Ludwig Tieck
Der Alte vom Berge
Ludwig Tieck

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Wenn sich Eduard jetzt in manchen Stunden besann, so erschien ihm seine ganze Lage, die Stellung, die er in dieser einsamen Gegend angenommen hatte, das Geschäft, was er betrieb, so wie die Menschen, mit denen er umzugehen gezwungen war, in einem ganz andern Lichte, als bisher. Er mochte es sich selbst nicht gestehen, wie sehr das neuliche Gespräch mit Röschen auf seine Einbildung sonderbar gewirkt hatte. War sie ihm früher nur als ein 179 anmuthiges Kind erschienen, so knüpften sich jetzt Erwartungen und stille Hoffnungen an dieses liebliche Wesen, er beobachtete sie aufmerksamer, er sprach öfter und länger mit ihr, und die Entwicklung dieser jungen Seele, ihre freundlichen unbefangenen Mittheilungen bewegten sein Herz mehr und mehr. Gedachte er nun des häßlichen, gelbbraunen Eliesar, dessen herben, menschenfeindlichen Gemüthes, und daß diese zarte Blume sich dem Widerwärtigen im Stillen schon als Opfer bestimmt habe, so zürnte er diesem thörichten Vorsatz, den er in andern Stunden wieder belächeln mußte. Eliesar war schon seit einigen Tagen entfernt. Er hatte es kein sonderliches Hehl gehabt, daß er jenen Anweisungen, die er im Buche des Steigers gefunden, in den einsamen, abgelegenen Stellen des Gebirges nachgehn wolle. Es paßte diese Thorheit zu seinem seltsamen schwärmerischen Wesen, denn er schleppte sich oft mit Zauberbüchern und alchemistischen Schriften, hatte in seinem Zimmer ein Laboratorium, und berühmte sich oft, in ziemlich deutlichen Anspielungen, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Dachte Eduard dem sonderbaren Gespräch des alten Balthasar nach, welche Gesinnungen er in jener vertrauten Stunde ausgesprochen hatte, so war es ihm nicht mehr unwahrscheinlich, daß dieser ehrwürdige Mann, seinen Grillen und seiner Melancholie gemäß, das aufblühende Röschen wohl dem finstern Eliesar zur Gattin könne bestimmt haben. Es erfaßte ihn ein Schauder, mit welchen dunkeln und verwirrten Gemüthern er in so naher Beziehung stehe, ihm schwindelte unter den Schwindelnden, und er schien sich seiner selbst nicht gewiß. Er vermißte darum schmerzlicher als je den jungen Wilhelm, dazu wuchs sein Verdruß, denn die Beraubung der Magazine ließ nicht nach, sondern wurde unverschämter, als jemals betrieben. Er selbst hatte auf Wilhelm einen leisen 180 Verdacht gehabt, und konnte sich den Frevel durchaus nicht erklären.

In dieser Stimmung begrüßte er Eliesar nicht mit besonderer Freundlichkeit, als dieser von seiner abentheuerlichen Streiferei zurückkehrte. Eliesar war auch empört, als er hörte, daß die Beraubungen indessen mit großer Frechheit waren fortgesetzt worden, und da er Eduard keine Nachlässigkeit oder Saumseligkeit mit Recht vorwerfen konnte, so nahm dieses ernste Gespräch zwischen den beiden, die schon von selbst niemals einverstanden waren, eine noch empfindlichere Wendung. Als sich der widerwärtige Gefährte entfernt hatte, nahm sich Eduard vor, indem er es jetzt als eine unerläßliche Pflicht ansehen mußte, mit dem Fabrikherrn ernster als je über diesen Gegenstand zu sprechen.

Diese Räubereien, die mit so großer Sicherheit ausgeübt wurden, erregten die Neugier der ganzen Gegend, und in der Schenke des Bergstädtchens war auch viel die Rede davon. Der alte Kunz saß in dem hölzernen Lehnstuhl am Ofen und erzählte eben dem gemächlichen Wirthe umständlich vom neuesten Diebstahl, als ein fremder Mann einkehrte, der sich sogleich als einen wandernden Bergmann zu erkennen gab. Der Fremde war noch nicht alt, und sprach und fragte daher anfangs nur bescheiden, gab aber zu verstehen, daß es wohl Mittel geben möchte, die Sache bald zu entdecken, wenn man seinem Rathe folgen wolle. Durch diese Winke wurde die Neugier anwesender Bauern, die unten von der Ebene, einige Meilen her, zur steilgelegenen Bergstadt mit Korn herauf gekommen waren, gewaltig gereizt. Kunz, der sich in dieser Gesellschaft für den klügsten hielt, ward still und einsylbig, um zu vernehmen, worauf die Erfindung, oder das Mittel, den Dieb zu entdecken, hinaus laufen würde.

