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Joseph Ruederer

Wir mochten einander nicht, obwohl wir uns persönlich bloß flüchtig kannten und uns eigentlich nur zweimal – im Gerichtssaale als Gegenzeugen und Gegensachverständige – trafen.

Er wurde mir, ich wurde ihm als Widerpart vor Augen gestellt von Leuten, die uns zwei altbayrische Schriftsteller gegeneinander abwägen mußten.

Das hat mir nichts ausgemacht, und ihm wohl auch nicht. Eine kleine Zeitungsfehde, die wir einmal gegeneinander ausfochten, hat bei mir keinen Groll hinterlassen. Er trat, wie es sein gutes Recht war, für den ihm befreundeten Karl Peters ein, und ich konnte ihm das schon darum nicht verübeln, weil mir mein Angriff auf den verdienten Afrikaforscher hinterdrein selber nicht mehr gefiel. Ich hatte einer Aufwallung nachgegeben und mich über die Hinrichtung einer Negerin entrüstet, viele Jahre, nachdem sie geschehen war, und gelegentlich eines Prozesses, in dem die alte Geschichte aufgewärmt wurde. Später sah ich ein, daß sich in der Stube kein Urteil fällen ließ über eine Tat, zu der sich ein Mann inmitten von Gefahren veranlaßt gesehen hatte.

Ruederer schob mir sehr wenig nette Motive unter, die ich nicht gehabt hatte, indes den Ärger darüber hatte ich mir schnell weggeschrieben.

Also davon kam's sicher nicht.

Dagegen war mir seine ganze Art, Land und Leute daheim zu schildern, unsympathisch.

Ich will – um mit dem Weltenrichter Gothein zu sprechen – kein Werturteil abgeben, ich sage nur, daß ich mich dagegen auflehnte, wenn seine mißgünstige und verärgerte Darstellung als scharfe, aber treue Beobachtung hingestellt wurde.

Er hatte die Ansichten eines allem Ländlichen ferne stehenden Städters, und er war in der Art zu urteilen und sein Urteil zu äußern ein waschechter Münchner, so wenig er auch dafür gelten wollte.

In einer kurzen selbstbiographischen Skizze sagt er bündig, was aus seinen Büchern mehr als Stimmung herausklingt.

Er spricht von dem Schnackerlhaften, Spielerischen, das die Oberbayern an sich haben, von ihrer Renommiererei, die Taten ersetzen soll, von der ewigen Holdriogaudi.

Da ist kaum über die Theresienwiese hinausgesehen.

Schon daß er die Oberbayern als Leute für sich bewertet, daß er sie von Stamm und Art trennt, ist bezeichnend falsch.

Auf die Altbayern aber rechts und links von Isar und Inn trifft sein Urteil nicht zu, und es gibt gar nichts zu ihrer Kennzeichnung.

Die betriebsamen Groß- und Kleinstadt- und Marktbürger, die sich getroffen fühlen könnten, bedeuten nichts für die Volksart, der Eindruck, den man von ihnen in München oder in Sommerfrischen gewinnt, kann unangenehm sein, aber er gibt einem kein Recht, über ein großes, tüchtiges Volk absprechend zu urteilen.

Schon in der nächsten Nähe der Hauptstadt sitzt eine arbeitsame Bevölkerung, die sich Eigenart bewahrt hat und von Fremdenindustrie und Holdriogaudi gänzlich unberührt geblieben ist.

Ruederer kannte sie nicht, und das war echt münchnerisch.

In der gleichen selbstbiographischen Skizze erzählt er, daß sein Großvater aus »Odelzhausen im Dachauer Moor« nach München übersiedelt sei. Der Satz ist fürchterlich. » Moos« heißt es, beim Worte »Moor« sträuben sich einem alle altbayrischen Haare.

Zudem liegt Odelzhausen mitten im Getreidelande, der schwäbischen Grenzscheide viel näher als dem Dachauer Moos.

Hätte Ruederer einmal die Heimat seines Vaters aufgesucht und Dorf um Dorf dieses nur seiner Arbeit lebende, ernsthafte, allem Fremden unzugängliche Volk gesehen, er hätte die Oberbayern nicht mehr für schnackerlhaft gehalten und sie nicht aus einer partenkirchner Stimmung heraus beurteilt.

