Ludwig Tieck
Der Alte vom Berge
Ludwig Tieck

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Eduard hatte seine Anstalt eben so geheim als klug betrieben. Keiner von den Dienern, den Aufsehern, oder selbst den höhern Bevollmächtigten wußte darum, daß er sich draußen im Magazin zu schaffen mache. Alles, was stören konnte, war bedacht. In der stillsten Einsamkeit, indem auch Niemand wußte, daß er sich vom Hause, dem sogenannten Schlosse, entfernt hatte, traf er seine Einrichtungen. Erst mit der Dunkelheit kam er zurück. Er wußte nicht, ob noch in dieser Nacht, oder in einer künftigen wieder ein Raub geschehen würde. Alle Wächter hatte er, ohne daß es auffallen konnte, vom Magazine entfernt. –

Jetzt, in der Einsamkeit der Nacht, setzte er sich, um seine Gedanken auf einen Punkt zu sammeln, und sich dadurch von den Eindrücken, die er erlebt hatte, zu erhohlen, zu den Rechnungsbüchern nieder. Es war wichtig, dies Geschäft noch vor seiner Abreise völlig in Ordnung zu bringen. Es gelang ihm endlich, das Vorgefallene für diese Augenblicke zu vergessen, auch zerstreute er sich an dem Geschäfte in so weit, daß er nicht mehr daran dachte, daß wohl diese Stunden schon die Entwickelung jener widerwärtigen Geschichte herbei führen konnten, um welche sie alle seit Jahren waren geängstigt worden.

236 Als er abgeschlossen hatte, und in einem älteren Buche blätterte, fielen ihm einige beschriebene Bogen in die Hände, die von Balthasar herrührten, und wohl schon viele Jahre alt seyn mochten. Er las folgende Fragmente: –

Ja wohl ist das Weinen ein Wunder, und, wie sie sagen, eine Gabe, die vom Himmel stammt. Eine Seligkeit verbreitet sich in unserm Gemüth, so wie die fließenden Thränen, gleich den Stromeswogen, den schwarzen Kummer, die Angst, den bangen Zweifel entführen. Wieder geschenkt seid ihr mir alle, ihr Seelen, die einst mein waren, und die ein herbes Schicksal nachher von mir trennte.

Eben darum auch sucht man die Thräne, man ladet sie mit Schmeichelei ein, wenn sie nicht kommen will. Das Tagewerk ist geendet, und so, wie der Schwelger und Vornehme seine mannichfaltige Mahlzeit mit Zucker beschließt, so sucht man nach der Arbeit, nach Rechnungsabschluß Gedanken der Andacht und rührende Gefühle, man gedenkt der Gestorbenen, um diesen Lebenswein der Thräne in das wollüstige Auge und schwelgende Gehirn zu locken. Nun überglast die zarte Wehmuth alle Gegenstände einer gemeinen Gegenwart, und in demüthigen Empfindungen einer verschmachtenden Reue und Zerknirschung erhebt sich der ekelhafte Hochmuth trotzend auf den Adel eines verzogenen, launischen Herzens. O wie elend erscheinen uns nun die Mitgeschöpfe in ihrer Gewöhnlichkeit, die doch alle als nüchterne Bewohner der gemeinen Erde viel besser sind, als wir. –

Aber das Lachen. Dieses Erdbeben, welches unsichtbare Kräfte aus dem Räthsel unsers verschlungenen und vielfach verschürzten Wesens heraus heben; das in polternden, albernen Tönen zu vernehmen giebt, daß innen, in der unsichtbaren Welt, der Geist wieder Irrthum und Wahrheit erkennt, und den zarten Verkündiger eben ermordet, der ihm die 237 Erscheinung zugeführt hat. Diese dummen, rohen Töne, die auch das beste Gesicht, die regelrechte Larve auf lange entstellen.

