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Otto Erich Hartleben

Er selbst hat kein Aufsehen aus seiner Neigung für ausgedehnte Kneipabende gemacht, das besorgten die andern, die sich was darauf zugut taten, daß sie mit Otto Erich – Donnerwetter, und wie! – gebechert hatten.

In München gab es einen Mann, der einen wahren Kultus aus diesen Abenden machte; er war Direktor einer Verlagsanstalt, bekannt in allen Kreisen, in denen man sich amüsierte. Seine ganz großen Tage hatte er, wenn Otto Erich in München war, selbstverständlich bei ihm wohnte, selbstverständlich kolossale Sitzungen bei ihm und mit ihm abhielt.

Wenn der Direktor davon sprach, machte er erschrockene Augen, entsetzt über die ungeheure Menge, die man wieder mal hinter die Binde gegossen hatte.

Und um Hartleben war's schad. Er hat sich mit dieser Neigung Gesundheit und Arbeitskraft zerstört.

Als er, kaum über vierzig Jahre alt, gestorben war, hob Bierbaum in einem Nachrufe rühmend hervor, daß es der kluge, feinsinnige Otto Erich absichtlich vermieden habe, einen Roman zu schreiben; daran dürfe man erst als abgeklärter Fünfziger gehen.

Das war ein versteckter Angriff gegen andre, und eine versteckte Verteidigung der eigenen Unfruchtbarkeit.

Die Wahrheit war, daß Hartleben Jahre vor seinem Tode, von nervöser Unruhe erfüllt und von Schmerzen geplagt, nicht mehr die Fähigkeit zu angestrengter Arbeit hatte.

Und das konnte am meisten bedauern, wer aus seinen Anfängen das Versprechen einer reichen Zukunft herausfühlte.

Als die »Jugend« gegründet wurde, war er längst so anerkannt, daß seine kleinen Beiträge, die er als Halkyonier zeichnete, für begehrte Delikatessen galten.

Zu größerer, alle Kräfte anspannender Arbeit kam er schon damals nicht mehr.

Ich lernte ihn ein paar Jahre später in einer Gesellschaft kennen; er war zuerst zurückhaltend und wortkarg, nach ein paar Stunden harmlos fröhlich wie ein Student.

Einige Tage später fand im Residenz-Theater ein Stück von ihm kühle Ablehnung, und er kam nach der Aufführung zum Kegelabend. Da er einen seiner Freunde und Mitbrüder in Apoll in unserer Gesellschaft antraf, ahnte er, daß wir von dem Unfälle unterrichtet waren.

»Euer schonendes Schweigen ist gutgemeint, aber schauderhaft,« sagte er. »Wir wollen einfach konstatieren, daß ich durchgerasselt bin. So, und jetzt reden wir von was anderem.«

Es war übrigens nicht schwer, zu merken, daß er, wie noch einige andere literarische Berühmtheiten, sich unter den Künstlern des »Simplicissimus« nicht sehr sicher und heimisch fühlte.

Lieber war ihm eine lang ausgedehnte Plauderstunde mit Zunftgenossen, wenn Anekdoten erzählt und Persönlichkeiten durchgehechelt wurden. Bei ihm klang aber kein mißgünstiger Unterton durch.

Nicht lange nach seinem Durchfalle hatte er mit seinem »Rosenmontag« einen durchschlagenden Erfolg, der ihm sehr zustatten kam. Er kaufte ein Haus am Gardasee, wo er sich, wie mir erzählt wurde, nur wohlfühlte, wenn er seine alten Freunde als Gäste bei sich sah.

Er selbst sagte mir in Florenz, wo ich ihn im Frühjahre 1903 traf, daß es ein Fehler von ihm gewesen sei, sich in Italien niederzulassen. Die ganz ungetrübte Freude an diesem sonnigen Lande habe man nur, wenn man auf der Rückreise in Bozen sitze und bestimmt wisse, daß man sich hinreichend gebildet habe. »Der alte Heyse war klüger. Er hat die bella Italia geliebt, aber er hat sich nicht mit ihr verheiratet,« fügte er mit einem Seufzer hinzu.

Zwischen Ansätzen zur Fröhlichkeit klang immer ein resignierter Ton durch.

Langen hatte mir nach Florenz telegraphiert, ich solle Hartleben nach einem Buche fragen, das er schon vor zwanzig Jahren versprochen hatte. Als ich davon anfing, verzog der Halkyonier sein Gesicht zu einer wehrlosen Müdigkeit, zur Hinnahme von etwas Furchtbarem, aber Unvermeidlichem. Ich brach sofort ab und sagte, das sei eigentlich Sache des Verlags und ginge mich nichts an.

»Gott sei Dank!« rief er. »Ich glaubte schon an ein Attentat.«

Er war sichtlich erleichtert und wurde gesprächig.

»Verleger sind schrecklich, wie Zahnärzte,« sagte er, »aber nicht so vernünftig. Ein Zahnarzt versteht, daß man nichts mehr von ihm wissen will, wenn man seine Goldplombe hat. Ein Zahnarzt wartet, bis man zu ihm kommt, er reist einem nicht nach, er fängt einen nicht im Hotel ab …«

Er spann den Vergleich noch weiter aus, und ich sah, daß ihm alles Geschäftliche schwer auf die Nerven fiel. Das Pekuniäre weniger als die drängende Frage nach Arbeiten, zu denen er sich zwingen wollte, aber nicht konnte.

Und das war das Ernste, das hinter einem zur Schau getragenen Leichtsinne steckte.

Zwei Jahre später starb er, und ich hörte in Gardone von einem seiner Freunde die groteske Geschichte von den Schicksalen seines Schädels erzählen.

Er hatte in einer Laune einmal seinen Kopf einem Weimarer Museum vermacht, weil sein Gebiß, wie mir gesagt wurde, irgend eine Abnormität aufwies.

Nach seinem Tode fand sich diese Verfügung in seinen hinterlassenen Papieren, und man wollte dem Willen des verstorbenen Dichters nachkommen. Der Kopf wurde abgetrennt, und ein Lazarettgehilfe in Gardone übernahm es, den Schädel zu verpacken und nach Deutschland zu schicken.

Der Mann war abgehärtet genug, daß er mit dem in Zeitungspapier eingewickelten Kopfe in ein Kaffeehaus ging und ihn neben sich auf den Tisch legte.

Er fiel herunter und rollte auf dem Boden weiter, wobei sich das Papier ablöste, so daß die entsetzten Gäste den Schädel des toten Dichters erblickten.

Das Begebnis sprach sich herum und wurde in den Kreisen deutscher Literaten als charakteristische und amüsante Anekdote besprochen.

Ich finde sie weder unterhaltend noch bezeichnend für Hartleben. Es lag nichts Laszives in seinem Wesen, im Gegenteil, er war ein sehr feinfühliger, zarter Mensch. In ihm hätte sich alles dagegen gesträubt, mit etwas Grausigem, Ehrfurchtverletzendem nach seinem Tode noch Aufsehen zu erregen. Ebenso, wie es ihm ferne gelegen war, mit seiner Freude am Bechern den Anekdotenerzählern Stoff zu geben.

Er hat sich gehen lassen und hat darunter gelitten.

*


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