Ludwig Tieck
Der Alte vom Berge
Ludwig Tieck

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Im ganzen Gebirge galt der Name des Herrn Balthasar; denn jedes Kind kannte den reichen Mann und wußte von ihm zu erzählen. Alle Menschen liebten ihn aber und ehrten ihn auch, denn er war eben so gut, als vermögend, nur fürchteten sie sich ebenfalls vor ihm, denn er quälte sich und andere mit vielen Sonderbarkeiten, die keiner begriff, und seine Melankolie, sein schweigsamer Ernst drückte vorzüglich diejenigen, die ihn zunächst umgaben. Keiner hatte ihn seit vielen Jahren lächeln sehn, fast niemals verließ er sein großes Haus, welches oben über dem Gebirgstädtchen lag, dessen Häuser und Bewohner fast alle sein Eigenthum und ihm angehörig waren, weil er die Menschen zu seinen Fabriken, Bergwerken und Alaungruben herbei gezogen hatte. Dieser kleine Fleck des Landes war daher sehr bevölkert und von der größten Thätigkeit belebt. Maschinen arbeiteten und sausten, Wasser rauschten, Wagen und Pferde gingen und kamen, die Pochwerke lärmten: nur war durch die rauchenden Kohlen, die dampfenden Gruben und die schwarzen Schlacken, die weit umher in vielen Haufen hoch aufgethürmt lagen, die finstere abgelegene Gegend noch düsterer, und kein Reisender, der, um sich zu erfreuen, die Natur aufsuchte, mochte lange in diesem finstern Bezirke verweilen.

Unter der großen Menge, welche durch die ausgebreitete Thätigkeit und vielfachen Geschäfte vom alten Balthasar abhängig waren, schien keiner das Vertrauen des reichen 148 Mannes in so vollem Maße zu genießen als Eduard, der, jetzt einige dreißig Jahre alt, die Oberaufsicht über die Werke und Fabriken, so wie die Rechnungsbücher führte. Groß und wohlgebildet, immer heiter und gesprächig, stach er sehr von seinem finstern und einsilbigen Vorsteher ab, der früh gealtert war, und dessen dürres, runzelvolles Antlitz, dessen trauriger, matter Blick aus den eingesunkenen Augen jedermann eben so zurückschreckte, wie die frohe Miene Eduards zum Vertrauen und zur Hingebung anlockte.

Es war noch sehr früh an einem Sommertage, als Eduard nachdenkend in die rauchenden Thäler hinabsah, die Sonne war hinter schweren Wolken, und die niedrig ziehenden Nebel, die sich mit dem schwarzen Dampf der rauchenden Gruben vermischten, verhinderten die Aussicht und wickelten die Landschaft wie in grauen Flor. Er überdachte seine Jugend, und wie er, gegen alle seine früheren Vorsätze, in diesem finsteren, abgelegenen Gebirge festgehalten sei, das er wahrscheinlich, da er sich schon dem reiferen Mannesalter näherte, nicht wieder verlassen würde. Indem er sich in Gedanken verlor, eilte neben ihm der junge Wilhelm, ganz reisefertig, wie es schien, hastig vorüber, ohne ihn nur zu grüßen. Der junge Mensch erschrak, als er im Vorübereilen den sinnenden Eduard bemerkte, und mochte dessen Fragen nur ungern Rede stehen.

Wie? rief Eduard, Sie wollen uns schon wieder verlassen, junger Mann, da der Herr Sie erst vor drei Wochen nach vielen Bitten und langer Ueberredung von uns beiden aufgenommen, und Ihnen Ihren neulichen, plötzlichen Austritt verziehen hat?

Ich muß fort! rief der junge Mensch: halten Sie mich nicht auf! Ich muß undankbar scheinen; aber ich kann nicht anders.

149 Ohne Abschied, erwiederte Eduard, ohne Urlaub? Was soll man von Ihnen denken? Auch wird Herr Balthasar Sie entbehren, denn es ist jetzt Niemand da, um Ihre Schreiberstelle zu versehen.

Theuerster Herr, rief der Jüngling bewegt, wenn Sie meine Lage kennten, so würden Sie mich nicht schelten oder tadeln.

Hat der Herr Sie beleidigt? Haben Sie eine Ursach zu klagen?

Nein! nein! im Gegentheil! rief der junge Mann erschüttert: der alte Herr ist die Güte selbst, ich erscheine schlecht und nichtswürdig, aber ich kann mir nicht anders helfen. Entschuldigen Sie mich, so gut Sie es mit Ihrem Wohlwollen und Gewissen vermögen.

Sein Sie ein Mann! rief Eduard, indem er ihm die Hand gab und ihn fest hielt. Sie können hier Ihr Auskommen finden und Ihre künftige Wohlfahrt begründen; verscherzen Sie nicht zum zweitenmale so muthwillig mein und des Herren Zutrauen. Wir nahmen Sie auf, als Sie ohne Zeugnisse, ohne Empfehlung, fast ohne Namen zu uns kamen: der alte Herr ging von allen seinen Grundsätzen Ihretwegen ab, die sonst unerschütterlich sind; ich habe mich gewissermaßen für Sie verbürgt; wollen Sie unser Vertrauen so vergelten, und sich auf so leichtsinnige Weise verdächtig machen? Und können Sie darauf hoffen, nach einem Monat oder später wieder aufgenommen zu werden?