181 Man legt, sagte der Fremde, einen Bann, über welchen der Dieb, wenn er die Gegend betritt, nicht wieder hinaus kann, und so muß er sogleich nach Aufgang der Sonne entdeckt werden.

Und woraus, fragte der Bauer Andres, der der vorwitzigste war, wird ein solches Band gemacht?

Kunz lachte laut und mit Verachtung, indem er sagte: Bauerntölpel, sprecht doch nicht mit, wenn von Kunst und Wissenschaft die Rede ist, bleibt bei Eurem Stroh und Hexel, denn das könnt Ihr besser handhaben. Fahrt fort, unterrichteter Mann, setzte er hinzu, sich mit verdächtiger Freundlichkeit an den Fremden wendend, wie meint Ihr, daß ein solcher Bann oder Fluch beschaffen seyn müsse, damit er seine Wirkung nicht verfehlen könne?

Der Fremde, dessen blasses Gesicht sonderbar gegen den starken braunen Kunz, den feisten Wirth und die aufgedunsenen Physiognomien der Bauern abstach, sagte mit etwas gedämpfter Stimme: Eibenzweige, die im Neumond geschnitten und geschält werden, dann im ersten Viertel mit Wolfsmilch und Schierling abgekocht, die ebenfalls in derselben Nacht gesucht werden müssen, werden, indem man einige Sprüche sagt, die ich kenne, in die Erde, in gewissen Entfernungen um den Ort gesteckt, in welchem der Raub geschieht, und der Dieb, sei er so frech, als er immer wolle, wisse er auch Bannsprüche und Losungen, kann aus diesem Distrikt nicht wieder entfliehen, sondern steht in Angst und Zittern, bis ihn am Morgen die finden, die den Zauber gelegt haben. Dies habe ich oft in Ungarn und Siebenbürgen ausüben sehen, und es ist jedesmal gelungen.

Kunz wollte antworten, aber der vorwitzige Andres rief dazwischen: mein Großvater, der Schmidt, hatte einen Fluch mit Abracadabra, das rückwärts und vorwärts gesprochen 182 wurde, und dazu einige Bibelsprüche, wenn er die Worte sagte, so mußte jeder Dieb, wie er im Walde, auf der Landstraße, oder im Felde war, gleich mitten im Laufen, oder wenn er auf einem Pferde ritt, in Angst und Bangigkeit still stehen, so daß ihn dann die Kinder greifen konnten, wenn sie mochten.

Kunz sah den Bauer mit unbeschreiblicher Verachtung an, worauf er sich mit zweideutiger Höflichkeit zum fremden Bergmann wendete: Ihr seid, sagte er, ein Mann von Erfahrung und Kenntniß, wie es scheint, indessen möchte hier Euer gut gemeinter Rath wohl keine Annahme finden. Denn erstlich wird der Alte vom Berge hier sich niemals mit dergleichen Zaubersegen einlassen, weil er allen Aberglauben, sogar den frommen und nöthigen, haßt, wie vielmehr einen solchen, der ihm als ganz verrucht erscheinen muß. Dann wißt Ihr ja auch nicht einmal, auf welche Art der Diebstahl vor sich geht, um die gehörigen Maßregeln zu treffen.

Wie so? fragte der Fremde, halb verlegen und halb neugierig.

Habt Ihr nie, fuhr Kunz fort, von jenen wunderbaren Menschen gehört, oder gelesen, oder ist Euch, da Ihr ein so vielgewanderter Mann seid, keiner persönlich aufgestoßen, die mit den Augen durch ein Brett, durch Dielen und Keller, oder tief in den Erdboden und Gebirge hinein sehen können?

In Spanien, sagte der Fremde, soll es dergleichen geben, die auch ohne Wünschelruthe Schätze und Metalle mit ihren leiblichen Augen finden können, wenn die Dinge auch noch so tief unter Felsen oder Wäldern liegen.

