Ludwig Tieck
Der Alte vom Berge
Ludwig Tieck

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Der Gang zum alten Fabrikherrn wurde dem jungen Eduard sehr schwer. Recht betrübt und drückend lag ihm das ganze Schicksal des Menschengeschlechts auf der Brust. Peinigend war ihm die Ueberzeugung, daß auch schon in der süßesten und reinsten Unschuld alle Wurzeln der Bosheit und Sünde liegen, die nur von Zufall und Laune zum Wachsen gebracht werden dürfen, um ihre heillosen Früchte zu zeigen. Seine Lage hatte sich so sehr verändert, daß er das Haus, in dem er so lange einheimisch, die Gegend, die ihm lieb geworden war, nur erst recht weit hinter sich wünschte, um alle Erinnerungen dieser Zeit mit sicherer Hand nach und nach auslöschen zu können. Sehn wenigstens wollte er das Heillose nicht, was sich hier nach seiner Ueberzeugung nothwendig aus der Finsterniß der Gemüther entwickeln müsse: zugegen wollte er nicht seyn, weil er sich die Stärke nicht zutraute, daß seine Leidenschaft und Schwäche nicht auch bei dem einbrechenden Unheile mitwirken könne. So sehr er den Gedanken an dergleichen jetzt verabscheute, so wußte er doch wohl aus Beobachtung und Erfahrung, daß der Mensch nicht immer gleich, und auch der Beste nicht in allen Stunden mit gleicher Kraft bewaffnet ist: daß auch die Sophistik unserer Leidenschaften allen guten Gesinnungen und Entschlüssen am gefährlichsten in den Weg tritt.

Er fand den Alten in ernster Stimmung, aber nicht bewegt, wie er gefürchtet hatte. Sein sie mir gegrüßt, rief ihm Balthasar entgegen, obgleich Sie mich verlassen wollen. Wie ich Ihre Abwesenheit ertragen soll, begreife ich noch 226 nicht, so wenig ich wüßte, wie ich ohne Licht und Wärme leben sollte; aber doch werde ich es lernen müssen, wenn nichts Ihren Entschluß ändern oder umstoßen kann.

Mein väterlicher Freund, fing Eduard an, können Sie denn bei Ihrem, mir unbegreiflichen, Entschlusse bleiben? Ist es Ihnen durchaus unmöglich, mein Glück, und auch gewiß das Ihrer Tochter, zu begründen?

Ich hatte gehofft, lieber Freund, antwortete der Alte sehr mild, Sie würden diese Saite gar nicht wieder berühren, die allzu schmerzlich durch mein ganzes Wesen erklingt. Ueberzeugen Sie sich doch, daß ich diesen längst gefaßten Entschluß, den Sie vielleicht eine Grille nennen, unmöglich zurücknehmen kann, weil er allzufest in mein Leben verwachsen ist. Was wir so nach sogenannten Ueberzeugungen, nach raisonnirendem Hin- und Herdenken thun, ist selten weit her. Alles Feste, Eigenthümliche, Wahrhafte unsers Wesens ist Instinkt, Vorurtheil, nennen Sie es Aberglaube. Ein Abschluß ohne Frage und Untersuchung, ein Handeln, weil man nicht anders kann. So ist dies bei mir. Stellen Sie es sich als ein Gelübde vor, einen Schwur, den ich mir selber gethan habe, und den ich nicht verletzen kann, ohne gegen mein Herz auf die ruchloseste Art meineidig zu werden. Ich bin diesem guten, armen Eliesar einen großen Ersatz schuldig, daß ich so viele Jahre hindurch Widerwillen, Bitterkeit und Groll gegen ihn in meinem Gemüthe gehegt und genährt habe. – Und das Glück der Beiden? – Ueber diesen Punkt denke ich eben ganz anders als Sie. Er ist weise, verständig, tugendhaft, er ist schon jetzt glücklich und wird es bleiben, er mag heirathen oder nicht. Er läßt sich ja mit seinem ernsten Wesen zu meiner Tochter nur herab. Ein Mann, der den Stein der Weisen im Besitz hat, ist von den irdischen Armseligkeiten nicht mehr gefährdet. Und meine 227 Rosalie? O lieber Freund, es wäre ja eben entsetzlich, wenn ich sie Ihnen zur Frau geben wollte; das Wesen, dies Kind, was ich so lieb haben muß, und mit Reue und Wehmuth in mein Herz schließen, ginge ja auch in weltlicher Lust zu Grunde, in Eigenwillen und Scherz, in Zerstreuung und Wildheit. Sie würden ihr ja aus Liebe in allen Thorheiten nachgeben, und jene und sich unglücklich machen. Nein, es kann nicht, unter keinen Bedingungen seyn, und Sie selbst werden mir in Zukunft für meine vernünftige Verweigerung Dank sagen. Und nun kein Wort mehr, Theuerster, über diesen Gegenstand, jetzt zu Ihrer andern Bitte, die ich Ihnen gewiß zugestehe.