Der geängstete Jüngling riß sich mit Ungestüm los und rief: Ich weiß es ja, daß ich mir diese Freistätte, in welcher es mir so wohl ging, wo ich mich so glücklich fühlte, auf immer verschließe. Elend und Noth warten meiner und die herbeste Strafe für eine zu leichtsinnige Jugend: wer aber kann für sein Schicksal? Rennt der Wagen stürzend 150 den Abgrund hinunter, so genügt keine Menschenkraft, um ihn aufzuhalten.

Wenn Sie aber nur Ehrgefühl besitzen, antwortete Eduard, wenn wir nicht alle an Ihnen irre werden sollen, so müssen Sie gerade jetzt bleiben, da ich überdies nicht begreife, welche Gewalt Sie so plötzlich von hier vertreiben kann. Sie wissen, wie schon seit lange die theuersten und kostbarsten Tücher aus dem Magazine entwendet worden, ohne daß man noch dem Verbrecher hat auf die Spur gerathen können. –

Ich muß auch dies über mich ergehen lassen, rief Wilhelm, schnell erröthend. An mir ist nichts mehr zu retten, und ich habe nichts mehr zu verlieren, drum verdiene ich auch die gute Meinung des Redlichen nicht, sei er selbst der Geringste meiner Brüder. – Mit diesen räthselhaften Worten eilte der junge Mensch hinweg, ohne sich noch einmal umzusehen. Eduard schaute ihm nach und bemerkte, wie er eilig sich nach der kleinen Stadt wendete, durch die Straßen derselben mehr rannte als lief, und sich jenseit nach dem Fußsteige kehrte, um einen steilen Felsen zu erklimmen. Von dort verlor er sich in der Einsamkeit des Gebirges.

Der Nebel hatte sich indessen etwas verzogen, und man sah von oben, wie grüne Inseln, unten die von der Morgensonne erleuchteten kleinen Thäler mit Wald und Busch, dazwischen die halbversteckten Häuserchen und Hütten, die sich an Hügel und Felsen lehnten.

Ein alter Bergmann, der, entfernt von hier, in den Gruben arbeitete, die dem Fürsten zugehörten, trat jetzt verdrüßlich zu Eduard. Wieder umsonst herüber gelaufen! rief er verdrüßlich: ich wollte den jungen windigen Patron sprechen, und nun hör' ich von dem Pochjungen schon in der 151 Stadt, daß er eben hindurch gestrichen ist und kein Mensch sagen kann, wohin er rennt.

Was habt Ihr mit ihm, mein lieber Kunz? fragte Eduard.

Was hat man mit so jungem Volk! erwiederte der mürrische Alte. Da habe ich ihm ein kurioses Bergbuch drüben von dem uralten weißköpfigen Steiger, der schon seit drei Jahren blind ist, kaufen müssen: das Ding hatte der kuriose Graukopf aus Neugier und Naseweisheit selbst in der Jugend aus dem Buche eines durchreisenden Tyrolers abgeschrieben, auch alle die närrischen Bilder nachgerissen. Da er es nun aus Blindheit nicht mehr lesen kann, so habe ich es für den jungen Herrn Lorenzen, unsern Wilhelm hier, gekauft. und nun ist der Fant über alle Berge.

Was enthält denn das Büchelchen? fragte der Inspector Eduard.

Sehn Sie nur selbst, fuhr jener fort, allerhand Geister- und Gespenstergeschichten, Nachweisungen, wo man droben im Hochgebirge Gold und Diamanten in Höhlen und Sandgruben, an entlegenen, unzugänglichen Plätzen findet; es sollen noch Merkmale aus uralten Zeiten an Felsensteinen und Bächen eingehauen und angeschrieben stehen; mit großen Platten oder Kieseln, auf eigene Weise gelegt, sollen kundige Italiäner vor zwei- und dreihundert Jahren die Stellen gemarkt und gezeichnet haben, die jetzt freilich, wie mir der Steiger sagt, schwer zu finden sind, weil auch die Berggeister und Kobolde, die nicht gern gestört seyn wollen, oft die kennbaren Blöcke wieder verrückt und anders gestellt haben.

Eduard lachte, indem er das seltsame Büchelchen durchblätterte. Spott' Er nur nicht, junger Herr, rief der Alte: Er ist auch von den Superklugen, Neumodigen. Wenn Ihm 152 einmal, wie mir wohl geschehen ist, tief unten in der Einsamkeit, vom Himmel und aller Welt abgeschieden, nur die Lampe bei Ihm, und kein Ton als sein Hammer zu erhorchen, der hohe schreckliche Berggeist erschiene: was gilt's, Er würde auch ein ander Gesicht ziehen, als jetzt hier, in der freundlichen Morgensonne? Lachen kann jeder, aber das Schauen ist nicht Vielen vergönnt, und noch Wenigern, sich als Mann zu fassen, wenn ihnen einmal die Augen aufgethan werden.

Ich will Euch, lieber Alter, erwiederte Eduard freundlich, das Buch bezahlen und es unserm Wilhelm aufheben, bis er etwa wiederkommt.

