Ludwig Tieck
Der Alte vom Berge
Ludwig Tieck

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Eduard fand im Magazin und draußen die Spuren des Blutes. Diesen gingen er und seine Begleiter nach. Sie verloren sich bald, bald entdeckten sie sich wieder seitwärts im Busche, dann zeigten sie sich auf einem Fußwege wieder. Eduard schritt mit bangen Gefühlen weiter, eine Ahndung preßte seine Brust, er mochte sich seine Vermuthung selber nicht gestehn. Aber nicht lange, so wurden sie zur Gewißheit, denn die Spur führte nach dem, auf einem grünen Abhange gelegenen Hause Eliesars. Als sie sich näherten, sahen sie auch die Umgegend schon in Bewegung, Menschen eilten aus der Stadt herauf, der Prediger des Ortes ging so eben in die Thür. Drinnen war große Verwirrung, und Arzt und Chirurgus in den Zimmern geschäftig.

Eduard ließ seine Begleiter draußen und öffnete mit klopfendem Herzen die Thüre des Gemachs. Eliesar lag bleich und mit ganz entstellten Zügen in seinem Bette. So eben war die Untersuchung der Wunde geschehen, und der Verband gelegt. Alle Menschen im Zimmer, Arzt, Chirugus, Prediger und Diener sahen bleich und verstört aus, denn dieser Vorfall mußte allen so unbegreiflich und 245 schrecklich erscheinen, daß sich ein Entsetzen aller Gemüther bemächtigte.

Der Wundarzt, welchen Eduard beiseit nahm, schüttelte mit dem Kopf und versicherte, es sei keine Hülfe, der Patient werde schwerlich diesen Tag überleben. Jetzt erhob sich Eliesar aus seiner Betäubung, sah um sich und bemerkte den Inspektor. Aha! rief er angestrengt und mit matter Stimme – Ihr auch schon da? Nun ja, Ihr habt nun endlich über mich gesiegt. Dahin ist ja schon seit lange Euer Trachten gegangen. Ich liege nun hier, und alles ist vorbei, alles entdeckt, es giebt keine Frage und Antwort, kein Heut und Morgen mehr. Wie es Euch bekommen wird, das wird sich auch noch zeigen. Gut auf keinen Fall. Triumphirt also nicht in Eurer eingebildeten Tugend.

Er winkte und ließ sich vom Prediger eine Schrift reichen, die auf dem Fenster lag. Gebt dies dem Alten vom Berge, fuhr er dann fort, er wird daraus sehn, daß ich ihn geliebt habe, denn es ist mein Testament.

Jetzt sprach der Prediger einige Worte, der mit dem Kranken allein zu seyn wünschte. Eduard verließ gern das Zimmer, um sich im Freien zu erholen. Draußen lief ihm Kunz wieder athemlos entgegen und rief: Verwirrung über Verwirrung! Wie er es angefangen hat, unser theurer Eliesar, so ist ihm wohl sein letztes Brot gebacken. Seht doch, der Mensch, der Allmächtige, der Schwiegersohn des Alten vom Berge, der ist ein nichtswürdiger Dieb! Nun will ich es dem blassen ungarischen Lumpen vergeben, daß er mir neulich den Streich gespielt hat, denn was ist doch alle Reputation dieser Erde, alle Ehre dieser Welt?

Die ganze Gegend, Stadt und Land war über diese Begebenheit in Aufruhr. So wie das Unglaublichste geschehn war, eine Missethat, die sich nicht leugnen oder 246 verbergen ließ, von einem Manne ausgeübt, den alle hatten verehren müssen, der ihnen als ihr künftiger Brotherr und Beschützer erschienen war, so konnten sich alle diese Arbeiter von ihrem Erstaunen nicht erholen und in ihre Verhältnisse zurück finden, denn alles Maß, woran der Mensch sich erkennt, war eine Zeit lang im Tumult allen Gemüthern verloren gegangen.

Der Alte hatte in dieser allgemeinen Verwirrung die Geschichte doch schon erfahren, so sehr dies auch Eduard hatte verhindern wollen. Er ließ Niemand in sein festverschlossenes Zimmer.

Eduard verhörte vorläufig den Fremden. Dieser hatte schon lange mit Eliesar Verkehr getrieben, er wohnte in einer Stadt, die einige Meilen entfernt war, schickte oft Boten, und half die geraubten Güter verkaufen. Ein Kaufmann in einem andern Städtchen leitete ebenfalls das Geschäft. Der Ungar hatte sich mit Eliesar entzweit und war in der Absicht in das Gebirge gekommen, sich dem alten Balthasar zu nähern, diesen zu erforschen, und, wie er ihn gestimmt fand, ihm für eine ansehnliche Summe die ganze Abscheulichkeit des Handels und den Zusammenhang desselben zu entdecken. Da der Fabrikherr sich aber gar nicht geneigt bewiesen hatte, auf irgend ein Kunststück, noch weniger auf die verdeckten Anzeigen einzugehn, der Fremde also für sich selber fürchten mußte, wenn er sich verriethe, so zog er sich wieder zurück und blieb seinem Bundesgenossen Eliesar treu. Dieser hatte ihn mit einer Summe und größern Versprechungen wieder begütigt.

