Ludwig Tieck
Tod des Dichters
Ludwig Tieck

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Die Gesellschaft war durch diese Rede aufgeregt worden, und alle sprachen ziemlich heftig durcheinander. Sie zürnten auf ihre Weise über die so oft wiederkehrende schreiende Undankbarkeit der Völker und Fürsten. Nur Luis blieb ganz ruhig und schaute nachdenkend vor sich nieder.

Endlich sagte Duarte: »Ihr, mein würdiger Freund, sagt kein Wort zu dieser Anklage, die ich doch so gerecht finde wie wir alle hier. Wie viele große Geister stehn in der Weltgeschichte da als traurige Bilder dieser Tyrannei und des Leichtsinns, geschmäht, verkannt, oft verdammt, wieviel mehr noch sind wahrscheinlich in Dunkel und Vergessenheit geblieben, die auch groß hätten werden können, wenn sie Ermutigung und Beschützer gefunden hätten.«

Luis erwiderte: »Ich habe Euch, teure Freunde, meine Meinung hierüber nicht aufdrängen mögen, weil sie Euch vielleicht zu sonderbar dünken möchte und ich mich fürchte, den Verdacht zu erregen, als könnte ich etwas aussagen, bloß um allem zu widersprechen oder etwas Seltsames zu behaupten.«

»Wir werden Euch, edler Freund, gewiß nicht verkennen«, sagte Ernesto, »drum sprecht frei wie zu Eurer eignen Seele, auch wenn Ihr unsre Fürsten noch weit härter tadeln solltet, als wir es schon getan haben.«

»Was wir Dank und Undank nennen sollen«, sagte jetzt Luis, »ist schon schwer zu entscheiden, wenn man das Verhältnis und Leben einzelner Menschen betrachtet, wenn wir unsre nächste Umgebung und uns selbst beobachten. Jeder von uns hat, wie er überzeugt ist, schon für Dienste oder Wohltaten Undank eingeerntet, jeder von uns ist nach Gelegenheit schon undankbar gescholten worden. Ein rein erkannter Dank, ein fortlebendes klares Gefühl der Dankbarkeit für erwiesene Wohltat, beziehn sich diese auf weltliche Güter oder Lehre; aufopfernde Freundschaft ist eine Tugend, die ebenso selten sich groß und glänzend zeigt wie alle übrigen Tugenden. Das Laster des Undanks ist dagegen allgemein, wie jeder Fehler der in sich verirrten, von Leidenschaften geängstigten Menschheit. In glücklichen Zeiten drängen sich Tat auf Tat, große Männer folgen eilig aufeinander, Talente erwecken einander und zeigen sich dort und hier: dann ist das Vaterland reich an Geist und Kraft. Wie soll, wie kann einem Miltiades, einem Themistokles gelohnt werden? Ruhe, Zurückgezogenheit, Gleichheit mit seinen Kriegern war selbst eines Timoleon Krone. Das athenische Volk war damals zu reich und groß, sein Glück steigerte sich so schnell, der außerordentlichen Taten, der unsterblichen Verdienste waren zu viel, als daß es nach dem gewöhnlichen Sinne des Wortes hätte dankbar sein können. Das ist eben das Übermenschliche in den Schicksalen großer Helden und Volkslehrer und Wohltäter der Menschen, daß man sie vergißt, wohl verkennt. Und die tiefe Rührung unsers Herzens, das schönste Gefühl unsrer Anbetung aus der Ferne nach tausend Jahren noch, diese Huldigung der Urenkel und spätesten Nachkommen, die jedes Gemüt, welches der Erkenntnis des Großen und Schönen fähig ist, opfert, dieses, was nicht Gold, Ehre noch Lob ist, diese stumme Bewunderung, in der die reinste Verehrung und ein heiliges Mitleid sich wundersam vermischen, ist jener Helden schönster Lohn. So sind sie nicht vergessen, nicht verarmt, vertrieben, gestorben; die Geisterwelt ist ihre Heimat, der Palast, welchen sie bewohnen. Und jede gute Tat, jede schöne Regung, der Glaube an den Adel der Menschennatur wurzelt, wächst und blüht in diesem geweihten Boden.«

