Ludwig Tieck
Tod des Dichters
Ludwig Tieck

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Ja, wohl hätte er recht gehabt, wenn er eine höhere Stellung gefunden, wenn er in einer andern Zeit gelebt, wenn mächtige Freunde, große Gönner ihm beigestanden hätten. Ach, der Arme! In allen seinen Hoffnungen wurde er hintergangen. Er mochte fast mit Sicherheit darauf rechnen, in der Armee oder bei der Verwaltung einen ehrenvollen und auch einträglichen Platz einzunehmen, denn es fehlte ihm nicht an guten Empfehlungen von würdigen Männern, und er sah es ja, wie auch ohne diese ganz unbedeutende Menschen in gute Stellen hineingeschoben und versorgt wurden, die, jung und unerfahren, sich noch gar keine Verdienste erworben hatten. Er war als Dichter nicht unbekannt, er war von guter, edler Familie, er hatte große Beweise von seiner Tapferkeit gegeben, es mangelten auch nicht die Männer dort, die alles das erkannten. Aber so sanft der Mann war, so war ein Stolz in seinem Wesen ausgeprägt, der, ohne daß er es wußte und wollte, viele, besonders die Unwürdigen verletzte. Er konnte nicht rückhalten, er vertraute sich selbst, sein Geist, der immer die höchsten Gedanken suchte und faßte, war im alltäglichen Gespräch oft wie abwesend. Das nahmen jene, die der sklavischen Huldigungen gewöhnt waren, für unziemlichen Übermut, der seinem freien, aber sanften Herzen ganz fremd war. Am meisten schadeten ihm aber die Briefe seiner Feinde, die auch schon dorthin gekommen waren und ihn als einen gefährlichen Menschen schilderten, der seine Vorgesetzten verachte und verspotte, der nur auflauere, wo er Schwächen gewahr werden könne, die er dann in beißenden Versen als Bosheiten und Verbrechen abschildere. So war er schon verdammt, bevor er nur etwas getan hatte, welches das Mißtrauen als zweideutig hätte auslegen können.

Seine Bewerbungen wurden also abgewiesen, und als er dringender ward, mußte er Hohn erfahren. Sein hoher Geist aber ward nicht erniedrigt, und um zu zeigen, daß er es verdiene, befördert zu werden, nahm er nach einiger Zeit wieder Dienste als Soldat. Man gab ihm eine Fähndrichsstelle unter den Truppen, welche Portugal dem Könige von Cochin gegen dessen Feinde sendete. Eigentlich trat er als Freiwilliger ein, wie sich denn viele diesem Hülfskorps als solche anschlossen. Aber bevor er noch mit dem Zuge abgehen konnte, geriet er in Goa in Lebensgefahr. Auf dem Sklavenmarkt hatte er sich einen jungen Neger ausgewählt, der ihm zu seinen Diensten passend schien. Das Wesen des Burschen hatte ihm gefallen, und er war bald über den Kaufpreis einig geworden. Der anstellige Bursche war froh, von seinem vorigen Herrn auf diese Weise loszukommen, welcher ihn mißhandelte und, wie manche schlechte Menschen, mit Schadenfreude seine Sklaven quälte.

Es ist in Goa Sitte, daß die Sklaven, was sie erwerben, wenn der Herr sie nicht braucht, dem Herrn zustellen müssen, und viele Reiche, die eine Menge von Sklaven halten, schämen sich nicht, diesen kleinen Erwerb, den die Armen mit großer Mühe oft verdienen, aus den schwarzen und schwieligen Händen anzunehmen. Wie nun der Neger, er hieß Jao, oder Antonio mit anderm Namen, die freundliche Gemütsart seines neuen Herrn kennenlernte, erzählt er diesem von den Untaten seines vorigen Gebieters und schnitzt in der Freude seines Herzens ein Vogelhäuschen, welches er am folgenden Morgen zum Verkauf ausstellt. Der zierlich bemalte Käfig war von einem Kinde, das mit der Duenna vorbeiging, gekauft, und der Neger hatte von dem reichen Mädchen mehr erhalten, als er zu fordern wagte. Wie war der Schwarze erstaunt, als unser Freund Camoens die kleine Summe nicht annehmen wollte, sondern sie ganz und unverkürzt dem Sklaven überließ. Der erzählt die Großmut seines neuen und nicht reichen Herrn, das Volk lobt die Tat und wünscht ihm zu seinem Gebieter Glück, als der vorige Übermütige über den Markt geht und sich sehr verwundert, daß es der Pöbel wagt, ihn zu verspotten und mit lautem Lachen zu begrüßen. Diese angesehene Gerichtsperson, denn er stand in einem vornehmen Amte, empfindet diese ungewohnte Behandlung höchst übel. Er erfährt den Zusammenhang der Geschichte, und sein erstes ist, den Sklaven Antonio zu reklamieren, um an diesem seine ganze Rache zu üben. Der Neger, welcher wohl wußte, daß, so unschuldig er war, Mißhandlungen und Folterqualen seiner warteten, umfaßte mit Tränen und Schluchzen die Knie des Camoens, damit ihn dieser schützen und ihn vor den furchtbarsten Qualen, wohl gar vor dem Tode bewahren möchte. Hier schien es nun unserm Freunde, als wenn dieser einer jener Fälle wäre, wo das Schicksal ihn selber aufrufe, die Unschuld zu vertreten. Sosehr ich ihn warnte, konnte er doch seine aufgereizte Heftigkeit nicht ganz bezähmen, als er mit dem nichtsnutzigen Don Alonso zusammentraf, um mit ihm wegen des Sklaven einen gütlichen Vergleich zu treffen. Ich war zugegen, und anfangs war das Gespräch noch ziemlich gelassen, bis Don Alonso behauptete, beim Verkauf des Schwarzen, obgleich die Summe schon erlegt war, seien nicht alle nötigen Förmlichkeiten beobachtet und der Sklave sei also noch immer sein Eigentum. Der oberste Richter, welcher zugegen und ein Verwandter des Don Alonso war, gab seinem Neffen recht und ließ von seinen Schreibern verschiedene Bücher aufschlagen, um seinen Ausspruch als richtig darzustellen. Er drang also in Camoens, ihm den Neger wieder auszuliefern, für welchen er, dem Rechte gemäß, seine erlegte Kaufsumme dann wieder zurückerhalten solle. Wenn etwas vergessen ist, sagte Camoens, was ich als Fremdling mit den hiesigen Rechten nicht beachtet habe, so bin ich erbötig, Euch, geehrter Herr, noch etwas nachzuzahlen, um nur den Burschen in meinem Dienst zu behalten, weil er mir zusagt. Ich bin reich genug, antwortete ihm der Übermütige, um eines solchen Nachschusses nicht zu bedürfen, ich will die Person des mir widerrechtlich genommenen trotzigen Negers selbst! Wenn Ihr Euch nicht gütlich vergleichen könnt, entschied der Richter, so seid Ihr, Herr Camoens, gehalten, den Diener wieder auszuliefern, da wir Euch bewiesen haben, daß der Handel ungültig ist.

