Ludwig Tieck
Tod des Dichters
Ludwig Tieck

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Jetzt nun werden es ohngefähr zehn Jahre sein, daß wir unter unzähligen Tränen voneinander Abschied nahmen. Wir dachten es nicht, daß wir uns nicht wiedersehen würden, denn wir rechneten als auf des Lebens höchste Freude unser gewisses Zusammentreffen, wenn auch nach Jahren. O mein Geliebter, rief der große, der herrliche Mann, wenn ich dich nicht gefunden hätte, wäre ich längst untergegangen und auf immerdar vergessen worden. Du wirst des Augenblicks noch gedenken, als ich mit ungebrochner Kraft, frisch und hoffnungsvoll, wohl gar übermütig diese Ufer und diese Länder betrat, die die Geschichte, alle Wunder und die Bildung der Welt geboren haben, um später von uns Portugiesen wiederentdeckt und neu erschaffen zu werden, bekriegt und bekehrt zu sein und um sich als Bühne zu zeigen, auf welcher das größte heroische Heldenspiel aufgeführt wurde, welches die Zeiten jemals gesehen haben. Selbst wähnte ich damals, Held zu werden, wie ich Dichter zu sein glaubte. Besungen habe ich die Großtaten unsers Volks, als Sänger wird mich die Nachwelt ehren. Aber Heldenruhm hat mir das strenge Schicksal versagt – ja es hat mir alles übrige versagt und entrissen, was der Mensch sonst sein Glück nennt: Ehre, Vermögen, Weib und Kind und Haus. Der als rüstiger Mann damals zu dir trat, von Hoffnungen umgaukelt, der Eigentum und Einfluß durch Tugend und Kampf hier gewiß zu finden glaubte, scheidet jetzt als verachteter, verhöhnter Bettler von dir – denn ich weiß, daß du für mich, den Ärmsten, hast sammeln müssen –, von keinem gekannt und gewürdigt, verhöhnt von denen, die ihn kennen, verlacht von seinen Feinden, bemitleidet von Schwachen; dich Liebsten, Treusten ausgenommen – und dort meinen schwarzen Lebenskameraden, der so unerschütterlich neben mir steht wie jener Felsen dort im Meer. Glaubte ich nun nicht fest, mit Sicherheit, allen Verhängnissen ins Angesicht, daß mein Vaterland jetzt als liebend, versöhnt dem verlornen Sohn entgegentreten und ihn liebkosend in seine Arme fassen wird, vertraute ich nicht der Gunst der Musen, daß dieses mein Gedicht die Herzen und Gemüter eröffnen, alle wahren Portugiesen entzücken und zur Nacheiferung der großen Taten der Ahnen begeistern wird, daß man nicht endlich für den Dichter, der sein Vaterland so geliebt und verherrlicht hat, etwas tun, ihn lösen wird von der Sklavenkette schimpflicher Armut, ihn achten und wie einen echten Stein, der sich verlor, aus dem Staube nehmen, damit ihn nicht die Unwissenheit der Schlechtesten mit Füßen träte – glaubte ich nicht alles dies mit felsenfester Zuversicht, so ließe ich dir als dem einzigen, der meinen Wert gewürdigt hat, mein Gedicht zum Andenken und als schwachen Lohn deiner Liebe zurück – und flehte zu Gott und allen Heiligen, daß sie das Schiff, das mich zurücktragen soll, in den tiefsten Abgrund versenkten; haben mich doch immer zur See schon die heftigsten Stürme verfolgt und zu vernichten gestrebt.

Wie war ich erschüttert, da ich meinen großen Freund so tiefbewegt sah. Fasse dich, liebster aller Menschen, tröste dich, so war ohngefähr meine Antwort. Nicht bloß der ist Held, der Schlachten schlägt und den Feind besiegt. Du hast mit dem edelsten Gleichmut einem Schicksal gestanden, das dich, wie oft, zu vernichten strebte. Ein reiner Mensch, ein großes Herz, bist du hervorgegangen aus allen den Strudeln, die dich hinunterwälzen wollten. Nie hast du deine Feder in Galle getaucht, nie hast du dein Talent gebraucht, um deinen Feinden, die sich alles gegen dich, auch das Verruchte, erlaubten, zu schaden: nicht einmal bitter, menschenfeindlich ist dein Gemüt geworden, der mildeste der Menschen bist du geblieben, freundlich und dienstfertig jedem, auch dem Beleidiger, wenn er deine Hülfe in Anspruch nimmt. Immer nur großer Gedanken voll, begeistert vom Göttlichen, hörtest, merktest du es oft gar nicht einmal, wenn man dich kränken wollte. So dem Himmel ergeben, hat dich das Irdische verlassen, weil du es selber verschmähtest. So standest du bis jetzt, vom Unglück in deiner innersten Kraft unberührt, in deiner Ruhe und Seelenstille erhaben, wenn deine Feinde gering, dein verfolgender Dämon armselig erschien. So warst du ein echter Held und einer der größten, den die Welt sah. Und jetzt – warum willst du dich jetzt so erdrücken, umwerfen lassen? Du bleibst du selbst und bist als Dichter, als Mensch, als Leidender, als ein sich Opfernder, in Demut, Verleugnung, Menschenliebe und innerm, ungestörtem Seelenfrieden ein Vorbild und Muster für alle Nachkommen, die von dir hören, die dich bewundern werden und müssen.

