Ludwig Tieck
Tod des Dichters
Ludwig Tieck

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Als sich die Freunde entfernt hatten, verschloß sich Catharina in ihrem Zimmer, um ungestört einige Stunden zu lesen und zu sinnen. Es war ihre Art, sich dem Genuß eines Buches, welches sie ehrte, nur hinzugeben, wenn sie darauf rechnen konnte, in ihrer Beschäftigung nicht unterbrochen zu werden. Von Jugend auf hatte sie das am meisten gehaßt, was die Mehrzahl der Menschen als Zerstreuung oder Zeitvertreib benennt und mit Eifer und Leidenschaft selbst diese Abwesenheiten des bessern Geistes aufsucht. Dieser schon in das Leben eintretende Tod, pflegte sie zu sagen, erscheint mir furchtbar und gottlos. Ist es nicht an den Schmerzen und Leiden genug, die den Sterblichen quälen, ist es nicht die Trauer des Daseins, daß alles Schöne und Große verschwindet und uns nur als vorüberziehende Gäste begrüßt, müssen wir auch noch einen künstlichen Selbstmord erfinden, um unsre Seele in das Nichtige und Verächtliche einzutauchen? Und doch leben wir nur, um uns unsrer Kräfte mit jedem Tage klarer bewußt zu werden, um mit jeder Erkenntnis des Echten jene Fesseln des Irdischen mehr und mehr abzustreifen, die uns ja schon, so sehr wir kämpfen, täglich und stündlich drücken und ängstigen. Der edle Mensch hat nichts so Kostbares zu verlieren als eben diese Zeit, welcher der Nüchterne entfliehen möchte.

Als sie die Tür ihres Zimmers wieder öffnete, trat ihr der alte Domingo, welcher nur auf dieses Zeichen gewartet hatte, entgegen und rief: »Wißt Ihr es schon, Donna Catharina – aber Ihr könnt es noch nicht erfahren haben –, daß vor einigen Stunden Don Christoforo, Euer Vetter, in den Hafen eingelaufen ist? Sie haben die Flut erwartet, um seine Sachen und ihn an das Land zu schaffen, und sogleich werden die Diener und er selber erscheinen!«

Catharina gab die nötigen Befehle ihrem Haushofmeister, und nachdem sie einige Zeit im Garten verweilt hatte, erschien der Greis vor den Toren des Hauses mit seiner Begleitung. Da er unvermögend war und an der Gicht litt, so hatte er sich in einer Sänfte nach dem Gartenhause tragen lassen. Mühsam ward er die Stiege hinaufgeführt, er begrüßte zärtlich die Verwandte und war gerührt, als er seine Zimmer betrat und sah, wie zierlich und schön alles eingerichtet war, welchen Reichtum und welche Bequemlichkeiten man zu seinem Gebrauch gestellt hatte.

Nachdem er ein Stündchen geruht und auf seine Bitte Donna Catharina wieder in sein Zimmer kam, küßte der alte Mann vielmals die Hände seiner Verwandten und sagte mit gerührter Stimme: »Jetzt sind es nun vierzig Jahr, teuerste Frau, daß ich Abschied von Euch nahm, um nach Indien zu gehn. Damals wart Ihr ein sehr schönes junges Mädchen, und ich war noch frisch und rüstig. Nun sind wir beide alt und haben wohl beide des Leidens und der Schmerzen genug erfahren, wenigstens könnte ich, wenn ich zu klagen aufgelegt wäre, viel davon erzählen. O mein liebes Mühmchen, ich kann dir nicht aussprechen, was ich fühlte, als ich mein geliebtes Vaterland, meine Geburtsstadt, die Gebirge dort, alle die Tempel und Paläste wiedersah. Arm komme ich zurück, denn das Glück hat mir niemals gelächelt, oder, daß ich wahrer spreche, ich habe verschmäht, es so zu suchen, wie es jetzt, so scheint es, einzig gesucht wird. Ich habe es vorgezogen, im Sinne unsrer großen Vorfahren zu leben. Von den meisten jetzt wird deren Tugend, ihre Entsagung, ihre Tapferkeit und ihre Verachtung der Reichtümer nur verlacht. Durch Schande erkaufen sie ihre Schätze, und freilich kniet vor dem Reichen auch der Bessere und betet den glänzenden Metallgott an, ohne zu fragen, auf welche Weise der Verehrte in den Besitz des Götzen und seiner Perlen und Juwelen gekommen ist. – Doch ich wollte ja nicht klagen und noch weniger schelten. Es gibt noch Männer, die so denken wie ich. Es ist natürlich, daß sie verborgen bleiben und daß man sie nicht kennt. Mein kleines Vermögen, statt es zu vermehren, habe ich vermindert, meine Laufbahn ist zu Ende, mir bleibt nichts, als in Ruhe meinen Tod zu erwarten. – Aber, Liebste, nicht sagen kann ich dir, wie es mich gerührt hat, als ich nur vorläufig anfragen ließ, ob irgend auf einem deiner Güter ein Bauerhäuschen sei, wo ich ruhen könnte, daß du mir gleich antworten ließest, du wolltest mich selbst in deinem eignen Hause aufnehmen. Nun bin ich da; aber wodurch habe ich irgend verdient, daß du mein Lager so ausgestattet hast, als wenn ich ein Herzog wäre. Das ist das erstemal in meinem Leben, daß ich so wohne. Und wird denn die schlimme Laune eines kranken armen Greises nicht Verdruß erregen? Wirst du, deine Freunde und Dienerschaft Geduld mit mir haben können?«

