Ludwig Tieck
Der Alte vom Berge
Ludwig Tieck

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Nach einigen Tagen bemerkte Eduard jenen Fremden, der eben aus dem Zimmer des Herrn Balthasar kam. Er wunderte sich, was dieser hier habe ausrichten wollen, und fand, als er in das Gemach zum Alten trat, diesen in heftiger und zorniger Bewegung. Immer nur wildes und ungestümes Wesen und abergläubische Fratzen, die die Menschen regieren! rief er dem jungen Manne entgegen; der elende Mensch da, dem Sie begegneten, schleicht sich ein, will ein großes Stück Geld von mir gewinnen, wenn er durch abgeschmackte Anstalten unsern Dieb entdeckt. Er wird mir nicht wieder kommen, der Thörichte, denn ich habe endlich einmal meiner Gesinnung Luft geschafft. Das Unerträglichste ist es mir, wenn die Menschen durch willkürlich ersonnene Formeln, oder durch überkommene Ceremonien, die meist aus geschichtlichen Mißverständnissen, oder alten Gebräuchen erwachsen sind, die ehemals ganz etwas anders bedeuteten, sich mit dem Wesen, was sie die unsichtbare Welt nennen, in Verbindung setzen wollen, ja wenn sie meinen, dieses, das ihnen doch als ein furchtbares erscheint, dadurch zu beherrschen. Eigentlich sind doch die allermeisten Menschen verrückt, ohne es Wort haben zu wollen: ja die Weisheit von Tausenden ist doch eben auch nur Wahnsinn. Was helfen nun meine Maßregeln?

Es schien, als sei der alte würdige Mann selbst über sein zürnendes Eifern beschämt, denn er fing sogleich an von andern Dingen zu sprechen. Eduard mußte sich zu ihm 204 niedersetzen und er ließ ein Frühstück bringen, was sonst niemals seine Sitte war. So können wir heut ungestört mancherlei abmachen, fuhr er dann fort, wozu uns vielleicht an andern Tagen die Zeit mangeln dürfte.

Die Thür war wieder verschlossen, und dem Diener war befohlen, aus keiner Ursach ihr Gespräch zu unterbrechen. – Ich fühle, fing Herr Balthasar dann an, daß ich alt werde, ich muß für die Zukunft denken und sorgen, da ich nicht weiß, ob mir ein langsames Absterben, oder ein plötzlicher, unvermutheter Tod beschieden ist. Treffe ich keine Anordnungen, verscheide ich ohne Testament, so ist jener Verschwender in der Stadt, der die Geliebte meiner Jugend so unglücklich gemacht hat, mein nächster natürlicher Erbe, und der Gedanke ist mir fürchterlich, daß mein großes Vermögen künftig dazu mißbraucht werden sollte, um diesen verächtlichen Schlemmer in seinem Wahnsinn zu bestärken. Alle meine Armen, alle die thätigen Hände in dieser Gegend würden wieder verschmachten und zur bettelhaften Trägheit verdammt werden. Es ist eine heilige Pflicht, diesem zuvor zu kommen. – Wie denken Sie, mein junger Freund, über Ihre Zukunft?

Eduard wurde durch diese Anrede in Verlegenheit gesetzt. Er hatte wohl früher schon seine Plane entworfen, er hatte sie sogar dem erfahrenen Alten mittheilen wollen, aber seitdem ihm die reizende Pflegetochter des Hauses in einem andern Lichte erschienen war, seitdem er sich stärker zu ihr hingezogen fühlte, war er nicht mehr so dreist und zuversichtlich. Er war mit sich uneinig, ob er sich verbergen, oder entdecken sollte, denn, so vertraulich ihm Balthasar war, in so vielen Gefühlen und Ansichten erschien er ihm wieder fremd und räthselhaft.