Ich, der ich schon seit vielen Jahren an alle Härten und Unbilligkeiten der Regierenden gewöhnt war, erstaunte doch über diese Frechheit, denn der Sklave war ganz auf jene Art und Weise gekauft worden, wie es täglich dort geschieht, und der Fall, daß ein so abgeschlossener Handel wieder rückgehn sollte, war noch niemals eingetreten. Als ich aber diese Behauptung bescheiden vortrug und als ein beim Kauf Gegenwärtiger mein Zeugnis ablegte, wurde ich mit den Gegenreden aller Anwesenden überschrien, wenn auch nicht überführt, und jene Geldstolzen ließen mich meine Armut und das Unbedeutende meiner kleinen Stelle bitter empfinden. Ich mußte schweigen, wenn ich den Handel meines Freundes nicht verschlimmern wollte. Dieser aber fragte jetzt mit scheinbarer Mäßigung, weshalb Herr Alonso den Sklaven so bestimmt zurückverlange, da er ihn doch selbst aus freiem Entschluß habe verkaufen lassen. Wozu anders, rief der Unverschämte, als ihn zu züchtigen, blutig zu strafen und dann hinzurichten? Soll es so weit kommen, daß unsre eignen, erkauften Leibeignen, der Wegwurf der Menschheit, das Volk gegen uns, die Herren und Regierenden, aufhetzen? Daß wir selbst vor diesem Abschaum unsers Lebens nicht mehr sicher sind? Hier verlor Camoens seine Fassung und sagte seinen angeblichen Richtern harte Worte. Ich suchte zu beschwichtigen, ich erzählte, wie der Sklave ganz unschuldig sei, wie er sich bei seiner Erzählung nichts Böses gedacht, aber alles war umsonst. Auch war es zu spät, denn unsern Freund ergriff eine solche Begeisterung des Zorns, daß er jene Elenden mit aller der Verachtung behandelte, die sie im vollen Maß verdienten, wodurch er sich selber aber eine schwere Verantwortung zuzog. Ihr alle seid Zeugen, rief Don Alonso in Wut, wie dieser übermütige Soldat selber Rebell und Verräter ist, und es ist glaublich, daß er den Sklaven angestiftet hat, den Pöbel zur Empörung aufzureizen! Nichts half es, daß Camoens sich auf seinen Adel, auf das Alter seiner Familie berief, daß ich mich als Bürgen für ihn stellen wollte, er ward als Verbrecher in das gemeine Gefängnis geführt und in Fesseln gelegt.

