Ludwig Tieck
Der Alte vom Berge
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nach einer unruhigen, meist durchwachten Nacht traf Eduard am Morgen das liebenswürdige reizende Mädchen auf dem Rasenplatze vor dem Hause. Sie war sehr gesprächig, er desto weniger zu Mittheilungen gestimmt. – O lieber Herr Eduard, sagte Röschen endlich, Sie scheinen 221 mir auch nicht ein Bischen mehr gut zu seyn, da Sie mir so verdrüßliche Gesichter machen.

Ich werde bald, antwortete der junge Mann, Sie und diese Gegend verlassen müssen, und das ist es, was mich so traurig bestimmt.

Müssen? Verlassen? rief Röschen erschreckt aus; giebt es denn ein solches Müssen? Mein Himmel, es ist mir noch niemals eingefallen, daß dergleichen möglich seyn könnte. Ich dachte immer, Sie gehörten so zu uns, wie das große Haus, in dem wir wohnen, oder der grüne steile Berg da drüben.

Ich habe es nun auch, was ich nicht glauben konnte, von Ihrem Vater gehört, daß Sie den Herrn Eliesar heirathen werden, und das recht bald.

Habe ich es Ihnen nicht gesagt? antwortete Röschen; ja, ja, das ist mein Schicksal, und ich wünsche nur, daß ich den traurigen Mann etwas fröhlicher machen könnte. Die Zeit wird mir bei ihm erschrecklich lang währen. Aber vielleicht kann ich denn doch auch einmal in die Stadt kommen, ein Stückchen von der Welt sehn, Musik hören und ein Tänzchen machen, denn ich denke doch, ein alter Mann muß seiner jungen Frau manches zu Gefallen thun. Und bei allen den Sachen hatte ich recht sehr auf Sie gerechnet.

Nein, mein Kind, sagte Eduard ernst und finster, auf mich müssen Sie durchaus nicht rechnen, denn, um die Wahrheit zu sagen, diese Ihre Heirath ist es vorzüglich, die mich zwingt, diese Gegend zu verlassen. Es würde mir das Herz brechen, wenn ich hier bliebe.

Eduard bereute seine leidenschaftliche Uebereilung, daß diese Worte unbedacht seinen Lippen entfahren waren, um so mehr, da er sah, wie sich das reizende Kind entfernte von ihm, wie entsetzt zurück sprang, um dann ihrem bedrängten 222 Herzen in einem Thränenstrome Luft zu machen. Er wollte tröstend ihre Hand fassen, aber sie stieß sie zornig zurück, und sagte dann nach einer Weile, als sie das heftige Schluchzen bewältigt und die Sprache wieder gefunden hatte: Nein, lassen Sie mich jetzt, denn wir sind nun auf immer geschiedene Leute. Ich hätte nie gedacht, daß Sie so schlecht an mir handeln könnten, da Sie mir immer so freundlich waren. Ach Gott, wie bin ich nun verlassen! Ja, meinen Mann Eliesar wollte ich recht herzlich lieben, und ihm alles zu Gefallen thun, denn das muß ihm der Himmel bescheeren, da er ja wie ein Aussätziger oder böser Geist von allen Menschen gehaßt und vermieden wird. Ich kann ihn auch nicht leiden, wenn ich bloß so nach meinem Gefühl gehen wollte, denn er ist durch und durch eine widerwärtige Person. Aber seinetwegen und meinem Vater zu Liebe, ja auch Ihretwillen, Eduard, hatte ich mich so schon darin gefunden, und darum dachte ich, daß Sie nun auch wohl recht gern hier bleiben, und auch für mich wohl etwas thun könnten, im Fall Ihnen hier nicht alles recht seyn sollte.

Wie denn, Röschen, meinetwegen haben Sie sich auch in diesen Entschluß gefunden? fragte der erstaunte Eduard.

O ja, antwortete das Kind, und ihre Augen waren schon wieder freundlich geworden; aber jetzt sehe ich wohl, daß ich meine Rechnung ohne den Wirth gemacht habe. Sie verdienen es nicht, Sie wollen es ja auch nicht, daß ich Ihnen so gut bin. Und wenn Sie nun wirklich fortgehn, so ist es ja was Entsetzliches, daß ich den Eliesar heirathen soll, denn in dieser Einsamkeit, ohne Ihre Hülfe und Ihren Beistand, würde er mir wie ein Gespenst vorkommen.