Das war ein seliger, seelenvoller, unsterblicher Blick, mit dem mich jetzt sein lebendes, gesundes Auge anschaute. Das tote, das im Kampf für sein Vaterland erloschen war, stand schon wie ein Grabmal seiner Größe in dem schönen Haupte.«

Hier wurde Christoforo in seiner Rede unterbrochen, weil er selber heftig weinen mußte.

Nach einer Weile begann Christoforo wieder: »So reisete er ab, und ich sah ihn nicht wieder. Ich zweifelte nicht, daß, sowie er in Lissabon angekommen sei, er einen Gönner finden müsse, welcher in Bewunderung für sein Gedicht alles für meinen Freund täte, ihn dem Hofe und dem Könige bekannt machte, und daß sein Ruhm und sein Glück nun ebenso beneidet würden, wie er bis jetzt nur ein Gegenstand des Mitleides gewesen war.

Wie erschüttert war ich, ja vernichtet, als sein erster Brief von Lissabon mir von allem diesen das Gegenteil meldete und so mit einem Schlage alle meine großen und gewissen Hoffnungen vernichtete. Er hatte die Hauptstadt und das ganze Land in der größten Trauer, ja in Verzweiflung gefunden, denn eine Pest, an welcher Tausende schnell hingerafft wurden, wütete in allen Provinzen. König Sebastian war noch ein Kind und wurde ganz von seinem Beichtvater, einem Jesuiten, regiert, der nur seine Religion und den Einfluß seines Ordens im Auge hatte, der nichts von Kunst und Poesie verstand. Der ganze Hof war bigott, und so fromm der Dichter war, so tadelte er doch diese Geistesdürre, die die Gemüter tyrannisierte. Es war ihm auch nicht gelungen, die Freundschaft eines der Großen und Mächtigen zu gewinnen, denn niemand kümmerte sich um Gedichte, niemand sprach von Büchern, alles ertönte von Theologie, alles war Streit über theologische Fragen: eine Leidenschaft ohne Inbrunst und Liebe hatte die Menschen unterjocht. Der junge, noch unmündige König nahm es aber an, daß ihm in einigen schönen Versen das Gedicht gewidmet wurde; auch geschah auf milde, vielleicht geistliche Vorsprache etwas für den bejahrten Dichter, ein Jahrgeld ward ihm ausgesetzt, ein Jahrgeld, das, wenn es nicht von einem edlen König herrührte, für Hohn und Spott gelten konnte. Nein, gemißbraucht, falsch gelenkt ward die königliche Güte: Man warf ihm nämlich ein Jährliches aus, wofür er sich auch noch nicht ein geringes, anständiges Gewand anschaffen konnte. Die Stelle, die ich ihm in Macao dahinten aus eigner Willkür übertragen hatte, trug ihm in einer Woche mehr, als er jetzt im ganzen Jahre empfing, von einem Staate empfing, dem er so gedient hatte! O Schmach dir, Portugal, wehe über euch, ihr Großen und Reichen, daß ihr so euern größten Genius habt verschmachten lassen, diesen, der alle Geister Italiens und Frankreichs überglänzt.

Ich verzweifelte – an mir, an der Zeit, an dem Schicksal. In ihm hatte sich mein Leben so schön abgespiegelt, und sein Glanz war nun, das Licht des Dichters, auf immer verdunkelt. Die Mutlosigkeit seines Briefes hatte auch mir allen Lebensmut geraubt: Es schien mir ziemlich, jetzt zu sterben und die Rechnung zu schließen.

Wie konnt ich ihn nun noch trösten, da der letzte Anker, dem wir unser ganzes Glück anvertraut hatten, auch zerbrochen war. Ich schrieb ihm, aber mein Brief muß sehr bitter gewesen sein, weil er in seiner Antwort mich zu beruhigen strebte. Er meldete mir, daß er sein Werk dem Drucker übergeben habe und daß es vielleicht durch die Wirkung, die es auf das Volk und das Ausland machen, auch die Mächtigen der Portugiesen aus ihrem Schlummer erwecken dürfe.

Nun floß die Zeit so hin, in Jammer und Verdruß von meiner Seite. In seinen Briefen – auch kein Wort der Klage, der Trauer ließ sich mehr vernehmen. Das kannte ich an ihm. Er war nun völlig resigniert und abgeschlossen, und dieses Stillschweigen schmerzte mich inniger, als wenn er gezürnt und getobt hätte. Noch nicht zwei Jahr war er von mir getrennt, als er mir sein großes Gedicht gedruckt übersendete. Er schrieb mir dabei, daß dieses schon die zweite Auflage sei, weil der Buchdrucker die erste schnell verkauft habe. Nur, so meldete er mir, zöge er keinen Vorteil aus diesem raschen Absatz, doch richte er sich ein, und ich möchte ja unterlassen, ihm wieder Geld zu senden, weil er es nicht vergesse, wie viel ich schon an ihm verloren habe, das er mir nie zurückzuzahlen imstande sei. Ich solle, wenn ich auch nie eigennützig werden könne, doch wenigstens aufhören, großmütig zu sein, und an mein Alter und meine Krankheit denken. Auch würde ihn meine Gabe und mein Brief nicht treffen, weil er entschlossen sei, sich in die Gebirge hinter Coimbra zu wenden und dort in der Einsamkeit, von aller Welt vergessen, seine Tage zu beschließen.

