Ludwig Tieck
Tod des Dichters
Ludwig Tieck

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Der Marques sagte auf diese sonderbaren Worte viel Freundliches, aber Catharina hört nur wenig auf diese beteuernden Versicherungen, sondern antwortete mit einer Kälte und Gemessenheit, welche gegen ihre vorige leidenschaftliche Aufregung sehr abstach: »Glaubt mir nur, alles im Leben des Menschen ist Schicksal, wir haben unsre Empfindungen für Freunde und Geliebte sowenig in unsrer Gewalt wie unsre Gesundheit; sah ich doch, daß Freunde sich entzweiten und Feinde sich versöhnten, aus Ursachen und Veranlassungen, die ich niemals begreifen konnte. Möglich, daß eine solche Ansteckung nach Art der Pest auch Euer Gefühl gegen mich auf ewig verfeindet. Indessen, ich muß es darauf wagen. Ist unser ganzes Leben doch nur ein Spiel mit unbegreiflichen Zufälligkeiten.«

Es ward bestimmt, daß in wenigen Tagen der Marques seine Nichte an einem Morgen besuchen sollte, und in diesen Stunden wollte sie ihm bei verschlossenen Türen die Begebenheiten ihres Lebens erzählen, von denen er nur wenig und ohne Zusammenhang wußte.

Sie stiegen aus, und der alte Freund fuhr nach einem zärtlichen Abschiede in derselben Kutsche nach seiner Wohnung zurück.

Catharina traf ihren alten gichtkranken Vetter vergnügt auf seinem Zimmer. Er begrüßte sie auf das herzlichste und dankte ihr wieder von neuem für ihre Güte und Freundschaft. Sie erzählte ihm kurz, was sie von der Einschiffung des Königes, der Edlen und des Heeres gesehn hatte, und er erwiderte in seiner launenhaften Art: »So habt Ihr also, Muhme, etwas gesehn, was auf jeden Fall höchst trübselig war. Ich aber wohne in Eurem Hause fröhlich und glücklich.«

»Und womit habt Ihr Euch beschäftigt?«

»Ich lese immer wieder«, erwiderte er, indem er ein Buch zumachte, »in dem göttlichen Gedichte meines großen Freundes, des einzigen, unvergleichlichen Camoens. Irr ich oder ist es wahr, daß ich es bei noch so oft wiederholter Lesung besser verstehe, aber gewiß ist es, das himmlische Werk wächst mit jedem Jahre mehr auseinander, der Frühling breitet sich immer grüner und blumigter aus, und ich schelte mich selber einen unwissenden Toren, daß ich dieselben Schönheiten, die ich anbeten muß, nicht schon längst gefunden habe.«

Catharina sagte ihm einige freundliche Worte und ging dann ihrem Pflegekinde Maria und dem Neffen Ferdinand entgegen.

 

Der Marques de Castro und dessen Neffe Ferdinand waren auf einige Wochen verreiset, um die Rechnungen und Zahlungen zu berichtigen und mit einem neuen Verwalter alles Nötige auszuführen, der eins der Güter der Gräfin Catharina übernommen hatte, welches nicht fern von der Hauptstadt lag. Sie war daher fest überzeugt, daß sie in dieser Zeit nicht gestört werden könne, da ihre Diener die Anweisung hatten, alle Besuche gleichgültiger oder zudringlicher Fremden abzuweisen. So beschloß sie, ganz in der Gesellschaft ihres alten Verwandten, des redlichen Christoforo, zu leben, um sich von seinen Schicksalen und denen seines Freundes erzählen zu lassen.

Der verständige Alte war selber geneigt, ihr einiges aus dem Leben seines geliebten und verehrten Camoens mitzuteilen, da er sah, wie sehr diese jüngere Freundin mit dem Gedichte von den lusitanischen Begebnissen bekannt war, welches er in seiner leidenschaftlichen Vorliebe für das erste Gedicht in der Welt erklärte.

Als sie in der Morgenstunde allein nebeneinandersaßen, indessen Maria mit ihren Duennen im Garten wandelte, fing Don Christoforo an:

