Ludwig Tieck
Der Alte vom Berge
Ludwig Tieck

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Oben im Gebirge war alles ruhig. Balthasar, so wie sein ungetreuer alter Freund waren begraben. Wilhelm, wie er vormals hieß, kam mit seiner Mutter an, um sich als Erben kund zu geben. Die Richter, so wie Eduard händigten ihm alles ein, und als die Uebergabe geschehen war, und Eduard mit der Räthin und dem Sohn nachdenkend allein im Zimmer waren, unterbrach Wilhelm das Stillschweigen. Jetzt sind wir hier unter uns, mein lieber Eduard, und ich darf ganz frei mit Ihnen sprechen, und Ihnen, wenn Sie es so nennen wollen, für Ihre ehemalige Liebe dankbar seyn. Als ich hier war, und einst beim Copiren mich verspätet hatte, ward ich im Vorplatz versperrt, die Hausthüre war geschlossen und ich mochte mich nicht melden, um keinen Aufruhr zu erregen, hauptsächlich aber, um Herrn Balthasar 262 nicht zu erzürnen, dem solche Störungen sehr verdrüßlich waren. In der Nacht, indem ich mich still halten mußte, hörte ich den alten unglücklichen Mann in seinem Zimmer auf und nieder gehn, bald schwer seufzend, bald mit Aechzen und Klagelauten mit sich selber sprechend. Es waren nicht bloß abgebrochene Laute und Ausrufungen, sondern er schien die Gewohnheit zu haben, manche Begebenheiten seines Lebens sich selber vorzutragen, als wenn er mit einem Unsichtbaren spräche. So vernahm ich von seiner Jugendgeschichte, seinen ungeheuren Leiden, aber auch von seiner Liebe zu Eduard, und welchen Theil seines Vermögens er diesem zugedacht hatte. Das Wichtigste aber, und was mich am meisten rührte, war, daß ich erfuhr, Röschen sei nicht eine angenommene, sondern seine wirkliche Tochter. Wie er sich anklagte, wie er die Mutter, die gestorbene, bedauerte, und sein Kind bemitleidete, war herzzerschneidend. – Nun also, liebe Mutter und theurer Eduard, was bleibt uns übrig zu thun? Vor unserm Gewissen, wenn wir es uns redlich gestehen wollen, ist Röschen seine eigentliche, wahre Erbin, ihr gebührt der größte Theil des Vermögens. –

Nach dieser Erklärung behandelte die Räthin das schöne Kind als eine geliebte Tochter, und an demselben Tage, an welchem Wilhelm seine Verbindung feierte, wurde auch dem beglückten Eduard sein Röschen angetraut. Das Vermögen wurde getheilt, Eduard blieb der Führer der wichtigsten Geschäfte, und eine frohe, glückliche Familie bewohnte und belebte das alte Haus, das den finstern Charakter verlor, und oft Musik, Gesang und Tanz zur Freude aller Bewohner des Städtchens laut ertönen ließ.

 


 


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