Ganz recht, fuhr Kunz fort, Zahori oder Zahuri werden sie genannt, wie ich mir habe erzählen lassen, die es mit ihrer Kraft und Wissenschaft so weit gebracht haben. Nur weiß man nicht, ob einer es vom andern lernen kann, 183 ob es Naturgabe ist, oder von einem Bündniß mit dem Bösen herrührt.

Gewiß vom Teufel, fuhr Andres dazwischen, der sein Gesicht immer näher geschoben hatte.

Mit Euch, Bauersmann, sagte Kunz, spreche ich gar nicht, Ihr thätet besser, Euch hinter den Ofen zu setzen, wo Ihr hingehört, wenn von Wissenschaft die Rede ist.

Andres brummte und setzte sich erboßt etwas zurück, worauf Kunz fortfuhr: seht, Mann, die Kunst ist aber in vielen Gegenden nicht die einzige, oder beste, so vortheilhaft sie auch seyn mochte, um die Adern der Erde, oder gar Gold und Silber zu entdecken. Viel bedeutender und gefährlicher sind aber jene Menschen, die in ihren Augen eine Kraft haben, dem Andern Böses zu thun, ihm mit einem einzigen Blick eine Krankheit, Fieber, Gelbsucht, Verrücktheit, wohl gar den Tod anzuwerfen. Die Besseren und Frommeren unter diesen tragen darum freiwillig das eine Auge verbunden, denn oft ist die Gewalt nur auf einer Seite, um so, ohne ihren Nebenmenschen zu schaden, mit ihnen handeln und wandeln zu können.

Von diesen habe ich nie gehört, erwiederte der Fremde.

Das nimmt mich doch Wunder, fuhr der Bergmann mit der größten Ruhe fort, denn da Ihr von Ungarn kommt, wohl gar dort geboren seid, wo Ihr einen solchen Ueberfluß an Vampyren, oder blutsaugenden Leichen besitzt, so viele Kobolde und Bergmännlein, Zwerge und Unterirdische, die sich oft sogar am hellen Tage sehen lassen, da, dachte ich, wären alle Hexenkünste im schönsten Gange und offenbar.

Nein, antwortete der Wandersmann, von diesen Curiositäten habe ich bis dato noch nichts erfahren, so viel ich auch gesehn und selbst erlebt habe, das andern, die nicht so weit herum kamen, merkwürdig genug scheinen mag.

184 Nun also, nahm Kunz wieder das Wort, hat es der sogenannte Zahuri erst so weit gebracht, daß er mit seinem bloßen Auge, statt die Schätze ruhig zu sehen, die unter ihm liegen, jemand krank machen, oder umbringen kann, so hat er nur noch einen Schritt weiter, um in seiner Kunst vollkommen und Meister zu werden. Seht, guter fremder Mensch, hat er so das Letzte gelernt, so setzt er sich vor die Bratenschüssel, wenn sie verdeckt und zugemacht noch auf dem Ofen steht und frißt Euch, ohne daß es ein Mensch merken kann, nur mit den Augen die Gans, oder den Hasen, oder was es nur seyn mag, so rein und sauber in sich hinein, daß, wenn er es so will, auch kein Gebeinchen übrig bleibt. Setzt ihm Nüsse vor, oder Melonen, so speiset er, ohne daß die Schaalen nur angeritzt werden, Kern und Fleisch vollständig heraus und läßt die Hülsen, als wenn alles noch darin wäre, unbeschädigt zurück. Er ist satt, kein Mensch kann es ihm beweisen, oder nur argwohnen, und die andern haben das leere Nachsehn.

Teufel noch einmal, rief Andres, das ließ' ich mir gefallen, wenn ich die Kunst lernen könnte.

Ein solcher Künstler, fuhr der alte Bergmann fort, kann aber noch viel weiter kommen, denn dergleichen wäre am Ende doch nur Spaß. Ist er aber auf jemand böse, so kann er ihm eben so mit einem Blick das Herz aus dem Leibe, wie das Geld aus der Tasche nehmen. Der Gegner, den er verfolgt, muß schmählich und schmerzhaft sterben, und der andere verarmen, indeß er selber so reich wird, wie er nur immer will.