Alle hörten den Redenden in stiller Aufmerksamkeit an, und dieser fuhr nach einer kleinen Pause fort: »War die Kunst und Poesie der glücklichen Griechen nicht ganz, nicht im Gegensatz gegen das römische Wesen, vom schönsten Patriotismus durchklungen? Städte, Berge, Flüsse, Menschen und Völkerstämme waren schon seit Homer mit den Göttern des Volkes zugleich verherrlicht worden, und wie war immerdar Athen und alles, was sich auf dieses bezog, Sage, Land und Meer, von der attischen Tragödie verschönt und besungen worden? Und doch verließ Äschylus so wie später Euripides sein Vaterland, um in fremder Gegend zu sterben. Wir wissen nicht genau, was ihren Unwillen reizte und ob die großen Männer nicht auch vielleicht zu eigensinnige Forderungen an ihre Mitbürger machten. Denn das wird auch ein jeder von uns erfahren haben, daß ein Guttäter, dem wir auf irgendeine Art verpflichtet sind, wohl unsre unerläßliche Freiheit beschränken möchte und es Undankbarkeit schilt, wenn der wahre Edelmut in uns sich dem widersetzt. Reiht sich ein Bewußtsein an eine Guttat, die der Gelehrte, Künstler oder Dichter dem Lande erwiesen, der Freund dem Freunde, der Reiche dem Armen, der Hochgestellte dem Niedern oder der Untertan seinem Fürsten, und wächst immer starrer und stolzer empor, so verliert die Gabe vieles von ihrer Schönheit. Gern habe ich stets die Regenten entschuldigt, die gegen ihre Helden und die großen Männer des Vaterlandes undankbar erschienen. Sie haben so vieles zu beachten und zu versorgen, alles drängt sich an sie, das Edle und Herrliche erscheint ihnen von ihrer hohen Stellung aus als eine Naturnotwendigkeit, sie fühlen, daß es sich selbst belohnt. Verletzt sie der große Mann nun etwa im Gefühle seiner Kraft und seines Wertes, scheint er, wenn auch nur auf Augenblicke, zu vergessen, daß vom Thron aus ihm seine Bedeutsamkeit wird, sind nun Schwätzer und Verleumder noch obenein gegen ihn geschäftig, so ist es nur menschlich, wenn der Fürst sein Wohlwollen beschränkt, um den starren Sinn jener Tugend wieder zu mildern. Freilich gewinnen nun oft jene Schmarotzer und Schmeichler, jene Ohrenbläser, Schalksnarren und Gaukler und Tänzer die Reichtümer und Güter, die dem Talent und der Tugend zu gehören scheinen. Wenn aber solch armes Volk durch ihre Erniedrigung dies nicht erränge, was wäre dann ihr trübseliges Leben? Fast jedermann mißgönnt ihnen jene Güter, und selbst der Fürst hat nicht das Vermögen, ihnen Achtung zu verschaffen, Bürger und Pöbel schätzt sie geringe, und jedes Auge sieht mit Ehrfurcht auf Verdienst und Größe hin, und um so mehr, wenn sie verkannt oder geschmäht werden. Das hat mich mein Leben gelehrt, daß Verdienst oder Unverdienst hauptsächlich nur durch seine Persönlichkeit jene Güter erringt, die in den Augen der Menschen den höchsten Wert haben. Wer sich anmutig oder gar unentbehrlich zu machen weiß, nach Gelegenheit Vertrauen einflößt, dann wieder gern unbedeutend erscheint, jetzt wieder klagt oder zudringlich wird, zuweilen sogar überlästig, Lob und Spott mit gleicher Miene hinnimmt, niemals den Höheren übersehn will und klüger als dieser erscheinen, kurz, wer nur den Augenblick ergreift und diesem einzig leben mag, ein solcher wird an Höfen willkommen sein und gewiß jene irdischen Güter erkämpfen. Tugend und Talent vermögen es fast nie, ihren Genius so zu verleugnen.«

Bei diesen Worten schien Luis gerührt. Die übrigen hatten ihm aufmerksam, einige nicht ohne Verlegenheit zugehört, als Duarte nach einer Pause anfing: »Geehrter Mann, Eure Rede, wenn sie Euch ernst war, macht Eurem Gemüte Ehre; aber Ihr müßt mir verzeihen, wenn ich glaube, daß sie doch ein weniges vom Sophisten an sich trägt. Denn der Regent, indem er so hochgestellt ist, kann sich leichter der kleineren menschlichen Leidenschaften entschlagen als seine Untergebenen: Er kann seiner Laune und seinem Zeitvertreib vieles opfern, er kann selbst jene schmeichelnden Aufdringlinge befriedigen, von denen er vielleicht wähnt, daß sie seine wahren Freunde sind. Das ist aber alles keine Ursach, auch im Drang gebietender Umstände das Verdienst und Talent ganz aus den Augen zu verlieren. Wenn unser Emanuel ein großer Regent war, so schimpft es ihn dennoch, daß der große Albuquerque arm blieb. Es schimpft seine Räte und Vertrauten, daß sie ihn nicht auf seine Pflicht aufmerksam machten. – Ich weiß, Don Luis, wie Ihr den Jünglingshelden, unsern König Sebastian, liebt und verehrt – aber die Zukunft wird es ihm ernst verweisen, daß er, mögen ihn Jesuiten, Beichtiger, Soldaten, Adel und Unadel bestürmen und umdrängen, mag dieser ahndungsvolle Feldzug schon längst alle seine Kräfte in Anspruch nehmen –, es ist ein Makel in seinem Ruhm, daß er unsern Camoens im Hospital hat verschmachten lassen, dessen Gedicht, mögt Ihr auch widerlegen, soviel Ihr mögt, mir lieber ist als Ariost oder was ich sonst kenne. Und jedem Portugiesen sollte es wohl so sein.«