»Ihr werdet es Euch kaum, teure Muhme, erinnern können, wie und wann ich Euch gesehn habe, da Ihr noch ein Kind wart: Ihr hattet ohngefähr zehn Jahr erreicht, als ich Abschied von Euch nahm, um nach Indien zu gehn. Ich war Soldat und diente als Offizier, solange es mir meine Gesundheit erlaubte, die Waffen zu tragen. Als ich aber schon früh von der Gicht heimgesucht wurde, die Folge vielfacher Erkältungen und böser Nächte auf dem Schiff sowie an den Ufern, mußte ich allen meinen Jugendträumen Abschied geben und mich nach einer bürgerlichen Bedienung umsehn. So war ich bald hier, bald dort und konnte lange Zeit meine Melancholie nicht bezwingen, denn mit dem weggelegten Degen schien mir auch alles Glück entschwunden. O meine Freundin, Ihr als Frau könnt keinen Begriff davon haben, wie bitter dem Manne das Gefühl ist, wenn er sich sagen muß: Ich gebe jetzt den Beruf meines Lebens auf. Es ist schlimmer, als auf einer öden, einsamen Klippe zu stranden, um dort nach einem Schiffbruch einsam zu stehn, der einzige Gerettete, indem Gefährten und Freunde von der wilden See verschlungen wurden. Dies hatte ich erlebt, aber dazumal blieb mir noch die Hoffnung, daß ein vorbeisegelndes Schiff mich retten könnte, wie es auch geschah, und ein andres Regiment, ein neuer Befehlshaber nahm mich auf. Aber jetzt mußte ich auch die Hoffnung aufgeben, jemals wieder als Mann für mein teures Vaterland zu handeln, daß mein Name genannt würde so wie jener vielen portugiesischen Kämpfer, die sich in Asien und Indien berühmt gemacht hatten. Nun mußt ich mich krümmen und Befehle einholen über Dinge, die ich nicht verstand, ich sollte in Sachen Einrichtungen treffen, die ich selbst erst lernen mußte, mich in Beschäftigungen einüben, die ich bis dahin als muntrer Jüngling und kräftiger Mann tief verachtet hatte. Nach der Gemütsart meiner Vorgesetzten mußte ich mich richten und ihre Launen erforschen. Man verlangte, daß ich schmeicheln und alles, auch ihre Untaten, bewundern, mindestens gutheißen oder doch allerwenigstens nicht bemerken sollte. O teure Freundin, da fühlte ich in allen meinen Geisteskräften, in meinem ganzen Menschen, welch ein Fluch die Armut sei. Auch darüber hatte ich oft gelacht, wenn meine Kameraden dies so vielfältig behauptet hatten.

Diese Abhängigkeit, in welche uns dieser Mangel stürzt, ist weit schlimmer als die eines Sklaven. Werden doch so viele Menschen, die ursprünglich von der Natur gut ausgestattet waren, auf diesem Wege sogar schlecht und niederträchtig, die früher Redlichkeit und Wahrheit liebten. Wer zum Soldaten geboren ist, und dieser Gemüter gibt es viele, ist nachher in jeder andern Lage ein verkümmertes Wesen. Elend bin ich geworden, durch und durch, aber in keinem Augenblicke meines Lebens schlecht, und das will viel sagen, da es der Versuchungen so viele, ja unendliche gab. Ich sah ja die Wege, die Hunderte von meinen Bekannten wandelten. Ich merkte, wie man ihnen die Leitern hinstellte, auf denen sie von Staffel zu Staffel emporklimmten und bald von oben auf mich, den Kameraden, der immer unten und arm blieb, mit Verachtung herabsahen. Viele fanden sich mit Religion und Tugend gleichsam ab, wie der Bankrotteur mit seinem Gläubiger, der oft mit dem Fünfzigteil der Schuldsumme sich zufriedenstellen muß! Sie sagten: Ich will schmeicheln, heucheln und lügen, ich will mit vollem Bewußtsein niederträchtig sein, bis ich dieser Schufte von Vorgesetzten nicht mehr bedarf, bis ich selber reich und mächtig bin; dann aber will ich der Welt zeigen, daß ich aus einem ganz andern Holze geschnitzt bin, dann will ich tugendhaft sein und alles wiedergutmachen. Aber der Gewinn, die Erpressungen, das Schinden der Menschen, die Bestechungen, die Käuflichkeit ihrer Protektion, alles dies schmeckte ihnen so süß, daß sie jetzt in ihrem hohen Posten zehnmal schlimmer wurden als in jenem niedern, denn durch die ihnen verliehene Macht konnten sie jetzt viel leichter die Schändlichkeiten durchsetzen, die ihnen früher noch Mühe gemacht, zu denen sie doch Hülfe bedurft hatten.

O Donna Catharina, der Mensch ist eine böse Kreatur. Und ist erst alles recht ins Geleise gebracht, weiß er in fester Stellung oben mit Sitte, Gewohnheit, Form und Gesetz recht umzugehn, weiß er, was er seinen Untergebenen bieten darf, vertraut er dem Eigennutz der meisten, so kann er mit aller Sanftmut und Stille, selbst mit anscheinender Freundlichkeit das Abscheulichste verüben, und die arme gedrückte Menge, das gemißhandelte Volk kommt oft nicht einmal zum Bewußtsein, daß ihre Qual, ihr Zertreten von dem blankgeschmückten Herrn herrührt, dem sie in ihrer bittersten Not noch alles Gute gönnen und den sie für tugendhaft halten.

So sind Asien und Indien die Schaubühnen für das Verruchteste geworden, was der Mensch sehn und erdulden kann: Plündrung, Folter, Mord und Grausamkeit sind als die Früchte aus jenem Samen aufgegangen, den jene hochherzigen Helden, jene unsterblichen Lusitanier säeten. Und wehe dem armen Redlichen, der im Blödsinn der Tugend, im Aberwitz eines religiösen Gefühls sein Herz nicht bezwingen kann und über diese ungeheure Verkettung der schmählichsten Tyrannei spricht oder gar wähnt, er könne und müsse dagegenhandeln. Alle die tausendfältigen Glieder und Arme des weltzerstörenden Riesen richten sich gegen den Ärmsten, und er ist auf alle Weise verloren. Glücklich, wenn er nicht der Inquisition überliefert wird, daß diese ihn im Namen unsers Gottes mordet, oder wenn er als Hochverräter den sinnreichsten Folterqualen oder dem schimpflichsten Tode entgeht. Ja, glücklich zu preisen ist er, wenn er im dumpfen Kerker verschmachtet und auf ewig vergessen wird. Ein Ausgezeichneter unter Millionen ist aber der, der sich und sein Leben in kümmerlicher Armut hinschleppen darf, verstoßen und verachtet und von der Verleumdung gebrandmarkt.