Appetitliche Sachen! rief Andres unbewußt aus, so sehr war er von diesen Vorstellungen hingerissen.

Kunz wendete ihm den Rücken, indem er sich näher zum Bergmann setzte, und sagte dann: wenn wir nur nicht den 185 Pöbel hier so nahe bei uns hätten, so könnte ich Euch die Sache mit mehr Seelenruhe erzählen. Es ist nehmlich so. Ist der Zahuri nun vom Lehrburschen oder Pochjungen zum Gesellen, dann zum Meister oder Steiger avancirt, seht, so setzt er sich in seiner Stube hin, hier oben in der Schenke, oder wo es sei, denkt an das Magazin unsers Alten vom Berge, oder an den Hafen in London, oder nach Spanien hinunter, wo er weiß, daß beim Bankier, Juwelier oder Schiffsherrn Kostbarkeiten liegen, und so wie er sie mit den Augen denkt, hat er sie auch vor sich, und keiner weiß darum und kann es hindern. Eben so kann er sie auch sogleich mit seinem bloßen Willen schon von dem Orte, an dem er sie nimmt, nach Spanien oder Calkutt, oder wohin immer versenden, und sich die Bezahlung dafür schicken lassen. Wenn also ein solcher Mann hier in der Nähe lebt, oder selbst in Amerika, und ihm beliebt es, das Magazin durch diese Kunst zu berauben, so begreift Ihr wohl mit Eurer simpeln Vernunft, daß da Eure abgeschälten und abgekochten Stäbchen so wenig helfen können, als eine gut eingerührte Milchsuppe etwa eine Cur gegen ein Erdbeben abgeben könnte.

Der Fremde hatte Verstand genug, um einzusehen, daß man ihn närrte, die Bauern aber, wenn sie auch nicht alles verstanden, verschlangen diese widersinnigen Berichte. Kunz labte sich an seiner Ueberlegenheit und fuhr fort: seht, Mann, wenn es nicht dergleichen Tausendkünstler gäbe, wo sollte wohl alle die Contrebande herkommen, die in allen Ländern gemacht wird? Darum helfen alle Anstalten dagegen so wenig, so strenge sie auch immer seyn mögen. Die Kunst zu erlernen mag freilich ziemlich beschwerlich seyn, und darum dringen auch wohl nur sehr Wenige bis zur Meisterschaft durch.

Wunderlich, antwortete der Fremde, ist alles, was Ihr 186 mir da vorgetragen habt, und unser Diskurs beschlösse sich vielleicht am anmuthigsten damit, daß ich behauptete, ich sei ein solcher Künstler. Indessen würdet Ihr gleich Proben meiner Wissenschaft verlangen, und damit möchte es denn allerdings etwas hapern. Indessen, mag es nun Ernst oder Spaß seyn, was Ihr mir erzähltet, so giebt es doch gewiß, was kein Vernünftiger bestreiten wird, vieles Unbegreifliche und Wunderbare in der Welt.

Kunz, der indessen am starken Bier sich gelabt hatte, und meinte, er habe einen vollständigen Sieg über den Unbekannten davon getragen, ward über diese Gegenrede empfindlich, und um so mehr, weil die Bauern, die dem Gespräch zugehört, nicht im Staude waren, die Rolle der Schiedsrichter zu übernehmen.

Ei was! rief er jetzt aus, Ihr scheint mir einer von denen, die noch kaum wissen, was wunderbar, oder was natürlich ist. Habt Ihr Geister mit Augen gesehn, so wie ich? Habt Ihr mit Kobolden Gespräche gepflogen, mit den Kleinen, die da oben bei unserm Gebirgsherrn aus- und eingehen? Habt Ihr Erze und Edelsteine wachsen sehn oder Gold- und Silberbäume sich lebendig und fortwuchernd bewegen?

Glaubt Ihr denn, fragte der Fremde, daß die Gesteine entstehen und vergehen, daß die Erze anschießen und sich fortpflanzen? denkt Ihr Euch denn die unterirdischen Lager wie ein fortwucherndes Kartoffelnfeld?