Sie sind nachdenkend, sprach der alte Mann weiter. 205 Sie vertrauen mir nicht genug, weil Sie mich nicht kennen. Ich halte es auch für meine Pflicht, als ein Vater für Sie zu sorgen, Sie sind gut, klug, thätig, mitleidig, Sie sind ganz in die verschiedenen Zweige meines Geschäftes eingeweiht, und ich habe ein Vertrauen zu Ihnen, wie ich es nur zu wenigen Menschen habe fassen können. Ihr Fleiß für mich und meine Anstalt, Ihre Umsicht und Redlichkeit, alles zwingt mich, auch wenn ich keine Vorliebe für Sie hätte, Sie gut und sehr reichlich zu bedenken, da ich Ihnen so vieles zu danken habe. Aber ich wüßte gern, und bitte Sie, ganz aufrichtig gegen mich zu seyn, ob Sie mit dem Besitz eines großen Vermögens es über sich gewinnen könnten, in hiesiger Gegend, in diesem Hause zu bleiben, oder ob Sie es vorziehn würden, nach meinem Tode als ein reicher Mann vielleicht in der Stadt zu leben, ein anderes Geschäft anzufangen, sich zu verheirathen, oder auf Reisen zu gehen, um die Heimath zu entdecken, die Ihnen die liebste wäre. Hierüber sprechen Sie jetzt ganz aufrichtig, denn da Sie auf das Drittheil meiner Habe Anspruch machen können und sollen, so muß ich nach Ihrer Erklärung meine bestimmten Einrichtungen treffen, denn die Anstalten hier und im Gebirge, die Fabriken und Maschinen, Bergwerke und Einrichtungen sehe ich auch als meine Kinder an, die nach meinem Tode nicht zu Waisen werden dürfen.

Eduard versank noch mehr in Nachdenken. Diese Großmuth und väterliche Liebe des Alten hatte er niemals erwarten können, nie war es ihm eingefallen, daß er durch diesen Freund einst reich und unabhängig werden dürfte. Durch diese Erklärung war sein Verhältniß zu Herrn Balthasar ein anderes geworden, er glaubte, ihm jetzt mehr und dreister das sagen zu können, was ihn seit einigen Tagen ängstlich beschäftigt hatte. Er leitete mit der Versicherung 206 seiner Dankbarkeit ein, daß dasjenige, was der Alte für ihn thun wolle, zu viel sei, daß seine Verwandten dennoch Anspruch auf seine Liebe behielten, und daß auch viel weniger ihn zu einem glücklichen und unabhängigen Manne machen würde.

Ich weiß alles, was Sie mir hierüber sagen können, unterbrach ihn der Alte; auch für diese Verwandten, selbst für den mißrathenen Sohn und den nichtsnützigen Vater wird gesorgt werden, so daß sie keine gegründete Ursache zur Klage haben sollen. Aber ich weiß, daß Sie mir die besten Jahre Ihrer Jugend und Kraft aufgeopfert haben. Für einen muntern Geist Ihrer Art, für Ihr frohes, menschenfreundliches Gemüth ist der lange Aufenthalt in diesen melancholischen Bergen nichts Erfreuliches gewesen. Sie haben seit so vielen Jahren aller Munterkeit und Zerstreuung den Abschied gegeben, alles, was die Jugend anzieht, Musik, Tanz, Gesellschaft selbst, Schauspiel, Reisen, Lektüre haben Sie meinetwegen aufgeopfert, weil Sie sich so ganz, wie ich es wohl bemerkt habe, und schon früh, in meine Gemüthsart haben schicken wollen. Unter Tausenden hätte kaum Einer dies vermocht, und dieser Eine sind Sie gewesen, und so, daß Sie an Freundlichkeit und gutherzigem, dienstfertigem Wesen nichts darüber eingebüßt haben. Wollen Sie also künftig anderswo und nach einem ganz andern Lebensplane sich einrichten, so kann ich nicht das Mindeste dagegen haben, auch soll Ihnen dadurch an Ihrem Besitze nicht das Geringste verkürzt werden. Aber aufrichtig sagen müssen Sie Ihren Entschluß, wenn Sie ihn schon gefaßt haben, oder jetzt gleich fassen können, denn, im Fall Sie hier bleiben, mein Geschäft fortsetzen möchten, so muß Ihnen mein Testament die Möglichkeit eines nützlichen Wirkens durch vielfache Bestimmungen und ausgeführte, unumstößliche Verordnungen zusichern, darum sprechen Sie. –

