Ludwig Tieck
Tod des Dichters
Ludwig Tieck

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Seelen zu künftigen Gedichten

Nicht ganz abzuweisen ist der Gedanke, daß die Seelen, seit undenklichen Zeiten erschaffen, im unsichtbaren Element auf die Zeit der irdischen Verkörperung warten, um, wenn sich die Möglichkeit bietet, in einen entstehenden Leib zu schlüpfen.

Eine sehr alte Sage will uns belehren, daß beim Anfang der Dinge eine unendliche Schar von Geistern durch einen ungeheuern Abfall verloren und vernichtet worden sei und daß der Schöpfer in den Seelen der Menschen diesen Verlust wieder ersetze. – Andre meinen, jene verlornen Geister fänden, da sie nicht vernichtet, sondern verstoßen seien, durch den Eingang in menschliche Leiber und durch guten Wandel den Rückweg zu Gott. – Spricht man nicht auch in andern Gegenden auf ähnliche Art, die Seelen oder Geister seien früher in einem höchst glückseligen Zustande gewesen, sie würden in unsere Leiber verbannt, um einen unbekannten Frevel abzubüßen, und das Erkennen der Wahrheit hier, die Entzückungen der Andacht, das Anschauen des Schönen seien nur vorübergehende Erinnerungen an jenes frühere verscherzte Glück. – Man kann es sich auch in träumerischen Stunden denken, als sei alle sogenannte Materie nur betäubter Geist und ringe sich, von Wasser, Luft und Licht umspielt und gewiegt, aus dem Stein zur Pflanze und Blume hinein, werde belebt und Tier; oder steige auch wohl aus Lilie und Rose durch die Gegenwart von Liebenden sogleich zur Krone der Schöpfung, der Menschenseele, hinauf. Am Mutterherzen verschlossen, wächst die Knospe nun zum zarten Kinde auseinander. Die Geister begegnen sich in der Liebe, und die Gefühle der Gatten, Kinder, Eltern, Tränen, Dank, Lächeln, Lust, Nahrung, Andacht, Instinkt, Heldenmut, Weinrausch, Entzücken der Liebe und Wollust sind in tausend und tausend wechselnden Gestalten die wiedererzählten Sagen und wahr gewordenen Märchen uralter, jenseit aller Zeiten liegenden Glückseligkeit.

Meinetwegen. Was ich träume, ist Traum, aber ich habe ihn doch erlebt, und viele Träume und sonderbare Nächte kann ich sowenig als ein Nichts aus meinem Leben streichen als Tage der Taten und Leiden. Ich will es auch nicht.

Ich habe schon Sonette, Madrigale und Kanzonen gedichtet, für künftige will ich mir in dieses Büchlein die ersten Gedanken niederschreiben, daß sie dann Körper, Wort und Reim empfangen. – Möglich ist es, daß viele der edelsten Gefühle und besten Gedanken wie Sommerwolken durch meinen Kopf ziehn und in ein Nichts verschwinden, so mag dann Vers und Gedicht diese ergänzen und neue für jene erschaffen. – Es geschieht auch vielleicht, daß diese Begeisterungen im Verlauf des Gedankens schwach und irdisch werden und, im Gedicht wieder zur Erinnerung gebracht, ihren himmlischen Fittich entfalten. – Es ist auch nicht ohne, daß eine reine Entzückung, ein göttliches Schauen in Wort und Rede gefesselt, sich in irdischen Banden nur qualvoll bewegt und in der Mensur nun büßt, daß es zum menschlichen Gedichte geworden. Damit es sich in Worten faßt, muß es oft seinen himmlischen Ursprung verleugnen. – Auch trifft es wohl zu, daß in unserm fernsten und tiefsten Wesen, wo Bewußtsein und Gedanke nicht hineinreichen, rätselhafte, stumme Ahndungen erwachen, aus dem dunkeln Tode treibt unvermerkt ein Sprosse des Lebens hervor, aus diesen entwickelt sich farbige Blüte, und so verwirklichet und belebt das Gedicht das feinste und unsichtbarste Dasein und hüllt es in leichte, körperliche Gewande.

Jedes und alles dieses ergebe sich aus meinen Vorsatz.

 

Schau ich vom Berge über die Flur, die Zitronen- und Olivenhaine und Täler und das weite, schöne Meer hinweg, seh ich die dunkle Bläue des Himmels rein und klar ausgespannt, das Licht über alles streifend, zitternd und Farben und Schimmer erweckend, indem die Sonnenscheibe durch den ihr angewiesenen Raum wandelt und vom Morgen und Abend in vielfarbigen Flammen spielt, so gemahnt es mich, als sei mein Geist so vor mir ausgebreitet, der sich in Liebe dahingießt und liebend mit seinem Licht die Pflanzen, Berge und Fluten, das Grün der Au und des Meeres, das Blau des Äthers und den Purpur des Abends durchdringe, und ich sage oft zu mir: Das bist du selbst! Und mein Entzücken ist das Erkennen des Bräutigams der nicht mehr verschleierten Natur.

 

Die Herrlichkeit der Welt ist in jeder Stunde eine andre. Meiner Umarmung kommt die Lieblichkeit des Elementes in neuer Gestalt entgegen. So sprech ich vieles und mannichfaltiges mit Meer, Himmel und Erde, und immer wird mir neue Antwort und unerwartete Lehre.