O teuerste, liebste Muhme! War ich erfreut und entzückt, wenn ich auf das schöne Buch blickte, welches er mir übersendet hatte, so versetzte mich dieser sein letzter Brief doch in trostlose Verzweiflung. Sein letzter Brief, denn ich habe niemals wieder eine Zeile von ihm gesehn. Aber in diesem Briefe las ich nur zu deutlich, daß er mir und aller Welt entsage. Er wollte von mir nichts mehr annehmen, weil er freilich wußte, daß ich selber nur arm sei, daß ich seinetwegen mich in ängstigende Schulden verwickelt hatte. Er aber wollte von dem wenigen leben, was er besitze? Ich wußte ja, daß er gar nichts hatte, denn sein kleines Vermögen hatte er als Soldat, im Kriege, als Freiwilliger zugesetzt, den allerletzten Rest, und was er in Macao ersparte, hatte ihm der Schiffbruch geraubt. Er hatte mir also hiemit seine Freundschaft aufgesagt, sich mir wenigstens auf immer entzogen. Ich sollte ihm nicht mehr helfen, ihn nicht trösten – wozu nützte noch mein Leben? Hätte meine Krankheit es mir erlaubt, hätten meine Gläubiger, die ich erst befriedigen mußte, es mir nicht unmöglich gemacht, so hätte ich mich sogleich nach Europa eingeschifft, um den teuersten aller Menschen aufzusuchen.

Seht, liebste Muhme, das war die Geschichte seines Schicksals und unsrer Freundschaft. So entschwindet uns das Schönste auf Erden, ohne eine Spur zurückzulassen. Doch mit ihm, dem großen Dichter, ist das freilich nicht der Fall. Sein Nachruf an die Welt ertönt für alle Zeiten. Und wir Portugiesen haben in der Dichtung ohne ihn wenig, und sollte jetzt, wie manche fürchten, unsre Unabhängigkeit verlorengehn und wir eine Provinz Spaniens werden, so ist dieses Gedicht von den lusitanischen Großtaten das einzige, an welchem sich künftig die echten Portugiesen wiedererkennen mögen.«

»Wie viel habt Ihr mir erzählt«, erwiderte Catharina, »und wie vielen Dank bin ich Euch dafür schuldig! O mein Freund, Ihr seid mir durch diese Bekenntnisse noch lieber geworden. Ihr seid es ja eigentlich einzig und allein, der von den großen Summen des Dankes, die das Vaterland dem Camoens schuldig ist, etwas abgezahlt hat, ja der, von der edelsten Freundschaft angetrieben, über sein Vermögen tat. Portugal und alle guten Menschen unsers Landes sind Euch nun wieder verschuldet. Und wenn ich, Eure Verwandte, Euer Alter nun mit Liebe pflege und so, wie es der Reiche kann, so ersetze ich Euch nur unendlich wenig von dem vielen, was Ihr für uns alle an Camoens getan habt. Denn es ist wohl möglich, daß ohne Eure Freundschaft und Hülfe, ohne Eure tröstende Aufmunterung unser Dichter sein großes Werk nicht vollendet hätte. Die Kraft seiner Schwingen wäre ohne Euch doch vielleicht erlahmt. Ein solcher Freund, wie Ihr es seid, ist eine seltne Erscheinung, und war Camoens sonst unglücklich, so hat er durch Eure ungefälschte Liebe wieder eines großen Glückes genossen.«

»Ich muß fürchten«, antwortete der Alte, »daß ich mich unverschämt und sogar auf Unkosten meines Freundes gelobt habe, denn durch seine Liebe und Talent ist mein Leben erst zum Leben geworden, so daß er mir nichts, ich ihm aber alles zu danken habe.«

»Nein, mein Teuerster«, antwortete sie; »der Freundschaft, der echten, sind nur wenige Menschen fähig. Das Wohlwollen rührt manche, der Achtung können sich sehr viele nicht erwehren, fröhliche, geistreiche Unterhaltung verbindet gar manche: aber ganz im Freunde und ihm leben, nie an ihm irrewerden, auch seine Schwächen und Launen mit derselben Liebe tragen, wie diese seinen Tugenden folgt, ihm unerschütterlich treu sein gegen Verleumdung, ihn nie verkennen, auch wenn der Anschein gegen ihn ist, niemals den schönen Glauben und die Verehrung verlieren, o geliebter Don Christoforo, diese Freundesproben besteht unter Millionen kaum einer. Aber unter Millionen verdient auch nicht einer diese Liebe so wie unser Camoens. Ihr seid mir also vom freundlichen und doch gegen den besten Mann harten Geschick als sein Erbe, als ein Teil seiner Seele übergeben worden, und kann ich Euch etwas Liebes erzeigen, so geschieht es auch ihm. Wenn man bedenkt, wie ein Großer und Reicher so oft nur die Laune eines Tages aufopfern dürfte – den Ankauf eines Juwels oder unnützen Möbels, den törichten Bau eines überflüssigen Hauses, ja ein abgeschmacktes Fest, das er verleumdenden Schmarotzern und boshaften Heuchlern gibt, die er alle kennt und verachtet –, um einen Genius wie Camoens von der Sorge los und ihn glücklich zu machen, so möchte man sich entsetzen, daß es nicht geschieht. Und doch – nicht wahr, mein Freund? – umzieht diese Armut und dies Verkennen, das ihm die reiche Welt widerfahren läßt, dennoch das geliebteste Haupt wie mit einer Glorie und einem Heiligenschein? Ist unsre Liebe nicht da am göttlichsten, wo sich auch das himmlische Mitleid einmischt?«

In diesem Augenblick ward das Getümmel unten wieder laut, und man hörte auch Domingos Stimme und die tönenden verwirrten Reden der übrigen Dienerschaft. Catharina stand auf, öffnete das Fenster und sah in den Garten hinab, von wo der Jubel tönte. Alles ward still, als man die Herrin bemerkte, und sie winkte Maria herauf, die mit ihren leuchtenden Augen zu ihr emporblickte. »Was gibt es denn«, fragte sie das hereinspringende Kind, die sich ihr gleich mit dem Ausdruck der ausgelassenen Freude an den Busen warf.