Mich gehn Kartoffeln und alles solches Gezüchte nichts an, rief der ergrimmte Kunz, dem es ganz etwas Neues war, sich von einem unbekannten, und, wie es ihm schien, unbedeutenden Menschen hofmeistern zu hören: – daß aber Leben und Weben in den Erzen und Gebirgen ist, versteht sich von selbst, daß sie wachsen und vergehn, und daß, wie 187 hier oben Sonne und Mond scheint, Regen und Nebel ist, Frost und Hitze, so da drunten Brodem und Wetter, die einschlagen und ausfahren und da im Finstern unsichtbar kochen und sich gestalten. So ein Wetter sikert wie Nebel ein, nun tropft es herab und wird mit den Qualitäten der Berge und des Unterreichs verschwistert, und wie dann der Qualm geht und sich richtet, so erzeugt er Erz, oder Gestein, verquickt sich in Silber oder Gold oder rennt als anschießendes und zersprengtes Eisen und Kupfer durch die fernen und nahen Adern hin.

Also, so weit seid Ihr hier noch zurück? fragte der Fremde mit allen Zeichen des Erstaunens. O mein Lieber, laßt Euch dienen, seit der Schöpfung, oder wenigstens seit der Sündfluth ist Berg, Stein, Fels, Erz und Juwel unabänderlich in sich selbst verschlossen. Wir graben und schaufeln von oben hinein, und gerathen kaum, wenn wir auch noch so tief gelangen, unter die oberste Haut der Warze, wie das Gebirge im Verhältniß zur Erde ist, wie ein Stückchen Nagel zum Menschen. So weit wir kommen können, reuten wir, insofern wir ihn bedürfen, diesen uralten Vorrath aus, und es wächst nichts nach, weder Steinkohle noch Diamant, weder Kupfer noch Blei; und wie Ihr Euch es vorstellt, ist es ein bloßer Aberglaube. In Afrika, so erzählt man das Geschichtchen, fand man in einer Sandgrube von Zeit zu Zeit kleine Goldkörnchen, die dem armen schwarzen Könige als dessen Eigenthum ausgeliefert werden mußten. Damit kaufte er denn von den Ausländern mancherlei. Plötzlich entdeckte man etwas tiefer zwei bedeutende Kloben massiven gediegenen Goldes. Die Sklaven brachten mit Entzücken ihrem schwarzen Herrn den Ertrag, der mehr war, als sie seit zehn Jahren gefunden hatten, und meinten, wie sehr sich der Armselige freuen müsse, so plötzlich reich zu werden. 188 Aber sie irrten sich. Der weise alte Mensch sagte: seht, Freunde, diese Stücke sind Vater und Mutter jener Goldkinderchen, die wir seit langen Zeiten immer gefunden haben, tragt sie ja sogleich wieder an Ort und Stelle, damit sie fortfahren können, neue Brut zu erzeugen. Geschähe dies nicht so hätten wir für den Augenblick großen Vortheil, verlören aber den dauernden Nutzen für alle Folgezeit. Der Mohr war aberwitzig; nicht wahr?

Nichts weniger, als das, schrie Kunz immer zorniger; nicht Unrecht hatte er, das Geheimniß zu schonen, wenn wir gleich, als Bergleute, die Sache nicht so, wie er, ansehen können. Das Gediegene ist auch gewachsen, aber ob es nicht in seiner Nähe die anschießenden und sich bildenden Erztheile ermuntert und befördert, können wir alle nicht wissen.

Ich sage Euch aber, fuhr der Fremde fort, dies sich Fortbilden und Wachsen, aus sich selbst und in die Atmosphäre hinein und als Wurzel in die Erde hinab, ist nur die Natur der Pflanzen. Der Stein ruht in sich, das Gewächs nimmt Licht, Wärme und Wasser in sich auf, und modifizirt die Erdtheile, in denen es begründet ist, um sich zu entwickeln. Das Thier springt vom Elemente fort, und bewegt sich doch in ihm, seine Wurzel in seinen Eingeweiden mit sich herumtragend.