 

Immer sagt der Mensch: Heitre, Licht, wenn er das Erfreuliche, Glückselige bezeichnen will. O in dieser Nacht, als ich im Zypressenwäldchen wandelte und dann in der Felsengrotte ruhte, von Dunkel und Finsternis umflossen, wie glücklich, wie selig war ich. Ich sog an der duftenden Blume der Nacht, und himmlische Empfindungen träufelten in meinen Busen und löschten den Durst der Sehnsucht. Meine Liebe verbarg sich in die süße Rose unter den heiligen Blättern und schlürfte die süße Betäubung der Wonne aus dem innersten Kelch. Ist nicht diese Wollust vielleicht in dem, was die Menschen Tod nennen? Ruht das schönste Leben, die seligste Entzückung wohl in jenem dunkeln Unbewußten, vor dem die Seele am Tage so oft schaudern will? Vielleicht nur darum, weil sie vor der Freude zittert, sich dort in innigster Kraft und seligster Genügsamkeit wiederzufinden? In dieser Nacht erschien mir das Leben des Tages matt und unbedeutend.

 

Wenn ich in manchen Stunden das Treiben der Welt betrachte, das mannichfaltige Irrsal, das Durcheinander der Leidenschaften, alle das Schwatzen und unnütze Hantieren erfolgloser Lebhaftigkeit: wie einer dem andern vorrennen und den Platz abgewinnen will, wie jeder sich klüger als der andre dünkt – und ich messe dann das Ameisengewimmel an Tod und Ewigkeit, an die großen Begebenheiten der Vorzeit, an die Drangsale so vieler Helden, durch welche sie das Übermenschliche erreichten – so fällt, wie vom Himmel, eine solche selige Stimmung von Lust und Laune auf mich herab, daß ich im Feuer eines göttlichen Mutes mein Lachen in die lautesten, frohesten Jubelgesänge ausströmen möchte. Fremde, und selbst Freunde, die mich doch mehr kennen sollten, bezüchtigen mich dann eines hochfahrenden Übermutes, der die Menschen und das Beste in ihnen verachtet und verhöhnt. Ich fühle aber gerade in diesem Aufschwung die milde Demut, die dem edlen Menschen geziemt, und aus Menschenliebe lach ich über die menschlichen Torheiten. Das ist nicht Juvenal oder Persius, was aus mir spricht, nicht einmal Horaz, sondern ein süßes Wohlbehagen, daß mein heitres Gefühl durch sich selbst den Mittelpunkt und die Harmonie der Welt gefunden hat.

 

Gelingt es mir, Gedichte aus diesen Seelen in Zukunft zu erschaffen, so möchte ich nebenher auch Seelen entdecken, aus denen mir Glück, Vermögen, Besitz erwüchse. Wenn es mir zu kümmerlich ergeht, gedenke ich an die großen Kämpfe, die unsre lusitanischen Helden in Indien ausgefochten haben. Sind sie groß, weil sie reich waren? Weil sie in großen und sichern Palästen wohnten?

 

Das ist des Zirkels Quadratur: daß ich in allen umschwingenden Kreisen, die Zufall, Leidenschaft, Glück, Laune, Tollheit und Aberwitz oder Heldenmut, Großheit, Religion und Tollkühnheit erregen und in vielfachen Umzirkelungen unsre Phantasie und unser Auge verwirren, daß wir wohl staunen, aber nicht begreifen – den festen Halt von vier sichern Punkten setze, in denen sich die Umschweifung bindet, an das Unerschütterliche festhält und sie allgemach zum regelrechten Viereck werden, das ich verstehn und berechnen kann. Dergleichen pflege ich im Scherz die Quadratur des Zirkels meinen mathematischen Freunden zu nennen. Ich meine es aber im Ernst, wenn auch nicht im mathematischen.

 

Der Dichter, sagen die Menschen, schwebe immer losgebunden über der Erde. Man hält mich für einen solchen. Ich kann aber sowenig fliegen als mich von der Erde losbinden. Mein Gefühl schlingt sich nur um so fester der Erde an und allen irdischen Dingen, um so mehr ich mich poetisch gestimmt fühle. Was sind denn Früchte und Blumen, Wald, Fels und Meer, Tiere und Menschen anders als deutungsvolle Zeichen und Chiffern, in welchen die ewig schaffende Kraft ihre Gedanken geschrieben und in sie niedergelegt hat? Dadurch, daß sie etwas bedeuten, sind sie. Meine Begeisterung ist, daß der Naturgeist in mich niedersteigt, und nun faß ich, seh ich, fühl ich und weiß, was sie sind. Wenn dies den Poeten macht, so bin ich einer. Das Einsteigen in das Irdische, um dort das Überirdische zu finden, scheint mir mein Verkehr und meine Bestimmung.

 

Zeit und Ewigkeit setzen die Religiosen und Theologen immer einander entgegen – und doch ist die Zeit nur die gegliederte Ewigkeit. Sonst hat diese gar keinen Sinn. Und so wird und muß es auch in alle Zukunft hinein bleiben.

 

Ich kann es nicht über mich gewinnen, der Diener eines hoffärtigen Großen zu sein. Ja und nein sagen wie er, fühlen wie dieser, Leidenschaft spielen, wenn er es verlangt, um nach Jahren zum Lohne dieses Eifers und Verleugnens eine Stelle dort oder hier zu erhalten. Wie anders steht und wandelt der freie Soldat! Und kommt er vom Dienst, seiner Schule, in den Krieg, seine Universität – welch Glück, welche Freiheit! Wo Feldherren seine Lehrer und Helden seine Brüder sind!

