Ludwig Tieck
Tod des Dichters
Ludwig Tieck

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So sind wir seit Jahrhunderten, wir Italiener, die Ausgestoßenen, nur und einzig auf Wissenschaft und Kunst, Witz und Poesie hinaus Verbannten, nur diesen Gefühlen und Bestrebungen einzig lebend, die Gunst der Großen und Eigenmächtigen erschmeichelnd, Beute des Ehrgeizes, der Kabalen und der fremden Mächte, die einzelnen Familien abwechselnd Sklaven und Tyrannen, und alles, ähnlich dem zerstreuten Judenvolk, auf Pinsel und Feder, Klugheit und Gewinn angewiesen, und sind nur deshalb, wie wir so oft hören und lesen müssen, in Talenten das erste der Völker, um in Taten, Kraft und Wahrheit das letzte von allen zu sein!«

»Ich habe Euch so noch nicht gekannt«, sagte Ferdinand, ihn mit gespanntem Mitleid betrachtend.

»Und so sind wir denn auch Soldaten«, fuhr der Florentiner in seiner zürnenden Klage fort. »Was kümmert mich denn Irland und der Aufstand der Katholiken dort gegen die englische Königin? Aber jener wunderliche Stuckley, der auch das Leben nur wie ein Abenteuer betrachtet, warb mich und viele meiner Landsleute, weil wir im Vaterlande nichts zu tun und keine Bestimmung fanden. Wir landen hier und lassen uns auch sogleich bereden, eurem jugendlichen Könige nach Afrika zu folgen. Nochmals sage ich: Ihr Glücklichen! Ihr Beneidenswerten daß ihr ein Vaterland habt, ein schönes, rühmliches! Von großen Taten, Verteidigungskriegen, Siegen gegen mächtigere Nachbarn sind die Blätter eurer Chroniken gedrängt voll geschrieben, von wunderbaren Reisen, Kriegen in fernen Zonen, weisen Fürsten und Gesetzgebern. Eine Sprache, Sitte, ein Interesse verbindet euch innigst: Ihr mögt und könnt eure wahren Vorteile niemals verkennen. Und so wie Ariost der Glanzpunkt und leuchtende Kranz jener lustigen Fabeln ist, die nur in der Phantasie und nie auf Erden einen Wohnplatz finden können, so ist euer Camoens und sein unsterbliches Gedicht der Zauberkranz, in allen Farben spielend, in welchem am lieblichsten dieser Sinn für Vaterland, Ruhm, Heldentat, Aufopferung glänzt, und jeder Portugiese findet sich und seine schönsten Wünsche, sein edelstes Streben in jedem Verse wieder: Und alles ist Wahrheit, nicht Fabel; Geschichte, nicht Erfindung, das Erlebte, was nun so leuchtend wie die wirkliche Natur mit Meer und Gebirge aus der Nacht in den Glanz des Morgenrotes, schöner wie ein Traum, in das verklärende Licht der erwachenden Natur hineintritt. O Freund, wie seid ihr zu beneiden!«

Ein Diener trat herein und meldete den Bildhauer Enriko, welcher schon seit einiger Zeit die Befehle des Grafen im Vorzimmer erwartete. Ferdinand sendete den Anfragenden fort mit dem Bescheide, daß er bald den Künstler wolle rufen lassen.

»Diese Arbeiter«, sagte er dann, »können uns zur Verzweiflung bringen, wenn einmal etwas schnell gefördert werden soll. Unsre arbeitenden Handwerker klagen fast immer, daß sie nicht genug beschäftigt werden, daß ihr Gewinn allzu geringe sei, und doch können sie sich an eine festgesetzte, regelmäßige Tätigkeit nicht gewöhnen.«

»Ich vermute«, sagte der Florentiner, »daß das Verhältnis von Spanien und Portugal zu den beiden Indien bis auf die niedrigsten Volksklassen, und nicht vorteilhaft, eingewirkt hat. Gewinn und Erwerb sind zu sehr ein Glücksspiel geworden, das Leben so vieler Menschen hat sich in ein wunderliches Abenteuer verwandelt, und Wohlhabenheit durch Arbeit, ein täglicher kleiner und sicherer Gewinn ist vielen zu geringe geworden, wenn sie die Silbermassen erwägen, die jährlich nach Europa herüberströmen und dort so leicht und spielend zu erringen scheinen. Die geprägte Münze selbst hat weniger Wert als ehedem, und ein Schwanken tritt ein, das sich wohl erst später ausgleichen wird.«

»Doch«, rief Ferdinand aus, »unser Gedicht, welches wir über diese Störung vergessen haben. Viele wollen die Vermischung der alten griechischen Mythologie mit dem Christentum tadeln, daß Bacchus und Venus persönlich auftreten, ein Rat der Götter sich versammelt und dennoch das Christentum als solches mit seinen Wundern und als echte Gottesverehrung gelehrt und gefeiert wird. Mir ist es nicht anstößig, und doch weiß ich denen nicht zu antworten, welche es unrecht finden.«