Wie sehnt sich der Mensch nach diesem widerwärtigen Krampf! Lügt und heuchelt die Thräne mit dem himmlischen Gefühl, so spielt das Gelächter mit dem Aberwitz der bösen Dämon ein linkisches Verstecken, verbirgt sich vor der Gemeinheit, um gesehn zu werden; thut erschrocken, wenn das sich sträubende Gefühl gefunden wird, und zerrt sich, mit dem Widerwärtigen, Gemeinen sich verwirrend, im Handgemenge hin und her, indem bald das Erkennende, sogenannte Bessere, bald das Gemeine, Nichtswürdige, oben und bald wieder unten ist: und so wechselnd, spielend und zankend klappert das Lachen die Stiege der Erbärmlichkeit mit den harten Absätzen der irdischen Kraft hinunter – und der Mensch grinset und ist glücklich. – –


Selige Zeit, als noch ein wirkliches Dasein, ein Leben im Leben war! Als noch die ganze Ewigkeit, sich selbst genug, sich nicht in Zeit versplittert hatte, als der Geist noch nicht die zeitliche Folge des Abmessens in zeitlichen Räumen bedurfte, um sich seiner Kraft und seines Daseins bewußt zu werden. Welche sonderbare Begebenheit, als sich Dauer und Leben von einander trennten, als das innige Geisterband los ließ, und der fremde Gast, der Tod, in den Zwiespalt eindrang, um beide zu beherrschen. Nun hat sich das Feste, Ewige, Dauernde tief in sich selbst hinein gegründet, und die unwandelbare Miene des soliden Nachdenkens angenommen. Stein, Fels, Metall trotzt in seinem kalten Schein dem Vergehn, und meint den Wandel nicht zu kennen. Die 238 kleinen Wassertropfen als Kobolde, der Luftzug, so weit er reicht, lösen die starren, trotzigen Riesen auf, der kleine Mensch gräbt in das Gebein, und könnte, möchte er tiefer wüthen, alles in flüchtigen Staub auflösen. – Steht es mit den ewigen Gestirnen etwa nicht besser? Unter Säuren braust der Felsenstein närrisch und prustend auf und erinnert sich für den Augenblick seines Geistes.

Und du Schmetterlingsgestalt im leichten Sommerrocke, die du schwebend über das Gebirge flatterst und wandelst! Von der verwandelten Raupe bis zum Löwen und Menschen, ihr alle einen kurzen flüchtigen Funken in euch hegend, wie der Blick aus Stein und Stahl, – vorüber ist das Aufsprühen des Funkens – und auch nur Larven liegen wieder da, nach dem kurzen Traum des Lebens und der Liebe, Stein auf Stein, Verwesung auf dem Moder – der Urgroßvater neben dem verstäubenden Enkel, und keiner kennt den andern, keiner weiß vom andern. –

Die Gewächse umher deuten euch in tausend Gestalten das Ohr, die Blumen lächeln schalkhaft und wehmüthig in die Maskerade hinein, und Traum mischt sich in Traum, wenn der Liebende die Rose bricht, und die erröthende, er selbst erröthend, seinem verschämten Mädchen reicht.


Der Pulsschlag ist nicht nur Zeichen des Lebens, sondern das Leben selbst. Kein Gefühl, kein Gedanke, kein Sehn und Hören, Schmecken und Empfinden, strömt im fluthenden Guß, sondern alles hüpft nur Woge um Woge, Tropfen um Tropfen, und dadurch ist es. Ein Gedanke lös't den andern ab, zwischen Tod und Sein wechselnd fühlt sich das Gefühl, jeder Kuß wird nur lebendig durch die kalte 239 Pause, das Entzücken am Gemälde, an Musik ist nur im Wellenschlag da, bald lebend, gleich darauf gestorben. So athmet das Meer in Ebbe und Fluth, die Zeit in Tag und Nacht und Winter und Sommer. Vergeß' ich mich selbst nicht in diesem Augenblick, so kann ich mich im nächsten nicht wieder finden. – Und der Tod – –

Ist diese Puls-Umsetzung, diese Takt-Abänderung, dieser Wechsel des Tempo eine Einleitung, ein Uebersprung zu einem neuen Musik-Stück? Alles lebende Wesen ist da, um von einem andern gefressen zu werden, nur der Mensch hat sich dieser Canton-Einrichtung und Militair-Pflichtigkeit scheinbar entzogen, und spart sich der Erde, diesem zertrümmerten Chaos der Steine und der Verwesung auf. –