»Lieber alter Freund«, sagte Catharina, »wir wollen uns gegenseitig trösten und ertragen. Ich wünschte, Eure letzten Jahre zu erheitern.«

»Dank dir, redliches Gemüt«, sagte der Alte. »Ich habe lange herumgedacht, wohin ich mich wohl wenden könnte, als mir mein Leben draußen in Indien unerträglich wurde, als ein verzehrendes Heimweh mir Tag und Nacht keine Ruhe mehr ließ. Aber von manchem Verwandten, den ich nicht nennen will, war mir schon eine abschlägige Antwort zugekommen. Ach, sie waren alle so beschäftigt, sie hatten alles selbst so sehr für sich und ihre Familie nötig, oder sie fürchteten den Hof und die Ungnade des Königes, wohl gar seines Beichtvaters, wenn sie sich eines Alten annähmen, der dort oben nicht sonderlich gut angeschrieben stand, weil er zeitlebens gegen Unterdrückung, Plündrung und Lüge geeifert hat. Auch ist jetzt der Adel und das ganze Land wie im Kampf und denkt nur jenes unseligen Ritterzuges nach Afrika, da bleibt den Helden keine Kraft zu andern Guttaten übrig. Und nun kommt mir die allerentfernteste Verwandte so freundlich entgegen und bietet mir eine Freistätte an! Denn das weißt du doch, Mühmchen, daß wir uns nur so eben noch Vetter und Base nennen dürfen?«

Catharina erfreute sich an der geschwätzigen Redlichkeit des Alten, indem sie fühlte, daß sie die Wohltat, die sie einem Fremden erweisen wollte, wahrscheinlich einem künftigen Freunde zugewendet habe.

»Hätte ich nur nicht«, fing der Alte wieder an, »sowie ich ans Land steige, eine so traurige und unerwartete Nachricht erhalten, die mir die Freude über meine glückliche Ankunft um vieles verkümmert hat.«

»Und was war es?« fragte Catharina.

»Ach!« seufzte der Greis und sagte: »Einen Freund, einen echten Mann hoffte ich wieder zu umarmen, einen unglücklichen Edlen, mit dem ich gern den Rest meines kleinen Vermögens geteilt hätte. Vielmals habe ich ihn in Indien wiedergesehn, da und dort, den redlichsten aller Menschen. Er würde auch deine Freundschaft erlangt haben, denn er verdiente sie. Ach, mein guter, lieber Camoens, der große, herrliche Dichter, er ist ja schon vor zwei oder drei Jahren hier in Lissabon, und zwar im Elende gestorben.«

Catharina fuhr zurück und suchte ihre tiefe Rührung zu verbergen.

»Es werden nun beinah zwanzig Jahre sein, achtzehn gewiß«, fuhr der Alte fort, »als er sich von mir und einigen Freunden trennte. Gegen die Verfolgungen seiner Feinde war es uns gelungen, ihn so auszustatten, daß er nach Europa reisen konnte. Er fuhr mit den besten Hoffnungen hieher. Wie oft hatte er mir aus seinem göttlichen Gedichte vorgelesen! So etwas, Frau, gibt es in keiner Sprache. Für uns Portugiesen besonders muß es das Höchste und Begeisterndste sein, solange nur noch in uns und unsern Enkeln ein redlicher Blutstropfe glüht. Er schrieb mir dann nach zwölf oder dreizehn Jahren und schickte mir das gedruckte Buch ›Die Lusitanischen Großtaten‹. Das Werk ist seitdem nicht von mir gekommen; seht, hier habe ich ihm, sowie ich einzog, seinen Platz angewiesen. Nun hatte ich seit fünf, sechs Jahren nichts von ihm gehört; ich freute mich, als wenn ich einen Sohn nach langer, langer Zeit wiedersehn sollte. Und alle am Ufer, Vornehme und Geringe, fahren mir mit den Worten ins Herz: Er ist seit zweien Jahren gestorben.«

»Ich liebe sein Gedicht wie Ihr«, sagte Catharina mit schwacher Stimme, »und bald sollt Ihr mir recht viel von dem Unglücklichen erzählen, von dem ich nur wenig weiß.«

Sie entfernte sich schnell, um ihren Kummer zu verbergen.

 

Alles war indessen bereitet worden, um die Einschiffung des Königes, dessen Ungeduld mit der Verzögerung wuchs, möglich zu machen. Die Pferde sowie die Artillerie waren an Bord der Galeeren gebracht, deren einige im Tajo lagen, nicht weit vom königlichen Palast. Das Heer der Deutschen, welche Wilhelm von Oranien, sowie die Spanier, welche Philipp gesendet hatte, waren bereit und des Kampfes ungeduldig; die Italiener, welche Thomas Stuckley, der abenteuernde Engländer führte, sehnten sich nach der Beendigung des Krieges, um so bald wie möglich ihren Zug nach Irland beginnen zu können.

Alle die verschiedenen Einschiffungen, das Ankommen, das Abgehn der Fahrzeuge, Botschaften, Kriegesübungen, Aufzüge und Audienzen beim Könige, alles dies Getreibe hatte die Stadt in den letzten Tagen zu einem Tummelplatz aller Verwirrung, des Geräusches und der vielfältigsten Bewegungen gemacht.