»Und mir«, rief der Italiener aus, »ist gerade diese Vermischung des Christlichen und Heidnischen als eine der größten Schönheiten dieses wunderbaren Werkes erschienen! Seit unserm großen Dante ist es noch keinem gelungen, die Allegorie recht bedeutsam und tiefsinnig darzustellen, sie so zu behandeln, daß wir an sie glauben und als Wahrheit und Wirklichkeit betrachten können. Nur der portugiesische Camoens darf sich hier neben unsern erhabenen Florentiner stellen. Wir sind gewohnt, so fern uns auch die Zeit der Griechen liegt, der Venus eine Macht auf das Gemüt zuzuschreiben, der Trieb, der die Schönheit erkennt und zu besitzen wünscht, die Herrschaft dieser süßen Leidenschaft, die Sehnsucht, die sich an sie knüpft, die Trunkenheit, die sie hervorbringt, alle diese Wirkungen gestalten sich uns leicht in die holde Bildung der Venus hinein: der Ausdruck der Gewalt, die Venus, Amor, Cupido ausüben, ist uns Europäern schon genug sprichwörtlich geworden. Mit dem Bacchus ist es im Scherz und Ernst der nämliche Fall. Hier nun will Bacchus aus Eifersucht die Portugiesen von Indien abhalten und sie verderben, er tritt in verschiedenen Gestalten auf: Er braucht darum kein böser Geist zu sein, kein gefallener, rebellischer Engel – der Raum, in welchem er wohnt und wirkt, ist ganz poetisch und unbestimmt gelassen. Venus beschützt und liebt die lusitanischen Helden. Sie sind liebenswert, schön und edel und ihr verwandt. Die Götter nehmen diese und jene Partei. Das ungeheure Reich der Wasser wird lebendig, auch hier, wie in der Luft, wie auf der Erde, zeigen sich die übermenschlichen Kräfte, die Glück und Unglück darstellen und hervorbringen. Bis ins Innerste sind alle diese Bildungen von Wahrheit und dem Geist des Dichters durchdrungen. Aber dies genügt ihm nicht: Auch das südlichste Vorgebirge Afrikas, bis dahin das Grauen, der Wall, an welchem Stürme und Schiffbrüche die Kühnsten mit Schrecken zurückwiesen, tritt als Riesenfigur warnend, zürnend und prophezeiend auf. Die Furchtbarkeit der Natur, das Wunder, das belebte Wesen, alles eins und mit wahrhafter Schöpferkraft dargestellt, eine Dichtung, die ich mit nichts, auch mit dem Erhabensten, was ich irgend in der Poesie kenne, vergleichen möchte. Wie der Dichter diese Erscheinungen angesehn wissen will, wie Phantasie und Wirklichkeit, allegorischer Begriff und Wahrheit, Person und Gedanke als eins und dasselbe zu betrachten sind, lehrt er uns selber durch die Landung an jener Insel, die die Portugiesen auf der Rückkehr, nachdem sie alle Mühsal überstanden und ihren Zweck erreicht haben, finden, wo in Gestalt der Nymphen ihnen Schönheit und Wollust dient und sie belohnt. Diese üppige Darstellung, die auch vielleicht alles Ähnliche der frühern Dichter überbietet und übertrifft – indem unsere Phantasie noch mit an jenen Tafeln schwelgt –, auf einmal verschwindet alles, und der Dichter selbst sagt uns, es sei nur Allegorie, Figur des Nachruhms, der innern Genugtuung, einen großen, unmöglich scheinenden Zweck auf eine große Weise erreicht zu haben. Wie wahr und poetisch: Ruhm, Ehre, Heldengefühl, sind sie denn greifliche, roh irdische Wesen? Entzückende Gedanken sind sie, Geister, die sich nur dem Begeisterten wie körperlich darstellen und auch diesem wieder verschwinden. Und doch sind diese unsichtbaren Gedanken und Gefühle für den Edlen das Herrlichste und Belohnendste, ihm in der Unsichtbarkeit das Nächste und Genügendste: die Göttinnen sind es, um deren Gunst er wagt, handelt, leidet und stirbt. – O wahrlich, mein Freund, es ist ein Schicksal, daß ich hier zurückgehalten wurde, um dieses von Himmelskraft, von echter Poesie durchdrungene Werk kennenzulernen. Es ist die zweite göttliche Komödie, nur eine heroische, in welcher das Vaterland und dessen Verherrlichung, die Großtaten der portugiesischen Helden den Grund bilden, auf welchem alle übrige Zier eingewirkt ist. Darum ist die Erzählung aus der Vorzeit so notwendig. Und warum soll es mich stören, daß Vasco sie seinem Indier vorträgt, welcher sie nicht ganz verstehen wird. Ich, der Fremdling, habe sie auch nur so aus dem Munde des Dichters empfangen. Ebenso schön ist die Prophezeiung, die uns schon die künftigen Taten eines Pacheco und Albuquerque meldet. Seh ich nun den verhältnismäßig kleinen Umfang dieses Gedichtes, diese zehn Gesänge, und erwäge, daß sie Geschichte der Vorzeit und Zukunft, die Beschreibung des Zuges, die Einwirkung der Götter und der Naturkräfte enthalten, so erscheint mir das Werk um so mehr als Wunder, da ihm noch für Episoden Raum bleibt wie jene rührende Liebestragödie vom Tode der Ines de Castro. Wohl, wohl kann uns der echte Poet zum Olymp, in die Versammlung der Götter entrücken.«

Ferdinand war hocherfreut, so das Werk eines geliebten Landsmannes von einem verständigen Manne preisen zu hören.