So ist das Schicksal meines redlichen, lieben Camoens gewesen, des Edelsten unter den Menschen. Er konnte nicht schweigen und wurde drum aus diesem Verbündnis der reichen Plünderer gestoßen, und er mußte noch danken, daß sie ihm das nackte Leben ließen.«

»Ich habe es nicht gewußt und geglaubt«, sagte Catharina, »daß jener Weltteil und die Verwaltung dort einen so schwermütigen Anblick darbietet. Wenn es so ist, wie ich es Eurer langen Erfahrung und Wahrheitsliebe glauben muß, so ist wohl die ganze Geschichte des Menschengeschlechtes eine höchst trübselige.«

»Gewiß«, antwortete Christoforo, »wenn Tat und Volk sich so ins Unermeßne ausbreiten, wenn jene Schranken fallen, innerhalb deren es dem Menschen noch leichtfällt, tugendhaft zu bleiben. Die kleine, enge schöne Zeit, als unser Portugal sich zu besinnen anfing, ist die Zeit der Kraft und Aufopferung. Große Helden, deren Name ewig glänzen muß, schlugen in Begeistrung das große Weltbuch auf, von dem man bis dahin nur kindlicherweise die ersten Anfangsblätter kannte, und nun mußte mit der höchsten Heldenanstrengung auch die rückhaltlose unermeßne Bosheit der Menschen durch die weiten Regionen mit neuen Herrschermaximen dahinströmen. Und so hat sich seit der Entdeckung jener neuen Welten unsre sowohl als die spanische Nation verwandelt. Die ehemalige Kraft und Tugend dünkt uns zu geringe, das vormalige Leben zu arm und früherer Reichtum und Erwerb nur armselig. Das Leben ist zum Glücksspiel geworden, und große Summen werden im Rausch eingesetzt, um größere zu gewinnen. So ist der Reichtum das Maß geworden, nach welchem nicht nur Glück, sondern selbst Tugend gemessen wird, und derjenige, der sich von diesem wirbelnden Taumel nicht ergreifen läßt, wird mit kalter Sicherheit ein Tor gescholten, weil selbst der Glaube an den Adel des Menschen erloschen ist.»

»Haltet ein«, rief Catharina, »wenn Ihr irgend die Wahrheit sprecht, so wäre es besser, nicht zu leben. Woran soll unsre Schwachheit und der zagende Zweifel sich dann noch emporranken?«

»O werte Freundin«, fuhr der Alte fort, »Gott läßt in manchen Zeiten dergleichen Verwirrungen zu, damit die Stämme der Menschen geprüft und dann wieder geläutert werden. Um so heller glänzt in der Finsternis der Stern der Tugend, um so größer ist im allgemeinen Taumel der einzelne, der die Sinnenbetäubung nicht teilt. In solchen, die verlacht und geschmäht werden, die sich in Armut einsam verzehren, die ohne Freunde und Bewunderer und Schmeichler sich verbergen und an den Gott in ihrem Innern glauben, an solchen Verachteten und Vergessenen bewährt sich dann um so herrlicher die himmlische Natur des Menschen. – Doch still, denn ich bin auch ein solcher Verlassener, und es könnte gar scheinen, wenn eine so billige Freundin mir nicht zuhörte, als wollte ich meine eigene Tugend preisen. Nein, ich dachte an ihn, meinen verklärten Freund, diesen hochbegabten Camoens, der sich uns entzogen hat, von allen vergessen, von keinem unterstützt, von keinem Großen aufgemuntert; er, der tugendhafteste Mann, der echte Freund seines Vaterlandes, das er so brennend liebte, wie es für Fabel und Gedicht erscheinen könnte und doch nur die lauterste Wahrheit ist. Ja, er gehört, ob es ihm gleich nicht vergönnt war, wie ein Pacheco oder Albuquerque Heldentaten zu tun, dennoch zu den größten Helden der Portugiesen, indem er entbehrte, duldete und die Güter dieser Welt von sich wies, wenn sie nur auf schnöden Wegen zu erringen waren. Unsere Nachkommen werden einst wissen, welchen Mann diese törichte Zeit von sich ausgestoßen hat.«

Catharina war durch die Worte des Alten tiefbewegt. »So können wir ihn also nur noch«, erwiderte sie zögernd, »in unserm Angedenken ehren. Wir wenigen, die nicht bloß der Gegenwart und ihrer stürmenden Bewegung leben wollen. Jedes edle Herz sollte einen stillen Raum in sich bewahren und ihn zur Kapelle weihen, in welcher das Bild des großen Mannes wohnte, der uns gelehrt hat, wie süß unsre Sprache sei und welche Liebe und Sehnsucht, welcher Heldensinn, welche Vergötterung unserer Geschichte und der edlen Geister sich in ihr für alle Zeiten aussprechen lasse, für alle künftigen portugiesischen, ja menschlichen Geschlechter, wenn eine wiederkehrende Barbarei nicht Vergessenheit und Nichtwissen auf den Thron erhebt.«