Nein! nein! schrie Kunz immer heftiger: dadurch wird mir ja die Welt, und vollends meine herrlichen Berge, die glänzenden, unterirdischen Kammern nur in Stapelplätze, schlimmer als von Holz, in klägliche Schuppen und Waarenlager verwandelt. Was hätten denn die Geisterzwerge und der mächtige Berggeist, und alle die Kobolde und Elfenkäuzchen, und das Geschwirre von Gnomen da unten zu thun, die doch immerdar, manche geschickt, manche tölpisch, Hand an das Werk legen? Und die Wasser? Und die Dämpfe? 189 O ihr Taub- und Blindgebornen, die ihr nicht schauen und begreifen wollt, was doch viel leichter zu fassen ist, als eure todte, abgestorbene Welt. Kann das Leben und das Erzeugen irgendwo aufhören, so ist es auch an euren Stellen, wo ihr das Lebendige seht, nur Schein und Lüge. Das Feste lebt, aber auf andere Art. und wenn es mal Athem holt, und der alte Riese in Langeweile seine Beine streckt und etwas anders legen will, so schreit ihr denn doch in eurem Jammer über Erdbeben, wenn euch die gemauerten Hütten zur Abwechslung nachlaufen, und die Thürme in eure Taschen und Pantoffeln fallen.

Wunderlicher Mann, sagte der Fremde, der Ihr viel zu hitzig seid, um Raison anzunehmen. Die Wissenschaft sollte uns doch lieber, als unsere Vorurtheile seyn. Wir schaffen die Natur ja nicht, sondern sie ist nun einmal da, und uns hingelegt, um sie zu betrachten und aus ihr zu lernen.

Natur, sagte der Bergmann, das ist auch so ein dummes Wort! Mein Bergwerk gehört nicht zur Natur, das ist mein Berg. In ihm versteh' ich Alles, von eurer Natur weiß ich gar nichts. Als wenn ein Schneider, der ein Kleid zurichten sollte, immer nur von Wolle, oder den englischen Schaafen reden wollte. Aber dahin haben es die Menschen schon gebracht, daß sie nichts mehr als das ansehn können, was es ist, sondern nur ein Allgemeines suchen, woran sie es binden und erwürgen mögen. Ich habe, was sagt Ihr dazu? einmal einen ungarischen Menschen gesprochen, Euren Landsmann, aber klüger war er, als Ihr; der erzählte mir, wie eine Weinrebe, ich glaube nicht weit von Tokay, die auf einem Gang von Golderz muß gestanden haben, in das Holz der Rebe goldene Verzweigungen und Adern aufnahm. Er zeigte mir ein Stück der Rebe, an der ich noch den 190 hineingewachsenen Goldschimmer genau sehn und unterscheiden konnte. Er schwur mir, in einigen der großen und saftigen Weinbeeren wären einige Körner derselben von gediegenem Golde gewesen.

Nun seht einmal, erwiederte der Fremde: kann man mehr verlangen? Nicht nur als Mineral wächst also das Gold, sondern sogar als Pflanze. Ich weiß aber doch noch eine bessere Geschichte. Nicht weit von Cremnitz waren einmal bei feuchtem Wetter in dem dortigen steinigen Erdreich einige Dukaten verloren worden. So viel man auch suchte, konnte man sie nicht wieder finden. Sie mußten zwischen Steinlöchern und Schutt weit hinab gefallen seyn. Was geschieht? Nach einigen Jahren, kein Mensch, auch der Eigenthümer denkt mehr an den Verlust, sieht man eine ganz fremde Staude, die kein Mensch in der Gegend kennt. Sie blüht wunderbar schön und setzt nachher kleine Schooten an. Die Schoote fasert sich bald nachher wie die Hülse der Judenkirsche: und, wie man das Ding näher betrachtet, ist in jedem Felle ein neuer blanker Cremnitzer Dukaten. Wohl fünfzig waren reif geworden, etliche, die der Nachtfrost getroffen hatte, kaum wie dünner Goldschaum. Und das wunderlichste: die Dukaten hatten jedesmal (denn man hütete sich wohl, das schöne Unkraut auszurotten) die neueste Jahrzahl, in welchem Jahr sie waren gezeitigt worden. Nachher hat man gewünscht, wenn es nur irgend möglich wäre, den Zweig eines Baumes, der vielleicht Portugaleser trüge, auf diesen einträglichen Strauch zu pfropfen, um dadurch die Frucht zu veredeln.