 

Warum sollen sie unrecht haben, die den Wein das Blut der Erde nennen? In ihm ist die feinste Verkörperung des unendlich schaffenden und mannichfaltigen Naturgeistes. Und die Vereinigung des menschlichen Geistes mit jenem, in zarter Verliebtheit und sanftem Umgang, in seinem ehelichen Verkehr, ohne Zank, Wut und Schlägerei, ist das Artigste und Wunderlichste, was uns der gute Altvater Noah als seinen gläubig trinkenden Enkeln vermacht hat. Sehnen wir uns oft nach dem Unsichtbaren, so sehnt sich der Geist des Weines nach uns, und in der Vereinung wird dann ein liebliches Zweigespräch geführt, von Witz und Laune beseelt, und in der Lust begegnet die Freude in letzter Tiefe jenem ewigen Schmerz, der die Grundlage unsers Lebens ist.

 

Sie wollen dein Angesicht nicht sehn, sie wollen dich nicht kennenlernen, du tiefer, rätselhafter Schmerz, der du, wie die alten Riesen, unten im Dunkel gefesselt liegst. In der Wehmut, den Tränen, dem Grauen und Schrecken geht das Auge des Geistes auf und schaut hin nach dir. Aber allen fehlt der Mut, näher hinzuzutreten. Sie verleugnen dich in nüchterner Freude, das zerstreute Leben nimmt sie auf, und die Wogen der Nichtigkeit schlagen über ihren Häuptern zusammen. Aber ich bin früh schon in deine Nähe getreten, und da erhobst du dich, und ein leuchtender Genius stand vor mir und gab mir seine Bruderhand. Das Leben selbst bist du, der ewige Eros, von dem die Alten sprechen, durch den Psyche endlich in den Kreis der Götter aufgenommen wurde. Seit ich das anerkannte, lächelt mir auch im Unglück ein heitrer Trost.

 

Wie blutet mein menschliches Herz, wenn ich die breiten und tiefen Blutströme rinnen sehe, die fließen mußten, um in den beiden Indien die Fahne des Kreuzes und die große Argo zu tragen, die ihnen den Glauben Christi brachte. Der Mensch entsetzt sich in Zweifel und Angst. Aber wütet, tötet, vernichtet die Liebe nicht, von Angst und Eifersucht entzündet? Der Mensch mit seinem Mitleid verschwindet dann. Ja, dem Mitleid und sich zum Trotz opfert der Liebende nur mehr Blut im Zorn. Verletzt der Geliebte nicht auch ohne Zorn, in Liebesgluten, seine Braut? Das Köstlichste muß teuer erkauft werden. Die umgehende Kelter preßt und zerdrückt die farbigen schönen Trauben, um den Wein des Lebens fließen zu machen. Ihr armen Opfer seid glorreich gefallen, um den Sieg des Glaubens zu fördern. Fragt der Feldherr in siegender Schlacht nach tausend Leichen? Und was ist der schönste Sieg des Helden der Welt gegen jenen geistigen Triumph?

 

So kann vieles nur in Rausch und Leidenschaft geschehn und verstanden werden. Hin rollt der Wagen des Schicksals über Leichen, durch Blut, zertritt Blumen und Frucht; Sturmwind braust und peitscht das Meer und zerknickt die Wälder. Es ist! Es muß! Ist das ungeheure Gebot der unbezwinglichen Notwendigkeit, und die zitternde Liebe wird nicht gefragt und muß als Sklave mit Hand anlegen, wenn sie nicht als Herrscherin den Wagen selber führen will.

 

Und doch fühlte und verstand der begeisterte Gottesprophet den unaussprechbaren Jehova nicht im Erdbeben und Sturm, sondern im sanften, linden Säuseln. – So folgt die stille Andacht der Inbrunst jenen großen Völkerbekehrungen. Die Wogen legen sich, Mitleid, Wehmut, Holdseligkeit ziehen langsam über die stille Flut.

 

Ja, Vaterland, du bist das herrlichste, das ruhmreichste! Was kann sich mit Lusitanien messen? Was unsern Namen zu den Enden der Welt trug, war Heroenkraft, mit keiner andern Menschengröße vergleichbar. O wem es vergönnt wäre, dies Gefühl auszusprechen; wer im Gesange die Töne fände, die Erhabenheit der Rührung, den Landesgenossen diese Gefühle in lichter, überzeugender Klarheit aufwachsen zu lassen! Hier ist mehr als Virgil nötig und Homer, denn die Aufgabe ist erhabner. Und noch stehn wir nah der großen Zeit, die sich mit purpurner Pracht über unser Land zog; wir fassen noch den Saum des Königmantels, der unsre Erde hier verherrlichte. Mir träumt von euch, ihr Helden, die ihr den edeln Vasco da Gama begleitetet. Ich seh das Meer in Aufruhr, die Stürme dräuen, die Hinterlist Verräternetze knüpfen: alle Götter aufgeregt, und das schönste Gelingen dann vom lichtblauen Himmel steigen, angetan in Götterschmuck. Und meine Brüder, meine Eltern, meine Portugiesen kehren nun zurück und haben errungen, was der klügelnde Zweifler unmöglich nannte. Jedes Wunder, jede große Tat ist unmöglich, aber eben deshalb geschieht es, gerade deshalb wird sie getan. Herz und Lebensgeister jauchzen in mir, daß mein Blut diesen Helden angehört. Könnt ich es auch für mein Vaterland verströmen; möchte die Gottheit und die freundlichste Muse mir das Schloß vom Munde nehmen, zu singen wenigstens, was mir nicht vergönnt war in Taten zu tun.