Ha ha! rief der Bergmann (indem er herzlich lachte, und das Geld einsteckte) und heimlich lesen und studiren, und an Sonn- und Festtagen etwa die geheim versteckten Gänge aufsuchen. Laßt Euch nur dann nicht thören, junger Mann, ticken und erschrecken, und habt Ihr gefunden, alsdann haltet fest. Seht, der Herr des Gebirges, oder der Alte vom Berge, wie ihn manche auch nennen wollen, hat das Ding gut begriffen, der ist den Geistern und Elfen und Kobolden auf die reichsten Taschen gerathen, und sie haben ihm ausbeuteln müssen.

Wen meint Ihr? fragte Eduard halb verwundert. und zugleich wollte er mit einer gewissen Empfindlichkeit dem Alten das beschmutzte Buch wieder zurück geben, indem er sagte: hebt unserm Freunde, da Ihr mir so wenig traut, oder vielmehr mich für so thöricht haltet, das Schatzkästchen selber auf, und gebt dem Steiger nur sein Geld.

Nein, rief der Alte, was einmal übergeben und bezahlt ist, muß in der Hand des Käufers bleiben, das ist ein heiliges Gesetz, sonst sind der Steiger und ich verfehmt. – Aber wen ich unter dem Alten vom Berge, oder dem Herrn 153 des Gebirges meine? Das wißt Ihr nicht, und seid wohl schon zwölf Jahre hier und drüber? Euren großen mächtigen Fabrikanten, Bergwerksinhaber, Kaufherrn, Goldmacher, Geisterseher, den Allmächtigen, den Millionair, den Balthasar nennt ja die ganze Welt so. Und Ihr stellt Euch wohl auch zum Ueberfluß so an, als wenn Ihr es nicht wüßtet, woher er seine unmenschlichen Reichthümer hat? Ja, ja, mein Guter, der alte blasse Brummbär hat sie an seinem Schnürchen, die Geister, Wochen ist er oft abwesend und drinnen bei ihnen, in ihren heimlichen Kammern: da zählen sie ihm auf, da brechen sie die alten Kronen von einander, und geben die Diamanten in seine dürren Hände, da klopfen sie mit den geweihten Ruthen an die Steinwände, und auf den Bächen müssen die Wasserjungfern von unten herauf schwimmen, und ihm Korallen, Perlen und Türkisse ausliefern. Gold achtet er kaum noch, das die kleinen Kobolde ihm aus dem Sande waschen, und ihm dann in Kugeln und Körnern, wie die Bienen, sammeln, und in den Stock, wie Honig, tragen. Ja, ja, mein bester, jungbärtiger Allerweltsweisheitskrämer. Darum ist der Alte auch immer so traurig und darf niemals lachen, darum wird er verrückt, wenn er zufällig Musik hört, die aller frommen Menschen Herz erfreut, darum geht er in keine Gesellschaft, und ist immer griesgrämig, weil er wohl weiß, welches Ende er nehmen muß, wovon ihn alle die irdische Herrlichkeit nicht zurück kaufen kann, weil er Gott abgesagt hat, und kein Mensch ihn noch jemals in einer Kirche gesehen hat.

Das ist das Hassenswürdige, rief Eduard bewegt aus, des Aberglaubens, der sonst nur unsere Verachtung verdient, der, wenn er nicht auf diese Art Sinn und Herz verdürbe, von seiner poetischen Seite uns Freude machen und die Phantasie seltsam ergötzen könnte. Schämt Ihr Euch nicht, 154 Alter, vom tugendhaftesten, wohlthätigsten Manne so zu denken und zu schwatzen? Wie viele Menschen ernährt sein verbreitetes Geschäft und macht sie wohlhabend, wie theilt er mit jedem Bedürftigen den Segen, durch den der Himmel seine Thätigkeit belohnt! Er denkt, wacht, sorgt, schreibt und arbeitet, um Tausende zu ernähren, die ohne ihn darben und unbeschäftigt seyn würden, und da das Glück alles, was er verständig unternimmt, begünstigt, so ist der Aberwitz frech genug, seinen Verstand, den er nicht begreifen, seine Tugend, die er nicht würdigen kann, durch das Abgeschmackte der Dummheit zu erniedrigen.

Glück! lachte der Bergmann: Ihr sagt Glück, und meint mit dem allerdümmsten Wort etwas ausgesprochen zu haben: das ist dasselbe, was ich meine und glaube, nur aber ohne allen Verstand gesagt, wobei man sich gar nichts denken kann. Mein Schatz: Erde, Wasser, Luft, Berg, Wald und Thal sind keine todten, leblosen Hunde, wie Ihr vielleicht meint. Da wohnt, handthiert allerlei, das Ihr so vielleicht Kräfte nennt: das leidet es nicht, wenn ihm die alte stille Wohnung so umgerührt, aufgegraben, mit Pulver unter dem Leibe weggesprengt wird: die ganze Gegend hier, meilenweit umher, raucht, dampft, klappert, pocht, man schaufelt, webt, gräbt, bricht auf, wüthet mit Wasser und Feuer bis in die Eingeweide, kein Wald wird verschont, Glashütten, Alaunwerke, Kupfergruben, Leinwandbleichen und Spinnmaschinen, seht, das muß Unglück oder Glück dem bringen, der die Wirthschaft und den Spektakel anrichtet, ruhig kann es nicht abgehn. Wo keine Menschen sind, da sind die stillen Berg- und Waldgeister, werden sie nun zu sehr gedrängt, denn in gewisser Nähe und Ruhe vertragen sie sich gut mit Menschen und Vieh, rückt man ihnen zu scharf auf den Leib, so werden sie tückisch und bösartig, da giebt's dann Sterben, 155 Erdbeben, Ueberschwemmungen, Waldbrand, Bergfall, oder was sie nur zu Stande bringen, oder man muß sie hart zwingen, dann dienen sie freilich, aber wider Willen, und je mehr sie einbringen, um so weniger sind sie am Ende gutmüthig. Seht, junger Herr, das ist, was Ihr Glück nennt.