»Wir verstehn uns, Geliebte«, sagte der Alte, indem er ihr die Hand reichte. »Wie uns die Kraft der Griechen und Römer noch berührt, so wird das Wort unsers Freundes auch in die ferne Zukunft hinübertönen, und wenn der Italiener seinen Ariost nennt, Rom seinen Virgil und Athen seine ewigen Dichter, so darf Portugal dann ihnen gegenüber den Namen Camoens aussprechen. Und was kann Spanien oder Frankreich diesem Laut entgegensetzen? Oder gar das wüste Deutschland? Ronsard wird gerühmt – ich kenne ihn nicht.«

»Wir wollen also an diesem Glauben halten und die zu trüben Gedanken fahrenlassen«, sagte Catharina. »Das Leben läßt nicht jede Blüte zur Frucht reifen, und doch ist es nur Schein, wenn wir geängstigt wähnen, alles Leben werde nur dem Tode geboren.«

»Es gibt keinen Tod!« rief Christoforo aus. »Diese Umwandlung, die wir menschlich so nennen, ist nur ein Wechsel der Kleider, Übergang in andre Melodie, Umstimmung des Instrumentes. Aus dem starren Fels auf den hohen Bergen sehn wir Moos und Blümchen keimen, aus Erde, die Luft, Wind und Regen erst im unerbittlichen, ungastlichen Stein geschaffen haben; Würmchen und Schmetterlinge umflattern auch da oben in höchster Region das kindische Pflänzchen, das, selbst kaum lebend, schon jene nähren muß. Die Wasser suchen ihre Bahn und führen Stein und Samen der Kräuter und Sträuche in starre Klippen. In der Tiefe der Meere hausen die stummen Geschlechter, vielfach gestaltet. Unterirdisch lebt es in nie besuchten Klüften. Wohin der Gedanke denkt, kann er nur Leben finden und denken. Und nun, das Wunder der Welt und Schöpfung, der sinnbegabte, vernunftreiche Mensch als Gebieter und König in der Mitte aller Wandelnden, Kriechenden, der Gefieder, Fische und Blumen, der Wasser, des Äthers und des stummen Steines: er, durch dessen Dasein alles Geschaffene ein heiliges Geheimnis wird, das sich nur im Bewußtsein dieses Geheimnisses erklärt; er, der Stellvertreter Gottes, aus dessen Auge Segen auf die Kreatur fließt, durch dessen Blicke die törichten Umherstehenden erst Bedeutung erhalten. Wie glücklich ist das bloße Dasein, wenn der Mensch immerdar seinen Beruf erkennt, mit der Ewigkeit und dem All Gespräch zu führen. Was ist Unglück, Leiden, Krankheit, Tod, wenn er seine Bestimmung so erfüllt?«

Catharina sah den Greis forschend an, der so, da er auf sein Lieblingsthema gekommen war, rasch fortfuhr: »Und so wird, so muß es fortgehn in alle Ewigkeit. Was kümmert es uns, daß wir auf unsrer Erde, auf Golgatha und Schädelstätte, wandern? Wohin wir treten und graben, ist Gerippe, Verwesung, jedes Blümchen schöpft seinen Odem und Duft aus früherem Tode. Ungeheure Vorräte von Riesen, Tieren, Menschen, Elefanten und furchtbaren Fischen mögen seit Jahrtausenden unter der Erde und dem Meer aufgeschichtet liegen. Was sind sie anders als die Maskenkleider und Larven von uralten Festen des Lebens, wohl schon vor Jahrtausenden gefeiert! Können die tiefbegründeten, ewig scheinenden Felsen nicht auch Fleisch und Gebein noch älterer Vorzeit, uralten Lebens sein? – Und so wie Metalle sich ausscheiden und zuzeiten eins in das andre übergeht, wie aus Pflanzensaft und Gärung sich unser Wein erzeugt und die Natur keinen Tropfen und Stein verlorengibt, so wird sich auch unser rätselhaftes Leben scheiden, ausklären und, das Edelste hinübernehmend, in neuer Gestaltung auftreten, unter neuer Form, in neuer Beschränkung neue Freiheit finden und unser Geist immer mehr schauen, sehn und lernen und in diesem Anwachsen das finden und genießen, was die schwachen Menschen stammelnd Seligkeit nennen.«

Catharina war erstaunt, sah nieder und sagte dann zögernd: »So bedürft Ihr, Freund, der Tröstungen der Religion also nicht? So ist für Euch das Gute und Göttliche überall? Mir wird bange, wenn ich Euch auf diese Weise reden höre.«