Der Hauptmann begann wieder: »Sonderbar ist die Betrachtung, wie die Geister, ohne voneinander zu wissen, sich begegnen können. Ich lernte vor einigen Jahren in Florenz einen jungen Mann, auch einen wahren Poeten, kennen, der mir in vertraulichen Stunden sein Werk, das gewissermaßen schon vollendet war, mitteilte. Er heißt Torquato Tasso und ist der Sohn eines berühmten Poeten, Bernardo Tasso. Soweit ich urteilen darf, steht sein Gedicht, ob es gleich weit mehr Umfang hat, obgleich es viele und große Schönheiten aufweisen kann, tief unter dieser heroischen, göttlichen Komödie des Camoens. Er hat aber ebenfalls einen ernstern Inhalt als Ariost gesucht, er singt die Eroberung der heiligen Stadt Jerusalem durch Gottfried von Bouillon und seine Helden. Er nun läßt die heiligen Kräfte mit denen des Abgrunds kämpfen, er zeigt uns den Neid und Haß jener bösen, gefallenen Geister, von denen unsre christlichen Sagen erzählen. Schon durch diesen so bestimmt ausgesprochenen Gegensatz muß das Werk der heroischen Heiterkeit entbehren, die mich Eurem Camoens so innigst befreundet. Und dann, Jerusalem statt des Vaterlandes, welches der arme Torquato freilich nicht hat. So muß nun Glaube und Christentum, die Erinnerung an die heilige Stätte, Wunder, Großtat der Helden für ein fernes Land und in fremder Gegend den weniger lebendigen und rührenden Grundstoff des Gedichtes liefern. Das Schwächste des Werkes ist, daß Ferrara, Lob und Anspielung auf dessen Herzog, der den Dichter beschützt und belohnt, in der Figur des Rinaldo widerklingen soll. Diese kleinlichen Beziehungen eines Hofpoeten müssen das Vaterland und den Enthusiasmus für dieses ersetzen. – Aber demohngeachtet haben mich viele Stellen, die bald süß und lieblich, bald großartig sind, entzückt. Vorzüglich sind ihm einige schöne weibliche Gestalten gelungen, und das Gedicht wird in Italien, wenn es erscheint, großes Aufsehn erregen.«

»Ist nicht der Bernardo Tasso«, fragte der Graf, »sein Vater, der unsern Amadis, das heißt viele Begebenheiten desselben, in hundert Gesängen vorgetragen hat?«

»Derselbe«, antwortete der Hauptmann, »und Torquato hat schon ein kleines Werk, ›Rinaldo‹, herausgegeben, das seinen Namen bekannt gemacht hat. Aber ganz Italien wartet mit Sehnsucht auf sein Befreites Jerusalem, mit dessen Herausgabe er vielleicht zu lange zögert, da so viele schon das Gedicht kennen. Diesen Torquato sah ich erst kürzlich in Ferrara wieder, wo ich, um Abschied zu nehmen, einen Verwandten besuchte. Ich fand den jungen Mann sehr verändert, aufgereizt und eigensinnig, melancholisch: Er hat dort am Hofe viele Gegner und hetzt sich mit ihnen, argwöhnisch und ehrgeizig, wie er ist, vielfach herum. Zuweilen ist das Talent dem Menschen nur mitgeteilt, um sein Leben zu zerstören und ihn unglücklich zu machen. Vielleicht, wenn Charakter und Genius nicht zur Reife gelangen. Der wahre, große Dichter muß aber wohl, mag sein irdisches Schicksal sein, welches es will, ein durchaus glücklicher und beseligter Mensch sein. Und so denke ich mir Euren Camoens. Wie würde ich mich freuen, wenn er noch lebte und ich den Außerordentlichen persönlich kennenlernte! Er ist, wie Ihr mir sagt, in der Vergessenheit verschmachtet. Das ist ein Flecken, der immerdar auf Eurem Vaterlande haften wird, das er mit allen seinen Kräften verherrlicht.«

»Geschieht für manche glückbegünstigte Menschen«, antwortete Ferdinand, »zuweilen das Unglaubliche, so gehört es zu den Wundern, daß dieser Mann, nachdem er sein Gedicht schon bekannt gemacht hatte, uns so hat verlorengehn können. Aber gewiß, glücklich, wie Ihr sagt, muß er dennoch, auch in seiner Armut gewesen sein, die ihn nicht erniedrigen konnte. Jetzt wünschen mit mir viele, daß er noch unter uns wandelte, wir würden ihm, wenn er sie nicht verschmähte, unsre Gaben entgegentragen. Reich und geehrt müßte er werden, den Edelsten und Höchsten hier zur Seite sitzen, denn so wie ich vergöttern ihn meine Tante und mein Onkel und noch viele der Vornehmsten im Lande, die ich kenne.«

Jetzt ließ der Graf mit der Erlaubnis des kranken Freundes den Handwerker oder Bildhauer, welcher schon lange im Vorzimmer gewartet hatte, hereintreten.