Der Streit wäre wohl noch nicht zu Ende gewesen, wenn sich ihnen nicht jetzt ein ältlicher Mann genaht hätte, dem Eduard, wenn er nur irgend konnte, gern aus dem Wege ging. Diesmal aber kam Eliesar zu schnell, und hatte so viel von Geschäften zu berichten, daß der Oberinspector jenem, der die Webereien unter sich hatte, Rede stehen mußte. Eliesar war ein kleiner, kränklicher Mann, eigensinnig und verdrüßlich, fast noch mehr als sein Oberherr, der Alte vom Berge, wie ihn Kunz, nach der Weise der Landschaft dort, genannt hatte. Gestern hörte ich, sagte Eliesar, von einer Kutsche, die im nächsten Städtchen soll übernachtet haben, ich sprach im Vorbeigehn unserm Wilhelm davon, und nun ist dieser Mensch, der über meine Nachricht zu erschrecken schien, auf und davon. Der Herr wird noch einmal seinen Schaden und Aerger an solchem hergelaufenen Volle haben, dem er so oft mehr, als erprobten alten Freunden vertraut.

Er betrachtete das sonderbare Büchelchen, las und schien erfreut. Gefällt Euch das thörichte Werk, sagte Eduard, so will ich Euch ein Geschenk damit machen, im Fall unser Wilhelm nicht wieder kommt, für den ich es gekauft habe.

Danke, danke recht sehr, sagte Eliesar schmunzelnd, indem er die stechenden kleinen Augen erhob und ein sonderbar grinsendes Lächeln sein gelbes häßliches Gesicht noch mehr entstellte. – Euch ist es Ernst mit Eurer Tugend, sagte der alte Bergmann, und die Wahrsagungen des Erdgeistes sind auch bei dem kranken Herren da besser aufgehoben, als bei 156 einem solchen muntern Sorgenfrei. – Er ging von der andern Seite, der Stadt entgegen gesetzt, den Berg hinunter, um sich zu seiner Grube zu begeben, indessen der zerstreute Eliesar schon in seinem neuerworbenen Buche mit großem Eifer zu lesen schien.

Indem bemerkte Eduard, wie sich ein Fuhrwerk aus dem Thale, von der Seite des Waldes her, zum Berge empor arbeitete. Sollten wir Besuch erhalten? rief er verwundert aus. – Ei was! erwiederte Eliesar, es ist ja des alten Herrn Fuhrwerk, das er den Leuten drüben wieder zur Hochzeit geliehen hat, und die zweite Kutsche ist zur Taufe, nach dem fernsten Bergdorf hin, gegeben worden. Zwei Equipagen, die er selbst niemals braucht, da er nicht aus dem Hause geht, und Fuhrmann und Bediente immer für fremdes Bettelvolk auf den Beinen, das es ihm nicht einmal dankt, wenn Wagen und Pferde zu Grunde gehen, und von vier zu vier Jahren neue angeschafft werden müssen.

Können Sie diese wohlthuende Freundlichkeit wirklich tadeln? erwiederte Eduard; doch Eliesar machte es überflüssig, den Streit fortzusetzen, da er sich mit seinem Buche schnell davon machte, ohne nur noch einmal den Redenden anzusehen. Eduard fühlte sich erleichtert, als ihn der gehässige Menschenfeind verlassen hatte, der bei jeder Gelegenheit seinen Wohlthäter bitter lästerte. Die Kutsche strebte indessen die zweite Höhe hinan, und aus dem langsamen und unsichern Schritte der Pferde konnte man schließen, daß diese aus der Ebene seyn müßten. Es blieb dem Beobachtenden auch nicht mehr zweifelhaft, daß das Fuhrwerk fremd sei und wohl einen unvermutheten Gast herbei führe. Keuchend und schwer arbeitend zogen die Rosse endlich die Kutsche die letzte Anhöhe hinan, und eine ältliche Dame stieg vor dem großen Hause aus, indem sie die Aufwärterin mit 157 dem Diener und Fuhrwerk nach dem Gasthofe der Stadt schickte.

Eduard war verwundert, da ihm die Frau, deren Antlitz noch verrieth, daß sie einst schön gewesen, völlig unbekannt war. Sie erlauben mir wohl, sagte sie mit einer wohlklingenden Stimme, daß ich hier im Vorhause einen Augenblick ausruhe, alsdann wünsche ich den Herrn Balthasar zu sprechen.

Eduard war verlegen und führte die Frau mit Aengstlichkeit zu einem Sitze der Vorhalle. Wenn es Ihnen gefiele, sagte er dann, so würde ich Sie auf den Saal begleiten und Ihnen ein Frühstück reichen lassen. –

Ich danke für Alles, rief sie sehr bewegt, was ich einzig wünsche, ist ein Gespräch mit dem Herrn des Hauses. Ist er schon aufgestanden? In welchem Zimmer werde ich ihn finden?