»Das sollte nicht sein«, erwiderte lächelnd der Greis. »Ihr seht nur, wie sehr ich Euch vertraue, daß ich so schwatze. Seit vielen Jahren hat sich in Indiens großer und mannigfaltiger Natur dieser Glaube mir von selbst aufgedrängt, und ich habe mich wohl gehütet, gegen unsre Priester etwas davon verlauten zu lassen. Mit meinem geliebten Camoens habe ich oft in den Nächten disputiert, er konnte auch nichts von dieser Meinung brauchen. Dafür war er Dichter, der alles, auch seine christliche Religion, die herrliche, liebevolle, liebte und anbetete. Wer möchte sie nicht ehren, der sie nur etwas kennt? Welche Sehnsucht und innigste Liebe spricht sich in ihr, im Leben des Heilandes und in seinen Lehren aus! Aber auch der Fortgang der Zeit und die Kirche haben so schöne Wunder, so ergreifende Gedanken und süße Legenden hineingedichtet, daß ein brünstiger Geist, wie der unsers Camoens, nur die Erfüllung aller Weissagung und die Vollendung der Zeiten in diesem reichen Gewebe sehn konnte. Jeder auf seine Weise. Dadurch wird der unendliche Geist am meisten verherrlicht. Er herrschte schon in den Seelen der wahren Menschen als Jehova und Zeus oder Jupiter: In allen Zeiten verkörpert die Sehnsucht der Liebe das ewige Geheimnis und will es sichtlich vor sich schaun und erfassen. Leicht vergafft sich die Liebe in den Anschauungen, die der Mensch aus dem ewigen, unendlichen Himmel herunterzieht, um sie menschlich, kindlich oder kindisch vor sich wandeln zu sehn. Der Verehrer Jehovas zürnt der Verirrung, der Anbeter des Zeus beachtet sie nicht, und die vielduldende, alles in Liebe wandelnde christliche Kirche hat diese Haus- und Schutzgötter, diese Palladien und Laren, Garten- und Hainverwalter mit allen ihren Kräften und Wundern in den poetischen Kultus aufgenommen. Sind sie doch auch die allgegenwärtigen Kräfte der Natur.«

»Ei, Freund Christoforo«, sagte Catharina mit einem sonderbaren Lächeln, »bemüht Euch nicht, mich zur Ketzerin zu machen, denn ich sage es Euch vorher, es wird Euch niemals gelingen.«

»Wozu«, antwortete der Alte, »sollte ich darauf ausgehen? Und was könnte ich dabei gewinnen? Diese Liebe zu Eurer Kirche, diese Überzeugungen und Begriffe, das heilige Mysterium sind so in Euer Leben verwachsen, daß sie Euer Leben selbst geworden sind. Jeder Aufschlag Eurer Augen ist Andacht und Dank. Gott steigt in diesen Gedanken und Gefühlen in Euern Geist und teilt sich Euch mit. Meine ich doch im Innersten eben dasselbe und gebrauche nur andre Formen. Wir beide verstehn uns gewiß, so wie sich meine Seele auch immerdar mit der des Camoens umarmte, ob wir gleich über diese Anschauungen immerdar in Streit lagen. Viele Geister können nur so in einem nahen Bilde, im Rührenden und Lieblichen sich ihrer Liebe bewußt werden: Wie göttlich, daß die christliche Kirche selbst im Allernächsten im scheinbar Unwürdigsten, in Speise und Trank den Gott niedersteigen läßt, so die dunkle Welt verklärt und das Tote auf immer in Liebe tötet. Hier ist im Symbol mein Glaube auf das Tiefsinnigste ausgeprägt, wenn mein Geist und meine Ruhe auch dieses Symbols nicht bedürfen.«

»Soll ich Euch gestehn«, unterbrach ihn Catharina, »daß Ihr mich ängstet? Ich verstehe Euch nur halb, vielleicht gar nicht, aber diese Meinungen sind mir so neu und unerhört, daß ich sie in meinem Geiste weder beherbergen mag noch kann. Seid Ihr denn vielleicht zu der ketzerischen Sekte der Lutheraner übergetreten?«

Christoforo lächelte. »Nein, verehrte Muhme«, rief er aus, »diese Leute, wenn sie von meinem Glauben etwas erfahren könnten, würden mich wohl ebensosehr als meine katholischen Landsleute verdammen! Sollen Fremde an meinen Irrtümern Schuld haben, so tragen einige alte weise Brahminen wohl diese am ersten. Nicht daß ich mit diesen wäre einig geworden, sondern daß ich mir ihre sonderbaren Lehrsätze und Erzählungen in meinem eignen Sinne ausdeutete. Meine Ketzerei ist wohl so alt wie die Welt selbst und die Religion. Ich leide nur an der Krankheit, daß ich mir meinen Glauben auslegen und ihn mit der ganzen Natur in Übereinstimmung bringen will. Doch, wie gesagt, ich will Euch nicht ängstigen, ich bitte nur, mich und meinen Eigensinn zu dulden. Der Allvater wird wissen, was er aus meiner Seele künftig entwickeln will und unter welchen Bedingungen ich meine Existenz führen darf. Die Seelenwandrung der Indier ist auch ein Symbol für meine Meinung, nur zu irdisch und geringe ausgesprochen. Das Elysium der Heiden ist trübselig, wenigstens nicht erfreulich: ihr Lethe aber wieder ein schönes Bild. Der Himmel der Christen ist am unbestimmtesten und ohne Inhalt. Hier kann Deutung und Auslegung fast gar nicht einen Sinn oder eine Aussicht gewinnen. Die Phantasie ist hier im Erfinden zu schüchtern gewesen und hat sich umgekehrt an den Greueln der Hölle und den Charakteren der Teufel erschöpft. Bedeutsam genug, um das Wesen unsrer Phantasie näher kennenzulernen.«