Jetzt erscholl die große Glocke des Alten und Eduard nahm die Papiere und begab sich zu ihm. Sie haben mir, lieber Freund, fing er mit scheinbarer Ruhe an, alle meine Rechnungen durchgesehn und berichtiget? Eduard bejahte es, 247 indem er die Bücher überreichte; er zögerte noch, und wußte nicht, ob er das Testament Eliesars zugleich übergeben sollte. Der Alte nahm es ihm selber aus der Hand und übersah es. Ich bin, fing er an, schon vor drei Monaten zum Universalerben von ihm eingesetzt, im Fall er früher als ich sterben sollte. Er verzeichnet hier alle seine Habseligkeiten und weiset nach, wo sie zu finden sind. Das Wichtigste ist eine Anzahl von Goldbarren, die er selbst will erschaffen haben. Lesen Sie.

Eduard nahm verlegen die Blätter. Nicht wahr, sagte der Alte nach einiger Zeit, der Wahnsinn ist es doch, der alles belebt und regiert? Können Sie sonst diesen Mann und sein Wesen begreifen? Wir begreifen es freilich auch durch dieses Wort nicht. – O junger Mann, junger Mann, fühlen Sie denn nun, wie sehr ich Recht hatte? Diesem vertraute ich unbedingt, weil kein täuschender, verführender Schein ihn umkleidete, weil nichts in meinem Herzen ihm entgegen kam und ich mir nicht selber zu seinem Besten log, um meiner eigenen Eitelkeit zu schmeicheln. Ja, Freund, jetzt ist nun alles entdeckt und offenbar, er scheidet ab und giebt mir in diesem Testamente zurück, was die Rechtsgelehrten mein Eigenthum nennen würden. Testament! Nun ist es freilich auch wohl Zeit, das meinige zu machen, und auch anders, als ich mir vorgenommen hatte. Nun wird Ihr liebes Ehrgefühl auch wohl noch etwas bei mir aushalten können, und mein Kind, mein Röschen – ach! wie fürchterlich, daß dieses geliebte Wesen auch zu den Menschen gehört!

Ich will Ihnen in dieser Stunde, die Ihnen fürchterlich seyn muß, antwortete Eduard, nicht noch einmal meine Wünsche vortragen, Sie selbst haben sich an sie erinnert, sonst würde ich auch diese Worte unterdrücken. Aber freilich 248 muß ich jetzt bei ihnen bleiben, das Schicksal selbst zwingt mich dazu, und legt es mir als eine heilige Pflicht auf.

Gewiß das Schicksal! sagte der Alte mit seinem bittern Lächeln; Sie sind dem Röschen gut, Sie hören, sie ist schon versprochen, das treibt Sie von mir, aber vor dem Abschiede muß Ihrer Ehre genug geschehen, und Sie schießen mir zum Andenken meinen theuersten Vertrauten, den Mann meiner Seele von der Seite. Nun ist Röschen frei, Sie sind ungebunden, der Nebenbuhler fort, und das Schicksal hat alles ganz vortrefflich gemacht. Ob dieser Schuß mir aber nicht selbst ins Herz gegangen ist, ob er mir wohl nicht das innerste Heiligthum meiner Seele zerrissen und zersprengt hat, darnach wird nicht gefragt. Wie eine unendliche Lücke gähnt es aus meinem Geiste herauf, – Vertrauen, – Glaube, – alles – sag' ich doch: das Gute nur ist das wahre Böse. – Eduard, sein Sie nicht so traurig, – mich dünkt, ich spreche ganz irre.

Er faßte die Hand des jungen Mannes. Bringen Sie mir heut Abend den Burgemeister, auch den Prediger und Amtmann als Zeugen. Sie sind jetzt mein Sohn, und in diesem Sinne werde ich mein Testament machen: ich fühle, es ist die höchste Zeit, denn es wäre fürchterlich, wenn der Helbach mit meinem Vermögen wüthen sollte. – Könnte ich nur diesen Schuß und den Eliesar erst ganz vergessen, gingen nur nicht mehr so wilde Gedanken durch mein Gehirn. Nun bleiben Sie und Röschen bei mir.