Eduard ging mit düsterm Sinn an den Vortrag, an die Herrechnung des Schadens, der durch die Räubereien, die auf unbegreifliche Art geschahen, veranlaßt wurde: und wie man dem Thäter jetzt endlich, bevor Eduard die Gegend verlasse, auf die Spur gerathen müsse. Der Alte wollte abbrechen, aber Eduard erinnerte ihn an sein feierliches Versprechen. Am meisten wehrte sich Balthasar gegen den Vorschlag, den ihm der junge Mann that, heimlich einen Selbstschuß im Magazine anzulegen, durch welchen der freche Räuber endlich gefunden und gestraft werden müsse. Dem Alten schien dies Mittel gottlos, unerlaubt und mit einem vorsätzlichen Morde nahe verschwistert. Eduard suchte diese Vorstellung zu widerlegen und sagte endlich: Sie sind es sich und mir schuldig, diesen Vorschlag, den ich auch nicht unbedingt anpreisen möchte, der hier aber der einzige rettende ist, anzunehmen. Ich brauche Ihnen nicht noch einmal die Summe zu nennen, die schon seit länger als drei Jahren Ihnen geraubt ist, sie macht ein großes Vermögen aus, ein so großes, daß mancher Wohlhabende an diesem Verlust wäre zu Grunde gegangen. Ihre unbegreifliche Nachsicht 228 hat den Dieb, der die Gelegenheiten genau kennen muß, so dreist gemacht. So oft gewacht wurde, ist nichts geschehen. Aber, wenn wir wieder sicher waren, haben uns Riegel und große Vorlegeschlösser, keine noch so kluge Maßregel, gefruchtet. Den unschuldigen Wilhelm und so manchen andern haben wir in Verdacht gehabt. Sie können es nicht leugnen, Ihr Argwohn muß und wird auf allen Personen, von denen Sie umgeben sind, abwechselnd ruhen. Wie kann sich nur Ihr edles Herz mit diesem abscheulichen Gefühl vertragen, daß Sie auf Minuten diejenigen, denen Sie Liebe und Vertrauen schenken, der ehrlosesten Niederträchtigkeit fähig halten? Sie thun hundert Menschen, die ehrlich und edel sind, das schreiendste Unrecht, um einen einzigen Bösewicht durch eine Milde zu schonen, die ich Schwachheit, und unter diesen Umständen eine unerlaubte Schwachheit nennen muß. Nun verlasse ich Sie in wenigen Tagen. Es ist möglich, daß dem Diebe die Gelegenheit fehlt, daß ein anderer Aufseher es besser trifft, daß er Sie veranlaßt, strenger zu seyn und sich mehr Furcht verbreitet; die Räubereien bleiben aus: können Boshafte, vielleicht der Dieb nun selbst, damit er niemals entdeckt und jede Untersuchung vereitelt werde, nicht ausbreiten: ich selbst sei jener abscheuliche Dieb? Gewinnt die Sache nicht dadurch die größte Wahrscheinlichkeit, da keiner freilich so sicher als ich selbst zu jenen Gütern gelangen konnte? Was hilft es mir in der Ferne, wenn Sie mich vertheidigen und die Verläumdung niederschlagen wollen? Wird Ihre neue Milde, so wie die jetzige unnatürliche Nachsicht, nicht das abscheuliche Gerücht in die größte Wahrscheinlichkeit, ja in unumstößliche Wahrheit verwandeln? Von wo, mit welchen Mitteln soll ich mich alsdann rechtfertigen? Und, geliebter, verehrter Freund, sollte denn in Ihrem finstern Gemüthe, der Sie im Handeln Freund der Menschen 229 und in Grundsätzen Menschenfeind sind, nicht selbst jener Argwohn aufstehen, sich ausbreiten, und nach und nach zur Ueberzeugung werden, ich sei der Thäter? –