»Kehren wir zur Erde«, sagte Catharina, »zur Geschichte und zu Camoens zurück: Hier wird mir in Eurer Gesellschaft wieder wohl werden.«

»Ich ging früh«, begann Don Christoforo, »noch unter der Regierung des Großvaters unsers Königes als Soldat nach Indien. Ich habe Euch gesagt, wie meine Kränklichkeit mich zwang, den Dienst zu verlassen und irgendeine dürftige Anstellung zu suchen. Bald da-, bald dorthin wurde ich gesendet, und da ich ruhig und still war, fand ich nur selten Gegner und Feinde, da ich aber nicht schmeicheln konnte und mich zu Ungerechtigkeiten nicht wollte gebrauchen lassen, so erwarb ich mir auch keine mächtige Gönner und Beschützer. Ich widmete bei meinen Geschäften mein Leben der Betrachtung und kam mir oft wie ein weltlicher Mönch vor, besonders da ich so viel Unrecht gutzumachen suchte, als mir in meiner beschränkten Lage möglich war. Es gibt ein eignes stilles Glück in der Zurückgezogenheit, wenn man von wenigen gekannt und von keinem beachtet und noch weniger beneidet wird. Indem man keinem in seinen Weg tritt, den er sich zu beschreiten vorsetzt, wird man für unschuldig und unschädlich gehalten. In den innern Gegenden Indiens schien ich mir von Europa und der Welt verbannt, und ich erfreute mich, diese alte schöne Sprache des dortigen Himmels kennenzulernen, mit einigen Priestern und Gelehrten umzugehn und so wie ein Einsiedler mir mein eignes stilles Glück aufzubauen. Da ich allen Gebräuchen meiner Kirche folgte, so gelang es mir, den Argwohn unsrer portugiesischen Priester und der Inquisition nicht zu wecken, und wie andre kühne Wagende auf Schiffen neue Inseln und Erdteile entdecken und sich in der Ferne und Fremde, unter Wilden oder Völkern, deren Sitten ganz abweichend sind, glücklich fühlen: so war es meine Lust, diese sonderbaren Meinungen der indischen Religiösen oder ihre Philosophie kennenzulernen. Dieses Durchschiffen und Durchirren mir bis dahin ganz fremder Ansichten und Gedanken, der Anblick dieser Fabeln und Allegorien, vor mir die seltsame Welt und Natur, alles dies gab meinem Herzen eine Weihe, daß ich nach und nach den Degen vergessen und mich mit Behaglichkeit ganz resignieren konnte.

Ich war schon im männlichen Alter und dachte meiner Jugend nicht mehr, als ich in Goa einen Mann kennenlernte, in der Kraft seiner Jahre, nachdem ich schon zehn Jahr in Indien und Asien gelebt hatte, der mir, dem Vierzigjährigen, durch seine bloße Gegenwart die früheste und süßeste Jugend wieder erneute. Tränen vergoß ich nun auf meinem nächtlichen Lager, daß ich den vielgeliebten Degen nicht mehr führen konnte und sollte, denn durch die Worte dieses Mannes erschien mir jeder andre Beruf als ein armseliger und niedriger. Gegen seine Feuerseele war das Gefühl meiner Jugend nur schwach und kalt gewesen, und ich erfuhr nun, wodurch Helden oder Anführer der Völker so große Gewalt über den Menschen ausgeübt hatten. Dieser Mann war der Soldat und Dichter Camoens, welcher im bittersten Gefühl sein Vaterland, welches er doch so brennend liebte, kürzlich verlassen hatte. Nun war ich wieder mit ganzem Herzen Portugiese und hätte wieder unter den Fahnen meines Landes gefochten, wenn meine Schmerzen und die Lähmung meines Armes es erlaubt hätten. Ich war des begeisterten Mannes Schüler, sosehr ich der ältere war, außer in einer sehr wichtigen Angelegenheit, in welcher er mich niemals, so sehr er sich beeiferte, auf meinen früheren Standpunkt zurückführen konnte. Ich konnte nicht so wie er mit Inbrunst das umfassen, was er das Christentum nannte, und als wir lange, oft und heftig gestritten hatten, ließen wir den Disput ganz fahren, und jeder sprach dem Freunde seine Überzeugung aus, ohne ihn bekehren zu wollen.