Donna Catharina gab nur ungern der Notwendigkeit nach, ihre schöne Ruhe zu verlassen und sich in dieses Getümmel zu begeben. Aus ihrem neuerbauten Palast hatte man auch die Aussicht auf den Hafen, und alle eingeladenen Verwandten waren in den Sälen und auf den lang hingestreckten Altanen versammelt, um von hier die Abreise des Königes zu sehn. Sie begab sich mit ihrem Gefolge und ihrer Dienerschaft nach der bewegten Stadt, doch war Don Christoforo, der von Gichtschmerzen gequält wurde, in dem einsamen, ruhigen Gartenhause zurückgeblieben. Maria, die dergleichen zum erstenmal in ihrem Leben sah, war abwechselnd über das Getümmel entzückt und von dem Lärmen und Toben erschreckt.

Catharina begrüßte mit anmutiger Höflichkeit alle ihre Verwandte, die die Bewillkommnung mehr oder minder freundlich erwiderten, so, wie Haß oder Wohlwollen sie stimmten. Die nächsten Anverwandten des verstorbenen Grafen, ein Bruder desselben und dessen Söhne, waren am kältesten, und man sah, daß sie sich Gewalt antun mußten, um gegen die Verwandte nicht unartig zu werden.

Der König und sein Gefolge hörten die Messe, welche der Bischof von Coimbra las, der sich ebenfalls mit dem Bischofe von Porto dem Kriegeszuge anschloß. Nach dem Gottesdienste setzte sich der Zug, nachdem der König von seinem Oheim, dem alten Kardinal Heinrich, Abschied genommen hatte, in Bewegung.

Auf dem Platze vor dem Palast, von welchem man den Hafen und Fluß übersah, der so breit hinaus sich dehnte, daß er wie das Meer selbst erschien, versammelten sich um den König die Vornehmsten des Reichs, teils um von ihm noch einmal Abschied zu nehmen, teils ihn zu begleiten. Er hielt den achtjährigen Sohn des Herzogs von Braganza an der Hand.

»Wer ist das liebe Kind?« fragte Maria den Grafen Ferdinand, der neben ihr stand.

»Ein junger Held«, antwortete Ferdinand, »der Herzog von Braganza, der sich nicht hat zurückhalten lassen, sondern der diesen Feldzug auch mitmachen will.«

»Ach Gott!« sagte die Kleine. »Er will gegen die großen, ungeschlachten Muselmänner und Türken fechten! Mit den kleinen zarten Händchen! Ihr solltet ihn bitten, daß er hier bei uns bliebe.«

»Selbst der König«, sagte Ferdinand, »hat ihm abgeraten, aber er hat gegen ihn und alle Verwandte es mit Bitten und Tränen durchgesetzt, daß er dem Feldlager folgen darf.«

»Recht schön«, erwiderte Maria, »aber was hilft der allerkühnste Heldenmut, wenn die Kräfte zu schwach sind? Freilich muß Gott vielleicht bei allen Dingen das Beste tun: aber man soll ihn auch nicht in Versuchung führen, wenn wir doch selber zu ihm beten, daß er uns nicht versuchen möge.«

Ferdinand sah das verständige Kind mit ernster Miene an, und die Kleine rief aus: »Bitte, nicht böse sein, wenn ich etwas Unrechtes gesagt habe!«

Jetzt erdröhnten Kanonenschüsse, und die Glocken läuteten.

Als der Donner des Geschützes aufgehört hatte, sagte der junge König zu den Umstehenden: »So ziehn wir denn mit dem Segen der Kirche als Streiter Gottes in die Landschaft der Ungläubigen hinüber, um einen Usurpator vom Throne zu stoßen und unserm Freund und Bundesgenossen zu seinem Recht zu verhelfen. Ich fühle in mir die Kraft, in die Fußtapfen meiner großen Vorfahren, jener Helden zu treten, die für Christus und den Nachruhm die größten und fast unglaubliche Taten verrichteten. Beschämen wird unser Heldenhaufe jene Kleinmütigen und Zagenden, die es weissagen, daß aus der Begeisterung, die mich ergriffen hat, unserm Vaterlande nur Unheil erwachsen könne. Was tun, was unternehmen wir, Freunde? Weit weniger als jener Alexander, der größte der heidnischen Helden und Könige, der mit einem kleinen Heer von Makedoniern und Griechen das ungeheure Reich der Perser und den größten Thron der Erde niederstürzte. Wir ziehn gegen schwache, unbedeutende wilde Horden, bleiben unserm Vaterlande nahe und kämpfen in jenen Gefilden, die schon seit einem Jahrhunderte vor dem Namen der Lusitanier zittern. Unser Bundesgenosse, zwar ungläubig selbst, kann uns die starke Hülfe seiner Landsleute und der Araber zusagen. Unsre Macht ist groß, unsre Sache die beste, Gott ist mit uns, der Segen der Kirche begleitet uns, und so ist unsre Furcht nicht die, besiegt zu werden und zu unterliegen, nein, wir fürchten, daß dieser Krieg zu schnell mit der Niederlage unsrer Feinde endigen werde, daß in diesem nur kurzen Kampfe die Ohnmacht und Mutlosigkeit unsrer Gegner uns nur zu geringe Ehre erwerben kann.«

»Ja, mein König«, rief ein junger Herzog aus, der Vertraute und Günstling Sebastians, »Ihr denkt und sprecht selbst wie Alexander! Eure Fahnen führen den Sieg nach Afrika hinüber, und wo wäre der Zage, der aus Eurem Heldenauge nicht Kampfeslust und Verachtung des Todes trinken könnte!«

Jetzt setzte sich der Zug in Bewegung, das Volk und die Bürger drängten sich näher hinzu, vielen Augen, indem sie jetzt den jungen, schönen König betrachteten, entstürzten Tränen. Einige riefen ihm ein Lebehoch nach, andre segneten ihn, aber die Masse der Zuschauer, welche im dichten Gedränge auf dem großen, weiten Platze standen, war still und ruhig, wie von einer schwermütigen Vorahndung betroffen.