Das weiß keiner von uns, antwortete Eduard: bevor er nicht selbst sein Zimmer eröffnet, darf Niemand zu ihm gehen, und noch ist es verschlossen. Er pflegt aber früh aufzustehn, und, wie er selbst sagt, nur wenig zu schlafen. Ob er sich so früh in der Einsamkeit mit Lesen beschäftigt, ob er betet und andächtig ist, weiß keiner zu sagen, weil er gegen Jedermann zurückhaltend ist. Aber Sie anmelden, – auch nachher? – ich weiß nicht; denn wir alle haben den gemessensten Befehl, niemals einen Fremden zu ihm zu lassen. er spricht nur die Beamten und Diener in Geschäften zu gewissen Stunden, und von dieser Regel ist er in den zwölf Jahren, seit ich ihn kenne, niemals abgegangen. Fremde, die etwas zu suchen haben, müssen mir oder dem Herrn Eliesar ihr Verlangen vortragen, das wir entweder sogleich selbst schlichten, oder, wenn dies nicht unmittelbar von uns geschehen kann, ihm alsdann den Bericht abstatten, ohne 158 daß er den Fremden jemals sieht. Diese grillenhafte Einrichtung, wenn Sie es so nennen wollen, macht seine Einsamkeit unzugänglich, und das ist es gerade, was er beabsichtigt.

Gott! rief die Frau tief erschüttert: so sollte also diese Reise, mein Entschluß, alles vergeblich gewesen seyn? Denn wie sollte ich Worte oder Ausdrücke finden können, Ihnen, einem ganz Fremden, meine Wünsche und Bitten zu vertrauen? O Lieber, Theurer, Ihr Auge redet und verkündigt Gefühl, gehn Sie um meinetwillen, einer Unglücklichen, Tiefbekümmerten wegen nur einmal von der strengen Sitte des Hauses ab und melden Sie mich dem Herrn.

Indem hörte man den lauten Schall einer großen Glocke. Das ist das Zeichen, sagte Eduard, daß er zu sprechen und sein Zimmer geöffnet ist: ich will alles für Sie thun, was Sie wünschen, aber ich weiß im voraus, daß es vergeblich ist, und daß ich mir seinen Zorn zuziehe, ohne Ihnen nützen zu können.

Er ging mit schwerem Herzen über den langen Corridor, weil es ihn schmerzte, der edeln Gestalt, die ihn rührte und interessirte, nicht helfen zu können. Der alte Balthasar saß in tiefen Gedanken, das Haupt auf den Arm gestützt, hinter seinem Arbeitstische: er sah heiter und freundlich aus, als ihn Eduard begrüßte, und reichte ihm die Hand. Als der junge Mann nach einer langen Einleitung, die ihn entschuldigen und den Alten begütigen sollte, eine Geheime-Räthin, geborne Fernich nannte, fuhr der Alte, wie vom Blitz getroffen, mit einem schrecklichen Aufschrei schnell von seinem Stuhle auf. – Die Fernich? Elisabeth? rief er dann, wie entsetzt, – diese, diese ist hier? hier in meinem Hause? Mein Gott, – o Himmel, schnell, schnell soll sie herein 159 kommen! O so eilen Sie doch, mein lieber Freund, rief er noch einmal, indem ihm die Stimme brach.

Fast erschreckt ging Eduard zurück, um die Fremde zu Balthasar zu führen. Zu dieser hatte sich indessen die junge Tochter des Hauses gefunden, ein angenommenes Kind, welches aber vom Alten zärtlich geliebt, und ganz wie ein eigenes gehalten wurde. Die Fremde zitterte, und war, als sie in das Zimmer des Alten trat, einer Ohnmacht nahe, der Alte trocknete seine Thränen und konnte keine Worte finden, als er die bleiche Frau in den Sessel niederließ: er winkte und Eduard verließ das Zimmer, sehr besorgt um seinen alten Freund, den er niemals so bewegt gesehn hatte, und zu welchem er durch diesen sonderbaren Auftritt in ein neues Verhältniß gesetzt wurde.

Es ist schön, Röschen, sagte er zu dem jungen, blühenden Mädchen, daß Sie die fremde Dame indessen unterhalten haben.

Es wollte sich nicht recht fügen und schicken, antwortete sie erröthend, denn sie war so matt und erschöpft, daß sie auf alles, was ich sagen mochte, nur Thränen hatte. Sie mag wohl krank seyn, oder ein schweres Anliegen auf dem Herzen haben. Ich bin ganz traurig geworden, und habe auch schon geweint. Die Augen in unserm Kopf sind doch ganz so wunderlich, wie die kleinen Kinder. Herumfahren, gaffen, alles Neue betrachten; das glänzt und blinkt vor Freude, und dann werden sie so ernst und trübe, und wenn einem das Herz recht weh thut, laufen sie über und plätschern in Thränen, bis sie wieder hell und freundlich sind. Es giebt wohl viel Leiden auf Erden, mein lieber Eduard?

Der Himmel behüte Sie vor recht traurigen Erfahrungen, antwortete der junge Mann: bis jetzt ist Ihr junges 160 Leben noch so friedlich wie ein Schwan über den stillen Teich hingestrichen.