»Ich wollte es dir schon vorher sagen«, rief die Kleine, »aber du wolltest mich nicht anhören. Mein lieber fremder Mann ging vorher dem Garten wieder vorbei und erzählte mir und meiner Theresie und Margarite, daß unser schöner König Sebastian dort in Afrika einen großen und glänzenden Sieg über die wilden Heiden erfochten habe. Ach, du hättest es nur sehen sollen, mit welcher Freude mir mein Freund von dieser gewonnenen Schlacht erzählte! All der traurige Ausdruck, der sonst seinem Gesichte so gut steht, war heut völlig und ganz verschwunden. Sein Antlitz leuchtete, wie wenn die Abendsonne rot auf den hohen Bergen glänzt. Er sprach Worte, so süß und so lebhaft, als wenn ein heiliger Lobgesang in der ausgeschmückten Kirche am heiligen Osterfeste erklingt. Die schönen Hände erhob er dann nach dem blauen, hellen Himmel und dankte Gott und Christus und der heiligen Jungfrau Maria. O Mutter, sein Entzücken über das Glück und den Heldenruhm unsers Königs war so himmlisch, daß er selber wie ein Held und doch zugleich wie ein Heiliger aussah. – Heute hatte er nun freilich nicht Zeit, mir etwas Schönes zu sagen oder mich zu loben, aber ich kann es ihm, wenn er mit so großen Gedanken umgeht, nicht übelnehmen. Ich wollte dich vorher schon herunterrufen, daß du dir selber alles erzählen ließest, aber da ließest du uns sagen, wir sollten uns alle stille, ganz stille halten; das wurde uns freilich sehr schwer, aber wir mußten uns dareinfinden, und der liebe Mann ging auch wieder fort. Nun kam aber unser Martin aus der Stadt und erzählte uns auch dasselbe, nur viel konfuser und dummer. Und wie die Menschen nun sind, da die große Schlacht nun recht aussah, als wenn sie ganz unvernünftig wäre, Millionen umgebracht, ganz Afrika schon erobert, die Könige, die heidnischen, alle schon in Vogelbauer gesteckt, da ließ sich denn der Jubel nicht mehr unterdrücken. Und, siehst du, so hat sich die Geschichte und der Lärmen zugetragen.«

Man hörte den Hufschlag eines Pferdes, und wenige Augenblicke nachher trat der junge Graf Ferdinand, erhitzt und mit leuchtenden Augen, in das Zimmer.

»Habt Ihr die Nachricht schon vernommen?« rief er freudig aus. »Zwei große Gefechte sind geschlagen, und wir haben schnelle und bedeutende Siege errungen. Wo die portugiesischen Fahnen sich nur blicken lassen, entfliehen die Feinde. Die alten Zeiten kehren wieder, und die Weissagungen der Zweifler werden zuschanden.«

Alle waren erfreut und kamen mit lautem Jubel dem Marques de Castro entgegen, welcher jetzt in das Zimmer trat. »Ich kenne«, sagte dieser, »die glücklichen Ereignisse, die man gemeldet hat. Aber woher schreibt sich die Nachricht? Wer hat sie überbracht?«

Als man etwas ruhiger geworden, sagte Ferdinand: »Eine Fregatte, die zurückgekehrt ist, hat diese frohe Begebenheit gemeldet. Die Feinde haben sich der Ausschiffung der Portugiesen nicht widersetzt. Man rückte vor, und unzählige Geschwader von leichten Reitern flogen unserer Kavallerie, die nicht stark ist, entgegen. Man glaubte diese umzingelt von der Menge und verloren, doch nach kurzem Kampf zerstreuten sich diese Massen, und eine Kohorte soll sich ganz aufgelöst haben. So scheint das Land nun frei und keine große Kraft, uns entgegenzukämpfen.«

Der Marques ging unruhig auf und ab, Christoforo spähte unruhig nach seinen Augen, Ferdinand aber war so erfreut, daß er diese Zeichen des Unmuts, die am Oheim sichtbar waren, nicht bemerkte. Er hatte sich zu Catharina gesetzt, um an deren Freude die seinige zu erhöhen. Maria war zum alten Christoforo getreten, dessen Hände sie mit den ihrigen drückte und ihm lächelnd in sein altes Angesicht schaute; er erwiderte in diesem Augenblick aber ihre Freundlichkeit nicht, weil ihn das sichtbare Unbehagen des Marques beunruhigte.