Luis' bleiches Antlitz hatte sich rot gefärbt, er schien verlegen und als wenn er nach Worten suchte, um diesen Angriff zu widerlegen. Indem alle darauf gespannt waren, was der Mann, den alle in ihrer Gesellschaft für den gelehrtesten hielten, erwidern möchte, ward die Tür zum Garten mit großer Gewalt aufgerissen, und zwei Soldaten stürmten herein, die einen Greis in ihrer Mitte hatten, der, sowie er die am Tisch sitzende Gesellschaft gewahr ward, sie um Hülfe ansprach.

Die beiden wunderlich aufgeputzten Kriegesleute waren von der Schar, welche der Engländer Stuckley dem König Sebastian zugeführt hatte. Der eine war ein Italiener und der zweite ein wilder Deutscher, welcher um so heftiger war, da er sich nicht verständlich machen noch die Reden der andern verstehen konnte. Der Greis, welcher sehr erschrocken schien, erzählte, wie sie ihm draußen zwischen hohen Gartenmauern begegnet seien und nach irgend etwas gefragt hätten, worauf er keinen Bescheid habe geben können, weil er weder Italienisch noch des andern würdigen Herren Sprache verstehe.

Es ergab sich, daß sie eine Taverne suchten, welche in der entgegengesetzten Vorstadt lag, und daß sie vom zitternden Alten in der Einsamkeit jener Gegend verlangt hatten, daß er sie dahin geleiten solle. Sie sollten dort ihren Anführer, den berühmten Stuckley antreffen, dem sie wichtige Dinge zu berichten hatten und der ihnen wiederum Ordre geben wollte. Ernesto, welcher jener Gegend ziemlich nahe wohnte, unternahm es, die beiden ungeduldigen Kriegesleute dahin zu führen, nachdem Don Luis die Zürnenden zufriedengestellt und den erschreckten Greis getröstet hatte.

Als die Soldaten fortgegangen waren, nahm auch Luis von seinen Befreundeten Abschied, die übrigen zerstreuten sich ebenfalls, und beim alten Domingo blieb nur der Wirt und ein verarmter Buchhändler.

Domingo, der sich wieder erheitert hatte, fragte den Wirt: »Wer war das freundliche Männchen mit einem Auge, der sich meiner so herzlich annahm? Er sieht krank und arm aus und ist doch so angenehm und redselig und hat ein Betragen wie ein Edelmann.«

»Wir nennen ihn nur«, antwortete der Wirt, »Don Luis. Ich glaube, sein Familienname wird Zunega sein oder auf ähnliche Weise lauten. Er mag wohl Edelmann sein, aber er scheint gelehrt und von einem kleinen Vermögen zu leben.«

»So? So?« erwiderte der Alte. »Ich hätte sonst fast glauben können . . . ich laufe schon täglich seit drei Tagen herum . . . es lebte noch vor vier Jahren in der Stadt der Dichter Camoens . . .«

Hier richtete sich der Buchdrucker auf und sagte: »Jawohl, alter Herr, aber der ist gestorben, drüben im Hospital St. Lazari, wo sie ihm eine Freistelle geschafft hatten. Der Mann, welcher sein schönes Buch gedruckt hat, wollte ihm in seiner Krankheit Hülfe senden, aber so stolz, wie er war, schlug er Geld und jede andre Unterstützung aus; und von allen Menschen, hoch und niedrig, verlassen, ist er wenig Monate darauf verschieden. Er hat in der letzten Zeit auch keinen mehr sehn oder vor sich lassen mögen. Glaubt mir, dieser Mann war der Herrlichste, der Begabteste aller Menschen, aber auch der Unbändigste im Stolz, so daß er keinem, selbst dem Könige nicht, verpflichtet sein wollte. Man riet ihm, wie der Herausgeber seiner Gedichte, vielerlei Wege, aber er mochte selbst dem Beichtvater des Königs seine Aufwartung nicht machen. – Aber warum weint Ihr, alter Herr?«

Domingo konnte sich wirklich der Tränen nicht enthalten. So war es also noch mehr und unwidersprechlich bestätigt, daß jener edle Dichter, den er in dessen Jugend wohl gekannt hatte, nicht mehr sei, daß ihn Elend und Menschenhaß verzehrt hatten. War er so tief erschüttert, wieviel mußte das Herz seiner edlen Gebieterin leiden, wenn er ihr von neuem diesen Untrost mitteilen mußte.