Eduard erwiederte mit Rührung: gebe der Himmel, daß Sie uns noch lange als Vater bleiben: ob ich aber diese Gegend als meine Heimath ansehn kann und will, hängt nur von Ihnen selber ab, von Ihrem Wort; dann kann ich mich sogleich für immer dazu bestimmen, auch wenn Sie uns noch viele Jahre gegönnt werden. Können oder wollen Sie dies Wort aber nicht aussprechen, so muß ich früher oder später eine andre Heimath suchen, und ich fürchte, daß mir dann selbst Ihr großmüthiges Vermächtniß das Glück nicht schaffen kann, welches ich höher als Reichthum stellen muß.

Ich verstehe Sie nicht, junger Freund, antwortete Balthasar, Sie sprechen mir da Räthsel.

Sie haben, erwiederte Eduard, mit Ihrer Großmuth und stillen Liebe eine arme Waise auferzogen, Sie haben sich väterlich gegen sie erwiesen, und darum muß ihr Schicksal auch von Ihnen und Niemand sonst bestimmt werden: geben Sie mir das liebe Kind, geben Sie mir Röschen zur Frau, und ich lebe und sterbe auf diesem Berge, ohne etwas zu vermissen.

Plötzlich verfinsterte sich das Gesicht des Alten bis zu einem Ausdruck, den man fürchterlich hätte nennen können. Er stand schnell auf, ging im Zimmer einigemal auf und ab, setzte sich dann wieder seufzend nieder und fing mit bitterem Ton an: Also? Nicht wahr? Sie lieben? Ist es nicht so? Ich muß dies unglückliche, unheilbringende Wort wieder hören? Ich muß auch an Ihnen, dem verständigen Menschen, diesen Wahnsinn, diese dunkle, trübselige Erbärmlichkeit erleben? Und alles, alles, was man achten, für vernünftig halten möchte, geht in diesem Strudel unter, der mit Gräuel, Tollheit, wildem Gefühl, thierischer Begier und Abgeschmacktheit zusammenfluthet! Diese Heirath aber, Eduard, kann niemals, niemals werden!

208 Ich habe zu viel gesagt, antwortete Eduard ruhig, um mit der bloß abschlägigen Antwort zufrieden seyn zu können. Theilen Sie mir Ihre Plane für das liebe Kind mit und ich werde mich zu resigniren wissen.

Und sie, die kleine Thörin? fuhr der Alte lebhaft dazwischen, – liebt sie Sie auch vielleicht schon? Ist das unkluge Wort schon zwischen euch beiden ausgewechselt?

Nein, antwortete Eduard, ihre reine Jugend schwebt noch in jener glücklichen Unbefangenheit, die nur wünscht, daß morgen wie heut und gestern seyn möchte. Sie kennt nur noch kindische, einfache Wünsche.

Um so besser, sagte Balthasar, so wird sie also vernünftig seyn können, und meinem Plane nichts in den Weg legen. Eigentlich hätten Sie es, der Sie mich doch so ziemlich verstehn, schon lange merken müssen, daß ich die Kleine für unsern Eliesar bestimmt habe. Sie soll heirathen, in einer Ehe leben, nicht in sogenannter Liebe schwärmen und faseln.

Und wird sie, fragte Eduard, mit diesem Manne glücklich werden?

Glücklich! rief der Alte, fast laut auflachend; glücklich! Was soll der Mensch sich bei diesem Worte denken? Es giebt kein Glück, es giebt kein Unglück, nur Schmerz, den wir sollen willkommen heißen, nur Selbstverachtung, die wir ertragen müssen, nur Hoffnungslosigkeit, mit der wir früh vertraut werden sollen. Alles andre ist Lüge und Trug. Das Dasein ist ein Gespenst, vor dem ich, so oft ich mich besinne, schaudernd stehe, und das ich nur durch Arbeit, Thätigkeit, Kraftanspannung erdulden und verachten kann. Den Webestuhl, die Spinnmaschine könnte ich beneiden, wenn in dem Gefühl und Wunsch Menschenverstand wäre, denn nur im Elende ist unser Bewußtsein, unser Dasein ist, 209 daß wir den Wahnsinn, die Raserei alles Lebens spüren, und uns ihm geduldig hingeben, oder fratzenhaft weinen und uns sträuben, oder Verzerrungen des Glücks und der Freude spielen, um deren frevle Lüge wir selbst recht gut in unserm nackten Innern wissen.