»Ich muß meinen Freunden gegenüber«, sagte dieser endlich, »meine Meinung und Furcht aussprechen. Die Flotte ist an einer Stelle gelandet, wo es der Feind wohl nicht wichtig fand, die Ausschiffung zu verhindern, er rechnet wohl auf seine geordneten und bedeutenden Streitkräfte. Diese leichte Reiterei der Mauren ist mir nicht unbekannt, sie meinen es selten mit diesen stürmischen Angriffen ernsthaft, sie fliegen herbei und wieder zurück, fast mehr, um den Feind in Augenschein zu nehmen, als um ihn zu bekämpfen. Diese kehren, so flüchtig sie sind, in verschiedenen Richtungen zum Hauptheer zurück. Nach meiner Meinung sind also diese Siege unsrer Landsleute von sehr zweideutiger Natur. Ob der kluge Feind es nicht verhindern wird, daß die Scharen der Araber aus den Bergen, auf welche unser König so sicher rechnet, zu uns stoßen können, ist sehr die Frage. Das Traurigste aber – und was ich von den Überbringern jener Siegesnachrichten als ausgemachte Gewißheit erfahren habe – ist, daß unser junger kriegeslustiger König ganz unbedingt das Kommando des Heeres übernommen hat: Er hat den Platz der Landung bestimmt und ausgewählt, er hat nachher jeden Rat und Einwurf der ältern kriegserfahrnen Männer abgewiesen. Diese wollten, daß wir am Ufer hinzögen, einige feste Plätze nähmen und mit der Flotte in Verbindung blieben, teils um im Fall eines Unglücks diese Zuflucht zu besitzen, dann aber auch, um durch die Schiffe der Zufuhr an Lebensmitteln gewiß zu sein. Wunderbar genug, und ich möchte es Verblendung nennen, hat der König befohlen, sich von der See und Flotte zu trennen und mit dem ganzen Heere nach der Mitte des Landes vorzudringen. Diese scheinbaren Siege werden seinen Mut nur noch höher steigern, er dringt in der Wüste vor, und ohne den Besitz fester Plätze wird er vielleicht sogar von seinen Schiffen abgeschnitten. Darum kann ich die Freude mit Euch und dem ganzen Volke nicht teilen, denn es ist nicht selten, daß einem großen Unglück ein scheinbares Glück vorangeht.«

Ferdinand hatte sich dem Oheim genähert und ihm aufmerksam zugehört. Da seine Rede ruhig und verständig war, so hatte des Jünglings freudige Miene sich auffallend verändert, und auch die Blicke der übrigen waren plötzlich trübe geworden und drückten Furcht und Besorgnis aus.

Maria sagte leise zu Christoforo: »So ist es doch immer in der Welt; wenn man sich recht über etwas freut, so kommt so ein weiser Mann und beweiset uns, daß an dem Dinge nichts sei und daß wir unverständig sind, uns zu freuen.«

»Wer war es«, fragte Ferdinand, »der mit Euch so weitläufig sprach und so entschieden sich mitteilte?«

»Ein reicher, widerwärtiger, streitsüchtiger Mensch, mit dem ich in einen Prozeß verwickelt bin«, antwortete der Marques. »Weil er Gelder vorgeschossen hatte und sich überhaupt mit diesem Zuge, der ihn gewiß noch reicher macht, eingelassen, so war er mit der Flotte nach Afrika geschifft, um über seine Gelder die Aufsicht zu führen. Jener reiche Indier, Alonso, ist es, der sich rühmen will, mit uns verwandt zu sein, obgleich sein fabelhafter Stammbaum es nicht ausweisen kann. Der Alte wird mir noch durch seinen Eigennutz und seine Rabulistenkünste vielen Verdruß machen, denn nächst dem Geiz ist die Streitsucht seine größte Leidenschaft. Kann er einen Prozeß anspinnen oder ihn ohne Not verlängern, so ist er glücklich.«

»Ich sah ihn«, antwortete Ferdinand, »im vorigen Jahre auf Euerm Landgute, wo er ebenfalls Forderungen an Euch machte.«

»Das ist unser Prozeß und Streit«, erwiderte der Marques. »Noch von seinem Schwiegervater her, der schon längst gestorben ist und der vor dreißig Jahren unser Bankier und Geschäftsträger war, leitete er seine Ansprüche her, und ich habe immer noch jene Papiere und Quittungen nicht wiederauffinden können, die seine Forderungen unbedingt zurückweisen. Sind sie doch auch vielleicht verloren. – Ich bin überhaupt heut verdrüßlich und verstimmt, teils darüber, daß ich die Täuschung der guten Stadt Lissabon nicht teilen kann, teils über meine Heftigkeit und meinen Jähzorn, der sich nun doch wohl endlich in meinen Jahren hätte sänftigen können. – Aber denkt nur, Freunde, dieselbe Pöbelmasse, von dem riesenhaften Taugenichts angeführt, die sich neulich ungezogen in den Palast unsers Königs drängte, um ihn mit ungeziemenden Redensarten von seinem Zuge abzuraten, ist nun plötzlich durch die jetzige Nachricht in eine Schar von unbesiegbaren Helden verwandelt. Sie verlangen Rüstung, Munition und Schiffe, um auch als Patrioten an den großen Anstrengungen unsers Königes teilzunehmen. Der Regent wird Mühe genug haben, das rohe Gesindel wieder von sich zu entfernen.«

»Und wie«, fragte Christoforo, »die ganze Stadt hat die Siegesnachricht mit Freuden empfangen?«

»Gewiß«, antwortete der Marques, »so traurig die allgemeine Stimmung war, als unser Herr sich einschiffte, so gleichgültig das Volk damals schien, so stürmisch, ungebändigt ist jetzt die Freude. Lissabon ist in einen Tummelplatz von Lust und freudiger Verwirrung verwandelt, alle Geschäfte stocken oder werden nur eilig und verwirrt abgemacht, so daß man sieht, nicht Mangel an Liebe zu König und Vaterland war es, was jene Stille damals hervorbrachte, sondern Bangigkeit vor dem Ausgange, Zweifel erregten jene dumpfe Schwüle, die der König selbst mit Betroffenheit hätte bemerken müssen, wäre er von seinem nahe geträumten Siegesglück nicht allzu trunken gewesen. Den meisten Lärmen erregen aber jene Nichtsnutzigen, jenes Volk, das weder Soldat noch Bürger ist, sondern ein Bettelgesindel, das sich lieber durch Gaunerei und Schelmstreiche, Lügen und Trug als einfachen Bettel ernährt. Diese schwingen rostige Piken und drohen mit Aufstand, Raub und Empörung, wenn man ihnen nicht Mittel schafft, ihre tapfre Streitlust in Afrika zu büßen. Sie plündern und rauben schon im Geist und möchten lieber die Seidenladen und Silbergewölbe unsrer Goldschmiede oder die vollen Kassen unsrer Kaufleute hier für das zu besiegende Afrika ansprechen. Der Prophet unter ihnen ist jener riesenhafte Minotti, dem sie, aber keinem andern, zu gehorchen schwören.»