»Ach, was ist das für ein schöner König!« rief Maria jauchzend aus. »Ihn wird, ihn muß Gott beschützen! Könnten die Ungläubigen, und der Tod selbst, eine so herrliche Form zerbrechen?«

»Das Geläute«, sagte, im Saale neben Donna Catharina sitzend, Don Stefano, der Bruder ihres verstorbenen Gemahles, »klingt wie Totenfeier.«

»Und seht«, rief Gabriel, dessen ältester Sohn, »eine dunkle Wolke senkt sich herab und verdeckt das Meer und den Fluß, und die Schiffe, die mit allen Flaggen und Wimpeln salutieren, liegen im schwarzen Schatten da, wie unter einem großen Baldachin von Krepp und Trauerflor.«

»Die Natur selbst«, fuhr der zweite Sohn, der Abt, fort, »trauert um den Fall unsers Reiches und so vieler Edlen, die, wie von einem Wahnsinn ergriffen und geblendet, ihrem bösen Verhängnis entgegenstürzen.«

Donna Catharina sah den Geistlichen mit einem durchbohrenden Blicke an. »Ich weiß es«, sagte sie, »aber begreife es nicht, daß viele Diener der Kirche diesen Zug unsers Heldenköniges mißbilligen, daß sie Unglück prophezeien, ja sogar meinen, dieser Krieg sei so unbesonnen und leichtsinnig, daß nur ein König wie der von Spanien in Zukunft den Schaden wieder heilen könne.«

»Vergönnt, liebe Schwägerin«, nahm der alte Stefano das Wort, »die Ursach dieser Mißbilligung so vieler weisen und frommen Männer liegt doch nahe genug und ist leicht aufzufinden. Jenes Recht des maurischen Königes, welches Portugal vertreten und mit seinem Blute wiederherstellen soll, ist nach dem Urteil sachkundiger Männer gar nicht so erwiesen, als so viele vom jugendlichen Übermute Betörte zu glauben scheinen. Dann behandelt unser junger König etwas voreilig diesen Krieg als einen Kreuzzug; wie zu einem heiligen Kriege hat Adel und Geistlichkeit mit großen, unverhältnismäßigen Beiträgen dazusteuern müssen. Dies haben viele nur ungern geleistet, weil der Zweck eines echten Kreuzzuges nicht sein könnte, einen maurischen König, der sich hat vertreiben lassen, wieder einzusetzen. Zwar hat man die Hoffnung, dort Land und Städte für uns zu gewinnen und sie mit Christen zu besetzen und durch diese regieren zu lassen; sehn wir aber, daß der König selbst, ein unerfahrner Jüngling, der noch kein Feldlager sah, einzig und allein nach seinem Gutdünken diesen mißlichen Zug regiert, daß er in einem fremden, wüsten Lande, das er nicht kennt, schlagen und siegen will, daß nur seine Schmeichler, noch junge Leute, seine Ratgeber sind, daß er älteren, erfahrenen Soldaten sein Ohr verschließt und jeden Widerspruch weiser Generale für eine persönliche Beleidigung hält, so kann man schwerlich von diesem Heldenzuge ersprießliche Folgen erwarten. Es ist wahr, tapfre, greise Männer, selber zwei Bischöfe begleiten ihn; sein Vetter, der Prior von Crato, ein Kriegesheld, will die Gefahr mit ihm teilen, aber auch Kinder laufen mit, wie zu einem Fastnachtspiel, Weiber der Soldaten und andre Weibsgebilde und Mädchen, die niemand angehören und die nur Unzucht und Schändlichkeit im Lager verbreiten. Ist dies ein Gefolge, wie es einem frommen christlichen Heere geziemt? Edle, fromme Portugiesen zieren durch ihre Nachfolge seine Fahnen: auch Philipp, der weise König, hat ihm echt katholische Spanier gesendet; aber wer sind denn diese Deutschen, die ihm der Erzketzer Wilhelm von Oranien überschickt hat? Ziemen diese lutherischen Bösewichter einem Christenheere, das einen Kreuzzug darstellen will? Dann diese Italiener, die der Abenteurer Stuckley führt, diese Atheisten, die unsre Landsleute mit ihren Gesinnungen vergiften werden! Zwar diese bezahlt der König Philipp wenigstens aus seinem Schatze, aber welche Verschwendung unsers uns abgepreßten Geldes, wenn wir diesen glänzend aufgeputzten Haushalt unsers Königes sehn! Alle diese unbärtigen Jünglinge, die in Gold, Silber und Seide prunken, in Atlas und Samt, um dort die Steppen mit Juwelen und Kostbarkeiten zu besäen. Diese Schlachtrosse unsers Herrn mit ihren purpurnen und grünen Samtdecken, seine leuchtenden Rüstungen, von Gold und Silber schwer, und ebenso die seiner Lieblinge. Als wenn es gälte, eine schöne lustige Maskerade aufzuführen. So folgt Verschwendung, Leichtsinn, Prunk und Übermut diesem Heere, und noch niemals hat es die Geschichte erwiesen, daß Sieg und Erfolg einer solchen Trunkenheit die Hand reichten, die wir doch ja nicht Begeisterung nennen wollen. Würde nur der Heldenjüngling Alexander bei dieser Schwärmerei nicht genannt. Sein großer Weltverstand war eins mit seiner Heldenbegeistrung, er kannte die Umstände und wußte sie zu nützen; als erfahrner Krieger, so jung er war, als gefürchteter Sieger betrat er Asien. Er würdigte den Rat des Alters und durfte sich vertrauen und auch den guten Rat verwerfen, weil er der Klügste wie der Tapferste seines Heeres war. – Doch warum mich ereifern? Der Erfolg wird meine Worte und Befürchtungen nur zu sehr bestätigen und meiner schlimmen Vorahndung recht geben.«