Balthasar sah ihn an und ging schweigend einigemal im Zimmer auf und ab. Er kämpfte mit sich selbst und schien ganz im Nachsinnen verloren. Sie haben nicht Unrecht, sagte er nach einer langen Pause, Sie haben vielmehr vollkommen Recht. Sie wissen, wie ich von Reichthum und Besitz denke. Beide sind mir fürchterlich. Mir schien, es geschehe mir ganz recht, und wäre gleichsam eine kleine Vergütigung beim Schicksal über mein unbegreifliches Glück, daß mir auf einer Seite doch wieder entrissen werden, was mir von zehn andern her so reichlich zuströmte. Bald meinte ich, der oder jener erringe den Besitz, weil er ihn bedürfe, und verdiene ihn gewissermaßen durch die List und Klugheit, wodurch er ihn sich zu verschaffen wisse. Es setzte sich ein Aberglaube bei mir fest, ich wollte vorsätzlich nicht klar sehn, um nicht einen wunderlichen Traum und ein unbestimmtes Gefühl in mir zu zerstören. Es that mir weh, so viele meiner Leute, ja alle in Verdacht zu haben, und doch auch wieder wohl, daß ich von keinem überzeugt seyn konnte. Ja, Freund, auch Ihnen, auch Ihnen habe ich Unrecht gethan. Sie kennen mich so ziemlich, und ich bitte Ihnen jetzt ab. Ich dachte manchmal im Stillen, ohne Ihnen deshalb böse zu seyn: Je nun, er nimmt sich im voraus, was er durch Mühe, Nachtwachen und Sorgfalt aller Art reichlich verdient hat; er kann ja nicht wissen, ob Dich nicht ein plötzlicher Tod dahinrafft, er hat vielleicht arme Verwandte, er will sich wohl glänzend etabliren, er hat vielleicht ähnliche Begriffe vom Eigenthum, wie Du selber. Dies war hauptsächlich der Grund meiner Milde und Schwäche, wie Sie 230 sie nennen, vorzüglich als nach Wilhelms und mancher andern zweideutigen Menschen Entfernung die Sache nicht besser wurde. Selbst Ihr großer Eifer, Eduard, Ihr Zorn, auch dies stimmte meinen Argwohn gegen Sie. Ich sagte wohl zu mir selbst: warum fragt er, warum streitet er so viel? Ich habe ihn ja in dieser Sache ganz unumschränkt gemacht; läge es ihm so an Herzen, er würde ja auf die und jene Art, klug oder gewaltsam, die Entdeckung schon befördert haben. Ich mußte ja doch alles billigen, was zu meinem eignen Besten geschehen war.

Ein ungeheurer Schmerz erfaßte während dieser Rede den jungen Mann, er fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Mit dem Ausdruck der Verzweiflung warf er sich in den Sessel, stützte sich tief beugend Hand und Kopf auf den Tisch, und ein Thränenstrom, der brennend aus den Augen stürzte, ein krampfhaftes lautes Schluchzen machten endlich seinem Herzen etwas Luft, das zu brechen drohte. Der Alte sah mit Erstaunen diese ungeheure und unerwartete Wirkung seiner Rede, die er mit kalter Ruhe, selbst mit Freundlichkeit vorgetragen hatte. Er suchte den jungen Mann zu trösten und zu begütigen, er richtete das Haupt auf, er trocknete die Thränen vom Gesicht, das noch immer den Ausdruck des tiefsten Schmerzes und der Verzweiflung ihm entgegen hielt. Er umarmte den Freund, er suchte nach Worten, wieder gut zu machen, den Sturm zu beschwichtigen, den er herauf gerufen hatte. O mein Himmel! rief er endlich aus, als er sah, daß alle seine Bemühungen vergeblich waren: was soll ich thun? Eduard! ich habe es ja gar nicht so böse gemeint! Ich denke ja nur von andern, was ich mir selber zutraue. Ich liebe Dich ja, junger Mann, mehr wie irgend einen, den ich habe kennen lernen, Du bist mir ja wie Sohn, 231 daher meine verkehrte Milde bei meinen unwahren Gedanken. Du mußt mir alles, alles vergeben, theuerster Eduard, ich will ja alles, alles thun, was Du von mir verlangst.