 

Im angewöhnten Gefühl, den Bildern und der Erinnerung, selbst in sprichwörtlicher Rede leben die alten Fabelgötter noch immer ihr lustiges, poetisches Dasein. Warum sollte man es dem Dichter verkümmern, sie auch im ernsten, großen Gedicht neben den Lehren und der Begeistrung aufzustellen und sie sprechen und handeln zu lassen? Die Allegorie bietet sich von selber dar, und da ein gewisser Glaube an diese Wesen sich in unserm Gemüte nicht vernichten läßt, so sind sie deshalb auch poetisch und wahr. Und ist in unserm Innern nicht jener Gegensatz, der sie im Gedicht rechtfertigen würde? Die Milde und Frommheit des Christen, sein Entzücken in der Andacht und im Glauben an den Heiland – wie steht diesem jener ewige sinnliche poetische Trieb unsrer Phantasie entgegen, der in der Schönheit der Frauen, in der Hingebung in Leidenschaft und Liebe noch immer jene allmächtige Herrschaft der Venus und ihres Sohnes anerkennen möchte? Wie Dante manches aus alter Mythologie zum Grauen und Schrecken beibehalten hat, so kann es ja einem andern auch zur Freude und Heiterkeit beistehn. Wie taumelt in unser Leben oft jener frohlockende Bacchus hinein, der mit seinem jubelnden Zuge von Indien kam. Wer möchte nicht, wie der große Alexander, diesen Taumel nachleben und fühlen können? Und wie er uns verderben möchte, wenn wir ihm nicht widerstehn, wie er jene christliche Demut von Grund aus erschüttert, so läßt sich denken, wie er unserm Vasco da Gama mit allen Kräften entgegenarbeitete, der jetzt mit dem Kreuz und dem Bilde der Maria an jenen großen Küsten der uralten Heimat des Bacchus landete.

 

Wir fühlen die ewigen Kräfte in uns und nennen sie gern, wenn die Begeisterung sie erregt und mächtig kräftigt, Götter. Im Vollgenuß unsrer selbst, in der Harmonie aller Gewalt möchten wir uns selbst Gott nennen. – Und dann kämpft das süße Gefühl der Demut, das edelste der Abhängigkeit, in kleiner, schwacher Gestalt diese himmelstürmenden Riesen zu Boden.

 

Sollen denn diese Seelen sich nicht endlich besinnen? Der Vers wird sie nicht anerkennen. Mein Leben liegt mir näher als mein Gedanke und so mancher Plan, den erst die Folgezeit reifen kann.

 

O ihr Amors und spielenden Götter süßer Lust und Freude! Ich habe sie wiedergesehen, aber sie hat mich nicht bemerkt. Wenn das Schiff in der Nacht segelt, so folgt dem Kiel eine leuchtende Furche lange im Wasser nach. Wo sie durch den Garten wandelte, schimmerten die Blumen schöner, und ein liebliches Düften floß säuselnd durch die Luft. Die Myrthen beugten sich vor, von ihrem Atem zu trinken, und die liebetrunkne Nachtigall vergaß indessen ihres Gesanges. Und ich? – Ich brauchte nichts zu vergessen, denn schon seit lange denke ich nur sie.

 

Als sie am Meer gestanden hatte, lief ich nachher heimlich hin, um im Wasserspiegel noch ihr Bildnis zu sehn und in mein Auge aufzufangen, das Bildnis war noch dort, denn ich sehe es immerdar und allenthalben.

 

Ein Lächeln wurde mir. Ich kenne Menschen, die die Erscheinungen der Natur ergründen wollen, die den Wachstum der Pflanzen, den Bau der Tiere und Fische beobachten, andre, die in den Tiefen der Erde nach den Metallen forschen und sich Tag und Nacht bestreben, die Erscheinungen zu verstehn, den Wandel der Gestaltung zu erklären – und ich! Über dieses zarte, sinnige Lächeln, über die liebliche Bewegung dieser holdseligen Lippen könnte ich jahrelang sinnen, und doch würde mir noch vieles vom Verständnis zu erklügeln übrig bleiben. Wenn der Dichter sagt, daß Amorinen auf diesen rotblühenden Rosen scherzten und lachten oder Netze legten, um die Augen der Sterblichen zu fahn, wenn dieses holdselige Lächeln mit Rosenknospen verglichen wird, die sich auftun, wenn der Strahl des Morgens sie küssend erschließt, so ist dies alles nur allgemein, flach, ein mattes Gemälde. Wie aus den glänzenden Augen dieses Lächeln herabstieg, über die Blumenwangen hüpfte und nun die ganze Liebesseele wie Venus aus dem heitern Meere aus den roten, schalkhaften Lippen auftauchte. Waren die roten Korallen nicht wie ein Lager, in welchem Amor, eben geboren, lallend und jauchzend lag? Gibt es Liebende, die nicht zehn und zwanzig Capitoli über diese Bewegung des Mundes, welches wir so obenhin Lächeln nennen, dichten könnten? Und was hat es mir bedeutet? Oder hat es mir nichts gesagt? Mir schien es, als hätte sie den Gruß meiner Seele verstanden und als gösse ein seliges Erinnern, daß unsre Geister sich schon früh, früh gekannt, den Morgenschein über das Antlitz, aus welchem die Lachblüte sich im Entzücken hob und wie eine Taube, bevor sie sich emporschwingen will, die schneeweißen Flügel prüfte.