Ich darf also auch nicht fragen, fuhr Eduard still und traurig fort, ob Sie diesen Eliesar als Freund lieben, ob er der Freundschaft und Achtung durchaus würdig ist, denn in Ihren finstern Gedanken geht alle Freiheit des Willens und alle Regung des Gemüthes unter.

Als wenn ich nicht, sprach Balthasar weiter, gefühlt, geweint und gelacht hätte, wie die übrigen Menschen. Der Unterschied ist nur, daß ich mir die Wahrheit früh gestanden habe, und daß ich die Verächtlichkeit meiner selbst, aller Menschen, der Welt und des Daseins einsah und fühlte. Eliesar! der und Sie! Wenn wir es so nennen wollen, Freund, so liebe ich Sie, mit allen Herzensfasern bin ich an Sie festgebunden, im Wachen und Traume stehn Sie vor mir, Ihr Elend könnte mich zur Verzweiflung bringen – und dieser hagere, widerwärtige Eliesar! Wenn es einen Namen haben soll, das Thörichte meines Wesens, so hasse ich ihn, er ist mir ekelhaft, so wie er vor mir steht und in meiner Phantasie; die Leberkrankheit, die ihm aus Auge und Gesicht dunkelt, die schielenden Blicke, das Rümpfen der Nase, so wie er spricht, wobei sich die langen Zähne wie im Grinsen entblößen, sein Schultern-Zucken bei jedem Wort, wobei der fatale hellbraune Rock in die Höhe geht und die dürren Knöchel der Hände jedesmal entblößt, alles dies, die Art, wie er Athem holt und seine Stimme zischt, ist mir so körperlich widerwärtig, und weckt meinen Ingrimm immerdar so sehr, so peinigend, daß ich noch niemals einem andern geschaffenen Wesen gegenüber diese Qual erlebte, und eben deswegen, 210 weil ich so viel an ihm gut zu machen habe, weil ihn Himmel und Natur selber so sehr vernachlässigten, muß er mein Haupt-Erbe, mein Sohn werden. Auch weiß er es schon seit lange und freut sich auf diese Verbindung.

Ich verstehe Sie nur halb, antwortete Eduard. Sie kämpfen gegen Ihr eignes Gefühl, Sie martern sich freiwillig. Ich rede jetzt nicht gegen Ihr Versprechen, das Sie jenem Manne einmal gegeben haben, aber, warum dieses Bild des Leben festhalten, das Sie peinigend verfolgt? Warum nicht den frohen Gefühlen, den lichten Gedanken Raum geben, die eben so nahe, näher liegen?