»Und wenn nun«, fuhr Gabriel fort, »dieses Heer verloren sein sollte, für welches, um es auszurüsten, der Reichtum des Landes aufgeopfert ist, wo Geld und Schätze hernehmen, um ein neues zu errichten, um im Kriege dem mächtigen Könige von Spanien und seinen Soldaten, welche die besten in der Welt sind, Widerstand zu leisten? Und hat Philipp nicht den nächsten Anspruch an den Thron, wenn Sebastian verschieden ist?«

»Himmel«, rief Catharina mit Entsetzen aus, »Ihr sprecht das Gräßlichste so mit Gelassenheit, als wenn es nur nicht möglich, sondern sogar schon wahrscheinlich sei, ja, als wenn sich Eure Seele schon in solch furchtbares Verhängnis gefunden hätte!«

»Eben weil es so steht«, fing Don Stefano wieder mit großer Ruhe an, »mußte unser König Sebastian diesen doch wenigstens unnützen Krieg nicht jetzt unternehmen. War er vermählt, hinterließ er Söhne, deren Thronrecht ein unbestreitbares war, so konnte er dann eher für irgendein Phantom in späterer Zeit sein Leben wagen. Jetzt aber setzt er nicht nur sich selbst, sondern auch unser Vaterland und dessen Unabhängigkeit auf das Spiel.«

»Seht«, rief Catharina aus, »da naht uns der echte Erbe Portugals, wenn der Kardinal sterben und unser heldenmütiger König untergehn sollte!«

Der Prinz und Malteser, der Prior von Crato, der rüstige Antonio trat in den Saal, um sich von der Dame des Hauses und dem Marques de Castro zu beurlauben. Diese Aufmerksamkeit rührte die Frau des Hauses sowie den Greis, und Ferdinand kam ebenfalls herbei, um ihm mit Ergebenheit zu danken und ihm Heil und Segen zu wünschen.

»Wir kehren bald«, rief Antonio, »mit Sieg gekrönt in unser teures Vaterland zurück. Dieser leichte Krieg wird bald geendigt sein, um alle jene lauen Herzen zu beschämen, die zweifeln können, ob der Herr mit seinen Heerscharen sein und unsre Waffen segnen werde. Jene alten Zeiten und Großtaten unsrer Vorfahren wollen wir dort in Afrika wiedererwecken, um der Welt und den Nachkommen zu zeigen, daß wir noch nicht entartet sind.«

Die Vornehmsten der Gesellschaft hatten sich um den Prinzen gedrängt, um ihm ihre Verehrung zu bezeigen, und wie er jetzt mit höflichem Gruß von allen Abschied genommen und sich entfernt hatte, sagte Stefano, als sich die Gesellschaft wieder an die Fenster gestellt hatte: »Der Herr, so wie die meisten dieser Ritter es tun, nimmt die Sache gewiß zu leicht, und diese Sicherheit ist vielleicht ihr gefährlichster Feind. Man soll niemals den Feind geringe achten, selbst wenn er es wäre. Dieser aber ist es nicht, sondern ein kluger, höchst gefährlicher Gegner, der gewiß alle Mittel aufbietet, weil er weiß, daß es um alles gilt. Unser Unglück aber ist, daß dieser Prinz, der doch nur ein unechter ist, Rechte auf den portugiesischen Thron zu haben meint. So sehn wir, wenn dieser Krieg das Mark unsers Landes verzehrt und den Kern der Ritterschaft verschlungen hat, einem unseligen Bürgerkriege entgegen, der uns noch mehr erniedrigen und als ganz Vernichtete an Spanien überliefern wird. Darum wären wir immer noch glücklicher, wenn gar keine nähere oder fernere, wirkliche oder scheinbare Erben unsers Thrones da wären, weil dann wenigstens nicht Streit, Kampf und Verfolgung und Haß der Bürger gegen Bürger das Land verwüsten würde. Und nur einem Bürgerkriege zu entgehn, sollte der wahre Patriot kein Opfer scheuen.«

»Auch nicht Verrat und Ehrlosigkeit?« sagte Catharina mit scharfem Ton, indem sie sich erhob, um sich zu ihrer Pflegetochter Maria zu begeben, die eben mit dem Grafen Ferdinand ein lebhaftes Gespräch führte.

»Dort, dort kniet er«, rief die Kleine im höchsten Eifer, »dort am Ufer, er breitet die Arme nach dem Könige aus, der mit seinem roten Mantel aufrecht im Schiffe steht!«

Ferdinand richtete sein Auge dahin und bemerkte die kniende Gestalt, die abseits vom Getümmel, an einen Felsen gelehnt, für den abreisenden König inbrünstig zu beten schien.

»Von wem sprichst du, Maria?« fragte Catharina.