Ein portugiesischer Offizier hatte mir schon vor der Ankunft meines Freundes von ihm gesprochen, aber nur obenhin im leeren Geschwätz, und ich hatte nicht darauf geachtet. Es war von einer Liebe die Rede, die ihn unglücklich gemacht und um welche er vorzüglich sein Vaterland verlassen habe. So vertraut wir wurden, sooft wir uns unsre geheimsten Gedanken entdeckten, hat er mir doch, der Edelste, über dieses Verhältnis nie das kleinste Wort gesagt, und da ich wohl ahndete, wie heilig ihm diese Begebenheit seiner Jugend war, hat ihn auch niemals eine vorwitzige Frage von mir gequält. Aber wie sehr er die Schönheit der Frauen anbetete, wie sehr ihn das Gefühl der Liebe durchglüht hatte, sah ich aus einigen herrlichen Gedichten, welche er mir mitteilte. Mit derselben Glut sang er Kampf und Waffen und Heldengröße. O meine Freundin, was ist es doch für ein Glück, auf seinem Lebenswege einen solchen Freund zu finden! Ich ward durch ihn wie neugeboren: ganz unbekannte Kräfte erwachten in meinem Geiste und erwuchsen wie zum Wunder in seiner Nähe. Ich kannte mich selbst nicht wieder und erstaunte über den entdeckten Reichtum meines Gemütes. Wundertäter und Propheten sucht der Abergläubische auf und wünscht, diese von Angesicht zu Angesicht zu sehn und sie zu berühren; nach weltberühmten Stellen der Geschichte oder nach geweihten Stätten wandern viele, um ihre Seele zu erheben und ihr Dasein zu erneuern, und sie ahnden es nicht, daß die Nähe eines solchen Genius mehr ist, als was sie in allen Weltfernen erstreben können. Ja, Teuerste, es gibt eine Magie, und die höchste ist, die Geister seiner Freunde und Geliebten zu entbinden, ihnen die Ketten abzunehmen, die sie hier und dort an Torheit, Dumpfheit und Gleichgültigkeit fesseln. Nun führte ich erst mit ihm ein wahres Leben in Scherz und Ernst. Wir reiseten miteinander zu Meer und Lande, wir wohnten in demselben Hause, Nächte entschwanden uns wie Stunden in tiefsinnigen Gesprächen oder wenn ich seinen Phantasien zuhörte. Und, glaubt Ihr es wohl, daß mir oft dünkt, seitdem wir uns getrennt haben, als wenn ich lange nicht genug seinen Umgang genossen, nur allzuwenig von ihm gelernt hätte; als wenn ich, wie oft, die Zeit verschleudert, ihn nicht beachtet oder in träger Dumpfheit seinem Geiste nicht entgegengekommen wäre. Wie oft habe ich mich seitdem gescholten, daß mir dieser hohe Geist in manchen Stunden doch nur ein gewöhnlicher, daß er für mich tot war, daß ich ihn verkannte, weil ich in mir schlief und mein geistiges Ohr träge verschlossen hielt. Wie beeilte ich meine Rückreise, wie entzückten mich die Ufer meines Vaterlandes, als sie auf dem Meere auftauchten, daß ich ihn, den Geliebten, den ich seit langen sechzehn Jahren nicht gesehn hatte, wieder umarmen sollte . . . Und nun – schon seit zwei, drei Jahren ist er tot, von aller Welt vergessen, keiner weiß sein Grab nachzuweisen.«

Er schwieg in Rührung, und Catharina sah vor sich nieder.

Nach einer Weile hub der Alte wieder an: »Könnte man wissen, daß man einen solchen Freund auf immer, wie die Menschen zu sagen pflegen, verlöre, so würde man mit jeder Minute seiner Gegenwart geizen, und das müßte ihm denn doch sehr lästig fallen, weil sich dadurch alle Unbefangenheit des Umgangs verlieren würde. Mit den kostbarsten Gaben des Schicksals gehn wir in der Regel am leichtsinnigsten um, und nur das Geringfügige, Unbedeutende halten wir schwerfällig fest, oft sogar das, was nur zu unsrer Qual dient; und wir nennen es dann wohl noch unsre Tugend, wenn wir nicht den Mut haben, diese Klötze abzuschütteln. Es mag also denn sein, weil es immer so war und also wohl nicht anders sein kann.

Soviel vertraute mir Camoens damals, daß er höchst ungerecht auf eine Zeitlang aus Lissabon nach Santarem sei verbannt worden. Als sein Bann geendigt, habe er, in der Meinung, sich auszuzeichnen und um Portugal verdient zu machen, als Soldat Dienste genommen. Er focht gegen Marokko auf den Schiffen, die gegen diesen Staat ausgesendet wurden. Hier schilderte er mir nun, wie er als Jüngling nichts so sehr gewünscht habe, als große Gefahren zu bestehn und sich berühmt zu machen. Er suchte als Tollkühner die Gefahr, seine Gefährten beneideten ihn, indem ihm keiner folgte. Er sprach, als wenn es eine Göttin gäbe, die den Krieger in die Wagnis reiße und ihn als Sieger unbeschädigt zurückführe. Dieses Spiel mit dem Tode, mit furchtbaren Wunden, mit dem übermächtigen Feinde, das Hineinstürzen, wo der Untergang gewiß, Rettung unmöglich schien, war nach seiner Schilderung das größte Glück, die Wonne des Soldaten. Die Gefahr ist keine, sagte er wohl, denn wenn ich sie nicht fürchte, so übertrotze ich ihre Macht, und sie weicht zurück; daß ich aber in jedem Augenblicke an der Schwelle stehe, die Tod und Leben trennt, ist das Erfreuliche dieses Scherzes: Wenn der Untergang im Handgemenge aus tausend Röhren springt, so bin ich nur vor seinem Verderben sicher, wenn ich diesen Regen für nichts achte und Tod und Leben mit gleichem festem Auge anschaue. Wie in der Umarmung der Geliebten Schmerz und Freude dasselbe ist, in der höchstens Wollust ein leichtes Grauen durch die Nerven schleicht, so, sprach er, ist es mit dem Tode in der Schlacht: Wer in diesen Wogen, in diesem Wellenschlage der Gefahr nicht jauchzen und sich selbst für ein Nichts achten kann, der ist kein Soldat.