Wie Sie wollen, sprach der Alte, – für Sie, aber nicht für mich. Habe ich doch immer gesehen, daß die allerwenigsten Menschen etwas erleben. Sie sind in fortwährender Zerstreuung, ja was sie Denken und Tiefsinn nennen, ist eben auch nichts anders, wodurch sie sich das Wesen und das einwohnende Gefühl ihres Innern verdämmern und unkenntlich machen. Und der Hochmuth erwacht, das Bewußtsein ihrer Würde und Kraft stachelt und spornt sie kitzelnd zum frechen Stolz. Auch dies habe ich in der Jugend gekannt und überstanden. Dann liebte ich, wie ich meinte. Wie klar, wie rosenroth, hell und lachend lag die Welt vor mir. War doch auch mein Herz wie im reinen Aether gebadet, blau, weit, von süßer Hoffnung, wie von Morgenwolken, erfrischend durchzogen. Und der Grundstamm dieser Liebe, was ist er? Aberwitz, Thierheit, die sich mit den scheinbar zarten Gefühlen verschwistert, die mit Blüthen prangt, in diese Blumen hineinwächst, um auch sie zu zerblättern, das, was sie himmlisch nannte, in den Koth zu treten, und (noch schlimmer, als das unschuldigere Thier, das von der Natur gegen seinen Willen gestachelt wird) alles zu verletzen, was ihr erst für heilig galt. Aus diesem 211 Brande erwachsen dann fort und fort jene Unheils-Funken, die wieder Kinder werden, wieder zu Elend, wenn nicht zur Bosheit in ihrem Bewußtsein erwachen. Und so immer, immerdar in eine unabsehbare Ewigkeit hinein! Und der Reiz, die Schönheit der Welt! die Frische der Erscheinungen! Ist denn hier nicht auch alles auf Ekel gegründet, den mir die Natur doch auch gab? Durch ihn, den unsichtbaren innern Mahner, verstehe ich vielleicht nur das sogenannte Schöne. Dieses ist aber allenthalben, in Blume, Baum, Mensch, Pflanze und Thier auf Koth und Abscheu erbaut. Die Lilie und Rose zerbröckelt in der Hand, und läßt mir Verwesung zurück: des Jünglings, der Jungfrau Schönheit und Reiz – seht es ohne freiwillige Täuschung, ohne den thierischen Kitzel der Sinne an – Grauen, Moder, das Abscheuliche ist es: und einige Stunden Tod, ein aufgerißner Leib verkünden auch den Jammer. – Und ich selbst! in meinem Wesen Tod und Grauen, der Dunst der eignen Verwesung verfolgt mich – und in den Gefühlen Wahnwitz, in jedem Gedanken Verzweiflung!

Kann denn die Religion, die Philosophie, erwiederte Eduard, der Anblick des Glückes, welches Sie verbreiten, nichts über diese finstere Laune, über diese Melancholie, die Ihr Leben zerstört?

Ach, guter, lieber Freund, erwiederte der Alte, ich versichere Sie, das, was ich von jenen christlichen Büßern und Einsiedlern gelesen habe, die aus übertriebenem Eifer ihr Leben zu einer fortwährenden Marter umschufen, um nur dem Einen und höchsten Triebe und Gedanken zu genügen, ist weniger, viel weniger, als was ich ausgeübt habe, seitdem ich mir meines trostlosen Daseins bewußt geworden bin. Auch ich war wieder einmal mit meiner ganzen Seele in jenen Gefilden einheimisch, in denen die Gläubigen die Nähe 212 der Gottheit und deren Liebe im Vertrauen und in seliger Beruhigung fühlen. Mein Geist verklärte sich, alle meine Empfindungen wurden geläutert, mein ganzes Wesen wollte sich wie in eine Blüthe entfalten, alles in mir war Seligkeit und Ruhe, und in dieser himmlischen Ruhe der süße Trieb zu neuen Anschauungen, ein entzückender Stachel, mich noch tiefer in dieses Meer der Freude zu tauchen. – Und was war das Ende? –

Fahren Sie fort, sagte Eduard. –

Ich entdeckte, nahm der Alte nach einer Pause die Rede wieder auf, – daß auch hier Sinnlichkeit, Täuschung und Aberwitzig mich wiederum zu ihrem Gefangenen gemacht hatten. Diese wollüstigen Thränen, die ich oft in meiner so scheinbaren Andacht vergoß, die ich die reinste Inbrunst meines Herzens wähnte, auch sie entsprangen nur aus Sinnlichkeit und körperlichem Rausch; das Thierische hatte sich angemaßt, Geist zu seyn, und die Freude in diesen Thränen führte mich bald dahin, diese Rührung willkührlich zu suchen, in diesem geheimnißvollen, nahen Verhältniß zur höchsten Liebe einen Kitzel des feinsten Sinnenreizes zu erregen, und diesen in der Entzückung der Thränen zu löschen. Ich erschrak vor dieser Lüge meiner Seele, als ich sie entdeckte und nicht mehr ableugnen konnte, und die fürchterlichste Oede der Verzweiflung, die gräßlichste Einsamkeit des Todes umgab mich wieder, als die Täuschung gefallen war, und die Vision sich nicht mehr zu meinem äffischen Spielwerk der Phantasie herablassen wollte. Als ich nun im Strahle der Wahrheit meine Forschungen fortsetzen wollte, da begegnete mir das Gräßlichste selbst an jener Stelle, wo nur eben noch, wie eine Bühnen-Dekoration, meine Entzückung gestanden hatte. Kein Zweifel mehr, denn auch in diesem ist noch Freude, keine Gewißheit, denn auch in der furchtbarsten 213 ist Leben, sondern der dürrste Tod der völligsten Gleichgültigkeit, ein trocknes Anfeinden alles Göttlichen, ein Verachten aller Rührung, als des Läppischen und Albernen selbst, lag wie ein unermeßliches Schneegefilden in den Wüsteneien meiner Seele. – Seele! Geist! so sagt' ich oft lachend zu mir selbst, und muß auch jetzt wieder lachen – kann es etwas andres geben? Und eben darum: wo ist der Unterschied mit der Materie? wo die Scheidemauer zwischen Leben und Tod?– Im Gespenst des Daseins, im Sphinx-Räthsel der Existenz – in jenem gräßlichen Werde! aus welchem die Welten hervorgingen, und sich im Krampf immer und immerdar wälzen, um die Ruhe, das Nichtsein wieder zu finden – hierin gehn alle Widersprüche und Gegensätze auf, um im Wahnsinn als unauflöslicher Fluch zu versteinern.