Als sich Eduard endlich etwas gesammelt hatte, sagte er mit matter Stimme, oft noch von krampfhaftem Schluchzen unterbrochen: nein, nein, Edelster, Redlichster aller Menschen, nie, niemals wären sie bis zum elenden Diebe hinabgesunken! Keine Noth, nicht Hunger und Blöße, keine noch so lockende Gelegenheit konnten Ihren hohen Sinn jemals so tief erniedrigen. Sie sagen es auch nur, mich zu beruhigen. O Himmel! dieser Mann, der mir innige Liebe und unbedingtes Vertrauen bewies, der mir Summen, ohne nachzuforschen, in die Hände gab, um seiner Wohlthätigkeit Genüge zu thun, um Hungrige zu speisen und Kranke zu pflegen, dieser nehmliche Freund konnte in derselben Zeit mich solcher Schändlichkeit fähig halten! Sehn Sie, sehn Sie nun, wie gefährlich es ist, so finstere Geister und Gespenster in sein Gemüth aufzunehmen, die endlich alle Wahrheit, Liebe, Kraft und Vertrauen aus unsrer Seele vertreiben? O du helle, reine Wahrheit, o du ungefälschte Tugend! Wie erscheint nur dieser Mann seit diesem unglückseligen Worte, und wie komme ich mir selber vor! Wie furchtbar, wie entsetzlich hat sich mein Verhältniß zu ihm geändert! Mir ist, als ginge dadurch, daß man an die Möglichkeit glaubt, eine solche, wie dieser sie glaubt, ein Schatten des Lasters und der Verworfenheit in mich hinüber! denn dieser Edle war ja doch bisher der Spiegel meines Werthes, vor dem ich mir meiner Güte, meiner Redlichkeit bewußt wurde. Kann, kann alles in unserm Herzen sich durch eine einzige Minute so umgestalten? Ja, theurer, väterlicher Freund, ich ehre, ich liebe Sie immerdar, ich bewundere Sie, indem ich Sie beklage, aber auch ohne weitere Ursachen hätte dieses Gespräch 232 uns geschieden, dieses allein, ohne Rücksicht auf mein Glück und Unglück, treibt mich von ihnen in die weite Welt.

So sind wir denn also durchaus geschieden, sagte mit großer Wehmuth der Alte, durch das Schicksal, nicht durch meine Schuld. Man kann alles bezwingen, nur nicht sein eigenstes Selbst. In mir ist der Argwohn nicht das Schlimme, wozu Ihr überreiztes Ehrgefühl, wie ich es noch bei keinem Menschen gesehn habe, es mit seiner Auslegung macht. Aber so lange verweilen Sie, theuerster Freund, ohne welchen mein Leben auf lange Zeit ohne Inhalt seyn wird, bis ich Ihnen Ihr Vermögen in sichern Papieren mitgeben kann. Denn diesen Lohn müssen Sie als von einem Vater annehmen, wenn Sie mich nicht zu tief demüthigen wollen.

Sie umarmten sich, und der Alte gab die unbedingte Erlaubniß, alles so anzuordnen, wie Eduard es für gut finden würde, den Dieb zu entdecken und zu strafen. Eduard hatte sich wieder gefaßt, und der Alte war ganz Milde und Weichheit. Sie besprachen noch andere Angelegenheiten, und Eduard nahm einige Bücher mit, um Rechnungen durchzusehen und zu berichtigen. Umarmen Sie mich noch einmal recht herzlich, sagte der Alte, und vergeben Sie mir auch von Herzen. Eduard kehrte wieder um und sagte nach der Umarmung: theuerster Freund, was habe ich Ihnen in Ihrem Sinne zu vergeben? Das Wort paßt nicht. Was ich in diesen Minuten erlebt habe, kann ich niemals wieder vergessen, und diese Erschütterung wird bis in mein spätestes Alter hinein zittern. Des Menschen Herz, unsre Seele, Mensch und Gott sind mir durch diesen furchtbaren Blitzesschlag wie ein Anderes geworden. In Ihrem Sinne können Sie mir auch nicht zürnen, wenn ich jetzt halb im Scherz noch sage, daß ich, hätten Sie nur meine Maßregel 233 nicht erlaubt, in der Ferne glauben konnte, Sie selbst hätten sich, wer weiß aus welchen künstlichen Absichten, so geschickt und listig beraubt, vielleicht eben auch, um auf diesen und jenen einen Verdacht zu erregen.