»Aber noch ein ander Ding, teurer Ohm«, fing Ferdinand wieder mit freundlicher Stimme an, »liegt Euch im Sinne, was Eure Laune, wie Ihr selber sagtet, verändert hat. Ist es kein Geheimnis, und dürft Ihr es uns mitteilen?«

»Eine Kleinigkeit, würden die meisten Menschen sagen, die nicht der Rede wert ist«, antwortete der Marques, »aber mir ist es wichtiger, und besonders am heutigen Tage. Schon verdrüßlich über mein Gespräch mit Alonso, traurig über die Verblendung der Stadt, zornig über die Anmaßungen des Pöbels, geriet ich auf dem Markt in ein Volksgedränge. Jeder Stand benutzt die Stimmung der Zeiten, wie sie wechseln, und die Klugen sinnen darauf, von Glück oder Unglück Vorteil zu ziehn. So fielen mich denn auch gleich eine Menge von Bettlern an, die die Vorübergehenden aufforderten, der großen Siege wegen heut ein übriges zu tun. Ich habe mir schon oft über meine Schwachheit Vorwürfe gemacht, daß ich es nicht unterlassen kann, persönlich bald diesem, bald jenem etwas zu geben, und da mich das Bettelvolk von dieser Seite schon kennt, so verfolgen sie mich oft hartnäckig. So waren sie denn auch jetzt sehr zutunlich um mich her, der mit Jammer, jener mit Trotz, dieser mit Winseln, ein andrer mit Heiterkeit. Ich gab verschiedenen, auch einem Neger, den ich schon kenne. Er wollte sich eben entfernen, als ein wunderlicher Kauz mit einer possierlichen Wendung im Betteln mich veranlaßte, ihm ein größeres Silberstück hinzuwerfen. Da wendete sich jener lahme Neger mit leidenschaftlicher Heftigkeit wieder zurück und bat mich dringend, ihn nicht zurückzusetzen, ihm auch am frohen Tage, der doch die Großen und Reichen im Lande am glücklichsten machen müsse, ein solches großes Stück zu gönnen. Meine Diener waren nicht bei mir, ich hatte mich schon ausgegeben und nur noch große Goldstücke in meiner Tasche. Ich eilte fort, der hinkende Neger mit Unverschämtheit, unerschöpflich in Bitten und Vorstellungen in einer abscheulich entstellten Sprache, mir nach. Der ist der unverschämteste Geizteufel, rief ein Alter, dieser Schwarze hat nie genug, wenn Ihr ihm auch alles gebt. Ja, schrie ein andrer, der Kerl verdirbt uns den ganzen Bettel in der Stadt, denn wo er mit seiner Frechheit sich hindrängt, da erhält kein andrer Notleidender etwas. – Mein Schritt war gehemmt: der Schwarze, immer dicht an meinem Ellenbogen und immer um Geld kreischend, in hundert neuen Wendungen und Sprecharten, und ich zwischen dem Volke wie ein fremdes Wunder.«

Der Marques hielt inne und ging wieder unmutig auf und ab. Catharina sah ihn forschend an, und nach einer Weile sagte er, wie in Verlegenheit und Zorn lachend: »Nein, geliebte Muhme, ich habe den Kerl nicht umgebracht, wie Euer Auge mich wohl zu fragen scheint – nein, aber der Zorn übermannte mich so, daß ich ihm plötzlich mit meinem Stabe einen starken Hieb über den Rücken und einen zweiten über den Kopf gab. Alle fuhren zurück, ich dachte, sie würden schadenfroh lachen, aber ihr Blick auf mich gerichtet und ihr Stillschweigen sagte mir, daß ich zu viel getan habe. Ich sah wieder nach ihm, dem Schwarzen, hin. Er wendete ein ruhiges, demütiges Auge auf mich, das aber nichts Gemeines, Sklavisches aussagte, nahm die kleine Silbermünze, die ich ihm erst gegeben, küßte sie und wandte sich dann hinweg. Seit ich nun aus der Stadt bin, schwebt mir in der Einsamkeit immer der Blick des Menschen vor. Er mag arm sein, es bedürfen, hat vielleicht Kinder. Wäre er dagewesen, ich hätte ihm zur Buße drei, vier Goldstücke gegeben, ja dem Elenden eine Abbitte getan. – Man bleibt doch immer, auch im Alter noch, schlecht!«

Er nahm den Stab, den er in Händen hielt, quer vor die Brust und zerbrach ihn mit dem Ausdruck des heftigsten Zornes in viele Stücke. Dann öffnete er das Fenster und warf die Splitter in den Garten.