Im Lieben, im Unglück, in der Freude, im Verzweifeln, in der Arbeit und Ruhe war Tod immer mein nächster, möcht' ich doch sagen mein einziger Gedanke. Mich selbst zu tödten wäre mir unter allen menschlichen Handlungen die natürlichste. Ich habe es nie gefühlt, daß uns eine unnennbare Angst, ein gewaltiges Grauen zurückzieht und uns das Messer aus den Händen wirft. Wenn uns die arme nackte Freude, die so wenig Schmuck hat, und sich schämt, auf Erden aufzutreten, einmal besucht, dann wäre der Stich des blanken Dolches nur die letzte, funkelnde Spitze dieses Freudenbewußtseins. Denn wie ist nach dem kurzen Pulsschlag die Erde kahl und das Leben dunkel! Gerade deshalb, weil ich nicht weiß, wohin ich gehe, und ob ich gehe, oder ob es ein Wohin giebt, ist die That so anlockend. Die Menschen gestehen sich dies nur nicht, und nennen Feigheit und Stärke, was eben keins von beiden ist. In der Zerstreuung geht den Armen Tod und Leben unter.


240 Ein wunderlicher Traum, das heißt ein Traum hat mich besucht. Das Gewöhnliche ist eben so seltsam als sein Gegentheil, nur stumpft die Gewöhnung unsern Sinn.

Ich war gestorben. Ich wußte es deutlich, und lebte doch in meinem Bewußtsein fort. Alle meine trübseligen Zweifel, meine Hartnäckigkeit, die sich nicht gefangen geben wollte, mein starres Herz, das sich so früh der Liebe entwöhnte, hatten mich, das sagte mir mein Gewissen, von jenem Orte ausgeschlossen, auf welchen die Besseren hoffen. Worin ich mich befand, und unzählige andre mit mir, war ein Zustand, der durch seine gemeine Gewöhnlichkeit, durch das Geringfügige entsetzlich war. Ich konnte mich meiner Freunde und Geliebten durchaus nicht erinnern, so sehr ich auch mein Gedächtniß anstrengte und marterte. Eine Sehnsucht, wie dem Erdürstenden nach der Woge kühlen klaren Wassers, peinigte mich, die Bilder und das Andenken dieser Theuern in meiner Phantasie hervor zu rufen, ich fühlte die Mahnung an sie, wie einen schweren Druck, der mich quälte, in meinem verhüllten Innern. Eben so wenig wollten mir jene Thaten zurückkommen, die ich wohl in meinem Leben gute genannt hatte. Alles war in dieser Richtung meiner Gedanken dürre ausgebrannte Steppe. Aber alles Böse wälzte sich in wirbelnden Kreisen ermüdend und Schwindel erregend vor meinem innern Blick. Meine Schlechtigkeiten und Irrthümer, alle Fehler meines Lebens, alle elenden Augenblicke meines zeitlichen Daseins umgaben mich wie mit Geschrei und Gekrächz von wilden hungrigen Raubvögeln. O diese Sünden, wie riesengroß erwuchsen sie! Wie entsetzlich war es, ihre Folgen weit, weit in die Zukunft hinein sich entwickeln zu sehn: wie sie in die künftigen Geschlechter fortwuchsen und wütheten: alle die Blicke des Jammers, des Vorwurfs, der Leiden, der bittern Verzweiflung von dort 241 waren nach mir her gerichtet. Eben so erinnerte ich mich leicht aller Menschen, die mir gehässig oder zuwider gewesen waren: aller langweiligen Stunden, deren Erinnerungsqual mich von neuem befiel: aller Albernheit und Abgeschmacktheit, die ich selbst gesprochen, oder von andern gehört hatte.

In den weiten, vielfachen Sälen saßen, standen und gingen unzählige Menschen umher, die eben so erbärmlich an sich selber litten. Und keine Abtheilung, nicht Stunde, nicht Sonne und Nacht störte und wechselte dieses traurige Mühsal. Nur eine einzige Ergötzlichkeit gab es. Hin und wieder erinnerte einer an den vormaligen Glauben unsres Lebens, daß wir einen Gott gefürchtet oder angebetet hatten. Dann erscholl ein lautes Gelächter, wie über das Abgeschmackteste durch den Saal. Nachher wurden alle ernst, und ich strebte mit allen Sinnen mir die Ehrfurcht, die Heiligkeit des Gefühls von ehemals zurück zu rufen, doch umsonst – – –

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