Eduard schwieg erst eine Weile, dann sprach er, nicht ohne Bewegung, diese Worte: ich verstehe Sie nicht ganz, weil mir diese Richtung Ihres Geistes und Gemüthes ganz fremd ist. Was ich auch Trübes erlebte, was ich auch Unersprießliches und Trostloses dachte, so bin ich doch nie in diese Wüsten gerathen, die wohl am Horizonte eines jeden liegen mögen, der sich dem grübelnden Forschen mit zu großer Leidenschaft ergiebt. Gehört und gelesen habe ich von kräftigen Gemüthern, die im Trotz der Leidenschaft, oder in überschwenglicher Liebe gleichsam die Riegel der Natur und des Lebens sprengen wollten, um alles zu seyn und zu besitzen. Verzweiflung, Widerwille gegen sich, Haß gegen Gott, war oft die Bestimmung und das unglückliche Loos so heftig aufgeregter Menschen. Wir fühlen wohl, daß uns die Vernunft nicht durchaus genügt, um das auszugleichen oder zu offenbaren, was wir gern verstehn, was wir im Einverständniß mit den göttlichen Kräften sehen möchten. Aber es mag gefährlich seyn, jene Regionen des Gefühls, 214 der Anschauung und Ahndung zu Hülfe zu rufen. Sie wollen die Herrschaft führen und entzweien sich leicht mit der Vernunft, die sie anfangs zu unterstützen scheinen. Gelingt es ihnen, diese edle Vermittlerin, die im Centrum aller unsrer geistigen Kräfte durch ihre ausstrahlende Herrschaft diese erst zu Kräften macht, zu unterdrücken und in Ketten zu schlagen, so erzeugt jeder edle Trieb einen Riesen als Sohn, der wieder den Himmel stürmen will. Denn nicht Zweifel, Witz, Unglaube und Spott allein kämpfen gegen Gott, sondern auch Phantasie, Gefühl und Begeisterung, die erst für den Glauben eine so sichere und geheimnißvolle Freistätte zuzubereiten scheinen. Darum, mein theurer, verehrter Freund, weil allenthalben um unser Leben her diese schwindelnden Abgründe liegen, weil alle Wege von allen Richtungen her zu diesen führen, – was bleibt uns übrig, als mit einem gewissen Leichtsinn, der vielleicht auch zu den edelsten Kräften unsrer Natur gehört, mit Heiterkeit, Scherz und Demuth dem Dasein und der Liebe, jener unendlichen, unerschöpflichen Liebe zu vertrauen, jener höchsten Weisheit, die alle Gestalten annimmt, und auch das, was uns thöricht scheint, auf ihren Webestuhl einschlagen kann: um so sicher und leicht unser Leben zu tragen, uns der Arbeit zu erfreun, und im Wohlbehagen selbst glücklich zu seyn, und so viel wir können, andre glücklich zu machen? Sollte denn dieses nicht auch Frömmigkeit und Religion seyn? Ich, für mich selbst, habe keine andre finden können.