Denkt Euch, liebe Muhme, meinen Schmerz, meine Angst um den Teuersten aller Menschen. Ich durfte nicht zu ihm, und ich hörte, daß das Gericht auf Zeugnis des Richters und seiner Schreiber ihn zum Tode verdammen wollte. Ich entsetzte mich, ich suchte alle meine Freunde zu bewegen, und wir brachten es endlich dahin, daß man den ganzen Prozeß niederschlagen und alles vergessen wollte, wenn Camoens nur den Sklaven ausliefern und dessen Versteck entdecken wolle. Dazu war unser Freund nicht zu bewegen, er forderte sein Todesurteil und verachtete das Leben, wenn dergleichen der Vizekönig, das Vaterland und dessen Beherrscher erdulden können. Das Reden in der Stadt, die Bewegung, die dieser Vorfall veranlaßte, machten den Richter und seinen Neffen etwas stutzig. Sie versuchten noch einmal durch Androhung eines schimpflichen Todes den Dichter zu erschüttern, da sie ihn aber standhaft fanden, daß er den Sklaven als sein Eigentum betrachte und ihn niemals ausliefern oder seinen Versteck anzeigen würde, so gaben die Elenden nach, auf eine Weise, wie es Elende tun. Don Alonso ließ sich die schon empfangene Summe noch zweimal bezahlen, ein so großes Kapital, daß es alles verschlang, was der arme Camoens aus Lissabon mitgebracht hatte, alles, was er jetzt zu seiner Ausrüstung für den Feldzug brauchte, so daß ich meine schwachen Mittel und die meiner wenig wohlhabenden Freunde anstrengen mußte, um nur seinen Abgang zum Feldzuge möglich zu machen. Der Sklave war nun sicher und unserm Freunde mit wundersamer, unwandelbarer Treue ergeben, so daß er ihm wiederum mehr wie einmal das Leben gerettet hat. Von jenem unglücklichen Zuge, auf welchem das ungesunde Klima und Entbehrungen aller Art die Truppen durch Krankheit aufrieben, war Camoens unter den wenigen, welche nach Goa zurückkamen. Wir und unsre Bundesgenossen hatten gesiegt, aber für Camoens gab es keine Belohnung, er kam ebenso arm zurück, als er ausgezogen war, und selbst ärmer, denn ihn drückte die Schuld, die er seinen Freunden nicht zurückzahlen konnte. Wir alle beruhigten ihn über diese Sache, und es war ein Glück, daß keiner so ganz verarmt war, um auf die Rückzahlung dringen zu müssen. Camoens fühlte, wie verhaßt er dem Gerichte und durch die Richter den meisten vornehmen Familien in der Stadt war, er sehnte sich fort, ihn lüstete nach Tätigkeit, Kampf und Ruhm. Schon seit langer Zeit hatte er sein großes Gedicht begonnen, und immer deutlicher ward ihm der Begriff des Ganzen.

Es traf sich, daß man mir eine bessere Stelle auf Ormuz anbot, ich nahm sie um so lieber an, weil mein Freund mich begleiten konnte. Wir bekämpften die Seeräuber, die den Handel auf dem Roten Meer beunruhigten, und er nahm wieder Dienste gegen diese. Diese Kämpfe und die Abenteuer zur See und zu Lande beschäftigten ihn sehr, er erlebte viel Wunderbares und zeichnete sich als Soldat immerdar durch Tapferkeit und Gegenwart des Geistes aus. Sein teuer erkaufter Neger begleitete ihn in alle Fährlichkeiten und teilte seine Schicksale. Das sonderbarste Verhältnis hatte sich zwischen diesen beiden Menschen gestaltet. Die feste Treue und Dankbarkeit des Sklaven, das Mitleid des Herrn mit diesem hatte in Camoens' edler Brust ein Gefühl entzündet, daß er mit dem rohen, ungebildeten Menschen ganz wie mit einem Freunde und Bruder umging und ihm ein solches Vertrauen schenkte, daß ich oft eifersüchtig wurde, weil ich mich zurückgesetzt wähnte. Ich sah dann wohl, wenn meine Empfindlichkeit mich verlassen hatte, daß ich meinem Freunde unrecht tat, denn es gibt sowenig eine unbedingte Freundschaft wie eine unbedingte Liebe, es gibt viele und sehr unterschiedene Grade und Arten des Vertrauens und der Zuneigung. Was verstand dieser Schwarze von den schönen Versen seines Gedichtes? Aber als Diener, der ihm täglich half, der im Felde alle Unbequemlichkeiten mit ihm geteilt und oft seine Entbehrungen erleichtert, seinen Verdruß erheitert hatte, war er ihm auf eine andre, eine eigne Weise lieb, er konnte ihm dies und jenes mitteilen, was er mir verschwieg, und da der Dichter sah, daß dieser ihm untergeordnete Mensch in allen Dingen redlich blieb und wahrhaft, daß er sich aufopfern konnte, daß er den Herrn mit allen Kräften liebte, so hob das großmütige Herz des Gebieters allen Unterschied auf und forderte auch von mir und wenigen vertrauteren Freunden, daß wir diesen Jao, oder Antonio, auch so behandeln und den Sklaven in ihm vergessen sollten.

Glücklich lebten wir miteinander, als der Krieg gegen die Seeräuber geendigt war. Wir schifften und reiseten und betrachteten die Wunder jener großen Natur. Wir gedachten der uralten Geschichten dieses Weltteils und was unsre Vorfahren getan hatten. Da wir uns täglich sahn und ich jeden Vers seines Gedichtes oft hörte und jede Verbesserung mit ihm besprach, war es mir, als wenn ich selbst an dem herrlichen Werke schriebe. Welche seligen, hoch erhebenden Empfindungen haben in der Brust des Sterblichen Platz! Welcher Gottesgeist weht in der echten Poesie, die alles Geheimnis in uns entriegelt, alles Zagen in Mut verwandelt, jedes Dunkel erhellt! Oft fühlte ich mich so glücklich, daß nur Tränen mich wieder erleichtern konnten. Wie natürlich ist es, daß die Alten sich eine Muse dachten, die zum Menschen persönlich niedersteigt und ihm den Schleier von der Zukunft zieht und die goldnen, beflügelten Worte auf seine Zunge legt.