Selbst die Bauern lachten, da sie diesen Spaß zu verstehen glaubten, Kunz aber sah ihn zwar auch ein, mißverstand ihn aber in so fern, daß er kein Wort erwiederte, sondern, vom Getränk und Zorn berauscht, nur die Faust erhob, 191 und sie so stark in das Angesicht des Erzählenden warf, daß dieser sogleich vom Schemel zu Boden stürzte und ein Blutstrom ihm aus Mund und Nase rann. Der Fremde besann sich und wollte, obgleich er offenbar der Schwächere war, seine Rache nehmen, aber die Bauern warfen sich dazwischen, und vermittelten, für den Augenblick wenigstens, den Frieden. Es war um so leichter, als wandernde Bergmusikanten mit ihren Instrumenten in die Schenke traten, die der berauschte Kunz sogleich in seinen Sold nahm. So sehr Wirth und Wirthin widersprachen, so mußten sie dennoch erst Lieder und dann Tänze aufspielen, und Kunz nahm die Ermahnungen und Erinnerungen, daß man die Musik bis in das sogenannte Schloß hinauf hören könne, nicht an. Was kümmert mich, schrie er, der Alte vom Berge da droben! Er kann sein böses Gewissen auch einmal etwas in den Schlummer singen lassen! Er tanzte erst allein, dann mit der Wirthin, und da der Tumult einmal lebendig war, fanden sich noch einige Männer und Mädchen, die an dem so unvermutheten Freiball Theil nehmen wollten. Nur als die jüngsten der Bauern sich auch in die Reihe stellten, sprang Kunz plötzlich auf sie zu, schob sie ungestüm zurück und gebot herrisch den Musikanten zu schweigen.

Wann sich Pöbel und Gesindel unter die Menschen mengt, rief er aus, so muß sich unser eins wieder davon machen. Aber, das sag' ich euch, wer sich von euch jetzt rührt, oder nur mukst, dem brech' ich Arm und Bein.

Die Bauern, die sich vor dem Betrunkenen zu fürchten schienen, oder ihn vielleicht nur nicht noch mehr aufreizen wollten, zogen sich an ihren Tisch zurück. Kunz setzte sich, nach allen seinen erfochtenen Siegen, mit einer majestätischen Miene wieder in seinen Lehnstuhl und schaute mit ausfordernden Blicken umher. Da keiner zu reden anfing, sagte er mit 192 lauter Stimme: seht, Bergleute, ich bin einer der ältesten Männer hier oben vom Gewerk; schaut, Cameraden, und ihr Lumpengesindel da, Wirth und Bauern meine ich, diese Thaler hat mein Fürst und Herr in unserer Grube gewonnen! – Er warf eine Hand voll Silber auf den Tisch. – Und so alt ich bin, Männer, (ich bin hier oben aufgewachsen) bin ich doch noch niemals unten in das Feld und die Thäler hinab gekrochen. Ich kann mich rühmen, und das ist gewiß eine Seltenheit, ich habe noch niemals das Getreide auf dem Felde, noch niemals das Korn in dem erbärmlichen Stroh in seinem Wachsthum und seiner Reife gesehn. Wir arbeiten in Silber und Gold, sind groß im Geheimniß und der Wissenschaft, hauen, amalgamiren, schmelzen – und die armen Lumpen da müssen mit ekelhaftem Mist, wie man mir erzählt hat, vertraut umgehn, den Gestank auf ihre Felder führen und ausbreiten, und darum kommen die Schmutzkittel mir auch mit Recht als unehrlich und verächtlich vor, wenigstens ein Bergmann sollte ihnen niemals die Hand reichen, oder mit ihnen aus einem Kruge trinken. Ich will auch mit Ehren sterben, so wie ich alt geworden bin, ohne jemals zu den Strohdächern oder Dreschscheuern hinab zu kommen; ich habe mich vier und funfzig Jahr vor der Schande bewahrt, und der Himmel wird mich auch ferner behüten.

So schwatzte er noch, bis er endlich betäubt und ermüdet einschlief. Die Bauern, die sich jetzt empfindlicher noch als vorher beleidigt fühlten, hatten mehr wie einmal mit bedeutenden Blicken auf ihre Knittel gesehn. In dieser Stimmung hörten sie um so lieber auf den Rath des Fremden, der sich indeß gewaschen hatte, den Hochmüthigen, da er so fest schlief und wie in Betäubung war, auf einen der Wagen zu laden, unten im Grunde in ein Kornfeld abzusetzen, damit er dort von seinem Rausch erwachen könne. Es konnte um so 193 leichter geschehen, da die bezahlten Musikanten sich schon wieder entfernt hatten, und der Wirth in der Küche beschäftigt war.



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