehauen, wie Ihr etwa Nüsse aufknackt.«

»Mag sein, wie es will«, schrie Minotti, »wir wollen nach Afrika! Wir wollen am Siege und an der Beute auch unsern Anteil haben!«

»Nach Afrika!« brüllte der Haufe des Pöbels, der ihn umgab, und viele schrien aus Begeisterung mit, die gar nicht begriffen, wovon die Rede sein könne.

Von allen Seiten lief das Volk zusammen, man tobte, fragte, unterredete, rief hinüber, antwortete herüber, und keiner fast wußte, was gerufen wurde, und die fern Stehenden konnten gar nicht begreifen, was sich ereignet haben möchte. Indem hörten, die dem Ufer nahe waren, den Ruderschlag eines Bootes, sie richteten ihre Augen dahin, und ein langer, hagrer Mann stieg an das Land, welcher sich nach der Ursache des Getümmels erkundigte.

»Es ist halt nur«, sagte ein Bürgersmann, »der Komet dort, welcher die Menschen so rasend macht; wenn sie werden ausgeschlafen haben, wird sich auch das bißchen Vernunft wiederfinden, das sie jetzt verloren haben.«

»Ich komme vom Regenten«, sagte die Gestalt, »der sich dort unten auf dem Kriegsschiffe befindet. Er erwartet nur noch ein Fahrzeug von der afrikanischen Küste, welches in diesen Tagen anlanden muß, um die geehrten Patrioten dem großen Heere des Königs nachzusenden.«

Jetzt war das Gedränge noch größer. »Hoch, der Regent, hoch!« schrien viele. »Afrika!« tobten andre, und der hagre alte Alonso, welcher diese Nachricht vom Schiffe gebracht hatte, wurde vom Volke in diesem patriotischen Taumel ergriffen, und indem ihn einige mit Gewalt auf ihre Schultern setzten, unterstützten ihn andre, daß er nicht fallen möchte, und die immer anwachsende Menge trug ihn so schreiend und jubelnd über den großen Platz, indessen er mit Wort und Gebärden die Begeisterten zu beruhigen suchte und bat, daß man ihn nach seiner Wohnung möchte gehen lassen.

Im Dämmerlichte konnte man sich kaum in der Nähe erkennen, und als jetzt der tobende Haufe vor einem großen Palaste stand, benutzte der beängstigte Alonso einen Augenblick der Ruhe, um die Dienerschaft, die vor dem Hause neugierig versammelt war, um Beistand anzurufen.

»Ich kenne euren gnädigen Herrn«, rief er ängstlich, »den Marques de Castro! Bitte, nehmt mich in das Haus, daß ich mit ihm reden kann.«

»Don Alonso«, sagte der Haushofmeister, »beliebt nur erst von den Schultern der geehrten Herren herabzusteigen, so wollen wir auch das Haus alsbald eröffnen.«

»Don Alonso, hoch!« rief der wilde Haufe, da jetzt die Menge den Namen vernommen hatte. »Alonso, der Patriot, soll leben! Wir geben den herrlichen Mann nicht wieder heraus! Alonso lebe!«

Da das Geschrei sich immer tobender vernehmen ließ, so erschien der alte Marques selber auf dem Altan seines Hauses, um zu sehn, was sich zugetragen haben möge.

»Was habt ihr, meine guten Landsleute?« fragte der Greis.

»Nach Afrika! Nach Afrika!« schrien alle. »Gebt uns Schiffe! Schiffe!«

»O heiliger Andreas, stehe mir bei!« rief Don Alonso im kläglichen Ton. »Der Regent hat sie ihnen schon versprochen, und als ich ihnen das zufällig meldete, haben sie mich ergriffen und schleppen mich so umher. Laßt mich ein in Euren Palast, verehrter Herr, ich habe mit Euch zu sprechen.«

»Bitte«, rief der Marques von oben, »meine lieben Freunde und Landsleute, laßt den alten Mann von euren Schultern herunter und zu mir kommen. Jeder Portugiese und Patriot wird vor Alter und Schwäche Ehrfurcht haben.«

»Ja, Herr Marques«, riefen die Männer, »wir sind edle Portugiesen, und so wollen wir Euch auch das Männchen abliefern, weil es sich so sehr vor uns fürchtet.«

Schnell stand er auf dem Boden, die Türe ward geöffnet, und er schlüpfte eilig in das Haus, indem sich das Volk mit lautem Gelächter vom Palast entfernte.