Alle hatten ihm mit Erstaunen zugesehn, als ein wildes Getöse sie alle erschreckte und ihr Ohr gefangennahm. Sie gingen in den Saal, dessen Fenster zugleich auf die Landstraße führte. Ein großer Volkszug wälzte sich lärmend, schreiend und singend von der Stadt her. Sie trugen eine Fahne in ihrer Mitte, und der große, breite Minotti schritt ihnen trotzig voran. Man vernahm, daß der Regent des Landes schwach genug gewesen war, der Bande ein ansehnliches Geschenk reichen zu lassen: Sie nannten sich jetzt die Soldaten des Vaterlandes, die Kämpfer für die Religion und das Christentum und marschierten nach einer heiligen Kirche, einem Wallfahrtsort, der eine Meile entfernt war, um dort ihre Fahne von den Priestern weihen zu lassen.

 

Der kranke italienische Hauptmann, der im Hause des Grafen Ferdinand verpflegt wurde, war durch einen geschickten Arzt von seiner Wunde fast genesen. Der junge Graf hatte den fein gebildeten Florentiner liebgewonnen, und so hatte der Zufall diese beiden Männer, die sich vorher nicht kannten, zu Freunden gemacht. Da unter ihnen oft von Literatur und Poesie die Rede gewesen war, so erfreuten sie sich gegenseitig ihrer Kenntnisse und übereinstimmenden Urteile, denn der junge Portugiese war mit den Dichtern Italiens vertraut. Der Florentiner war entzückt, durch seinen neuen Freund die Schönheiten der portugiesischen Sprache und Poesie kennenzulernen, und Ferdinand übergab ihm mit einem Gefühl des Stolzes die große Dichtung des Camoens in die Hände. Er las ihm vor, er erklärte ihm die schwierigen Stellen, erläuterte ihm die geschichtlichen Begebenheiten, auf welche der Dichter nur kurz anspielt, und setzte ihn so in die Verfassung, die sinnreiche und verständige Erfindung zu würdigen.

In diesen schönen Stunden, in welchen sich beide glücklich fühlten, vergaß der Kranke seiner Schmerzen, und der Jüngling, der hier als Lehrer auftrat, mußte den ältern Mann ehren, der, indem er lernte, ihm wieder so viel Einsicht und verständiges Urteil über die Schönheiten des Gedichtes und dessen Einrichtung zurückgab, so daß keiner wissen konnte, wer Lehrer oder wer Schüler war.

»Wie selten«, sagte Ferdinand an einem Abend, »mag ein solches Verhältnis eingetreten sein, welches ich zu den schönsten rechnen muß, die der Mensch nur ersinnen oder wünschen kann. Sich auf diese Weise beschäftigen und sich mitteilen, was wir gelernt haben oder die Begeisterung uns eben zuführt, ist eine Vermählung der Geister, in welcher die feinste Wollust die Gemüter durchdringt.«

»Erklärt mir nur«, sagte der Florentiner, »das Wunder oder wie es möglich ist, daß ihr Portugiesen nicht von diesem wahrhaft göttlichen Werke eures Dichters mehr durchdrungen seid, daß ihr nicht immerdar und bei jeder Gelegenheit davon sprecht. Wo ist ein Nationaldenkmal, das sich diesem vergleichen dürfte? Ist euer Volk denn wirklich so stumpf, es nicht zu fühlen, was es an diesem Werke besitzt, in welchem die Begeisterung und ein großes Gemüt aus jedem Verse spricht; oder ist euer Vaterland schon untergegangen, noch mehr wie unser Italien scheint, daß diese Vaterlandsliebe in keiner Brust einen Widerklang findet?«

»Wohl beides nicht«, antwortete Ferdinand mit einiger Beschämung. »Daß das Werk gelesen ist und Beifall gefunden hat, beweisen die zwei Editionen, die schnell hintereinander ausgegeben wurden; aber freilich scheinen die Völker und Länder manchmal wie in einen Schlummer gefesselt, daß sie erst später die ganze Größe und Bedeutsamkeit eines Weisen oder Dichters erkennen. Vielleicht müssen wir erst recht elend und von einem Fremden unterjocht werden, um es recht in allen Kräften zu empfinden, welche Erhebung, welcher Trost, welche Aufmunterung zu großen Taten uns aus den süßen Reimen unsers Camoens entgegenquillt. Pest, Druck, Leiden, eine schwache Regierung, Bigotterie, Übermut des Reichtumes, alles dies und wieviel kleinere Ursachen noch haben zusammenwirken müssen, daß dieser große Genius nicht gleich in einen Zauberbund alle Gemüter seiner Landsleute durch die begeisternde Rede fesselte. – Es ist auch möglich, daß die Größe Eures mächtigen Dante nicht unmittelbar, als er noch lebte, oder bald nach seinem Tode allenthalben in Italien erkannt wurde.«