Oft war er dann auch selbst so überschwenglich glücklich, daß er sich der erste aller Menschen dünkte. Und mit Recht, denn diese großen Bilder und Gesinnungen waren noch in keinem Geiste aufgegangen. Wenn er dann in schöner Begeisterung des Leichtsinnes uns seine Pläne vortrug, wie er zu leben und was er zu leisten gedachte, so waren alle vertrauteren Freunde dieses kleinen Kreises hingerissen und von der Größe seiner Natur entzückt. Dann schilderte er uns auch wohl mit überschwenglichem Witz die Verirrung der Welt und die Erbärmlichkeit der Menschen, die fast nie, wenn sie die großen Angelegenheiten des Staates, die Begebenheiten der Welt verstehn und lenken sollen, Mittel, Verstand und Fähigkeiten zu der großen Aufgabe mitbringen. So war es dann sehr ergötzlich, wie er es schilderte, auf welche Weise sich die wichtige Aufgabe nach der Kleinheit der Verwalter fügen müsse und wie dann jedesmal von der Drehscheibe des anmaßlichen Künstlers, der ein Wunderwerk zustande bringen wolle, ein gemeiner Topf hervorgebracht werde. Dieser Übermut war so edel und unschuldig, nur leider waren die Schilderungen, wenn er gleich nicht bitter sein wollte, doch allzu wahr. Die Erbärmlichkeit der Menschen, die entweder selbst regierten oder den Einfluß der Regierenden mißbrauchten, war so groß, daß kein Dichter etwas noch zu erfinden hatte, um das Tolle und Aberwitzige aller Verkehrtheit, die sich für Vernunft und Trefflichkeit ausgeben wollte, abzuschildern. Wenn ihn seine Laune aber einmal ergriff, indem Unverständige zugegen waren, so zügelte er sie alsdann freilich auch zu wenig, und die Albernheit trug dann seine verständigen Reden oder witzigen Einfälle in die breite Alltagswelt hinaus, und in dem frostigen Element gefror das Feingeistige zu Eis, und das Unschuldige, Heitere wurde gallenbitter und boshaft. Denn nur das Schlechte, Hämische können die meisten Menschen fassen, und nur das tödlich Verletzende erscheint ihnen witzig und geistreich. So wurde aus manchem Funken ein Feuer, und von einem Feuer wurden viele angeschürt.

In jener Zeit wurde mir, so wenig ich mich darum bemüht hatte, ein höherer Posten anvertraut, in welchem ich zugleich für die Krieger des Landes zu sorgen hatte. Ich benutzte meinen Einfluß, um die Schulden meines Freundes zu tilgen, der das Geschenk gern von mir annahm. Ich entdeckte aber bald, daß diese meine Beförderung mir nur Gewinn bringen könne, wenn ich, so wie die meisten dort, der Habsucht Raum gäbe und Recht und Unrecht nicht durch zu bestimmte Grenze trennte. Ich blieb also arm, und der Vizekönig sowie alle Großen überhäuften mich nur mit Vorwürfen, wenn es mir wieder einmal einfiel zu klagen, da sie mir ja alle Wege eröffnet und alle Mittel an die Hand gegeben hätten, um reich zu werden. Mehr, als für mich geschehn sei, das waren sie alle eingeständig, geschähe für keinen: Wer also das Instrument, was man ihm in die Hand gebe, nicht brauchen könne, um die goldnen Früchte von dem Baume zu brechen, der dürfe nur seine eigne Einfalt anklagen. Mein Erbarmen mit den Menschen nannten sie weibisch.

Jetzt freilich tat mein Freund etwas, das ich auch tadeln mußte, so wie jeder, der die Umstände kannte. Er schrieb in der Bewegung seines Herzens ein satirisches Gedicht, welches alle die Verkehrtheiten mit treffenden Zügen und kräftigen Farben schilderte, die dort in Indien an jedem Tage vorfielen. Jeder Vers sprach ein reines, großes Gemüt aus und den echten Patrioten. So einsam, wie er lebte, kannte er nur wenige Menschen und ihre Verhältnisse, er war durchaus nicht von den Kabalen unterrichtet – und konnte es nicht sein –, die diesen stürzten oder jenen hoben. Aber kaum war das Gedicht bekannt geworden, als sich in allen Provinzen und Städten dort der größte Lärmen erhob. Von allen Seiten meldeten sich Männer, die in dieser oder jener Schilderung sich genau abgezeichnet fanden. Von den meisten dieser hatte der unschuldige Camoens selbst niemals reden hören, er wußte nicht, daß sie lebten. Seine Entschuldigungen und Widerreden wurden nicht gehört oder für ungültig erklärt, und der Vizekönig selbst, welcher sich ebenfalls beleidigt glaubte, zögerte nicht, dem zu leichtsinnigen und gutmütigen Dichter seine Ungnade zu erkennen zu geben.

Jetzt waren wir wenige, seine Freunde, sehr um ihn besorgt, am meisten ich, der ich ihn wie einen Sohn und Bruder liebte. In guten Stunden lachten wir wohl auch über die Seltsamkeit, wie verkehrte oder schlechte Menschen sich mit einer gewissen Eitelkeit und sonderbarem Stolz beeifern, allgemeine poetische Gemälde auf sich zu deuten, und in ihrem Dünkel es sehr übel empfinden, wenn andre sie von ihrem Irrtum überführen wollen. Camoens behauptete sogar in seinem Übermut, jeder wahre Poet sei zugleich ein echter Prophet, und wenn er darauf ausginge, etwas ganz Tolles und Unerhörtes zu ersinnen und darzustellen, so lebte vielleicht das Original zu dieser Schilderung, ihm unbewußt, schon irgendwo, sollte das aber nicht der Fall sein, so mache doch gewiß ein Sterblicher schon als Kind oder Jüngling die Studien, um in wenigen Jahren als ein solcher leibhaftig in der Welt dazustehn, wie der Dichter ihn in trunkner Begeisterung gesehn und etwas geschaffen habe, was die nüchternen Menschen nicht nur für übertrieben, sondern selbst für unmöglich erklären. Er meinte, dasselbe sei mit Geschichten, Anstalten und Meinungen der Fall: die Zukunft wachse immer in das hinein, was die Phantasie des echten Dichters erfinde und weissage. Wie liebenswürdig war mein Freund in diesen Stunden der Lust und des Scherzes.