 

Als sie den Garten verließen, wollte der freundliche Wirt vom Geistlichen und Luis keine Bezahlung annehmen. Lächelnd, aber mit stolzer Bewegung drückte Luis dem starken Manne die kleine Münze für den genossenen Wein in die Hand, Matthias aber entfernte sich mit einem stummen Dank. Luis holte die Soldaten noch ein, und indem sie zwischen den weißen hohen Mauern der Gärten dahingingen und Luis mit dem Italiener sprach, begegnete ihnen ein Krüppel, der, seinem Anzuge nach, wie unscheinbar er jetzt war, auch ein Soldat mußte gewesen sein. Er wendete sich an die beiden Übermütigen mit flehender Bitte, diese aber sahen ihn mit Verachtung an und gingen mit kurzen Scheltworten weiter. Nur Luis blieb stehn und zog eine Münze hervor, die er einen Augenblick mit wehmütigem Lächeln betrachtete und die er dann dem Bettler gab, der ihm mit Rührung nachsah.

Als er seine Gesellschaft wieder eingeholt hatte, sagte der Italiener hochfahrend zu ihm: »Man sieht es Euch doch gleich an, Sennor, daß Ihr kein Soldat gewesen seid, denn sonst würdet Ihr Euch nicht eines so unnützen Mitleides befleißigen. Jenen Tagedieben, die höchstens einmal beim Gepäck als Knechte gedient haben und die so häufig als Marodebrüder das Handwerk des Soldaten in Verachtung bringen, soll man nicht noch nachher, wenn sie verabschiedet sind, mit Hülfe beispringen. Aber Ihr kennt dieses Gesindel nicht, weil Ihr wohl immer als ein einfacher Bürgersmann so stille vor Euch hin gelebt habt.«

»Nein, mein Herr«, antwortete Luis, »ich hatte Erbarmen mit dem Krüppel, so wenig ich ihm auch schenken konnte, weil ich selbst lange Soldat gewesen bin.«

»Und wo habt Ihr gedient?« fragte der Italiener.

»In verschiedenen Gegenden von Afrika und Ostindien.«

»Allen Respekt«, rief hierauf jener, indem er ihm die Hand reichte, »und vollends, wenn Ihr im Felde das eine Auge eingebüßt habt!«

»So ist es«, antwortete Luis.

Der Deutsche, welcher sah, wie freundlich sein Kamrad gegen den unansehnlichen Mann geworden war, schüttelte ihm hierauf ebenfalls mit Heftigkeit die Hand, indem er im schlechten Italienisch sagte: »Also, Kamerad, Freund und Soldat! Habt aber nicht die vornehme Art; solltet Euch mehr in die Brust werfen. Und verkehrt dort mit dem Bürgerpack und Pfaffen und Schustern und Schneidern.«

Der Italiener, welcher aus Florenz war, erzählte nunmehr, wie ihr Anführer, der brave, heldenmütige Engländer Stuckley, eine große Schar in Italien geworben und vom Papst selbst ein Breve zur Führung eines heiligen Krieges bekommen habe. »Wir sollten nämlich«, fuhr er fort, »eine Landung in Irland machen, um die ketzerische Königin Elisabeth zu bekriegen. Empörten wir das ganze Irland, und gelang es uns, dort allgemeine Verwirrung zu erschaffen, so landete wohl auch der spanische Philipp in England selbst, um dies Land zu unterjochen. Und zu solchen gewagten Unternehmungen ist kein Mensch so geeignet als der große, heldenmütige Stuckley, welcher selbst ein Engländer ist und die Gelegenheit und Landesart kennt. Er, der nichts fürchtet, wird, wenn ihm nur die Mittel geboten werden, die Welt in Schrecken setzen. Nun fügt es sich, daß Euer junger König Sebastian einen Heldenzug nach Afrika unternimmt, der beredet unsern Kapitän, ihn zu begleiten, und so werden wir unser Banner denn nächstens dort in den heißen Sandwüsten aufpflanzen, und kehren wir als Sieger zurück, wie es gewiß geschieht, so segeln wir mit neuen Kräften und frischer Mannschaft nach Irland hinüber.«

»Ich bin«, sprach der Deutsche, »in der großen, schönen Stadt Nürnberg und eigentlich als ein Lutheraner geboren, was hier in Euren Gegenden und auch in Italien der größte Schimpfname ist. Ich habe auch einige Jahre in den Niederlanden gegen die Spanier gefochten. Dann geriet ich als Gefangner nach Italien und bin jetzt sozusagen ein katholischer Soldat. Das Kriegeshandwerk ist mir so lieb und teuer, daß es mir nicht so sehr, wie ich an tausend andern auch wahrnehme, auf die Religion ankommt. Wes Brot ich esse, des Lied ich singe.«

Luis betrachtete ihn ernst und aufmerksam, wendete sich dann ab und sagte: »Ich denke nicht so.« Er nahm hierauf vom Italiener und Ernesto Abschied, welcher es unternommen hatte, die fremden Krieger auf den Weg nach jener Herberge zu bringen, welche sie suchten.