 

Der steigt in das Meer, um kostbare Perlen zu fischen, jener fabelt von einem Brunnen, der das Alter verjüngt und die Krankheit erfrischt, er sucht und strebt den Wunderquell zu finden; der sucht den Stein der Weisen und die erhabene Tinktur; in brünstiges Gebet taucht jener unter, um Wunder vom Himmel zu erzwingen; der will nach Campostella oder gar nach Jerusalem pilgern, um das Land der Wunder zu sehn – und ich? In ihren Glanzaugen finde ich die größte Kaiserperl in jedem freundlichen Blick, meine verjüngte Seele steigt frohlockend aus diesem Geisterbrunnen und schüttelt in Entzückung ihre mächtigen Schwingen, und jeder Glanztropfen, der niederfällt, klingt Wonne: In diesem Blick ist das Wunderland und die Erlösung von Schmerz und Sünde. Hat sie mich sanft und mit freundlichem Strahl angeblickt, so ist mein Geist so geläutert, daß er in der Schar der reinsten Engel stehn könnte, und jeder Seraph würde in der Klarheit den Bruder umarmen.

 

Der Vater schilt sie um den Mutwillen. Sie sei zu goß, zu edel gebaut und nicht mehr Kind. Wäre sein Auge nicht im Weltgeschäft erblindet und von Leidenschaft zerstört, er würde an diesem Mutwillen Weisheit lernen und Unschuld in ihm erkennen. Sie spielte mit ihrer kleinen Nichte und verbarg sich im Garten hinter der Säule. Das Kind weinte und klagte. Nun trat sie mit dem hellen, lachenden Angesichte vor und schloß die Kleine zärtlich in die Arme, die nun die kleinen Ärmchen um den blendenden Nacken schlug und im Entzücken jauchzte.

Ist dies vielleicht ein Bild von unserm Leben? Hat sich unser höchstes Glück, so lange wir Menschen sind, auch so hinter der Säule verborgen und lächelt über unser kindisches Winseln? Springt es im Tode so auf uns zu und drückt uns an die bekannte, vertraute Brust?

Mir mindestens stand bis jetzt die steinerne Säule verdunkelnd vor meinem Blick, mein Leben war nur ein wehklagendes Suchen. Gefunden habe ich es, was mir mangelt, ihr Blick, ihr Wort ist meine Seligkeit, empfinde ich sie, so mangelt mir nichts. Höre ich nur von ferne ihr Gewand über den Boden säuseln, so kenne ich den Laut, und entzückender kann dem armen zum Tode Verdammten der Herold nicht sein, der ihm Leben und Freiheit verkündigt, als mir jenes Rauschen, wenn ich im Kreis der Menschen sitze und der Garten von vielfachen unnützen Reden tönt.

 

Sie saß auf dem Rasenhügel, und ich stand vor ihr. Die Turteltauben girrten, die Wasserstrahlen perleten hoch herab in das Marmorbecken und plauderten so süß und heimlich. Ein Vogel fern im Schatten sang ein Liebeslied, und sie sah so nachdenkend holdselig auf den Boden, als wenn ihren Blicken gleich Blumen entgegensprießen müßten. Ich wagte nicht zu reden, denn auch ihr Schweigen ist mir die lieblichste Musik: Ich könnte sie immerdar so sehn und mich in das Anschauen ihres sinnenden Anschauens vertiefen. Da erhob sie plötzlich das große Auge und sah mit einem schnellen Blick in meine tiefste Seele. Ich erschrak so sehr, daß ich zitterte. Da gab sie mir lächelnd die Hand. Was zagst du? sprach sie. Ich war auf deinen Blick nicht vorbereitet, antwortete ich, er überwältigte mich mit seiner Holdseligkeit zu plötzlich, wie wenn ein unbewaffneter Landmann von einem ganz in Stahl geharnischten Ritter zu Pferde angefallen wird. – Da lachte sie laut, und wir gingen wieder zu der Gesellschaft und den Blumen. Schallte in diesem Lachen nicht mein Todesurteil? War es das Feldgeschrei der Schmerzen, die wie ein Heer schon in Scharen stehn und meiner warten? – Auch der Nachtigallenton kann es sein, der ermattend im Liede die Nähe des Tages und der Sonne verkündigt.

 

Mein Leben war ein süßer Traum und schläft noch brünstiger und fester in den holdseligsten Wahnsinn hinein. Weckt mich nicht, ihr Freunde oder Feinde, Glück oder Elend, Pflicht oder Verbrechen, daß ich nicht verzweifle. Noch ruht mein Herz in Sabbatstille in der Feier des Heiligsten. Alle Engel knien dienend vor der Wiege des höchsten Glücks, in welcher schlummert, was mein Erlöser war. Emporgewachsen ist das Göttliche und hat im freundlichen Scherz das Wasser meines Lebens in berauschenden Wein verwandelt. Werde ich, einst ernüchtert, die Wände des Hauses, den Tisch, der das Wunder trug, noch schauen mögen? – Doch still! Stört, ihr dürren Zweifel, nicht dieser Stunde gegenwärtige Freude.