Der Mann verbeugte sich höflich und sagte dann mit einigem Unwillen: »Exzellenz, es ist nicht mehr zu leben, und die Zeiten werden immer verwirrter, weil keine Ordnung mehr im Lande herrscht. Ich habe wortbrüchig werden müssen an Euch und der vornehmen Gräfin und dem gnädigen Herrn Marques, die Zimmer, die durch ein Schnitzwerk geziert werden sollten, sind noch nicht fertig geworden, weil ich von Lumpengesindel abhängig bin, welches mir nun zu guter Letzt gar toll geworden ist.«

»Wie meint Ihr das?« fragte der Graf erstaunt.

»Meine Gesellen«, sagte jener, »muß ich leider anklagen und den Herrn Regenten und die vornehmen Staatsräte, so wenig sich auch dergleichen für mich schickt. Der große Bengel Minotti hat sie rebellisch gemacht, sie wollen nach Afrika, und da der Herr Regent ihnen neulich, wie Ihr wissen werdet, ein Geschenk hat geben lassen, eine ansehnliche Summe, so wollen sie nun jetzt dergleichen alle Tage haben und nicht mehr arbeiten, sondern nur schreien und mit ihrer geweihten Fahne durch die Straßen ziehn. Erlaubt, daß ich den einen Gesellen, Barnaba, der mit mir gekommen ist, Euch selber vorführe.«

Er ging hinaus und kam mit einem breitschultrigen Menschen in den Saal zurück. »Er sieht ganz verwildert und ungeschlacht aus«, fing Enriko wieder an, »seitdem er sich des Patriotismus angenommen hat: Er hat alle Reputation verabschiedet und will nun Heidenbekehrer werden.«

»Ja, mein Herr Graf«, sprach der Geselle mit heiserer Stimme, »ein Menschenfreund, wie Ihr es seid, wird gewiß meinem Glücke nicht im Wege stehn wollen. Die obere Hälfte von dem reichen Afrika ist nun schon bezwungen, und der heldenmütige Minotti will uns hinüberführen, uns nun auch das andere Land, welches eigentlich das reichste ist, untertänig zu machen. Gold und Edelgesteine empfängt dann ein jeder Sieger, so viel er nur haben mag. Die Priester, die unsere Fahne neulich geweiht haben, sagen, der Sieg könne uns gar nicht fehlen. Was soll ich nun hier um ein kümmerlich Tagelohn arbeiten, wenn ich dort schnell reich werden und meiner Religion dabei noch einen großen Gefallen tun kann? Uns fehlen nur noch die Schiffe. Bis diese ankommen, um uns überzusetzen, wird uns die Regentschaft, wie sie auch schon angefangen hat, nach unsern Verdiensten besolden.«

Ferdinand lachte, der Bürger aber sagte im Eifer: »Ja, ja, Exzellenz kann zur Not wohl lachen, aber wir armen Bürgersleute, wir Künstler! Der Mensch schneidet mir nun nicht mehr das Holz aus dem Groben zurecht, daß ich meine Zieraten dann künstlich schnitzeln kann, die andern sind mir ganz weggelaufen, soviel gute Worte ich ihnen auch gebe. Das hat uns alles unser guter, verständiger Freund Luis vorhergesagt und schön auseinandergesetzt. Einen solchen edlen Mann sollte der dumme Pöbel nur anhören, der versteht die Sache aus dem Grunde und besser als unsre Herren Geistlichen, von denen viele das Volk nur noch dümmer machen, als es von Natur schon ist.«

»Wer ist dieser Luis?« fragte Ferdinand.

»Exzellenz«, erwiderte der Bürger, »wir kommen so, einige geschickte Männer, mehr oder minder oft in einem Garten zusammen und sprechen über Kunst und Wissenschaft, Politik und Religion, wie es nun fällt. Ein geistlicher Herr gehört zu unsrer Zunft und mancher gute Kopf, aber der edelste, bravste und verständigste, vor dem wir alle die größte Hochachtung haben, ist ein Mann, den wir aus Höflichkeit Don Luis nennen, dessen Familiennamen und Stand wir weiter nicht wissen. Er sprach neulich schön, als er uns wieder das Gedicht des Ariost erklärte, so verständig über den neulichen Auflauf, er sagte uns alles, was sich aus dieser Schwäche der Regentschaft entwickeln müßte, daß wir ihm mit Staunen und Verwunderung zuhörten.«

»Er erklärte Euch den Ariost?« fragte der Hauptmann.