»Der stille, freundliche Mann«, fing der Italiener an, »scheint beleidiget. Womit haben wir ihn verletzt? Ist er vielleicht ein Anhänger der neuen Lehre? Dann wundert mich nur, wie er in seinem Lande die Jesuiten und Inquisition nicht fürchtet.«

»Nein«, erwiderte Ernesto, »Ihr tut ihm unrecht mit solchem Verdacht. Er schien mir im Gegenteil dadurch verletzt, daß Euer Freund den Glauben und die Religion als etwas Gleichgültiges betrachtet. Denn sooft sich die Gelegenheit bietet, welche er aber mehr vermeidet als sucht, über Religion und Kirche zu sprechen, ist er von Inbrunst und Andacht durchdrungen. Sowenig er andre verwunden oder verfolgen mag, so ist er doch ein echter Katholik.«

»Wir in Italien«, erwiderte der Soldat, »denken oft leichter, und viele von uns, besonders die Vornehmern, sind gleichgültiger über diese Gegenstände. Hier mag dies alles anders sein, und ich will es nicht tadeln. Mir scheint aber auch, daß der echte Soldat nicht so kleingläubig und ängstlich sein muß. Ich habe mich darum nie mit den Spaniern gut vertragen können. Doch lebe jeder auf seine Weise und tue seine Pflicht.«

»Ich könnte nicht herzhaft in den Streit gehen«, fügte der Deutsche hinzu, »wenn ich zu sehr an mein Gewissen und die Glaubensartikel denken sollte. Die Alten hatten eine eigene Kriegsgöttin, Frau Bellona. Sie ist es, die uns zunächst begeistern muß. Geht das große schöne Weibsbild vor uns her und blitzt uns von Zeit zu Zeit mit ihren hellen Augen an, so brauchen wir vors erste nichts weiter. – Wer ist aber dieser halbblinde Mensch, der so bescheiden und unterwürfig tut und dann mit einem Male wieder eine Miene annimmt, als wenn er ein Graf oder Herzog wäre?«

»Wir sehn ihn oft«, erwiderte Ernesto, »aber wir wissen wenig von ihm, weil er von sich und seinen Schicksalen fast niemals spricht. Ich kenne ihn seit Jahren, aber es ist vielleicht nur das zweite oder dritte Mal, daß er, wie heute, seines Soldatenstandes erwähnt. Wir gehn deshalb auch mit ihm mehr wie mit einem Gelehrten um. Er ist nicht wohlhabend, aber, wie ich glaube, von vornehmer Familie. Warum er so zurückhaltend ist, wissen wir alle nicht. Sein Wesen aber, sooft wir ihn sehn, ist so freundlich und anmutig, daß wir nichts vermissen und ganz zufrieden mit ihm sind, so viel oder wenig er sich mitteilen will.«

Jetzt waren sie an die Wegscheide gekommen, wo Ernesto sich von den Kriegsleuten trennte, indem er ihnen noch einmal den Weg beschrieb, den sie nun nicht mehr verfehlen konnten.

»Das ist eine fatale, langweilige Nation hier, diese Portugiesen«, hub der Deutsche nach einiger Zeit an. »Alle sind so förmlich und zurückhaltend und dabei so überaus höflich, daß man gegen sie nur noch höflicher sein muß.«

»Uns Italienern«, antwortete der andre, »können sie auch nicht gefallen; aber ihr Deutschen seid ja mit uns Welschen ebensowenig zufrieden: Wir machen ja auch, wie ihr immer wiederholt, zu viel Umstände und sind zu komplimentenreich und förmlich. Ihr aber erscheint mir als eine wunderliche Nation. Ihr seid offen, frei und herzlich, wie ihr es nennt, gleich seid ihr, auch die fremdesten miteinander, auf einen vertrauten und freundschaftlichen Ton, gleich bei der ersten Zusammenkunft vertraut ihr euch euer Geheimnis und trinkt aus den größten Kelchgläsern unter Küssen und Umarmungen, ja oft mit Tränen Brüderschaft, schwört, euch in Not mit Leib und Leben, mit Blut und Seele beizustehn und keine Gefahr zu scheuen.«