»Ich habe nur immer«, antwortete sie, »meinen lieben fremden Mann beobachtet. Seit unser König vorüberging, habe ich es wohl gesehn, wie gern er sich nah und näher heranmachte, um den schönen Monarchen noch einmal recht genau zu sehn und ins Auge zu fassen, es kam ihm nicht darauf an, daß der schöne große König ihn sehn sollte. Nun ist unser König schon fort, und nun steht der fremde liebe Mann auf und trocknet sich die Augen. Nicht wahr, lieber Graf, der Mann ist ein echter Patriot? So nennt Ihr ja wohl die Leute, die es gut mit uns allen meinen?«

Catharina hatte stille dem Plaudern zugehört, aber der Graf sagte: »Jetzt, so denke ich, kenne ich den Mann und werde ihn aufsuchen.«

Als man sich erhoben hatte, als viele schon Abschied genommen, trat jetzt noch ein Offizier in den Saal und wendete sich sogleich an Ferdinand: »Nehmt es mir nicht übel«, sagte er treuherzig, »ich sah Euch eben noch auf dem Altan und komme, Abschied von Euch zu nehmen und Euch noch einmal meinen Kameraden, den Italiener, zu empfehlen oder vielmehr, Euch zu danken, daß Ihr Euch des verwundeten Mannes so väterlich angenommen habt. Jetzt bitte ich Euch, mich nur noch auf wenige Augenblicke gefälligst anzuhören.«

Mit seinem treuherzigen Wesen bewegte den jungen Grafen der Offizier, ihm in einen andern Saal, welcher einsam war, zu folgen. Es war jener jähzornige Deutsche, durch dessen unvorsichtiges Benehmen sein italienischer Freund war verwundet worden.

Als Ferdinand den Mann neugierig ansah, sagte dieser, indem er ein Büchelchen aus seiner Tasche hervorzog: »Herr Graf, ich habe es wohl beobachtet, daß Ihr ein wahrer Menschenfreund seid. Ihr seid anders wie die meisten übrigen Leute, und wenn ich Euch also noch einmal meinen Freund anempfehlen wollte, so war es gar nicht so gemeint, wie Ihr es etwa denken mögt. Seht, der Mann ist ein guter Mann, wenn er auch jetzt etwas scharf blessiert ist, was er sich aber selber durch seinen Zorn und seine Hitze, und weil er die Umstände nicht gehörig bedenkt, zugezogen hat. Das muß er sich abgewöhnen, und dazu könnt Ihr vielleicht mithelfen, da er jetzt überdem viel Blut verloren hat, wodurch er gewiß zahmer geworden ist. Sein zweiter kleiner Fehler aber ist der, daß er, wie die meisten Italiener, gar keinen Gott glaubt. Darüber haben wir oft Streit gehabt. Denn bin ich auch nicht ganz so rechtgläubig, wie es manche unbillige Priester verlangen, so kehre ich doch immer wieder nach allen Verirrungen zu meinem Heilande zurück. Wozu wäre der langmütig, wenn er mir nicht immer wieder von neuem meinen Unglauben verzeihen könnte? Davon will aber der böse Italiener nichts wissen: Er folgt bloß seiner Vernunft, wie er seine Dummheit nennt. Da habe ich nun das Büchelchen, das ihn erbauen und auf den rechten Weg zurückführen kann, wenn es auch deutsch geschrieben ist. Schon seit vielen Jahren ist es mein Trost in vielen Fährlichkeiten gewesen, und weil ich es zweimal besitze, will ich ihm das eine Exemplar zum Angedenken meiner und zu seiner Erbauung zurücklassen. Wenn es auch deutsch geschrieben ist, wird er es doch wohl verstehn, sobald er nur will; muß ich doch auch die lateinische Messe mit beten, von der ich kein Wort begreife. So ist aller Ton und Laut, alles Zeichen und jeder Musikton eine Andacht und Überzeugung und kann zur Bekehrung führen, wenn ich nur den rechten Glauben dazu bringe.«

Ferdinand nahm das kleine Büchelchen und erstaunte nicht wenig, als er beim Aufschlagen las, daß es Lutheri Katechismus war.

»Lieber Mann«, sagte er, »ich will Euch das Büchlein abnehmen, rate Euch aber, die Dublette, welche Ihr noch besitzt, gleich beim Einschiffen in das fließende Wasser, hier in den Tajo zu werfen; denn sonst, wenn es bei Euch gefunden würde, könnte es Euch auf den Holzstoß liefern. Dergleichen Bücher lieset man bei uns nicht.«

Der Kapitän sah den Grafen mit großen Augen an. »Warum nur?« fragte er dann ganz unbefangen. »Ich besitze das Büchel seit meiner frühen Jugend und habe es immer bei mir getragen. Was ist denn so groß Böses an den kleinen grauen Blättern? Ihr sagtet Holzstoß; das ist doch für einen Soldaten und gläubigen Christen ein hartes Wort.«

»Warum?« erwiderte der junge Graf. »Weil es in bündiger Kürze alle Lehren und Gottlosigkeiten jenes Erzketzers, des weltberüchtigten Luther, enthält. Ihr könntet besser den Alkoran oder das Buch von den dreien Betrügern als diesen Katechismus bei Euch führen.«

»Seht einmal«, sagte der Deutsche, »so kann oft das Allerböseste so ganz arglos aussehn. Ihr mögt mir aber sagen, was Ihr wollt, so werde ich doch mein Büchel weder in ein fließendes noch in ein stillstehendes Wasser werfen, denn dazu, daß es jetzt so kläglich ersaufen sollte, hat es mir zu lange zum Trost und Heil gereicht; ja noch mehr, es hat mich oft in meinem anbrüchigen katholischen Glauben befestigt, und wenn der Florentiner diesen Katechismus nicht lesen soll, so gebt mir das andre Dingelchen nur auch wieder her und haltet übrigens reinen Mund, wie es sich für einen Kavalier und honetten Mann geziemt.«

Lächelnd lieferte ihm der Graf seinen Katechismus wieder aus, indem er ihn noch einmal warnte, sich keinem andern mit dieser verpönten Ware zu entdecken.