Aber doch mußten wir für ihn zittern, denn die Großen sind nicht geneigt, zu vergeben oder gar zu vergessen, wenn ein stechender Witz sie getroffen hat, auch wenn sie selbst willkürlich den Kommentar zum Text geliefert haben sollten. In der Windstille aber schien sich ein plötzliches Glück für den Freund zu offenbaren, um endlich ihm mit irdischen Gütern und dem Lohn seines Talentes entgegenzukommen. Camoens war nicht mehr nach dem Verluste des Auges ein schöner Mann zu nennen, er war auch nicht mehr jung, aber jedermann mußte ihn für wohlgebildet gelten lassen, und im Umgange war er der liebenswürdigste und anmutigste der Menschen. Den edlern Sinn mußte seine himmlische Begeisterung ergreifen, und jedem, dem die Musen nicht ganz abgesagt hatten, mußte wenigstens wohl werden in seiner Nähe. Er besuchte zuweilen diese und jene Familie, besonders der reichen und unabhängigen Kaufleute, die weniger mit den Regierenden in Verbindung standen. Ein sehr reiches Mädchen, die Herr ihres ganzen Vermögens war, weil ihre Eltern gestorben und der vernünftige Vormund ihr Freund war, warf ihre Neigung auf den edlen Dichter, die bald zur heftigen Leidenschaft anwuchs. Er war gefällig, heiter in ihrer Nähe und schien dem Wohlwollen des verständigen Wesens entgegenzukommen. Sie glaubte, mit ihm einverstanden zu sein, und machte mich zu ihrem Vertrauten. Sah ich die beiden liebenswürdigen Wesen beisammen, er, so freundlich um sie bemüht, und sie in seiner Nähe in aller Schöne aufblühend, so schien es mir, daß der Himmel sie beide für einander bestimmt habe und daß sich auf diesem Wege sein trübes Schicksal endlich erhellen müsse. Sie erwartete nur seine endliche Erklärung, denn ihr Vormund war schon vorbereitet und mit allem einverstanden. Unbegreiflich erschien mir sein Zaudern, und auf einen leisen Wink der Jungfrau sprach ich mit ihm in stiller Nacht, als wir ganz allein waren, von meinen und den Wünschen des Mädchens. Ich, ein Ehemann! rief er lachend aus. Ich in diese Fesseln der Familie geschlagen! Von Kindern, von Verwandten umringt! Den Musen ungetreu als ein langweiliger Hausvater dasitzend! Nein, mein Freund, verschone mich mit dergleichen Erbärmlichkeiten!

Ich begriff sein Lachen und seine schreiende Lustigkeit nicht, die mir übertrieben und unnatürlich schienen. Da ich sein Vertrauen einmal mit Gewalt bestürmt hatte, so drang ich eifriger in ihn, mir eine ernsthafte Antwort zu geben. Plötzlich ward er ernst und feierlich und sagte: So sei es denn, ich will mich dir als meinem Freunde ganz eröffnen, es ist das erstemal in meinem Leben, laß es aber auch das letztemal sein, wenn du mich liebst und meinen Sinn begreifst. Das Fräulein, welches mir ihre Huld gewährt, verdient durch ihre Schönheit und ihren edlen Charakter ganz glücklich zu sein. Dies Glück kann ich ihr auf keine Weise gewähren. Konnte ich denken, daß ein junges schönes Wesen mich wahrhaft lieben könne, so hätte ich längst diesen Kreis der Menschen vermieden. Wisse denn, mein Freund, ich halte mich nicht für frei, sondern für vermählt: Das edelste, liebendste Herz hat sich einst meinem Herzen ergeben und meine Jugend zum seligsten Bewußtsein erhöht. Forsche nicht nach ihrem Namen; er wird mit mir sterben. Als ich von meiner Verbannung zurückkam, hatte man sie an einen reichen und vornehmen Gatten geschmiedet und ihr Herz gebrochen. Ich sah sie nicht wieder. Nachher, schon hier in Indien, vernahm ich, sie sei gestorben. Aber lebe sie als Vermählte, sei sie tot, so bin und bleibe ich doch unabwendlich auf ewig der Ihrige, ich bin ihr Gatte, und ich darf keine andre zur Gattin wählen: Wie schändlich, wenn Reichtum mich blenden könnte, daß ich ohne Liebe und Treue eine edle Kreatur elend machen könnte!

Noch niemals hatte ich den edlen Mann so tief und innerlichst bewegt gesehn als nach diesen Worten. Er weinte so heftig, daß er sich lange Zeit nicht wieder fassen konnte, und als er sich etwas beruhigt hatte, beschwor er mich, diesen Gegenstand niemals wieder zu berühren. – O teure Muhme, Euch und jedermann muß diese Treue rühren.«

Catharina stand plötzlich auf und ging an das Fenster. Unten im Garten war Geräusch, und man hörte die Stimme des Kindes, welches laut jubelte und von unten zu seiner Pflegemutter hinaufrief. Catharina sendete den alten Domingo zum Garten hinab, um die Kleine zu beruhigen und ihr anzudeuten, daß sie in dieser Stunde nicht gestört sein wollte.