»Er lieset uns oft etwas vor«, sagte der Bürger, »und versteht das Italienische gründlich.«

»So führt den Mann«, sagte der Graf, »den Ihr so außerordentlich lobt, doch einmal hieher, in mein Haus.«

«Das wird schwerlich geschehn können«, erwiderte Enriko, «denn der Mann lebt ganz einsam und vermeidet allen Umgang. Noch keiner von uns allen kann sich rühmen, daß er jemals über seine Schwelle geschritten ist, so dringend wir auch alle, ehe wir seine Eigenheiten kannten, ihn eingeladen haben. Zu Vornehmen, soviel ich mir denke, wird er noch weniger gehen wollen, ob er wohl gleich selber von vornehmem Stande sein mag.»

»Also ein Sonderling!« sagte der junge Graf. «So täte es wohl not, ich suchte den gelehrten Mann in Eurem Kreise auf.»

»Nur«, sagte der Bürger, «müßtet Ihr dann ganz schlicht und nicht als Graf zu uns kommen, und das werdet Ihr nicht wollen. Ein Sonderling ist aber der liebe Mann gewiß auf keine Weise, denn er ist so lieb und gut – nur scheut er die Menschen, besonders diejenigen, die er nicht schon lange kennt. Er mag wohl harte und traurige Schicksale erlebt haben.»

»Um aber«, sagte der Graf, «wieder auf unsre Arbeiten zu kommen: Wie soll es denn mit diesen werden?»

»Bis die Schiffe uns abholen«, sagte Barnaba trocken, «um Afrika zu erobern, muß ich, wenn ich bis dahin arbeiten soll, durchaus den doppelten Tagelohn haben. Und noch dann tu ich's ungern.»

Enriko sah den Sprechenden mit großen Augen an und schüttelte mit dem Kopfe.

Ferdinand aber sagte: «Meister, ich bewillige den, denn die Arbeiten im Palast dort müssen vorrücken und bald geendigt werden. Es ist schlimm für uns, wenn wir so große Helden zu Gesellen annehmen müssen, Euren Roland und Oliver bezahlt man natürlich teurer als einen gemeinen Arbeiter.»

»Es rückt doch nur langsam vor«, erwiderte der Bürger, «denn wir sind zu wenig.»

»Ich will«, fing Barnaba wieder an, »noch Gil und Valentin anwerben, die Euch auch aus der Werkstatt fortgelaufen sind. Die sind gute und billige Menschen, und wenn ich ihnen etwas zurede, lassen sie sich auch beschwatzen, für den doppelten Lohn noch ein bißchen zu arbeiten.«

Der Graf bewilligte auch dies, obgleich der Bürger zu diesem Handel nur eine traurige Miene machte, weil er fürchtete, daß, so aufgemuntert, die Forderungen des gemeinen Volkes mit jedem Tage steigen würden.

Die Handwerker entfernten sich, und auch Ferdinand ging in den Saal, um einen lästigen Besuch dort, der ihm war gemeldet worden, allein zu empfangen.

Eine lange, hagre Gestalt mit leichenblassem Gesicht trat herein, ein schlichtes dunkelbraunes, fast schwarzes Haar legte sich sparsam dicht an die glänzendweiße Stirn, der Zwickelbart und Bart des Kinnes war auch schwarz und hob sich durch sein Dunkel grell von dem bleichen Gesichte ab. Dieser widerwärtige Mann war jener Alonso, von dem der Marques gesprochen hatte, und er kam jetzt zum Neffen seines Gegners, um ihm Vorschläge zu tun, die vielleicht zu einem Vergleich jenes Streites führen könnten.

Ferdinand ließ sich die Papiere ausliefern, um sie seinem Oheim abzugeben, und nach einigen unbedeutenden Gesprächen entfernte sich jene gespenstige Figur, das Sinnbild des Geizes und der Habsucht, wieder, und Ferdinand eilte nach dem Palast, um die Arbeiter, die ihm noch geblieben waren, anzufeuern.

 

Die Gräfin Catharina hatte sich indessen mit ihrem Oheim, dem Marques, eingeschlossen, um ungestört eine vertraute Unterredung mit ihm zu haben, welche ihr außerordentlich wichtig war.

Der Marques war auch in einer feierlichen Stimmung, denn ihm bangte vor den nächsten Nachrichten, welche er aus Afrika erhalten möchte. Der erste Taumel, welchen die Siegesnachrichten veranlaßt hatten, war jetzt auch in der Stadt mehr und mehr verschwunden, eine ängstlich dumpfe Erwartung hatte sich aller Gemüter bemächtigt, und nur der Pöbel lärmte noch und jauchzte und schrie im wilden Übermut bald hier, bald dort vor den Palästen der Großen, daß man ihn nach Afrika hinüberschiffen solle.

»Sprecht nun«, fing der Greis an, »vertraut mir alles, geliebte Muhme, was Euer Herz beängstigt: Ihr kennt meine Gesinnung und wie sehr ich Euch liebe, von mir dürft Ihr Euch alle die Hülfe mit Sicherheit versprechen, die ich Euch irgend leisten kann.«

»Daß mein Leben, meine Ehe nicht glücklich waren«, fing Catharina an, »ist Euch wahrscheinlich bewußt. Der Charakter meines Gemahles war dem meinigen zu ungleich, ich war so verstimmt, daß ich gegen ihn nicht billig sein konnte, und so stellten wir ein Leben dar, wie die Welt es nur allzuoft zeigt, das Gemälde eines nüchternen Daseins, welches sich ohne Genuß und Hoffnung, ohne Plan und Kraft, ohne Glück oder Unglück von einem Tage zum andern, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr, fast unbewußt, so still, wie im Karren des Todes eingespannt, stumm hinschleppt.