»Erlaubt«, erwiderte der Italiener, »wenn ich Euch widersprechend bemerke, daß die Umstände ganz verschieden sind. Damals konnte in Ermangelung der Druckerei ein Werk, wenn es auch alle interessierte, nicht so schnell verbreitet werden. Italien ist und war immer in seinen verschiedenen Provinzen sehr ungleich gestimmt und gebildet. Waren manche Gegenden fast nur von geistreichen, verständigen und gelehrten Männern bewohnt, so gab es viele Distrikte, in denen eine unverkennbare Barbarei vorherrschte. So ist es noch jetzt. Und doch, wie früh erfüllte des Dichters Ruhm das ganze Land, so daß sein Name fast göttlich verehrt wurde und die besten Männer sein Werk wie das tiefsinnigste, wunderbarste, ja wie ein inspiriertes ansahen und demgemäß auszulegen strebten. Dann aber, so national Dante ist, so strebte ihm doch eine große Partei in allen Provinzen entgegen und war ihm feindlich gesinnt, selbst Papst und Hierarchie waren dem Ghibellinen nicht günstig. In jedem Distrikte herrschte ein andres politisches Interesse, und so äußert der verbannte, verfolgte Dichter seine Liebe zum Vaterlande fast mehr in großartigem Schmerz oder erhabenem Zorn als in Liebe und Bewunderung. Wie rückt auch die Größe der Tugendhaften und echten Patrioten in den Schatten bei diesen sich durchkreuzenden Faktionen, stets wiederkehrenden Empörungen, Untaten und Gewalt und Tyrannei aller Art. Auch ist nicht das Vaterland und dessen Größe der eigentliche Mittelpunkt des Gedichtes, sondern die mystische Lehre von der Liebe, der Gottheit und dem Geheimnisse der christlichen Anschauung. Alles ist Vision, Traum, Offenbarung eines der Welt Entrückten, und die Welt entschwindet uns endlich ganz in prophetischer Erklärung der Geheimnisse. – Aber ihr Portugiesen, ihr beglückten Glücklichen, früh in Gesinnung, Sprache, Sitten und Religion vereinigt: siegend gegen die Mohren und selbst Spanier; beherrscht von einer Reihe großer Regenten, mächtig und berühmt und um so größer, da das Land nur klein ist, in euren Anstrengungen um so herrlicher und wunderbarer! Ihr umschifft zuerst Afrika, entdeckt dann den Weg zu den fernen Indien, und diese Helden, die das sicher und klar unternehmen, denen gelingt, was die Welt unmöglich nannte. Diese sind die Helden des Dichters. An diese große Wunderbegebenheit knüpft er zugleich Vergangenheit und Zukunft, keine Begebenheit, die dem Portugiesen wichtig sein muß, die er nicht in diesem verschönernden Spiegel fände, kein Mann, der dem Vaterlande wert ist, der groß handelte, der hier nicht genannt und verherrlicht würde.

Denke ich zurück, was ein solches Werk bedeutet, so mußten gerade so günstige Umstände, wie ihr erlebtet, zusammenkommen, um einen so großen Dichter noch in der Gegenwart anrühren, um diese Wundererscheinung möglich zu machen. Ja, auch der süße Virgil ist Patriot, das Schönste in seinem Werk gehört diesem Gefühl: Und wie konnte ein Römer, dem die Welt gehorchte, nicht stolz sein auf die Größe der ewigen Stadt? Aber die Herrlichkeit der eben verschwundenen Republik darf nicht mehr hereintönen, der zärtliche Autor ist schon Hofdichter, und die Verherrlichung grenzt schon an nichtige Schmeichelei. – Wie nüchtern ist unser schläfriger Trissino! Wer wußte auch, wer kümmerte sich auch um die Herrschaft der Goten und ihrer Vertreibung! Das Gegenbild, was sich vielleicht hätte ausmalen lassen, konnte der schwache Erfinder nicht hineinzudichten wagen, und den Haß gegen die beständigen Feinde des wahren italischen Roms kannte der Gelehrte nicht, sowenig die Fremden wie die Eingebornen. Italien liegt seit lange, seit der Kaiserzeit, Manfred und Ezelin, und noch früher, unter dem Fluch und kann nicht zur Einheit, Freiheit und Größe erwachen. – Darum war schon unser großer Petrarca abgewendet. Liebe sang er und Religion: Sein Haß blitzt auf gegen die Schänder der Freiheit, aber es sind nur wenige, vorüberfahrende Blitze. Einzelne große Männer unter den Regenten besitzen wir, aber keine große Geschichte; einzelne Großtaten, aber ohne Erfolg und Zusammenhang. In der Kunst und Poesie können wir auf unsterbliche, einzige Talente stolz sein und dürfen die übrigen Völker Barbaren oder unsre Schüler nennen. In dieser Verklärung der Malerei, Skulptur, Baukunst, Musik und Poesie entsteht gleichsam wieder ein geistiges Vaterland – und hat nicht Philosophie und Wissenschaft durch ihre Forscher auch Großes geleistet? Aber, so groß man uns in diesen Dingen preisen mag, nichts wurzelt in einem wahren vaterländischen Boden. Die Fremden werden deshalb von unsrer Anstrengung mehr Nutzen haben als die Italiener selbst. Denn es ist nicht zu verkennen, daß neben dem Großen und Herrlichen sich ein kleinlicher Geist des Neides, der Verfolgung, des Dünkels und der Eitelkeit entwickelt, der schon jetzt bedrückend und armselig wirkt und in Zukunft, wenn nicht neue, große Geister aufstehn, sich ganz in das Kümmerliche und Unbedeutende verlieren kann. Darum entstand auch bei uns jene sonderbare Ritterpoesie von seltsamen und unmöglichen Abenteuern, alles ganz aus der Luft gegriffen und sich schon früh dem Witz und dem Lächerlichen preisgebend. Die Krone dieser Abenteuerlichkeit ist unser unsterblicher Ariost. Wer darf in Schalkheit, Witz, Heiterkeit und Gefühl und frischer Malerei sich mit ihm messen? Aber wie dürftig und klein schrumpft dieser große Geist zusammen, wenn er nun Ferrara, sein Geburtsland, verherrlichen will und sich in der Genealogie des Hauses Este ergeht? Alles nichtige Schmeichelei, Dürrheit, wo alle Erfindung und Begeisterung ihn verläßt.


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