»Seht«, fing der Deutsche wieder an, »in meiner Jugend gab man mir das Ding da in die Hände, und ich habe alle meine Gottesfurcht und Konduite daraus gelernt. Den Titel habe ich niemals wieder angesehn, sondern habe geglaubt, das Buch sei so ein Gottesgewächs, wie es schon seit uralten Zeiten in der Welt sich umgetrieben habe. Ich war, wenn wir auf den wahren Grund gehn, eigentlich als Lutheraner, von sehr frommen lutherischen Eltern stammend, geboren. Nachher bin ich umgeschlagen, fast ohne zu wissen, wie: wie das Bier beim Gewitter, wie der Wein einen Stich bekommt oder kanig wird. Man hat im Soldatenstande mehr zu tun, als daß man täglich mit seinem Gewissen so genaue Hausrechnung halten könnte. Das Büchel war mein Erbstück, und es hat mich niemals gegen die Pfaffen oder die Kirche verhetzt, sondern ist mir immer als ein leutseliger Freund zur Seite gestanden. Darum behalte ich es auch, denn ich lese nur Gutes und nichts Böses heraus. Grüßt meinen Freund, und jeder bleibe bei seinem Glauben, wenn er ihn für den rechten hält.«

So entfernte sich der ungestüme Mann, indem schon die meisten die Säle verlassen hatten. Ferdinand und der Marques begaben sich jetzt zu Donna Catharina, die sich mit allen Zeichen der Trauer in einen Sessel niedergelassen hatte. Der Graf Stefano stand in ihrer Nähe, und es schien, als wolle sie, ohne es zu vermögen, dessen Gespräch vermeiden.

»Ich kann Euch, edle Donna Catharina, nicht genug meinen Dank dafür ausdrücken«, so fing Don Stefano wieder an, »wie schön und vortrefflich Ihr dieses Haus auf Jahrhunderte habt gründen und ausführen lassen. Um so edler, da Ihr es nur wenig gebrauchen werdet, ich also annehmen darf, daß es für meine Familie und Nachkommen auferbaut sei.«

»Ihr wißt es«, antwortete Catharina, »daß es der Palast meines Gemahles war, und von seinem Vermögen, welches das meinige bei weitem überstieg, ist auch das neue Gebäude vorzüglich hergerichtet worden: Ich sage vorzüglich, denn um die Arbeiten nur zu beeilen, habe ich nicht genau gerechnet, ob auch mein Gut mit dazu verwendet wurde.«

»Ihr denkt in allen Dingen groß«, erwiderte Stefano, »wem ist das nicht bekannt? Darum darf man auch eine Frage an Euch richten, die bei jeder andern Dame ungeziemend wäre. Ihr habt von meinem verstorbenen Bruder, dem Grafen, keine Kinder und Erben: Habt Ihr schon an ein Testament gedacht? Und wenn es noch nicht aufgesetzt ist, so tut Ihr wohl bald dazu, und da Ihr, soviel mir bekannt, keine nahen Erben habt, auch unser im Vermächtnis gedenkt, um den Glanz der Familie und des Namens Eures seligen Gemahles zu erhöhen.«

»Graf, mein Herr – mein Schwager«, sagte Catharina stammelnd und tiefbewegt, »ich weiß mir diese Fragen und dieses Andringen auf keine Weise zu erklären. Ich werde nichts verfügen, das seid versichert, ohne Rat und Billigung meines verehrten Ohms, des Marques – übrigens halte ich mich für frei und wünsche, daß man meine Ruhe achtet und meine künftigen Entschlüsse abwartet.«

Sie stand auf und faßte den Arm des Greises, um sich zu entfernen.

Der Marques sah seinen Verwandten Stefano scharf an und wollte mit einer stummen Verbeugung den Saal verlassen, als Stefano wieder anhub: »Nur noch ein Wort, verehrte Frau! Ihr liebt die Einsamkeit, so wie mein Bruder sie liebte, der Euch in so vielen Dingen ähnlich war. Das habt Ihr bewiesen, daß Ihr mit ihm so lange draußen in dem Gebirge, der Estrella, habt hausen können. Ihr bliebt auch nach seinem Tode dort und wohnt jetzt wieder in einem abgelegenen Gartenhause. Gewiß werdet Ihr Euren Aufenthalt niemals in diesem Hause nehmen, wo die Nähe des königlichen Palastes, das Gewühl des Platzes, das Ankommen und Abgehen so vieler Schiffe, das Lärmen der Matrosen und Bootsknechte, der Blick auf den weiten, breiten Fluß, der sich von hier wie Meer gestaltet – alle diese Unruhe hier würde Euch selber nur unruhig machen. Ich muß jetzt meinem ältesten Sohn sein Vermögen übergeben, gern überließe ich ihm auch meinen Palast, weil ich fürchten muß, daß zwei große Haushaltungen sich stören würden und viel Unbequemes veranlassen. Ich wollte Euch darum ersuchen, das Haus hier, welches eine Familie und viele Dienerschaft gut aufnehmen kann, schnell zu beendigen und es mir schon jetzt, noch bei Euren Lebzeiten, abzutreten.«