Sie blieb mit abgewendetem Antlitz noch eine Weile am Fenster stehn, und Christoforo glaubte zu bemerken, daß sie ihre Tränen trockne. Sie kehrte dann zu ihrem Sitz zurück und ersuchte mit weicher Stimme den Alten, seine Erzählung fortzusetzen.

»Jetzt kam«, fing Christoforo wieder an, »die Zeit in meinem Leben, in der ich scheinbar belohnt wurde, eine Stelle ward mir nämlich, die die meisten andern Menschen meines Standes für eine Bestrafung würden gehalten haben. Gouvernador von Macao wurde ich nämlich, einer Felsenstadt, die an der letzten äußersten Grenze von Ostindien liegt und unmittelbar auf einer Erdzunge mit China grenzt. An diesem fernen, wüsten Fleck war noch alles im Werden: Häuser, Kirchen, Warenlager entstanden erst oder wurden noch ausgebaut, und wenige nur würden den Aufenthalt hier einen erfreulichen genannt haben. Mir aber war er es allerdings, denn ich kam aus dem Bereich jener Menschen, die mich haßten und die ich nicht achten konnte, und mein Glück war vollendet, als zur selben Zeit mein Camoens dorthin vom Vizekönig verbannt wurde. Das war seine Strafe für jenes satirische Gedicht, von dem ich vorhin gesprochen habe. Wir machten miteinander die Reise, und ich tröstete ihn über dieses neue Unglück.

Jetzt, ganz unbeschäftigt, wie er war, widmete er alle seine Zeit und Gedanken seinem vaterländischen großen Gedichte. Oben auf einer Felsenbank, von wo man das enge Land und die weit verbreiteten Meere, Felsen, Luft, Wasser überschauen kann, saßen wir oft im vertraulichen Gespräch. Hier dichtete er viel, hier blieb er oft in den Nächten und sann: Es steigt an solchen Stellen die Begeisterung auch wohl auf ungeweihte Menschen nieder – wie mehr auf die hochbegabten.

Nach einiger Zeit reisete ich in seiner Gesellschaft nach den Molukken, und als wir nach Macao zurückkehrten, gab ich ihm, ohne meine höheren Vorgesetzten darum zu fragen, ein kleines Amt, was ihm freilich nur wenig eintrug, ihm aber genügte, weil er wenig brauchte; denn ganz lebte er jetzt seiner Dichtung und träumte oft, wenn ihm Stellen gelungen waren, von dem Ruhm, den ihm dies Werk in seinem Vaterlande machen, von der Begeisterung, die es entzünden müsse. War es vollendet, so wollte er nach Lissabon zurückkehren, um es durch den Druck bekannt zu machen. Ach, es waren schöne Stunden, wenn ich ihm seine Zukunft ausbauen half, wenn ich ihm so ganz meine Liebe und Bewunderung unverhohlen zeigen durfte. Von mir, weil er mein ganzes Gemüt kannte, duldete er es gern, ja es erfreute ihn das, wodurch ihn ein Fremder beleidigt haben würde: Er konnte mich wohl selbst auf die einzelnen gelungenen Stanzen aufmerksam machen und mich zum Lobe auffordern; denn der echte Dichter fühlt es ja immerdar, daß es ein höheres Wesen ist, welches ihm die bezaubernden Töne auf die Zunge legt.

Nach einer Anzahl von Jahren trat ein neuer Vizekönig in Indien seine Herrschaft an, und dieser hob die Verbannung auf und erlaubte dem Dichter, nach Goa zurückzukommen. Derselbe Herr, der gütiger als sein Vorfahr dachte, nahm mir auch meine Stelle wieder ab, weil ich mich ohne meinen Freund auf diesem fernsten Winkel der Erde sehr unglücklich würde gefühlt haben. Ich erhielt in Goa selbst eine andre Bedienung und reisete in Gesellschaft des geliebten Dichters hin.

Aber auch jetzt verfolgte ihn das Unglück, und ich ward sein Leidensgefährte. Unser Schiff scheiterte, und das, was ich seit Jahren gesammelt hatte, ging in diesem Schiffbruch verloren: Geld, Gut, nichts blieb mir und meinem Freunde übrig, der auch seine Habe ganz verlor und kaum noch schwimmend die Papiere retten konnte, auf denen sein Gedicht geschrieben war. Einige Bretter trieben uns aus dem stürmischen Wasser an das Land. Als Bettler trieben wir uns um, und ohne des Negers Hülfe, der unermüdlich war, Nahrung aufzutreiben, waren wir verloren. Als wir endlich Bekannte trafen, gelangten wir durch deren Unterstützung mühselig nach Goa.

Die wenigen Freunde, die wir hier noch fanden, nahmen uns liebreich auf und erleichterten uns unsre Armut. Jener Alonso, von dem ich Euch als einem giftigen Feinde unsers Dichters erzählt habe, hatte indessen, so groß er sich in seinem Adel dünkte, jenes reiche Fräulein geheiratet, er war jetzt Erbe ihrer Schätze, da sie nach einigen Jahren, als sie ihm das dritte Kind geboren, gestorben war. Welch Schicksal sie in die Arme dieses Nichtswürdigen geführt hatte, da sie doch in Leidenschaft dem edelsten der Menschen früher zugetan war, weiß ich nicht, ob Eitelkeit, ob die Kunst der Überredung, ob Verstellung und Heuchelei von seiner Seite, aber sie war, wie das Gerücht aussagte, mit dem Übermütigen nicht glücklich gewesen.