Kann alles seyn, antwortete der Alte abbrechend, wenn die Wurzel des Daseins aus Liebe gewachsen ist.

Sagt es uns nicht, rief Eduard, jede Blume, jedes Lächeln des Kindes, das fromme, dankbare Auge des Erquickten, der Blick der Braut –

Er hielt plötzlich inne, weil der kindliche helle Blick 215 Röschens plötzlich mit aller Kraft in seiner Seele aufleuchtete. Wie erstaunte er aber, als er wieder aufschaute, daß er Thränen in den Augen seines alten Freundes sah. – Eduard, sprach dieser sehr bewegt, erfahren Sie alles. Röschen ist kein angenommenes, es ist mein wahres Kind, mein Blut. Ach! das ist auch wieder eine klägliche Geschichte von der menschlichen Schwäche und Eitelkeit. Als ich hier einsam lebte, kam ein junges, schönes Wesen, als gemeine Magd, hier in mein Haus. Das Kind war von sehr armen Eltern, aber gut und fromm erzogen. Sie war redlich und tugendhaft. Sie liebte die Einsamkeit so, daß, wenn sie ihre Geschäfte verrichtet hatte, sie sich von jeder Gesellschaft, besonders der der jüngeren Leute zurückzog. Auf wundersame Weise schloß sie sich mir an, ihre Ergebenheit oder Liebe hatte fast einen abergläubischen Charakter. Sie verehrte mich Aermsten wie ein überirdisches Wesen. Noch nie war ich von einem Mädchen gereizt worden, und von dieser am wenigsten, so schön sie war; ich, als alter Mann, glaubte sie väterlich zu lieben und dachte auf ihre Versorgung. Wie es geschah, wüßte ich nicht zu erzählen, weil alles unwahr erscheinen möchte. Sie war schwanger. Längst schon war ich über meine Schwäche und Armuth erschrocken. Schaam, Verzweiflung, Menschenfurcht kämpften in meinem Wesen und machten mich zu ihrem nichtswürdigen Sklaven. Ich entfernte sie in Angst, sorgte für sie, reichlich, überflüssig, aber mein Herz war erstarrt. Gram, Schwermuth, Zweifel an sich und Gott, tiefe Kränkung, daß meine Liebe verscherzt, oder sie ihrer nicht würdig sei, sich selbst furchtbar anklagend, wie es die Unschuldigsten am leichtesten thun, brach ihr Leben! Hatte ich sie verführt? Liebte ich sie nicht wirklich? Nein, ein elender Verführer war ich nicht, aber ich hatte nicht den Muth, meine Sünde zu gestehn und ihr ihre 216 unschuldige Herzensliebe zu vergelten. Und dadurch war ich ein Nichtswürdiger. Sie starb und ich verzweifelte immer mehr an mir selbst. Die Eltern der Armen, die ich in Wohlstand versetzte, segnen mich alten Bösewicht, daß ich die Schande der Tochter nicht gestraft, daß ich das Kind hier erzogen. – Dies Kind, diese Kleine, die ich liebe, wie es vielleicht nicht erlaubt ist, denn ihr Glück ist Tag und Nacht mein Gedanke, wird nun auch vielleicht dem Elend aufgeopfert, denn ein Verhängniß, das stärker ist, als ich, zwingt mich, sie dem Eliesar zur Frau zu geben. – Gehn Sie jetzt zu diesem, er wird mein Schwiegersohn; sagen Sie ihm, daß in acht Tagen die Hochzeit seyn wird, und können Sie dann nicht bei mir bleiben, Liebster, den ich auch wie einen Sohn liebe, so wird Ihnen Ihr Capital, das ich Ihnen bestimmte, ausgezahlt, – und wir sehn uns auch nicht wieder. – Gehn Sie.

Er konnte vor heftigem Schluchzen nicht weiter sprechen, und Eduard ging mit den sonderbarsten Gefühlen von ihm, um Eliesar aufzusuchen, der in einem eigenen Hause unterwärts in einem kleinen Thale wohnte und dort sein Wesen trieb.



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