»So muß es auch sein, Herr Soldat!« rief der Deutsche. »Das ist unsre echt deutsche Treue, unsre Herzlichkeit, in der wir alle Nationen übertreffen.«

»Recht schön«, fuhr jener lächelnd fort, »aber kaum habt ihr mit dem neuen Bruder zwei Gläser getrunken, so erhebt sich über eine nichtsnutzige, fast unsichtbare Kleinigkeit, über ein Wort, eine Miene ein so heftiger Zank, daß die Freunde zu den Schwertern greifen und das Gelag mit Blut und Wunden endigt.«

»Das ist unsre deutsche Ehre!« sagte der Deutsche. »Darum haben wir auch Respekt bei allen Nationen. Wo der Deutsche hinkommt, wird er als ein Held angesehn. Los fieros Alemanos, nennt ihr uns ja selbst.«

»Der Franzose«, fuhr der zweite fort, »ist beinahe ebenso händelsüchtig, aber höflicher in seinem Zwist und gemessen in allem, was das Point d'honneur betrifft. Ihr Deutschen aber geratet sogleich in eine gewisse Wut, die uns, hier und dort im Süden, unbegreiflich ist, denn die besten Freunde ermorden sich oft im Zank und wissen nachher selber nicht genau, worüber sie sich gestritten haben.«

»So muß es sein, Herr Kamrad!« rief der Deutsche mit hochrotem Gesicht. »Ihr wollt mich foppen, meine Nation verlästern! Aber das Donnerwetter soll mich erschlagen, wenn ich Euch diesen Schimpf vergesse! Zieht und legt Euch aus! Hier ist ein hübscher einsamer Platz für solche anmutige Spielerei! Heraus gleich mit der Klinge in des fluchwürdigen Teufels Namen! Wehrt Euch, Kamrad, oder ich haue Euch auf der Stelle nieder.«

»Da haben wir die feine Bescherung!« sagte der Italiener, indem er langsam seinen Degen zog und scheu um sich blickte. »Ihr wißt«, fuhr er fort und stellte sich dem Gegner, »wie schwer Stuckley dergleichen Raufereien verpönt hat; der Tod steht unmittelbar darauf, wenn wir betroffen werden.«

»Hier wird keiner unser Tänzchen stören«, rief der Deutsche, »nur heran, wenn Ihr keine feige Memme seid! Zum Sterben sind wir einmal, gleichviel ob so oder so, aber die Ehre muß dem echten Soldaten über alles gehn.«

Sie kämpften hastig und eifrig. Der Deutsche vertraute seinem Mut, der Italiener aber war geschickter im Fechten, so daß er nach einigen Gängen seinem großen Gegner den Degen so aus der Hand schlug, daß dieser weit weg flog.

»Ihr seid jetzt in meiner Gewalt«, sagte der Florentiner, »aber ich will sie nicht benutzen, nehmt Euer Schwert und fechtet weiter, wenn Ihr noch nicht genug habt.«

Beschämt ging der Deutsche nach seinem Degen, steckte ihn langsam ein und sagte: »Ich habe genug.« Dann umarmte er seinen Gegner heftig, indem er ausrief: »Kamrad! Ihr seid ein echter Soldat, denn Ihr seid großmütig; so ziemt es dem Helden! Laßt uns Freunde und Brüder sein und bleiben.«

Sie setzten hierauf einträchtig und in friedlichen Gesprächen ihren Weg fort.

 

In einer Gegend, welche nur von den niederen und ärmern Volksklassen besucht wurde, lag eine Taverne, welche in der Regel nur diese aufnahm, wenn nicht der Zufall einmal einen Begüterten oder Vornehmen zu dem kleinen Hause führte. Wein, Früchte, manchmal Fleischspeise oder in Öl gebackne Fische wurden hier ausgeboten und für die billigsten Preise gegeben.

Ein fröhlicher Kreis hatte sich zusammengefunden, in welchem ein junger Mauleseltreiber eben mit der behenden Tochter des Wirtes zum großen Ergötzen der Zuschauer tanzte. Zwei neugeworbene Soldaten lobten die Wendungen und machten sich herbei, um sich ebenfalls nach dem Schall des Tamburins zu zeigen und Bewundrung einzuernten. Die beleibte Mutter aber, welche für die Gesundheit der Tochter besorgt war, lösete sie ab, um selbst mit den jungen übermütigen Burschen den Reigen aufzuführen. Vielleicht wollte sie auch die Vertraulichkeit dieser Unbekannten mit ihrer Tochter verhindern, und so tanzte und schwang sie sich mit ihrem starken Körper mühsam herum, zuletzt keuchend und ächzend, zum freudigen Ergötzen aller Zusehenden, am meisten jedoch des Wirtes, dessen laut schallendes Gelächter endlich die dünne Musik übertäubte und zum Schweigen brachte. Er verspottete sie, indem sie ermüdet auf einen Schemel niedersank, daß sie die vergessenen Kunststücke ihrer Jugend wieder hervorsuchen und geltend machen wollte.