So hatte er denn auch mit Tod und Leben gespielt; er hatte sich selbst ganz vergessen, und nur der Kampf, als ein Ganzes, als ein lebendes Wesen, war ihm gegenwärtig gewesen, gleichsam wie ein großes brüllendes Ungetüm, von welchem er nur ein kleines Glied ausmachte. In der Wollust des Streites war er ohnmächtig niedergestürzt, scheinbar tot, denn eine Flintenkugel hatte seine Stirn getroffen. Als er erwachte, sah er sich vom Kampf entfernt, im Raum des Schiffes. Sein Geschwader hatte gesiegt. Aber sein rechtes Auge war zerstört. Er litt unsägliche Schmerzen, abgerechnet das Gefühl, daß ein schöner, liebenswürdiger Jüngling sich von jetzt an als einen Verstümmelten denken sollte. Ein Krieger, der in frischer Jugend Hand oder Fuß verliert, findet nur schwachen Trost darin, daß diese Verkrüppelung ihm als Ehrenzeichen und Bestätigung seiner Tapferkeit dienen könne, denn andere, welche sich feige zurückgezogen, kann derselbe Unfall treffen. Aber die Kraft, den Geist des Auges einzubüßen, ist weit mehr, es ist, als wenn mit diesem nicht bloß der Körper, sondern selbst der Geist verstümmelt würde. Vor Ceuta, der Stadt, dem uralten Denkmal der portugiesischen Tapferkeit und großer Siege, hatte er die halbe Sehkraft eingebüßt. Aber noch war sein Herz ganz, und er kehrte nach Lissabon, als er nach schmerzhaften Monden geheilt war, mit der Hoffnung zurück, daß man seinen Mut erkennen, seine Tat nicht verachten würde.

Aber nur Hohn und Spott empfing hier den tapfern Streiter, er wurde nicht gehört, schmachvoll abgewiesen, indes so manches Glückskind, das den Kampf nicht gesehn hatte, mit Ehre, Reichtum und Würden überhäuft ward. Dergleichen, was doch nur alltäglich ist, hatte er nicht für möglich gehalten. Er sprach, und zwar zu laut und dreist: und jetzt ward es nicht geachtet, wenn auch sein Leben aus dreißig Wunden geblutet hätte. Als er sich nicht beruhigen wollte, drohte man ihm, ihn als einen Aufrührer vor ein Kriegsgericht zu stellen. Warum nicht, sagte er, steht der tapfere Soldat nicht immer im Kriege vor diesem? Nicht die Kugeln, diese Worte haben mein Herz zerschmettert. So wandte er sich, vernichtet, verhöhnt, ein Verstümmelter, jeder Hoffnung, allem Glück abgestorben, von seinem Vaterlande ab und suchte in großmütiger Verzweiflung im östlichen Indien die Anerkennung seines Wertes oder ein ruhmvolles Grab. – Er fand keines von diesen.«

Nach einer Pause, in welcher der Alte von seiner Rührung sich erholt hatte, fuhr er in seiner Erzählung fort: »Diese Stille des Gemütes, die ich mir früh angeeignet hatte, konnte mein Freund nicht finden, wenigstens in jungen Jahren nicht, in welchen ich mit ihm lebte. Er konnte sich nicht davon überzeugen, daß Ungerechtigkeit und Grausamkeit in der Natur des Menschen ebenso gegründet sei wie Güte und Großmut. Er verstand den Sinn der Welt nicht und trauerte zürnend, daß jene ungeheuern Heldentaten der großherzigen Portugiesen so in Raub, Plünderung und Unterdrückung der Armen sowie in Bereicherung der Raubsüchtigen endigen sollen. Er faßte es nicht, daß Kirche und Priester, wenigstens stillschweigend, diese Verletzung aller Rechte, diesen höhnenden Frevel billige. Er war des Gefühls, jeder fühlende Mensch sei vom Schicksal aufgerufen, gegen diese Untaten zu handeln, darein zu reden, die Tugend zu verteidigen und ihr wieder Raum zu machen. Ich lief im Tajo, sagte er in seinem Eifer, mit verschiedenen Fahrzeugen aus: Stürme verfolgten uns, wir waren wie oft in Not und Lebensgefahr. Die übrigen Schiffe sind in diesen Stürmen zerschellt und zugrunde gegangen, nur das, welches mich trug, wurde wie durch ein Wunder erhalten, so sehr es auch litt, so oft es schon zu sinken drohte. So schlingt sich mein Leben immerdar durch Stürme, und ich darf nicht schweigen und müßig sein. Ich muß dichten und mit dem Schwerte kämpfen und freimütig sprechen, sowie die Gelegenheit mich auffordert und die Begeisterung mich besucht.


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