Sei es nun, daß sie es nicht unterlassen konnte, von Camoens und dessen Gedichten, denn sie besaß einige, mit Lobpreisungen zu reden, hatte sie vielleicht in ihren Ehestreitigkeiten mit jenem, der ihre Liebe nicht annehmen konnte, einen tadelnden Vergleich des Gemahles gemacht; oder war die Ursache, daß der schlechte Mensch keine Ursache bedarf, um den Tugendhaften zu hassen und zu verfolgen – genug, dieser Alonso zeigte sich sogleich, als wir kaum angekommen waren, als unsern grimmigsten Feind, und da er mir nichts anhaben konnte, so wendete sich seine ganze Rache auf den armen Camoens. Es konnte auch sich zugetragen haben, daß schadenfrohe Schwätzer den eitlen, elenden Menschen dadurch aufgereizt hatten, daß sie ihm jenes freundschaftliche Verhältnis des Dichters mit seiner Gattin in einem ganz andern Lichte gezeigt hatten.

Dieser Vornehme hatte das Ohr des Vizeköniges und war deshalb um so gefährlicher. Was nutzt es in dieser Welt dem Redlichen so oft, daß er sich seiner Unschuld bewußt ist, wenn freche Anklage der Mächtigen ihn niederdrücken will? Wir hatten uns kaum etwas eingerichtet, ich hatte Geld aufnehmen müssen, als man meinen Freund in den Kerker warf.

Macao ist der letzte Stapelplatz der Portugiesen. Des Handels wegen kommt mancher dorthin, und bei plötzlichen Todesfällen, die in jenem Klima nicht ungewöhnlich sind, muß jemand den Nachlaß des Verstorbenen nach sich nehmen, um ihn den Erben zu berechnen, wenn sie sich aus Indien oder Europa melden, um zurückzuerstatten. Das Amt ist klein und trägt nicht viel, macht zuzeiten auch wenig Beschwerde und Arbeit, erfordert aber einen gewissenhaften Mann. Darum hatte ich diese Stelle meinem Freunde gegeben.

So kam denn plötzlich die Anklage, Camoens habe viel Geld und Gut veruntreut und untergeschlagen und er müsse, bis zur Zurückerstattung oder Bestrafung, vorerst im Gefängnis dort in Goa bleiben.

Noch nie hatte ich meinen Freund so ganz entmutigt und niedergeschlagen gefunden als jetzt, da ich ihn in seinem Gefängnis besuchte. Er, der niemals das Geld geachtet, es verschmäht hatte, sich Vermögen auf rechtmäßigem Wege zu gewinnen, er, der sein kleines Eigentum im Dienst des Staates fechtend und sein Leben preisgebend zugesetzt hatte, sollte jetzt plötzlich im Alter als Betrüger, als Dieb vor seinen Landsleuten dastehn und gebrandmarkt werden. Und angeklagt des niedrigen Verbrechens von jenen, die in ihrer hohen Stellung kein Mittel, auch das entehrende nicht, verschmähten, um Schätze zusammenzuscharren, durch Geiz, Erpressungen und Druck, wodurch Tausende im Unglück verschmachteten. Ich erlebte jetzt, daß es Leiden gibt, an welche der Trost nicht reicht. Die Kränkung griff zu tief in den Unschuldigen hinein, eben weil er so ganz unschuldig war – derjenige, der weniger redlich ist, auch wenn er das Verbrechen nicht begangen hat, kann durch dergleichen Anklage nicht so tödlich verletzt werden.

Ich wollte mich für ihn verbürgen, aber mein Anerbieten wurde nicht angenommen. Mein langes Gespräch mit dem Vizekönige, meine Schilderung, mein Lob des Verfolgten, hatte keine Wirkung: Der hochgestellte Mann war jetzt schon zu sehr gegen den Unterdrückten eingenommen, er hatte nun auch von seinem Leichtsinn, von seiner bösen Zunge sich vorsprechen lassen, und jenes unglückselige Gedicht mit den allerschlimmsten Ausdeutungen kam nun wieder zum Vorschein.

So wie Camoens im tiefsten Überdruß, im Zorn gegen sein Vaterland vor vielen Jahren dieses verlassen hatte, um im fernen Indien sich auszuzeichnen und hier die Anerkennung zu finden, die ihm Portugal versagte, so brannte sein Herz und Eingeweide jetzt, nach Portugal nur bald, bald zurückzukehren. Er glaubte jetzt, Verrat und Betrug, Eigennutz und Schändlichkeit würge und wuchre nur hier in Asien, wo die Leidenschaften aller Art auf diese fremden Völker losgelassen würden, um sie zu erdrücken und auszusaugen. Im schönen Glanz der Kindheit trat sein Geburtsland und seine dort verlebte Jugend ihm wieder vor die Seele: In diesem Lande hoffte er jetzt Biederkeit und Unschuld und die Ehrfurcht vor Tugend und Talent zu finden. In dieser drängenden Angst war er selber wieder jung geworden, und selbst mein ermahnendes Wort galt seinem Ungestüm nichts.