 

Die Seelen kennen sich früher, als sich die Augen erschauen. Sie wohnte längst in meinem Herzen. Auch vor dem Frühlinge sind die Blumen unsichtbar im Garten. Sehnsuchtschwanger, liebesschwanger war längst meine Seele, und wohin ich blickte, las ich Liebe. Da kommt der Lenz mit Licht und Tau und Wärme, er bringt Gesang und Duft und Farbe. Er wandelt durch den Wald, ganz in Kränzen umkleidet, umschwebt von Blumenketten, in das Haar Violen geflochten: Kaum noch erkennt man die Gestalt, so ist er mit Grün und flatternden Farben dicht umhüllt. Nun fühlt die trunkne Erde und Wald und Garten seine beglückende Nähe, die Geister der Natur streben ihm entgegen, und in seliger Ohnmacht läßt alles Gebüsch die quellenden Rosen los, und der Garten ist duftende Röte, die Lilie öffnet ihren Glanz, die Blüte der Bäume schwebt in der Sonnenluft, und alle Natur gaukelt Wundertraum. – So war dem Jüngling bang vor unbewußtem Glück, und die Träne entfiel in Wollust seinem Auge: Da erschien sie, und sein Glück hatte Namen und Wesen. Ist es aus dem Geheimnis der Geister zum Sein getreten, um dem Tode entgegenzublühn?

Als ich sie gefunden, haben die Geister sich in Blicken besprochen, aus den Blicken erwuchs das Wort.

 

Das Ungeborne sehnt sich zum Licht und Dasein hin: Dieser Puls schlägt durch die ganze Welt, und in der Liebe ist die Verkörperung des Geistes die schönste. Ja, in der Liebe ist im Erschaffen des Daseins auch wohl eigentümliche Kraft und mehr als die Erinnerung eines früheren Seins. Dem flüchtigen Hauche, dem nackten Geiste wird, wie er zum Kind und Jüngling erwächst, die unsterbliche Götterrüstung angelegt, daß er alle Angriffe des Verderbens bekämpfe und seinen göttlichen Sitz im Olympus erstreite. Nun nimmt die geharnischte und siegende Liebe alles Vergängliche mit in den ewigen Himmel. Kein Seufzen, kein Lächeln ist verloren: Unter dem Purpurmantel des Imperators schmiegt sich schüchtern und vertrauensvoll jede kindliche Freude und Ahndung, das süße Hoffen, der rasch vorübergehende Groll, der schlaue Wink des Auges und das allen unbemerkte Zeichen der bebenden Lippe. Alle Träume gehn mit und sitzen in Gesellschaft der befreundeten Göttergestalten. Zweifel und das Unmögliche sind vernichtet, und jeder Wunsch findet seine Erfüllung.

 

Blick ich nach den fernen Gebirgen und über das weite, unermeßliche Meer, erhebe ich das scharfe Auge zu Mond und Gestirnen, und schweift es durch alle diese weitgestreckten Regionen, so stellt sich mir das Bild der Ewigkeit erhaben gegenüber. Ich verliere mich im Weltall, und meine Seele schwindelt – doch größer als das Größeste, unermeßlicher, wundervoller und ewiger ist mir dann der süße, nahe, befreundete Blick deines Auges in der nächsten Gegenwart; und noch zitternder schwindelt mein Geist in dieser nächsten Nähe, aufgelöset in Wonne und Entzücken. Dich fühl ich, du bin ich, wenn ich die Ewigkeit und die fernen Räume nur ahnde und Meer und Gestirn nur mit dem äußern Auge wahrnehme.

 

Ist sie schöner, wenn sie mutwillig ist oder wenn sie schweigend und gerührt ganz in Gefühl sich löst? Ihre Tränen sind unwiderstehlich, aber ihr schalkhaftes Lachen siegt noch gewisser. Sie war sehr ernst, als wir von der Vergänglichkeit der Schönheit und alles Lebens sprachen: Alles dient nur dem Tode, sagte sie gerührt, und alles Schöne strebt nur aus dem Dunkel leuchtend empor, um der Verwesung entgegenzureifen. Der schönste Pfirsich glänzte rötlich in seiner samtnen Pracht am Spalier. Sie brach ihn herunter und reichte ihn mir. Es kommt mir häßlich und roh vor, sagte ich, die Frucht mit meinen Augen prüfend, ein so liebliches Kind des Sommers tierisch zu verzehren. Plötzlich lachte sie und nahm den saftigen Apfel aus meiner Hand. Sie sah mich schalkhaft mit den glänzenden, großen Augen an. Darauf biß sie mit den weißen Zähnchen in den Flaum der Frucht und sog den weißen, gewürzigen Saft. Siehst du, rief sie dann, für diesen Augenblick war der zierliche Apfel geformt und von der Sonne erzogen, er hat im lieblichen Geschmack mir alles verraten, was er von seinem Dasein weiß. Nimm! Mit bebendem Entzücken nahm ich die Frucht aus den schönen Fingern. Die Spur der Zähne war dem blendendweißen Fleische eingedrückt. Ich kostete von der Stelle, an der sie genascht hatte. So dünkte mich, ich schlürfe der Venus sinnberauschenden Wein. Schnell nahm sie mir den Pfirsich wieder weg, setzte noch einmal den wunderschönen Mund an, kostete und warf dann die Frucht weit weg, unter grüne Gewächse und Sträuche hinein. Dort mag er nun sterben und verwesen: Du hast einen Kuß von mir und ich von dir empfangen. Ist sein Leben nicht ein schönes gewesen? Und so ist auch die Gegenwart und der vorübereilende Moment. Wenn wir jahrelang sein gedenken, ist er kein flüchtiger. Warum mußte die lustige Gesellschaft schon zurückkehren, indem wir noch so sprachen?