Wie ist es aber möglich – unterbrach sie Eduard –

Lassen Sie mich ausreden! fiel Röschen lebhaft ein, und nachher will ich fortgehn und wieder weinen, denn das 223 wird nun wohl oft geschehen müssen. Ich dachte so: ist Eliesar finster, so ist Eduard freundlich, den seh' ich nun alle, alle Tage, und er spricht mit mir, er giebt mir wohl Bücher, denn mein Vater, so sagen die Leute doch, hat mir nicht mehr so viel zu befehlen, wenn ich erst verheirathet bin. So konnte ich denn meinen traurigen Ehemann mehr vergessen, und immer an Sie denken, wenn Sie nicht da waren, und mich freuen und glücklich seyn, so wie Sie nur wieder zu mir kamen. Lebt man doch auch so, und die Prediger befehlen es einem sogar, halb mit dem Herzen im Himmel und mit der andern Hälfte auf der finstern Erde. So hätt' ich Kraft und Muth behalten, den unglücklichen Eliesar auch aufzuheitern, – gehn Sie aber fort, – dann – o woher das Zutrauen nehmen? dann werde ich bald sterben – oder nur wünschen, daß mein Vater, – oder der fatale Mann mir nur recht bald abstürbe – ach! ich bin, nun Sie mich nicht mehr lieb haben, recht unglücklich. –

Sie weinte von neuem, und noch heftiger, als zuvor. Eduard sah sie lange mit dem prüfendsten Blicke an, in tiefes Nachsinnen verloren. Wie die Menschen, so dachte er still bei sich, auf einem dunkeln Wesen nur erst ruhen, Grillen und Abentheuerlichkeiten zum Inhalt ihres Lebens machen, so wächst ihnen auch unter der Hand das Unglück und Entsetzliche von selbst auf. Das Leben ist so zart und geheimnißvoll, so nachgiebig und geistig vielgestaltig, daß es willig alle Keime in sich aufnimmt. Das Böse wuchert fort und fort, und bringt aus der Unterwelt die berauschenden Trauben und den Wein des Entsetzens hervor. In dieser Kindheit und Einfalt schlummern schon die furchtbarsten Begebenheiten und Gefühle der Zukunft, wenn Zeit und Gelegenheit das Reifen der Keime befördern: und lockend steht der böse Geist in meiner Nähe, um mich als Gärtner 224 in diesem reizenden Garten der gräßlichen Früchte anzustellen.

Er erwachte aus seinem Nachdenken und sagte mit Wehmuth: liebes Kind, Du verstehst Dich, Dein Schicksal und die Welt noch nicht. Ich bin nicht leichtsinnig genug, um auf Deine Gedanken einzugehen, oder sie Dir in Deiner unschuldigen Jugend zu bestärken. Was Du wünschest, kann auf keinen Fall geschehn, und nach einem Jahr, wohl noch früher, wirst Du einsehn, wie unmöglich es ist. Wir beide würden elend, und uns im Unglück gegenseitig verachten. Lenke der Himmel Dein Schicksal; aber, eben weil ich Dich liebe und achte, kann ich Dich nicht verderben. Bete zu Gott, er wird Dir beistehn.

Er spricht auch schon ganz wie der Vater! rief Röschen und entfernte sich, halb wehmüthig, halb zürnend, und Eduard ging sinnend in seine Wohnung. Hat Balthasar denn doch am Ende Recht? sagte er zu sich selber; ist die menschliche Natur so durch und durch verderbt? Oder muß Kraft, Vorsatz, Vernunft eben das in uns so wie in aller Zeit in Tugend und Adel verwandeln, was sonst, verwahrlost, zur Bosheit und Niedrigkeit würde? –

Er schrieb einen langen Brief an Herrn Balthasar, und sagte ihm noch einmal bestimmt, daß er die Gegend und sein Haus verlassen müsse, wenn die Heirath Eliesars und Röschens unumstößlich beschlossen sei. Daß er gern auf jenes Vermögen verzichte, wenn der reiche Mann ihn nur einigermaßen in seinen künftigen Lebensplanen unterstützen wolle. Er machte den Vater aber noch einmal auf das Unpassende, ja auf das Schreckliche dieser projektirten Verbindung aufmerksam. Er beschwor ihn, das Glück seines Kindes mit festerm, unpartheiischerm Auge anzusehn: zugleich aber erbat er sich noch eine, die letzte Unterredung, und die 225 Gewährung einer Bitte, die ihm der Alte erfüllen müsse, wenn Eduard mit Ehre, ruhigem Gewissen, und ohne sein Leben hier zu bereuen, dieses Gebirge verlassen sollte.



 << zurück weiter >>