Aber meine Jugend, von der Ihr wohl schwerlich etwas wissen könnt als durch das allgemeine Gerücht, war anders. Mein Vater liebte mich, meine Mutter war mir früh, als ich noch ein Kind war, gestorben. Ich wuchs schnell auf, alle meine Freundinnen verwunderten sich, wie groß und stark ich war, als ich kaum die Schwelle der Kindheit verlassen hatte.

O mein teurer Freund, wie schön, wie zauberreich, wie ahndungsvoll ist die Zeit der ersten Jugend. Die wenigsten Kinder sammeln sich genug, um etwas zu denken und zu bemerken, sie träumen mehr, und in ihren Schlummerstunden steigen oft Geister und Engel in ihre kindische Phantasie, um ihnen das Reich der Wunder und des Himmels aufzuschließen. So war es mir wenigstens gewesen. Was ich gelernt und begriffen hatte, war mir eigen geworden, konnte ich doch nicht sagen, wie. Drüben in jener Vorstadt, wo hinter dem Palast meines Vaters ein großer Garten sich erstreckt, war ich aufgequollen, schnell, wie die Blume voll wird, von der Kraft des Frühlings getrieben.

Nun war ich in die Jugend getreten, und alle Menschen behandelten mich, so jung ich auch noch war, meiner Größe wegen wie eine verständige, ausgebildete Jungfrau. Ja, es fehlte mir auch an sogenannten Liebhabern nicht. Die Torheiten dieser und das Treiben der albernen Welt gaben nun meinem übermütigen Geiste eine ununterbrochene und höchst angenehme Beschäftigung. Es ist nicht auszusagen, welche Freude einem jungen, unschuldigen Mädchen aus diesem rastlosen Spiel, aus dem Vordrängen der Torheiten und kleinen Leidenschaften erwächst, die man in seiner Unbefangenheit, eben indem man nicht begreift, wohin alles zielt, wie fremdes Getier und Wundererscheinung aus der Pflanzenwelt oder der Luftgefieder oder als etwas ganz Phantastisches ansehn kann. Mein Vater, der sonst schwach war, ließ mir alle Freiheit, ergötzte sich an meinem Übermut, lachte über meine Tollheiten und ließ mich gewähren. Ich versichere Euch, in so vielen Stunden kam mir die Erde mit allen ihren Geschöpfen, die Menschen mit allem ihren verschiedenen Treiben nur wie eine große Komödie, wie ein törichtes, verwickeltes Possenspiel vor, daß ich auch das verlachen konnte, was den meisten Menschen, auch meinem Vater, als sehr ernsthaft erschien. Gab es doch Stunden, wo mir schon diese Trennung, daß man das Possierliche nur von dem Ernsten absondern wollte, als höchst belachenswert erschien. Der gesunde, gute Mensch durchlebt eigentlich in den verschiedenen Zeiträumen seines Lebens mannigfache Paradiese; wir sind so unbillig, jene Zustände, die wir wohl selige nennen können, zu früh zu vergessen.

So ist die unbewußte Kindheit mit ihren Traumwundern; nun stand ich mit beiden Füßen hüpfend auf der Erde, im Gefühl meiner Gesundheit, Jugend und Schönheit. Bald lief ich und haschte ich mit meinen Gespielinnen und freute mich, vor allen die schnellste und behendeste zu sein, wie ich die größte und schlankste war; bald sangen wir heitre und mutwillige Lieder, und meine klare Stimme übertönte die ihrige. Nun verkleideten wir uns in possierliche Masken und überraschten oder erschreckten so meinen Vater und andre alte und ehrbare Herren. Am meisten gefiel es mir aber, diejenigen, die sich für meine Liebhaber ausgaben, mit tausendfältigem Mutwillen zu necken. Sie merkten nicht, daß noch das ganze Kind mit allen seinen Unarten in mir steckte und aus der klugscheinenden Jungfrau seinen Schabernack trieb. Konnte ich einen von diesen sonderbaren Herren zum Weinen bringen oder daß er in seinem Verdruß oder seiner Verzweiflung etwas recht Tolles und Abgeschmacktes sagte, so war ich überglücklich. Oft mußten die Gespielinnen dem, der recht eifrig verliebt schien, dies und jenes Bekenntnis hinterbringen, um seine Leidenschaft noch zu erhöhn – die Schalkinnen horchten dann versteckt, wenn er mir sein Feuer, seine Wünsche, sein Unglück kniend gestand und ich ihm mit Hohn und Lachen erwiderte. So spielte mein kindischer Übermut mit Amors Geschoß, ich prüfte dessen Schärfe hie und da und ließ mir nicht beikommen, daß ich mich irgend einmal verwunden könnte.