 

Der Pfirsich, wo ich ihn wahrnehme, ist mir ein Bild des Glücks. Bote des Kusses, stummer, verschwiegner Vermittler der nach Küsse sehnsüchtigen Lippen, nenn ich ihn. So nennt mir Baum und Pflanze ihren Namen, und die glühende Granate ruft mir ihn zu, die Lilie flüstert ihn leiser. Wohin ich blicke, höre und sinne, nur Gespräch von ihr. Wohin mich retten?

 

Die Kinder putzten sie auf. Kleine Rosen hefteten sie als Kranz in ihre braun glänzenden Locken, darauf stellten sie zwei Lilien schief, die sich über der Stirn berührten und aneinanderlehnten. Sie war das Bild der Diana. Ein fremder Blick leuchtete aus den geheimnisreichen Blumen hervor. Als wenn der schön gefiederte Vogel Indiens aus grüner Waldlaube hervorfliegt und seinen bezaubernden Gesang anhebt, so war ihr Strahlenblick. Ich kannte sie in diesem Putz nicht wieder. – Und ist sie mir nicht ewig neu in jedem neuen Kleide, im Schleier, in dem sie wandelt oder ruht? Im Garten oder im hellen Saal? Wenn sie spricht oder singt?

 

Sie sang ein altes Lied vom Macias, unserm Liebesdichter. Dann las sie einige spanische Verse aus der Diana des Montemayor. Sterben für sie in solchem Augenblicke wäre nichts Sonderliches: Tu ich nicht mehr? Überlebe ich nicht die Stunden und Tage des Zweifels, der Angst? Wenn sie sich bald zu mir neigt, bald abwendet?

 

Es kann sein, daß diese Liebe, wie ich sie fühle, uns Sterblichen nicht vergönnt ist. Vielleicht ist es Sünde, sich ganz von diesen feinen, himmlischen Gefühlen durchdringen zu lassen und einzig ihnen zu leben. In allen Blumen, im Rauschen der Waldung, in den kühlen unterirdischen Brunnen lauern vielleicht schon die bösen Geister, die das Übermenschliche hassen und strafen. Tantalus ward von der Tafel der Götter in den Abgrund gestürzt, und der glänzende Luzifer erkrankte wohl an dem Verbrechen, das mich jetzt beseligt. Ich bin zu glücklich, als daß mein Glück dauern könnte. Und warum soll es das?

 

Mit Worten, den süßesten, hat sie mich oft geküßt. Ihr Geständnis der Liebe, ihr Händedruck hat mir das Herz durchdrungen, daß es schmerzlich in Wonne erzitterte. Nun bat ich sie flehend um den ersten Kuß. Tor! sagte sie. Vergissest du so schnell, was du neulich vom Pfirsich sagtest? Ist die Ahndung nicht mehr als die Wirklichkeit? Sind die Lippen zum Küssen geschaffen? Erstickt nicht im Kusse dann vielleicht die geistigste Sehnsucht? Nein, rief ich, himmlischere entsprießt im süßen Kuß: In ihm werde ich mich, dich und mein Glück erst ganz kennenlernen. Also ist es dir noch immer fremd? sprach sie lachend. Wir standen im Schatten der Laube. Plötzlich umfaßte sie mich, küßte mich auf den Mund und sprang mit Gelächter hinweg. Ich wußte nicht, wie mir geschehn war, ja ich konnte nicht sagen, ob ich glücklich war oder nicht.

 

Wieder Streit. Nein, rief ich in Tränen, so hat dich denn die Liebe noch nicht bezwungen, der goldne Pfeil ist nur durch deine braunen Locken, die Stirn vorbei, geflogen und hat dein Gewand gestreift; ins Herz ist er dir nicht gedrungen: Das war nicht ein erster Kuß, wie ihn der Liebende sich wünscht, er neckte nur, er küßte nicht. Auf diesen hastigen, fortrauschenden Druck waren die Geister des Lebens nicht vorbereitet, um in Sabbatstille und Andacht das Entzücken dieses Augenblicks zu feiern. – Warum sollen sich alle Küsse gleich sehn? erwiderte sie. Ich habe mich diesen nicht gereuen lassen und ihn an dich gewendet, aber du hast unrecht, ein Geschenk der Liebe zu taxieren.