Sie meinen, rief sie lachend, unser eins hätte nicht auch schon seine Leiden, und recht bittere und schmerzende gehabt? Weit gefehlt!

Nun? fragte Eduard gespannt. –

Es fällt einem nicht gleich bei, woran man leidet, sagte das freundliche Mädchen: warten Sie einmal. Denke ich an manches große Unglück in der Welt, wovon ich wohl habe reden hören, so will es freilich nicht viel bedeuten, was ich erlebt habe, indessen ist für kleine Menschen, wie ich einer bin, kleines Elend schon groß genug. Ist es denn nicht ein wahres Leiden, daß ich niemals Musik hören darf? daß ich nicht weiß, wie der Mensch aussieht, oder wie ihm zu Muthe ist, wenn er tanzt? Ach, liebster Eduard, letzt, als wir ausgefahren waren, kamen wir dort unten, jenseit der Stadt bei der Schenke vorbei, wo die Bauersleute tanzten; – das Springen, die Töne der Geigen, das sonderbare Jubeln im Takt machte einen so wunderlichen Eindruck auf mein Gemüth, daß ich nicht sagen konnte, ob ich froh, oder recht tief betrübt war. Hier in der Nähe, weder in der Schenke noch sonst wo, darf ja jemals Musik seyn. Wenn ich von Comödien, Opern höre, – ich kann es mir nicht vorstellen, daß dergleichen Wunderwerk wirklich und wahrhaftig in der Welt sei. Die Lichter, die vielen geputzten Menschen, eine ordentliche Bühne, und auf der eine Geschichte vorgespielt, an die ich glauben soll: giebt es etwas Kurioseres? Und ist es denn nicht ein wahrer Jammer, daß ich hier alt werden soll, ohne jemals in meinem ganzen Leben auch nur ein kleines Blickchen in diese Herrlichkeiten hinein zu thun? Sagen Sie, Lieber, Sie sind doch auch ein guter Mensch, ist denn dieser Wunsch, oder die Anstalt selbst Sünde? Herr Eliesar 161 sagt es freilich, und mein lieber väterlicher Oheim nimmt es auch so an, ihm ist auch alles dergleichen verhaßt, aber König und Obrigkeit lassen es doch zu, gelehrte Leute billigen es und schreiben und dichten die Sachen: kann es denn da wohl so gottlos seyn?

Liebes Kindchen, sagte Eduard mit der größten Freundlichkeit, wie leid thut es mir, daß ich Ihnen nicht einmal diese unschuldige Freude verschaffen kann. Aber Sie wissen selbst, wie strenge Herr Balthasar in allen diesen Sachen ist.

Ja wohl, erwiederte sie: dürfen die Bergleute doch hier im Städtchen nicht einmal musiziren; dürfen wir doch nicht eben über eine Stunde weit ausfahren; sind ja doch sogar die lustigen Bücher und Gedichte und Romane hier im Hause verboten. Und oben ein wird unser einem immer Angst gemacht, daß so viele Gedanken, Vorstellungen, und was man sich so in vielen einsamen Stunden ausmalt, gottlose Sünde seyn sollen. Da sinne ich mir so kleine Geschichtchen aus, von allerliebsten Geisterchen und schönen Landschaften, und wie der Müller in seinem Mühlbach seine Liebste findet, die nachher eine Fürstin ist und ihn zum König macht, oder wie der Fischer in den Fluß stürzt, und unten ganz wunderbare und glänzende Herrlichkeiten antrifft. Die kleine Schäferin spielt mit den Lämmern auf der Weide und ein schöner Prinz, der auf einem großen Pferde sitzt, reitet vorbei und verliebt sich in sie. Wenn dann die Abendglocke in der Dämmerung schallt, und der Wind vom schwarzen Berge da das Hämmern und Pochen herüber bringt, oder ich den fernen Zainhammer vernehme, so kann ich weinen und bin doch eigentlich im Herzen fröhlich. Aber der böse, finstere Eliesar, dem ich so etwas einmal erzählen wollte, schalt mich aus und sagte, so was auszudenken sei die allerärgste Sünde 162 und Bosheit. Und ich kann doch nichts dafür, denn es kommt mir alles so ganz von selbst.