»Herr Graf«, nahm der Marques das Wort, »dergleichen Verhandlungen lassen sich nicht bei einem zufälligen Besuche abmachen. Wendet Euch in allem, was die Familie betrifft, von jetzt an nur an mich oder meinen Neffen Ferdinand: Unsre verehrte Freundin bedarf bei ihrer schwachen Gesundheit der Ruhe und Heiterkeit, sie hat uns, was Ihr eigentlich schon wißt, die Geschäftsführung ihres Vermögens unbedingt übergeben. Doch muß ich Euch schon jetzt im voraus gestehn, daß ich nicht einsehe, wie etwas das Abkommen, welches Ihr einleiten wollt, auf irgendeine Art notwendig oder nur wünschenswert machte. Ereignisse, dem heutigen ähnlich, können meine Muhme veranlassen, das Haus wieder zu betreten, was ihr wohl nur als ein derzeitiges Eigentum einen Wert haben kann. Euer Herr Sohn mag sich für jetzt mit Euch oder in einem andern Hause einrichten.«

Nach diesen Worten verließen sie den Saal, indem der Marques seine Nichte zum Wagen führte. Auf einen stummen Wink von ihr bestieg sie diesen nur mit dem Marques, und Ferdinand, Maria und zwei Duennen folgten ihr in der zweiten Kutsche.

Als in dem verhängten Fuhrwerk sich Catharina, nur in Gesellschaft des vertrauten Freundes, von der Welt verschlossen sah, hielt sie ihren Schmerz und ihre Tränen nicht länger zurück, sondern sie ließ den heißen Strom ausbrechen und lehnte sich schluchzend und wie ohnmächtig an die Brust des greisen Freundes.

Der Freund wollte sie trösten und beruhigen, aber sie schüttelte bei seinen freundlichen Worten das Haupt, und als sie etwas mehr gefaßt war und Worte finden konnte, sagte sie im Ausdruck des heftigsten Schmerzes: »O teurer, teuerster Mann, Ihr mißversteht mich und mein Gefühl. Glaubt Ihr, es kümmerte mich, es regte mich nur an, daß diese schlechten und rohen Menschen ihren Eigennutz so vor mir zeigen? So unverhohlen es eingestehn, wie ich ihnen zu lange lebe und sie meinen Tod nicht erwarten können? Wie gleichgültig sind mir diese aufgehäuften Steine, diese Säle und Zimmer! Was kümmert es mich, wer sie bewohnt? . . . Daß sie aber heut, in dieser Stunde, in welcher mein Gemüt schon zerstört und mein ganzes Herz umgewendet war, daß sie an dem Tage, wo unser Geist und die Seelenwünsche nur dort die Segel jener Schiffe, die unser Vaterland tragen, begleiten, so klein und unwürdig sich zeigen könnten, das hat mich so über alles Maß erschüttert. O mein Freund, o mein teurer Oheim, wenn sie recht hätten, wenn Elend, Verderben, Untergang unserm geliebten Könige folgten! Wenn nun das Heil unsers Landes, unser Name, unser alles jenen schwimmenden Brettern anvertraut ist – und sie kehren nicht wieder! Der König ohne Erben, das Reich ohne Kraft, der Kardinal, der dann König wird, ein Greis! Und wie lange kann er die wankende Krone tragen? Und dann stürmt der wilde, der gemütlose Spanier heran, mit dem kein echter Portugiese leben mag; unser schönes, ruhmwürdiges Land wird dann eine Provinz des fremden Tyrannen! Unser Reich, das blühte und berühmt und mächtig war, in fernen Zonen gekannt, von Helden und großen Monarchen verherrlicht, als jenes Spanien noch in sich entzweit den Mohren fürchtete und an innern Kriegen seine Kräfte lähmte!«

»Das Schicksal«, antwortete der Alte, »fügt alles besser, als es unsre Sorge voraussieht.«

»Und jene und so viele«, rief Catharina wieder aus, »können sich auf das Grauen dieser trostlosen Zukunft freuen! Sie stehn wohl jetzt schon mit Spaniens Hof in Verbindung und erfeilschen im voraus für die Schande ihres Vaterlandes Gold und Ehrenstellen. Ist es noch zu verwundern, wenn Fürsten im Drang der Umstände Tyrannen werden? Ich wenigstens, wäre ich Königin, ich könnte diese Feinde ihres Volkes, diese ganz verwerflich Elenden, weil sie so ihre Mutter, das Land ihrer Geburt, zerfleischen, unter Martern hinrichten lassen!«

Der Greis gab ihr die Hand und sagte milde lächelnd: »Du tätest es doch nicht, fasse dich, geliebtes Wesen! Suche nicht selbst allen Untrost auf, sei nicht in Schmerz und Verzweiflung verliebt. Wir Freunde stehn zusammen, wenn Gott auch das Schlimmste verhängt haben sollte.«

»Das weiß ich«, erwiderte Catharina, »wäre es auch sonst der Mühe wert, nur einen Tag noch fort zu leben? Aber weil Ihr so ganz mein Freund seid, im edelsten Sinne des Worts, so müßt Ihr auch mich und mein Schicksal ganz kennenlernen, damit Ihr es wißt und erfahrt, ob ich denn diese Eure Liebe verdiene und ob Ihr sie mir bewahren mögt.«


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