 

Jungfräulich errötend und scheu saß sie in dunkler Abendlaube neben mir. Unsre Hände ruhten ineinander, und alles war still. Da umfaßte ich sie, sie drückte sich an meine Brust, unsre Lippen begegneten sich freiwillig, und ein langer, andächtiger, einwurzelnder Kuß ward ein Siegel unsers Bundes. Heiße Tränen gerührter Freude stürzten aus meinen Augen, und wie war ich erschüttert, als große Tropfen aus ihren klaren Augen fielen. Die Geister der Liebe feierten ihren Triumph, ein heiliges Gebet, ein Schauer der Andacht und Wonne rieselte durch mein Gebein. – Vielleicht, so seufzt mein Genius, habe ich den schönsten Moment meines Lebens genossen, und jene Tränen waren das Grabgeläut meines Glücks.

 

Warum neigt sich mein Geist immerdar den Schmerzen zu und sucht sie, fast ängstlich, auf? Ist der Augenblick und die Gegenwart alles, so mag ihnen auch ihr Recht geschehn. Ach! Heiligste! Süßeste! Wenn ich nur dich nicht verletze!

 

Nein, mein Glück ist das ihrige, und ist die Liebe ein Rausch, so sorgen wir, daß wir so spät als möglich ernüchtert erwachen. Wer setzt der Freude und Wonne ein Ziel? Wer darf sich erkühnen, die Grenzen der Liebe zu zeichnen? Nur Unschuld und Scherz, nur fromme Kinder sind im Gefolge des Eros, so mutwillig sie auch toben und lachen. Aber gar nicht will Cypria herrschen, wenn noch ein Wunsch, eine Furcht, eine Überlegung sich ihrem Zepter entzieht. Wer lieben will, der kann nur lieben.

 

Meine Hingebung in dein Glück, sagte sie, ist mein freier Wille, wenn man dies Gefühl noch Wille nennen kann. Ich gebe dir nicht mehr nach als meinem eignen Herzen. Die Alten sangen vom Zwang der Liebesgöttin, das verstehe ich jetzt, und indem ich dein bin, bin ich auch am eigensten und innigsten mein. – Das tönte mir wie Offenbarung und heiliger Spruch. Da ist die Ehe, die gottgeweihte, der Seelen.

 

Warum muß unsre Liebe ein Geheimnis sein? Das edelste Gefühl, die natürlichste Begebenheit, das notwendigste Ereignis? Der Himmel kennt sie, und die Natur und alle jene Geister kennen sie, die in den Elementen und Blumen weben, und alle haben es längst dem großen Jupiter ausgeplaudert, der behaglich darüber lächelte. O sein Lächeln war kein Spott und Tadel, keine Schalkheit: Nein, es war das Lächeln der Freude, daß zwei seiner Kreaturen das nächste und doch fernste, das natürlichste und doch seltenste Glück dieses Erdenlebens gefunden haben, und sein Lächeln war Erinnerung an seine eigne Seligkeit.

 

Wie soll ich ihm seinen Himmel neiden, was soll ich ihm noch einen Wunsch vortragen? Mir ward alles, höchstens um Tod im Kuß, der unsre Seelen ineinanderschmilzt, könnt ich ihn bitten. Ein Blitzstrahl müßte uns zugleich verzehren, daß wir dort im selben Moment die verklärten Augen aufschlügen und im selben trunknen Blick nach keiner andern Seligkeit forschten.

 

Wenn an der Göttertafel eine Stille entsteht und Apollon verdrüßlich ist, die Leier zu schlagen, so lauschen die Seligen entzückt auf die Melodien herab, die aus den Herzen beglückter Liebenden tönen, und der Himmelssaal schimmert heller.

 

Es ist nicht wahr, daß es Unglück gibt, wenn man liebt. Fühle sich der Nüchterne elend, der Zweifler, der niemals ein Himmelsauge mit Gegenliebe begrüßt hat. Wird man in der Wonne der Liebe gesättigt? Fern also von mir, ihr wesenlosen Nachtgespenster, die ihr um jene Sterblichen flattert, die ein kümmerliches, inhaltleeres Dasein schleppen und nicht wissen, was sie am Morgen oder in der Nacht erhoffen sollen.

 

Sie glänzt mir jede Nacht, sie leuchtet mir jeden frischen Morgen, denn immer, wie Abend- und Morgenstern, ist es dieselbe Liebliche, die mir Abend und Morgen verkündet.

 

Wir stritten heftig, wer von uns den andern am meisten liebt. Da erschien uns Venus noch glanzreicher, so purpurglänzend, so goldschimmernd sie sich uns auch schon gewiesen hatte. Die Wollust dieser Versöhnung, die Entzückungen dieses Streites, dieser süßeste Tod im höchsten Leben, dies hatten wir noch nicht empfunden. Die Ewigkeit in jedem Kuß, den Himmel in jeder Berührung, das Weltall, Vergangenheit und Zukunft im Umarmen.

 

So dräue denn, zürnende Gottheit, in unser Glück hinein, schleudre den Blitz, donnre, wenn Donnern dir Freude macht. O du Nichtiger! Wer bist du in deiner Macht, in deinem Reichtum? Mein ist sie in jedem Tropfen ihres Bluts, in jedem Gedanken, in jeder Ahndung ihres Gefühles mein! – So von Seligkeit und Wonne ummauert, im Harnisch dieses Gefühls, in dieser Götterrüstung trotze ich den Menschen und allen Dämonen! Und sie fühlt und lebt ebenso. Wer bist du, daß du nur drohen darfst?

 

Ja, wohl gibt es Unglück . . .



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