Liebes, unschuldiges Wesen, sagte Eduard und faßte die Hand des aufblühenden Mädchens. – Ihnen, fuhr diese fort, kann man so alles sagen, und Sie verstehn auch alles auf die rechte Weise, die andern schelten aber gleich, weil sie jedes falsch nehmen. So war auch meine alte Wärterin, die nun gestorben ist. Sie waren schon lange im Hause, als ich dachte, ich könnte Ihnen nichts sagen und vertrauen, wie ich noch so ganz klein war, und mit meiner Puppe spielte. Lieber Himmel, das ist nun schon ganzer zehn Jahre her, daß ich die Clärchen, wie sie damals hieß, nicht mehr mit Augen gesehen habe. Meiner alten Brigitte, und dem Vater, und Eliesar, und der Köchin dachte ich alles sagen zu können, weil sie so ernst waren; Sie lachten immer, und da glaubte ich, daß Sie gar nicht eigentlich zu uns gehörten. Wenn nun die Betstunde kam, so durfte ich nicht Clärchen ansehn, oder gar mitnehmen, die wurde alsdann in den Schrank geschlossen. Das that mir so weh, ich glaubte nehmlich, sie weinte nach mir. So macht' ich es doch möglich und nahm sie heimlich unter mein Tuch, und drückte sie recht warm und fest an meine Brust, und wie wir in die Betstube kamen, flehte ich heimlich Gott zu allererst an, daß er es mir vergeben möge, wenn ich mein Clärchen vielleicht zu lieb hätte, er möchte auch verzeihen, so groß und mächtig wie er sei, daß ich sie heimlich in seine hohe Gegenwart mitgebracht hätte, er solle es mir nicht als Betrug oder Verachtung seiner auslegen, denn er wisse ja, daß dem nicht so sei. Nach dieser Vorrede sprach ich nun beruhigt, wie ich glaubte, die gewöhnlichen Gebete und war andächtig. Das gelang mir wohl acht Tage: da entdeckte die Brigitte die Sache. Ach Himmel! Das gab einen großen Lärmen. Der 163 gute Vater sagte auch, so sei das menschliche Herz von allerfrühester Jugend verderbt und böse, daß es Götzendienst mit dem Nichtigen und Verächtlichen treibe. Ich verstehe noch jetzt nicht, was er damit gemeint hat. Wenn man einmal etwas liebt, so ist es ja so schön und muß so seyn, daß ich es nicht zu nahe prüfe: was ist die Rose, wenn ich sie zerdrücke? Sie ist so hinfällig, und darum so lieb. Konnte mein Clärchen was dazu, daß sie nur ein Püppchen von Leder war? In voriger Woche betrachtete ich sie einmal wieder, und konnte selbst nicht begreifen, wie ich sie damals so lieb haben konnte, und doch hätte ich fast darüber weinen mögen, daß mir von damals doch nun auch jetzt kein Gefühl mehr möglich sei. Und Untreue kann dies jetzt doch eben so wenig seyn, wie meine Liebe vor zehn Jahren Götzendienst und Bosheit war.

Lieber Engel, sagte Eduard nicht ohne Rührung, unser Herz übt sich an den sichtbaren, vergänglichen Gegenständen in der Liebe zum Ewigen. Wenn ich ein Kind so zärtlich und unschuldig mit selbst geschaffnen Figürchen spielen und in Liebe und Freude über das leblose Wesen weinen sehe, so möcht' ich glauben, daß sich in dieser Stunde Engel zu dem kleinen Menschen gesellen und freundlich um ihn scherzen.

Ach! rief Röschen aus, das ist ein allerliebster Gedanke!

Wenn sich aber, fuhr Eduard fort, Herz zu Herzen wahrhaft neigt, wenn sich zwei Gemüther in der Liebe finden und verstehn, so ist in diesem Glauben und Fühlen auch der Unsichtbare für alle Ewigkeit gegenwärtig.

Das verstehe ich wieder nicht, sagte das Mädchen nachdenkend; wenn Sie aber die Liebe meinen, die zu einer Heirath nothwendig ist und für die wahre glückliche Ehe, so denke ich darüber ganz anders.

164 Und wie denn? fragte der junge Mann.

Das ist schwer zu sagen, erwiederte die Kleine mit tiefsinniger Miene.

Wenn Sie nun also, sagte Eduard halb gerührt, indem er sich zum Lachen zwang, um sein Gefühl zu verbergen, morgen etwa heirathen müßten, wen würden Sie wählen? Welcher Mann ist Ihnen von allen, die Sie bis jetzt kennen gelernt haben, wohl der allerliebste? Haben Sie wohl Vertrauen genug zu mir, mir das recht aufrichtig zu sagen?

Warum nicht? erwiederte sie: denn ich brauche mich auch gar nicht zu besinnen – –

Und – und der schon Auserwählte?

Ist ja natürlich unser Eliesar.

Eduard fuhr höchst überrascht zurück. – Erst verstanden Sie mich nicht, sagte er nach einer Pause, – aber jetzt haben Sie mir ein Räthsel gesagt, das mich erschreckt.

Und die Sache, erwiederte sie ganz unbefangen, ist doch die natürlichste von der Welt. Ich glaube auch, daß mein Vater schon die Einrichtung getroffen hat, daß der gute Eliesar künftig mein Mann werden soll. Wenn ich Sie liebte und wählte, so wäre das nichts Besonderes, denn Sie gefallen mir und jedem Menschen, alle Welt muß Vertrauen zu Ihnen haben, dabei sind Sie hübsch, immer freundlich und vergnügt, so daß man kaum, wenn man Sie nur erst kennt, ohne Sie leben möchte. Solchem Menschen, wie unserm Wilhelm, werden tausend Mädchen gut seyn, und Schade ist es, daß er uns schon wieder weggelaufen ist. Selbst der alte Kunz, auch mein Vater sogar, müssen in ihren jüngern Jahren hübsch gewesen seyn, – aber sehn Sie einmal den armen Eliesar an, der noch gar nicht so sehr alt ist, und den kein Mensch im Hause, ja wohl in 165 der ganzen Welt keiner leiden kann, – was soll der doch wohl anfangen, wenn ich mich seiner nicht annehme?