Riezler sagt in seiner Geschichte Bayerns: »Dichter und Maler entzückt das naturwüchsige und eigenartige, sinnliche und bis zum Übermut selbstbewußte Volk, unter dessen äußerem Phlegma so viel starke Leidenschaft gärt, und dessen derbe Kraft Züge der Gutmütigkeit und des schalkhaften Humors wie die blauen Seen seiner dunklen Waldberge durchschimmern.«

Das ist nicht bloß ein liebevolles, es ist ein wahres Urteil und gibt in einem Satze zusammengefaßt das Beste, was sich über unser Volk sagen läßt.

Es ist überall, im Flachland wie in den Bergen, prachtvoll, und ich mache mich keiner »krachledernen Sentimentalität« schuldig, wenn ich das sage. Nimmt man eine Sammlung altbayrischer und – was erst recht dazu gehört – steirischer, kärntnerischer Volkslieder zur Hand, was für eine Fülle von unbändiger Lebenslust, von Kraft, Gescheitheit, Humor und von Talent!

Ein Leben reicht nicht hin, um sich die farbenreiche Mannigfaltigkeit ganz zu eigen zu machen, und der Maler und Dichter kann nicht bloß davon entzückt sein, er kann auch heißhungrig darnach werden, unser Volk und seine wundervolle Tradition immer mehr kennenzulernen.

Ruederer aber schrieb, er betrachte die schonungslose Bloßstellung unserer ewigen Holdriogaudi »als seine ganz besondere Aufgabe«.

Wenn er sich die freudlose Pflicht aufbürdete, die lächerlichen Auswüchse des Fremdenverkehrs zu bekämpfen, so war es seine Sache, aber daß er sie griesgrämig als Entartung des Volkes, als typische Eigenschaften des Stammes hinstellte, verdroß mich und stieß mich ab.

Die »Fahnenweihe« ist eine gut gefügte, heitere Komödie, der eine Partenkirchner Skandalgeschichte zugrunde liegt.

Und doch, wie sind die Typen verzeichnet, gerade weil sie Ruederer in das bäuerliche Milieu stellt! Dem Kundigen drängt sich die Unmöglichkeit der Handlung, der Motive, der Figuren unangenehm auf. Die Übertreibung wirkt nur echt und komisch, wenn sie die auf die Spitze getriebene Möglichkeit darstellt.

Aber die Figuren sind falsch, kostümierte Bauern, die – gleichgültig, ob edler, anständiger, vornehmer oder nicht – einfach ganz anders denken, reden, handeln.

Ruederer verkannte das Milieu, in dem sich die Geschichte abspielte; er blieb am wirklichen Geschehen hängen und machte Bauern zu handelnden Personen, wo nur geschäftstüchtige Kleinbürger eines Kurortes die Motivierung hätten echt erscheinen lassen.

Nun klingt es doch wie Werturteil oder Kritik; ich erwähne es aber nur zur Kennzeichnung von Ruederers Ansichten über die Bauern, über Land und Volk. Diese Ansichten sind keineswegs eigenartig und aus einer treuen Beobachtung genommen, sie sind im Kerne gang und gäbe in München, wo man vom Leben des Bauern sehr wenig oder nichts weiß und ihn für einen dumm-pfiffigen Egoisten hält.

Seit Jahrzehnten spielt in den zahlreichen Komikergesellschaften unserer Hauptstadt der »Gescheerte« die ewig gleiche Rolle mit ewig gleichem Beifall.

Der Steckerlbauer pappt sich eine Stülpnase ins Gesicht, verzieht es zur dummen Grimasse und erregt mit seiner Unkenntnis der feinen städtischen Kultur stürmisches Lachen.

Noch nicht einmal das Aussehen der vor den Toren der Stadt hausenden Bauern ist dem Münchner so vertraut, daß er sich gegen die unechte Maske auflehnt.

»Der Bauer is a Spitzbua …« Das ist die Summe stadtbürgerlicher Meinungen von einem Stand, über den man sich durch Bildung, Zeitungswissen und verfeinerte Kultur erhaben fühlt.

Über die ländliche Treuherzigkeit und Biederkeit kann man doch wirklich nur in ironischem Tone sprechen; sie ernst zu nehmen, steht einem klugen Manne nicht an.

Ich will nicht sagen, daß dies ganz und gar der Standpunkt Ruederers ist, wenn er vom Bauerntheater, von der »Komödie der krachledernen Hosen« auf Bauern, von Kurortunsitten auf ländliche Sitten schließt. Aber es hat sehr viel davon, und sein Grimm ist auch von der Erkenntnis getragen: »Der Bauer is a Spitzbua …«

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