Man hatte mit einem abgehenden Schiffe Befehle nach Macao gesendet, und es traf sich, daß ein zurückkehrendes in kurzer Zeit die Antwort von dort und die unwiderleglichen Beweise von Camoens' Unschuld zurückbrachte. Der Dichter hatte alle seine Papiere, die seine Geschäfte betrafen, in der größten Ordnung beim Magistrat zu Macao zurückgelassen. Die Empfangscheine und genauen Register der übernommenen Gelder und Güter, die Quittungen der Erben, denen das Vermögen ausgeliefert war, es fehlte auch nicht das Geringste, um die Redlichkeit des verfolgten Mannes so klar zu machen, wie der Tag scheint. Diese Briefe und Papiere bewiesen selbst noch mehr, daß er nämlich zu verschiedenen Zeiten Geschenke, welche ihm begüterte Erben machen wollten, zurückgewiesen hatte, um auch den Schein der Bestechlichkeit nicht auf sich zu laden. Was half ihm aber diese Tugend? Er ward freigelassen, konnte aber keine Genugtuung erlangen; selbst seine Freunde wagten es nicht, die Schritte, die gegen ihn so unrechtmäßig geschehen waren, laut zu mißbilligen, da der Vizekönig selbst seinen Haß gegen den Armen ausgesprochen hatte und jeder die Schläge des mächtigen Armes fürchten mußte.

So dachte er nun an seine Abreise und machte, von jugendlicher Hoffnung beflügelt, alle Vorkehrungen. Er war überzeugt, sein Gedicht, das jetzt vollendet war, müsse ihm Ruhm, Ehre und eine anständige Versorgung verschaffen, um seine letzten Jahre frei und ohne Sorge in seinem Vaterlande verleben zu können. Ein neuer, unerwarteter Schlag warf ihn aber wieder in das Gefängnis zurück, aus dem er kaum war erlöst worden. Der neidische Don Alonso, der dem Armen selbst dieses kleine Glück nicht gönnte, wenn man es noch so nennen will, hatte durch seine Helfershelfer den Gläubigern des Dichters alle Schulden, die dieser hatte machen müssen, abkaufen lassen. Er hatte manchem Kaufmann die kleinen Summen, die er schon vor seiner Verbannung nach Macao aufgenommen hatte, noch nicht zurückzahlen können, sein Schiffbruch und der Verlust seiner ganzen Habe hatte ihn neuerdings wieder gezwungen, Hülfe bei Fremden zu suchen. Seine Verhaftung, wie früher seine Verbannung, hatten die Menschen argwöhnisch gemacht, und mancher mochte ihn wohl für böse halten, weil das Wort des Vornehmen und Mächtigen immer Eingang findet. Einige Gutmütige, die aber schwach waren, hatte man damit gewonnen, daß man ihnen mehr gab, als sie zu fordern hatten. Plötzlich traten einige Menschen auf, die jetzt im Besitz aller Verschreibungen waren, und verlangten ihr Geld. Ich war selbst verschuldet, schleunige Hülfe war nicht zu erschaffen, weil man bald erfuhr, daß der mächtige Alonso der Veranlasser dieser Handlung sei und kein Reicher, wenn er auch sonst geneigt gewesen wäre, es wagen würde, sogleich öffentlich diesem Boshaften entgegenzutreten, um meinen Freund zu retten. Geld ist freilich, das habe ich nur zu oft erfahren, der Dämon, der auch Freundschaft erkältet und auflöst, er macht auf der Lippe die herzlichen Worte und Beteuerungen erfrieren und erstarren, die sich eben noch aussprechen wollten. Das starre, tote Metall übt einen magischen Zwang aus, und der ist ihm in der Regel auch am meisten untertan, der die größte Masse davon besitzt.

Und so schmachtete der Ärmste denn wieder im Gefängnis, und er fühlte sein Leiden um so bittrer, weil er sich von aller Welt verlassen glaubte. Der erste Sturm des Hasses mußte vorübergehen, wenn ich mich von den mächtigen Feinden nicht selbst wollte verderben lassen. Als aber Alonso verreiset und der Vizekönig selbst auf einige Zeit abwesend war, benutzte ich den wenigen Einfluß, den ich hatte, sowie das Vermögen der Freunde, die mir übriggeblieben waren, um die nötigen Summen herbeizuschaffen, die ihn befreien und zugleich in den Stand setzen konnten, nach Europa hinüberzuschiffen. Ich eilte um so mehr mit den Anstalten und wünschte ihn nur erst auf dem Schiffe zu sehn, bevor Alonso zurückkehren oder ein anderes unversehenes Unheil plötzlich wieder hereinbrechen könne. Es gelang mir, ob ich gleich damals krank und schwach war und meinen Gläubigern binnen kurzem absterben konnte, durch meinen Kredit und zum Teil als Vorschuß für mein Einkommen das Nötige zu erringen, um den edelsten und unglücklichsten aller Menschen für seine Reise, nachdem er frei war, so auszustatten, wie es ihm ziemte, seine Überfahrt ihm so bequem zu machen, als möglich war, und es zugleich einzurichten, daß er nicht ganz arm das vaterländische Ufer betrat. – Ich aber mußte die Hoffnung, ihn zu begleiten, ganz fahrenlassen, denn ich war damals krank, auch hatte ich mich so tief in Schulden gestürzt, daß ich noch einige Jahre meinen Dienst verwalten mußte, um mein Vermögen wieder etwas herzustellen. Einige Freunde, die des großen Mannes Gedicht bewunderten, hatten mir redlich geholfen, aber sie waren selber nicht reich, und ihr Wohlwollen war größer als ihr Vermögen.


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