Sie haben nicht ganz Unrecht, sagte Balthasar. Eduard stand wieder in der Thür. Warten Sie noch einen Augenblick, junger Mann! rief ihm der Alte zu. Eduard kehrte noch einmal um. Jetzt aber, da er dem Alten wieder näher trat, war er erstaunt, dessen Gesicht und den Ausdruck seiner Augen so ganz verwandelt zu finden. Ein feuriger, schneller Blick funkelte ihn wie ungewiß an. Sie sind, begann der Alte, von den Wahrheiten unsrer christlichen Religion, wie ich weiß, überzeugt, Sie lesen fleißig und mit Erbauung in der Bibel. Sie glauben auch den historischen Theil, und Ihnen ist die Offenbarung eine wirkliche: die Vernunft, die Allegorie, die kritischen gelehrten Erklärungen genügen Ihnen nicht. Nicht wahr? Sondern Sie sind ein wahrer Christ mit Herz und Seele?

Gewiß, antwortete Eduard.

Jene Erzählung, fuhr der Alte fort, wie der Heiland von dem Bösen in der Wüste versucht wurde, ist Ihnen keine Parabel, oder Allegorie, oder mythische Sage ohne Bedeutung, sondern Sie glauben, dem wahren Christus, dem Sohne Gottes, sei dieses mit den dort angegebenen Umständen und Fragen und Antworten begegnet?

Was wollen Sie damit? fragte Eduard zögernd nach einer Pause. Ja, ich glaube an diese Erzählung als ächter und orthodoxer Christ.

Nun? fuhr der Alte fort, indem sich die blassen, geschlossenen Lippen zu einem sonderbaren Lächeln verzogen. Zweierlei will ich damit, was ich kaum zu erwähnen brauchte, wenn Sie jemals über diesen Umstand tiefer nachgedacht 234 hätten. Erstens. wenn sich der Heiland dergleichen muß gefallen lassen, wenn der Argwohn, auch beim Bösen, nur möglich war, so können Sie mir auch wohl aus vollem Herzen vergeben, wenn ich mit der Hälfte, oder dem Viertel des meinigen in manchen Minuten an Ihnen halb gezweifelt habe. Mir däucht, diese tiefsinnige, sonderbare und vieldeutige Erzählung verdammt doch nicht meine Ansicht von der menschlichen Natur so gerade zu. Es sind nicht eben Gespenster, die mein Wesen in Besitz genommen haben, wenn sie nicht etwa mit Geistern eine und dieselbe Familie ausmachen. Zweitens: hat in Ihren Augen diese Wundergeschichte wohl viel Sinn, wenn die Verlockung gar nicht, durchaus nicht möglich war? – Nun denn, also! Fürchterlich genug wird unser einem und wohl auch Ihnen zu Muthe, wenn man da hinein fühlt und denkt! – Noch möcht' ich ein Drittes als Schluß hinzufügen: – was wurde aus der Welt und den Menschen, aus Himmel und Erde, wenn der Versucher durchdrang? Wenn die Liebe sich verlocken ließ? – O junger Mensch, die Thüren sind nicht allenthalben geschlossen, wo wir sie angelehnt sehn. – Ihr glaubt alles durchmustert zu haben, wenn ihr kaum bis fünfe gezählt habt. – Ich glaubte ja auch, forschte auch, war in Liebe und Andacht aufgelöst, fand die Liebe in meinem und anderer Geiste, und daran ist mein Herz und Leben eben gebrochen, um niemals, niemals wieder sich lebendig zusammen zu fügen. Laßt den Stolz eurer Empfindungen fahren, schwingt euch nicht auf mit der Phantasie, sondern kriecht am Boden wie das Gewürm und eßt den Staub, denn also geziemt es sich.

Mit einem starken Händedrucke, und mit einem wilden Lächeln, plötzlichen Auflachen, welches den jungen Mann entsetzte, riß sich der Alte von Eduard los. Dieser blieb, 235 wie betäubt, noch eine Weile stehen, und als er den Blick endlich erhob, war Balthasar wieder in tiefes Sinnen verloren und stand mit jener finstern, leidenden Miene, die seine gewöhnliche war, an seinem Schreibtische. Eduard hatte die Empfindung, als verließe er einen Sterbenden, indem er fortging, und die große eichene Thür langsam und vorsorglich in das Schloß fallen ließ.



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