Wie, unterbrach sie Eduard, ein so ungeheurer Mißverstand sollte dies schöne Leben verzehren? Kann die Verwirrung dunkler Gemüther denn auch die reine Unschuld ergreifen, und muß die Liebe selbst ein Gewand finden können, um den gespenstischen Aberwitz als edles Opfer und vernünftige Resignation aufzuschmücken?

Heut verstehn wir uns gar nicht, fuhr sie ruhig fort. Es ist ja nicht, daß ich ihn wirklich liebe; weiß ich doch noch gar nicht, was uns diese Liebe vorstellen und bedeuten soll. Um nun wieder von den Leiden meiner Jugend zu sprechen, wovon wir anfingen. Als mir mein Clärchen noch sehr lieb war, hatte ich auch ein Kätzchen hier im Hause, das mein kindisches Herz eben so in Anspruch nahm. Ich bildete mir sogar ein, die Puppe und das weiße freundliche Thierchen müßten meinetwegen recht böse auf einander seyn. Herr Eliesar verfolgte und haßte aber alles, was einer Katze nur ähnlich sah, denn er nennt sie boshaft. Der Aberglaube scheint allgemein zu seyn. Wo sich nur die schmiegsamen Wesen zeigen, schreit alles, auch die freundlichsten Menschen: Katz! Katz! und hetzt und jagt nach ihnen, als wenn sie in jeder der unschuldigen Creaturen den Antichrist verscheuchen könnten. Darum sind sie denn freilich auch mißtrauisch und lauersam. Mein Kätzchen hatte Junge, die eben nach dem neunten Tage die blauen Aeugelchen aufgethan hatten. Was das für Kinder Spaß und Lust ist, die Mutter mit den Jungen zu sehen, und die possirliche Freude der Kleinen, und ihr Hüpfen und Fallen und Springen, das kann kein Großer begreifen. An demselben Tage hatte Herr Eliesar eine neue Windbüchse bekommen, die er gern probiren wollte. Dem Vater hatten sie schon seit lange vorgesprochen, mein 166 Thierchen suche und fresse die Singvögel. Es spaziert da hinten im Garten und klettert aus Muthwillen auf den größten Orangenbaum. Gleich schießt sie Eliesar herunter, und sie ist todt, und die Kleinen mußten nun auch ersäuft werden. Noch nie war er mir so braun und garstig vorgekommen, so gar wenig wie ein Mensch. In der Nacht betete ich, daß Gott ihn auch möchte sterben lassen. Aber schon am Morgen, so kindisch ich auch noch war, fiel es mir aufs Herz, wie er selbst am unglücklichsten sei, daß er kein Wesen lieben könne, und daß ihn weder Mensch noch Thier lieben möge. Und so denk' ich noch jetzt. So widerwärtig wie er ist, findet er kein Herz auf Erden, wenn ich ihn im meinigen ausstreichen wollte.

Liebes Röschen, sagte Eduard jetzt ruhiger, Sie werden sich nicht übereilen, und diesen Gedanken gewiß in Zukunft noch aufgeben.

Mir ist es, fing sie wieder an, indem ihr die Thränen in die klaren Augen stiegen, eigentlich eben so wie den armen kleinen Kätzchen gegangen, nur daß mich der liebe Gott nicht so kläglich hat ersäufen lassen. Aber ich habe auch meine Mutter nicht gekannt, ihr wurde es nicht so gut, mich zu erziehen, sie ist bald nach meiner Geburt gestorben. Mein Pflegevater hier ist so gut, aber es muß doch noch ein ganz anderes Gefühl seyn, einen wirklichen Vater zu haben; der ist aber auch im Grabe. Nun, bei alledem, ich dächte wir hätten da für mein junges Leben Unglücks genug zusammengebracht.

Liebstes Röschen, fing Eduard wieder an, würde es Ihnen wohl auch schmerzhaft seyn, wenn Sie mich so recht unglücklich wüßten? oder wenn ich auch nicht mehr da wäre?

Ach! guter, lieber Freund, rief sie aus, bringen Sie mich nicht zum Weinen. Ich sage Ihnen ja, mir ist noch 167 kein Mensch so lieb gewesen, wie Sie. Aber so glücklich und froh, wie Sie sind, wie Ihnen alle Menschen gut sind, da können Sie leicht meine Liebe entbehren. So ist es mir aber nicht mit Ihnen.

Der Diener kam und rief Eduard ab, zum Alten hinüber. Das Gespräch mußte bedeutend gewesen seyn, denn Balthasar so wie die Fremde schienen in Thränen aufgelöst, so sehr sich beide auch wieder zu fassen suchten. Führen Sie, sagte der alte Mann mit der weichsten Stimme, mein lieber Freund, mein guter, theurer Eduard, die fremde Dame nach dem nächsten Gasthof, nehmen Sie aber gleich viertausend Thaler in Gold und Wechseln mit aus der Casse. Nur kein Mensch, ich vertraue Ihnen, muß von unserm Geschäft wissen, am wenigsten Eliesar. Denken Sie, der Unmensch hat drei höchst wichtige Briefe der Armen an mich unbeantwortet gelassen. Daß er sie mir nicht zeigte, kann ich ihm zur Noth vergeben, da er die Vollmacht dazu von mir hat.

Es geschah nach seinem Willen, und die Fremde reisete nach Mittage getröstet wieder ab, ohne ihren alten Freund wieder besucht zu haben.



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