Eduard entfernte sich. Er suchte Röschen in ihrem Zimmer auf. Sie weinte laut, sprang vom Stuhle auf und stürzte dem jungen Manne mit dem Ausdruck der innigsten Herzlichkeit in die Arme. Ach Eduard! rief sie schluchzend, und verbarg ihr Haupt an seiner Brust: sehn Sie nun wohl, was ich alles in meiner Jugend erleben muß. Das wurde 249 mir nicht an der Wiege gesungen, daß ich so schrecklich, noch vor der Hochzeit, um meinen Mann kommen sollte. Und am wenigsten konnte es mir einfallen, daß Sie ihn todtschießen würden, Sie, der liebste und freundlichste aller Menschen, Ach! der arme, der arme Eliesar! Schon von Natur so ein häßlicher, kleiner, wiederwärtiger Mensch! Und dazu nun noch stehlen, lügen und betrügen! Meinen guten Vater, der ihm alles geben wollte, zu berauben! Was wird nun mit seiner armen Seele? Ach ja, der ist noch grausamer umgekommen, er ist noch viel unglücklicher, als damals mein Kätzchen, das die Jungen hatte, und das er so unbarmherzig vom Orangenbaum herunter schoß. Ach! Eduard! Sind Sie denn auch wirklich ein so guter Mensch, wie ich immer geglaubt habe, oder sind Sie auch vielleicht recht böse? Nicht wahr, Sie haben es nicht gern gethan, daß der Eliesar so sterben muß?

Eduard bemühte sich, ihr den Zusammenhang der Sache deutlich zu machen. Beruhigen Sie sich nur, fuhr er fort, unser aller Leben hier hat plötzlich eine gewaltsame Umänderung erlitten, wir alle müssen diese Erschütterung überstehn, um uns wieder in die Bahn des Rechten hinein zu finden. Neulich waren Sie traurig, daß ich fortgehn wollte, wenn Sie das etwas trösten kann, so erfahren Sie, daß ich wenigstens für jetzt noch hier bleibe und hier bleiben muß. Ist es Ihnen denn noch eben so lieb?

Sie sah ihn freundlich und getröstet an. Also das ist nun gewiß? rief sie aus: ach ja! ich glaubte immer, Sie würden bleiben, denn ich kann ohne Sie nicht leben, und mein Vater kann es nicht, und alle die armen Arbeiter und Spinner, die guten Tagelöhner, für die Sie sprechen und handeln, und die bei den Zahlungen, oder wenn sie Hülfe 250 suchen, mit der ganzen Seele an Ihren freundlichen Augen hangen, die können es am allerwenigsten.

Dieses Unglück, sagte Eduard, kann Sie, den Vater, mich und uns alle in Zukunft glücklich machen. Diese Entdeckung mußte geschehn, und vielleicht ward sie, wenn nicht jetzt, zu einer Zeit gemacht, in der wir alle durch sie elend wurden.

Wenn der Vater, sagte Röschen, nun nur nichts dagegen hätte, so könnte ich mich wohl daran gewöhnen, Sie als meinen künftigen Mann anzusehen. Könnt' ich nur etwas mehr Respekt und Furcht vor Ihnen haben! wenn Sie nur manchmal recht barsch gegen mich seyn wollten, nicht immer so freundlich, sondern manchmal böse und grob, so möchte ich mich mit der Zeit darein finden. –

Eduard ging an seine Geschäfte. Nach dem lauten Tumulte war alles jetzt im Hause ruhig und still, es schien, als wenn keiner zu athmen wagte, jedermann ging leise und auf den Zehen. Die Nachricht traf ein, daß Eliesar gestorben sei.

Gegen Abend führte Eduard den Burgemeister und die Zeugen in das Zimmer des alten Balthasar. Er war verwundert, diesen im Bette zu finden. Auf die Anrede der Eintretenden erhob er sich, sah alle starr an, und schien keinen zu erkennen. Aha! der Herr Prediger, rief er endlich aus, Sie kommen, heute schon den zweiten armen Sünder abzuholen. Es geht frisch in Ihrem Beruf. Ist Herr Eliesar mit gekommen?

Er winkte Eduard zu sich. Du gelber Verirrter! sagte er heimlich zu ihm; was soll ich denn mit Deinen Goldbarren machen, die Du mir verschreibst? Laß Dir Deinen dummen Betrug nicht so abmerken, er fällt ja zu deutlich in die Augen. Aber nimm Dich nur vor dem Eduard in Acht, 251 der ist klug und gut. Wenn der einen Verdacht auf Dich hat, so bist Du verloren.

Er sprach mit den andern, aber immer ohne Zusammenhang, wild phantasirend. Der Burgemeister und die Zeugen entfernten sich und Eduard ging, um den Arzt zu holen. Das Geschäft, das Testament abzufassen, wurde aufgeschoben, bis der Kranke wieder hergestellt und zu seinem vollen Bewußtsein gelangt sei.

Der Arzt fand den Zustand des Patienten bedenklich. Eduard wurde in der Nacht gerufen, aber als er in die Thüre trat, war der alte Balthasar schon verschieden. –

Die Verwirrung, die Klage war allgemein. Die Gerichte versiegelten. In diesem Tumulte schien es nur ein unbedeutendes Ereigniß, daß jener Fremde Mittel gefunden hatte, aus seinem Gefängnisse zu entkommen.



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