»Freilich paßt es nicht mehr für die Dame«, sagte Fedrigo, einer von den neuen Soldaten. »Es ist unbillig, wenn der Mensch nicht nur sein Brot im Schweiß seines Angesichtes erschaffen, sondern auch noch seinen Zeitvertreib und seinen Spaß so mühselig erringen muß.«

Belindo, ein Wasserträger, der sich viel damit wußte, daß er einmal den heiligen Jago von Campostella in Galicien auf einer Pilgerfahrt besucht hatte, rief aus: »Nicht wahr, Freund Kesselflicker, Don Ermindo, wir beiden sind über dergleichen weltliche Freuden hinaus? Eine Wassermelone, etwas Zucker und Wein, damit sitzen wir hier an den alten Feigenbaum gelehnt und haben unsre Lust an tiefsinnigen Gedanken.«

»Jawohl«, antwortete der würdige Kesselflicker, »und jetzt ist eine Zeit, wo kein echter, redlicher Portugiese der Freude frönen sollte.«

»Was hat es denn schon wieder gegeben?« fragte der Wirt, der sich vergebliche Mühe gab, sein heiteres, breit aufgelaufenes Gesicht in ernsthafte Falten zu legen.

»Was es gegeben hat?« fuhr ihn der Kesselflicker an. »Kein hat, es gibt noch und immerdar: unser Zug nach Afrika hinein vom König, dem Adel, der Ritterschaft, so vielen edlen Männern und Frauen – das gibt es.«

»Das ist schon einige Monate alt«, sagte der Wirt gleichgültig, »und sind ja noch nicht abgefahren.«

»Gottlob noch nicht«, erwiderte der Kesselflicker mit tiefsinniger Miene, »vielleicht fügen es die Heiligen und die Fürbitten aller guten Christen noch so, daß der unglückselige Zug unterbleibt.«

»Warum das?« fragte Fedrigo, der Neugeworbene. »Mir wär es freilich lieber, wenn wir mit unserm Irland steuern könnten, aber so, wie es nun beschlossen ist, müßte jeder fromme Christ, meine ich, uns seine andächtigsten Gebete nachsenden, weil dieser Heldenzug des Königes für Gott und seine Kirche geschieht.

»Junger Mensch«, erwiderte der Kesselflicker, »Ihr wißt nicht recht, was Ihr sprecht, denn Ihr seid noch unerfahren, Ihr habt die Welt noch nicht gesehn. Habt Ihr schon den heiligen Jakob zu Campostell, so wie ich und Belindo taten, einmal besucht?«

»Nein«, antwortete der Soldat.

»So schweigt auch ganz stille«, fuhr jener fort, »denn auf die Art könnt Ihr kein Urteil über wichtige Dinge fällen.«

»Meinetwegen«, sagte der Jüngling, »ich weiß wenigstens in meiner Bescheidenheit soviel, daß ich keinen Kessel flicken kann.«

Die andern jungen Burschen lachten laut, und einer von den Maultiertreibern sagte: »Ich habe schon fünf- oder sechsmal vornehme Herrschaften zum heiligen Jakob in sein Gebirge geführt, aber ich verstehe darum doch nicht, was Ihr meinen könnt.«

Der Kesselflicker sah dem kecken jungen Mann forschend in das fragende Gesicht, nahm hierauf ein kleines feines Stäbchen und stocherte sich mit wichtiger Miene die Zähne, die groß und schön hinter seinen vollen Lippen hervorglänzten. Aller Augen waren brennend auf den Philosophen gerichtet, und dieser, nachdem er die Erwartung lange genug gespannt hatte, sagte endlich: »Weil dieser Zug, das weiß ich mit Gewißheit, zum Unglücke ausschlagen wird, der König und der Adel, das Heer und die Ritterschaft werden dort in Afrika untergehn, und kaum hundert, wohl nur zehn, kann sein, kaum einer, der von dort nach unserm Lissabon zurückkehren wird.«

Eine große Feige lösete sich, durch den sanften Abendwind bewegt, vom Zweige und fiel dem Sprechenden in diesem Augenblick auf die große gekrümmte Nase. »Da haben wir die Bestätigung und die Vorbedeutung!« rief er mit einem feierlichen Ton, als er sah, daß seine Zuhörer wieder zum Lachen aufgelegt waren.