»Ich weiß nicht«, sagte Alonso zum Marques, »welcher böse Geist es mir eingegeben hatte, dem rohen Pöbel mitzuteilen, daß ich vom Regenten komme, der dort das Kriegsschiff in Augenschein nimmt, und daß er ihnen allerdings die Überfahrt versprochen hat. – Ich muß eilig nach meinem Hause, große Summen liegen dort, und ich war eben beim Regenten, ihm meine Anforderungen, die noch im Rest sind, klarzumachen. Bitte, da der Platz jetzt mehr beruhigt scheint, laßt mich von einigen Eurer Leute begleiten, damit ich sicher nach meinem Hause gelangen könne.«

Der Marques gab Befehle. Sechs von der Dienerschaft sollten dem Don Alonso folgen. »Und damit Ihr noch sicherer seid«, fügte der Marques hinzu, »will ich selber mit Euch gehn. Mich kennt das Volk und bezeigt mir Achtung, und so kann Euch, selbst im äußersten Falle, nichts gefährden.«

»Plündrung«, erwiderte Alonso, »ist es, was ich am meisten fürchte: denn diese Patrioten fallen leicht auf den Ausweg, sich ihren Kriegssold und die Beute schon im voraus wegzunehmen, da, wo sie es am sichersten zu finden glauben.«

So begleitet, schritt Alonso durch die Massen des Volks. Einige erkannten ihn wieder und begrüßten ihn als ihren Beschützer, der ihnen beim Regenten die Überfahrt ausmachen würde, andre lachten über ihn, indem sie sich seiner Angst erinnerten, doch verhinderte es die Gesellschaft des alten, von allen hochgeehrten Marques, daß sie ihrer Laune von neuem nachgaben. Als Alonso sein sicheres Haus erreicht und seinem Begleiter seinen Dank abgestattet hatte, entließ dieser seine Dienerschaft, weil es ihn ergötzte, einsam noch die Straßen und Plätze zu durchstreifen und auf die mannigfaltigen Reden des Volkes zu hören.

Die Nacht war schwül, und als er wieder auf den großen Platz am Flusse hinaustrat, überraschte ihn bis zum Erschrecken das sonderbare Licht des Kometen, welches durch einen Teil des Himmels mit rotem Glanze schimmerte.

»Wie ein ausgelöschter großer Stern«, sagte ein Bürger, »dräut das grimme Feuerwesen herunter. Es ist möglich, daß einmal alle unsre Sterne so auseinanderbrechen und durch den Himmel toll und verwirrt hinrennen.«

»Es ist kein Stern«, rief ein anderer, »am wenigsten ein ausgelöschter. Was die Gespenster auf Erden sind, wie sie zu den Menschen stehn und sie erschrecken, so verhält es sich mit solchen Kometen zu den ordinären vernünftigen Gestirnen. Und darum bedeuten sie auch jedesmal Unheil.«

»Es ist und kann nicht anders sein«, sagte ein eisgrauer alter Handwerksmann, »denn seht, Leute, am Himmel wie auf Erden ist eigentlich alles Ordnung, darin besteht die Schöpfung und die Vorsehung. Das Kometengestirn ist aber der Geist der Unordnung selber; nun rennt die Konfusion und die uralte Verwirrung, die da war, bevor Gott der Herr alle Elemente vernünftig sonderte, von oben durch den Himmel, der Aufruhr steckt an, eins sieht's vom andern, Feuer will Wasser, Luft will Erde werden, so steigt es denn zu unsrer Welt und unserm Lande herab, und, wie man im Sprichwort tiefsinnig und ganz mit Recht zu sagen pflegt, der Teufel ist los! So ist er auch hier die Hauptsache. Denn darin besteht alle Konfusion, Unheil, Empörung, Dummheit und das politische Elend der Welt, daß der alte Satansgeist, der widerwärtige Patron, das Scheusal, das keiner Vernunft fähig ist, wieder auf kurze Zeit von seiner Kette losgemacht ist. Der Kerl hat gewiß schon immer nicht unsern frommen König Sebastian leiden können und steckt nun den dummen Kometen da wie einen zottigen Efeukranz, wie eine alte plundrige Rute, baumelnd als vor einer schlechten Schenke, vom Himmel heraus, um kundzutun, daß recht elender, saurer Wein dermalen verzapft wird. Und, Landsleute, denkt an mich, das versauerte Gesöff werden wir nun verschlucken müssen.«

»Sprecht nicht«, rief ein andrer, »so despektierlich vom Satan, den wir alle fürchten sollen und müssen. Das ist die rechte Höhe, wenn das, wovor wir Ehrfurcht haben sollen, uns lächerlich gemacht wird.«

Als sie noch so hin und her stritten, ließ sich eine kreischende Stimme vernehmen: »Großmütige Portugiesen, schauts, verehrteste Männer, wie das liebe Kometchen da oben so ermahnend und mit Winken abwärts deutet: Sieht das liebe Ding am Himmel nicht aus wie ein Geldbeutelchen, woraus Goldmünze und Silber und Kupfer herausfallen? Heißt, in Landssprache übersetzt: Gebt, teilt mit an Armut, auch an miserable, schwarze Negersmann, der's braucht, der nichts hat als sein Gesicht, schwarz wie die Nacht. Wie die Stern dunkel Nachtphysiognomie erhellen, lauter schöne goldne Taler, Zechin, Dublon, Crusados, Dukat, so gebt nur Dreierchen, Pfennige meine schwarze, dunkle, arm, hungrig Gesicht.«

»Wie doch jeder«, sagte einer im Haufen, »von dem Stern seine Nutzanwendung zieht! Komm, alter Geizhals, nimm!« Er gab ihm eine Kleinigkeit, und einige der Bürger folgten seinem Beispiel.

»Der Kerl«, sagte ein zweiter, »besitzt eine ganz aparte Kunst im Betteln. Er ist aber dabei eine gute Haut und, so lahm er ist, einer der vorzüglichsten Tänzer.«


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