Ja, mein Freund, gerne träume ich mich in diese glückseligen Tage meiner heitern Unschuld zurück. Ich glaubte damals, daß mir alles, was ich nur wünschen könne, erfüllt sei. Jeden Abend legte ich mich in Hoffnung auf neue Scherze des kommenden Morgens nieder. Einsamkeit und Gesellschaft, die Stadt und mein Garten, Besuch von Männern und Frauen, meine Gespielinnen und unbekannte vornehme Damen, meine Lehrer und Duennen, alles, was nur in meine Nähe trat, machte mir Spaß und Freude.

So vergingen einige Jahre, und mein Vater selbst verwunderte sich darüber, daß mein Mutwille immer der nämliche blieb. Vor allem ergötzte uns jetzt ein Spiel der Jagd, welches wir ersonnen hatten und das wir in den Gängen des großen Gartens trieben. In der Regel war ich Diana, andre Mädchen meine Nymphen, und junge Männer und Liebhaber liefen als Wild und Hunde mit uns oder vor uns her. Der Gefangene ward gebunden oder mußte sich gefallen lassen, die Maske eines Wolfes oder anderen Tieres auf einige Zeit zu tragen. Dann führten wir wieder als Amazonen Krieg gegen die Männer und freuten uns, wenn wir sie überwanden. Oft geriet ich bei diesen Übungen in einen solchen Taumel wilder Begeisterung, daß mein Vater für meine Gesundheit besorgt werden mußte. In Stunden, die ich in meiner Einbildung für ernsthafte hielt, wünschte ich wirklich, zeitlebens so als Jägerin oder Amazone zu leben, ganz von den Männern entfernt oder sie bekämpfend, wenn ich sie nicht mit ihren Torheiten necken sollte. Denn wirklich begann mein Vater jetzt, mir zuweilen Vorwürfe zu machen. Er begriff es nicht, wie diese Lebensweise mir auf so lange Vergnügen machen könne. – Ja, mein Freund, ich habe eine recht glückliche Jugend genossen, und das können nicht alle, vielleicht nur wenige Menschen von sich aussagen.

Aber freilich stand die Stunde, der Tag und Augenblick nicht mehr fern, wo mir das Herz größer und schwerer werden sollte. Amor auch erschien mir als der freundlichste und heiterste Gott, der lange Zeit alle seine Tücken unter so kindlich froher Miene verbergen konnte, daß ich ihm unbedingt vertraute.

Mein Vater hatte schon oft davon gesprochen, daß ich mich jeden Tag vermählen könne – ich hatte darauf nicht geachtet –, er wünschte aber, daß ich vor der Verheiratung, da er nicht reich war, eine Zeitlang die auszeichnende Stelle einer Palastdame bekleiden sollte. Ich sagte nicht ja, nicht nein, weil ich nur an meine Spiele dachte und mir die Gedanken an Ehe oder das Leben am Hofe schnell aus meinem Kopf wieder verjagte.

Ein junger Mann, von Adel zwar, aber nicht den größten Familien verwandt, war kürzlich von der Universität Coimbra zurückgekommen. Eine meiner Gespielinnen führte ihn bei uns ein, und mein Vater nahm den schönen, geistreichen jungen Mann sehr freundlich, wie seine Art war, und zuvorkommend auf. Auch war etwas in des Jünglings Wesen, was ihm Zutrauen erwarb und ihm jeden Sinn geneigt machte, und so – denn was soll ich ihn noch schildern? –, so war er uns vertraut, er, den Ihr ja auch kennt und liebt, er, dessen Geist Euch immerdar begleitet – ja, mein Oheim, er, unser großer Dichter Camoens, seine freundliche Gestalt trat jetzt in unsern Mädchenzirkel.

Ich fühlte wohl, daß diese Erscheinung eine andre war als jene, die uns bisher unterhalten hatten; aber ich wußte ihn noch nicht zu würdigen; selbst langweilig kam er mir in manchen Augenblicken vor, weil ich alles lebende und tote Wesen nur darauf ansehn und gebrauchen wollte, daß es mir die Zeit vertreiben müsse. Desto mehr beschäftigte sich in dieser ersten Zeit mein Vater mit ihm, der ein großer Freund der Dichtkunst war, und Camoens hatte schon in Coimbra Verse geschrieben, welche von allen gelobt wurden.

Als ich zum erstenmal gewürdigt wurde, diesen gelehrten Sitzungen beizuwohnen, kamen mir der alte sowohl wie der junge Mann ziemlich possierlich vor: denn da wurde gestritten, ob dieses Beiwort ein glückliches, ob jene Vergleichung eine passende sei. Nur fiel es mir auf, daß der Jüngling über meinen Vater immer den Sieg davontrug, und zwar in Streitsachen, in welchen mein Vater sonst keinem nachzugeben pflegte. Dadurch bekam ich Achtung vor dem jungen Manne, und nach und nach erschienen mir auch seine Gedichte sowie die Kunst der Verse wichtiger. Ich las aufmerksamer, und mir gefiel diese schön gebildete Sprache, mich rührten endlich diese lieblichen Reime und die anmutig verflochtenen Worte.