»Eine Vorbedeutung?« nahm der flinke Maultiertreiber das Wort. »Weil eine Feige patschend Eure Nase daran erinnert, daß sie sich nicht zu hoch in den Himmel hineinstrecken soll? Es bedeutet, daß man die Feige gestern abzubrechen vergessen hat, denn wäre der Stiel nicht schon eingeknickt gewesen, so hätte sie Euch diesen plötzlichen Besuch nicht machen können.«

»Also«, fuhr der Kesselflicker fort, »Ihr wart in dem alten Galicien und an jener heiligen Stätte? Gut. So werdet Ihr auch wissen oder Euch vorstellen können, daß an diesem Galicien nach Osten zu wieder andre spanische Provinzen grenzen. Westlich von dort, wie hier, das Meer. So kommt man denn, wenn man nach Osten zieht und allgemach immer weitergeht, die Richtung aber richtig observierend, vorzüglich indem man sich etwas südlich lenkt, unvermerkt nach einiger Zeit in das Königreich Aragonien und in diesem zur alten, weltberühmten Stadt Saragossa.«

»Haltet zu Gnaden«, rief der Maultiertreiber, »ich bin auch schon zweimal in Saragossa gewesen, aber Eurer Beschreibung nach würde ich den Weg mein Tage nicht gefunden haben. Ihr beschreibt die Länder und Provinzen so, als wenn sie wie ein Waffeleisen gebaut wären.«

»Elender Vergleich!« rief jener aus. »Ich bitte nur, mich zu Worte kommen zu lassen. Also denn, ich traf gestern den Kapuziner, Bruder Melchior, mit welchem ich einen nachdenklichen Spaziergang machte. – Dieser erzählte mir folgendermaßen: Nicht weit von Saragossa, etwa nur eine kleine Tagereise von der Stadt, befindet sich ein Dorf, welches Vilela genannt wird. Im Glockengebäude dieses Orts hängt neben einer andern, gewöhnlichen Glocke eine höchst wundersame, mystische, wie Melchior sie nannte, und mit übernatürlichen Kräften begabte. Seit undenklichen Zeiten hat jedesmal, wenn dem Lande ein großes Unglück bevorsteht, dieses scheinbar unbelebte Metall laut und heftig geläutet und gestürmt. Viele überkluge Vernünftler, welche alles Göttliche immerdar bezweifeln oder begreifen wollen, haben diese Sache verspottet, weil sich die wahrsagende Glocke seit lange nicht hatte vernehmen lassen. Aber plötzlich hat sie seit einigen Wochen, sowie die Einschiffung unsers erlauchten Königs nahe bevorsteht, sich so klagend und abwechselnd stürmisch vernehmen lassen, daß Angst und Grauen jene klugen Zweifler befällt. Am hellen Tage, indem Geistliche und Weltliche, Vornehme und Geringe da vor dem Turme stehn, der nicht hoch ist, setzt sich plötzlich, ohne Menschenhand, die Glocke in Bewegung, der Klöppel schlägt an, langsam, laut, dann schnell, dann dumpf oder, indem die Glocke zu hastig wirbelt, im fürchterlichen schrillenden Ton, welcher das Ohr betäubt. Unten zieht niemand den Strang, oben ist niemand bei der Glocke, der Küster, welcher sonst läutet, steht unten mit Entsetzen, sein Auge starrt hinauf, er kennt seine sonst folgsame, fromme, gehorsame Glocke nicht wieder; aber er, alle fühlen, daß eine Geisterhand sie rührt und die furchtbare Weissagung über die Länder hinaustönt. Und alle deuten es auf den Untergang unsers Königes und Reiches. Andre fügen hinzu, die Glocke wisse schon, daß wir nach diesem Unglück spanische Untertanen werden müßten, weil nach dem Absterben der alten Eminenz, des Kardinals Heinrich, Philipp der nächste Thronerbe Portugals sei.«

Alle hatten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit der Erzählung des Kesselflickers zugehört, alle Gesichter waren ernst geworden, alle schwarzen, blitzenden Augen starrten aufgerissen nach seinem Munde, die Tochter des Wirtes weinte.

Der junge Maultiertreiber sagte nach einer Pause: »Nein, meine werten Freunde, wenn die Glocke von Vilela wieder geklungen hat, so ist es mit allem Spaß am Ende, so müssen wir höchst traurigen Begebenheiten entgegenschauen, und unser König geht gewiß zugrunde.«

Alle seufzten und bekreuzten Brust und Stirne, indem sie Gebete murmelten. Während der Erzählung war ein ziemlich bejahrter Neger, der oft diese Gesellschaft besuchte, um sie mit seinen Scherzreden zu ergötzen, hinzugetreten und hatte ebenso aufmerksam als die übrigen zugehört. Jetzt bemerkten ihn die Maultiertreiber, und der eine von ihnen sagte: »Nun, du schwarzer, hinkender Jao, was sprichst du, Bursche, zu diesem Wunder?«


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