So entstand für mich ein neues Spiel, welches jene ablöste, die ich bisher getrieben hatte. Camoens zeigte mir, wie ein Sonett, ein Madrigal, eine Kanzone oder Sestine zusammengesetzt würden, welchen Regeln sie unterworfen wären: Er las mit mir einige italienische Gedichte und erklärte mir die schwierigen Stellen, und ich zögerte nicht, selbst Versuche zu machen – mit Vorsatz ganz alberne, denn es ergötzte mich, wenn ich ein Sonett ganz ehrbar und mit Pracht begann, wie Camoens die Gedanken und Wortstellung lobte und er dann erschrak, wenn die letzten Verse mit einer ganz unpassenden Torheit beschlossen.

Bald aber ließ ich dies Spiel wieder, eben weil es nur Spiel war. Ich merkte auch, daß es meinen Freund kränkte, wenn ich die Poesie, der er sich schon damals ganz gewidmet hatte, als Torheit betrieb. Alles im Leben fing an, mir ernster, bedeutsamer zu erscheinen, welches mich so überraschte, daß ich in manchen Augenblicken von der Furcht befallen wurde, mir möchte eine schwere Krankheit bevorstehn. Nun dachte ich den Wünschen meines Vaters nach, und ich glaubte, jene leichtsinnige Jugend sei jetzt vorüber, deren Entschwinden er mir so oft vorhergesagt hatte. An diesem Scheidewege des Daseins ergriff mich zuweilen eine ungeheure Bangigkeit: Ach, es war nur Vorgefühl alles des Elendes, welches mein Leben und das des geliebtesten Wesens vergiften sollte!

Warum, mein Freund, bin ich so umständlich, Euch diese Zustände meiner frühen, längst entschwundenen Jugend zu entwickeln? Die schönste Zeit meines Daseins brach jetzt wie ein zauberreicher, plötzlicher Frühling über mich herein: die Liebe, welche mich bezwang, so sehr ich auch im Anfang ihrer süßen Gewalt widerstrebte. Ich war in meinem Herzen schon glücklich, bevor ich mir dieses Glück noch gestanden hatte, ja ehe es noch in mein Bewußtsein gedrungen war. Am meisten beseligte es mich, daß ich an meinem Freunde mit jedem Tage einen neuen Vorzug entdeckte, daß sich mir eine neue schöne Seite seines Charakters zeigte und sich der Reichtum seines Geistes immer deutlicher entfaltete. Alle Menschen waren mir bis zu dieser Zeit bald alltäglich geworden, ich wußte, was sie sprechen würden, im voraus, ich kannte alle ihre Gedanken. An jedem Tage war mir Camoens eine neue Erscheinung, und doch war mir sein Wesen so vertraut, sein Inneres mir wie mein eignes Gemüt, und doch mußte ich plötzlich wieder fast erschrecken, wenn eine Flut großer Gedanken und Gefühle mir deutlich machte, daß ich ihn noch zu wenig gekannt und gewürdigt hatte. Alles aber versiegte bald im Geständnis und dem Bewußtsein unsrer Liebe. Diese seligen Tage wurden mir von einem freundlichen Schicksal gegönnt, und dieses war das schönste, aber das letzte Paradies meines Lebens.

Schon damals sprach er glühend von dem Entwurf zu seinem großen Gedicht. Er schrieb Lieder, die ich ihm sang, und fast immer lebten wir in jenem Garten, der jetzt der Familie Susa gehört, welcher ihn mein Vater nachher verkaufte. Unsre Verbindung schien mein Vater gern zu sehn, und da ich ihm meine Liebe nicht leugnete, so gab er bedingungsweise seine Zustimmung, denn er meinte, da er selber nicht reich sei, müsse sein Schwiegersohn, der kein Vermögen besitze, eine Stelle im Staate erwerben, was ihm bei seinen Talenten und Kenntnissen nicht schwerfallen würde, vorzüglich wenn er ihn durch den Einfluß seiner Familie und Verwandten unterstütze. Ach, damals war mein Vater so liebreich, so gut, ich war in meinem Glücke so sicher und ruhig und wähnte, daß alles mit jeder Woche schöner werden müsse. Camoens war trunken in seiner Freude. Soldat zu werden war neben meiner Liebe sein heißester Wunsch, als Held für sein Vaterland zu kämpfen. Er zweifelte nicht, daß das Glück ihn begünstigen, daß er Gelegenheit finden würde, sich auszuzeichnen. Auch mein Vater ging in seinen heitern Stunden in diese Träume ein, und wenn ihn manchmal die Sorge beschleichen wollte, daß es nicht gelingen möchte, oder wenn es seinem Stolze beifiel, Camoens, wenn auch Edelmann, sei aus keinem der großen und namhaften Häuser, er sei obendrein arm und es sei zweifelhaft, ob der Stolz des Jünglings die Wege finden und suchen würde, sich mächtige Beschützer zu erwerben, so schmeichelten meine Liebkosungen alle diese Grillen, wie ich sie nannte, von der Stirn meines sorgenden Vaters hinweg.


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