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25. Kapitel

In dem es sämtlichen Hauptpersonen geraten erscheint, Brighton zu verlassen

Als Dobbin im »Schiffshof« zu den Damen geführt wurde, wurde er sehr heiter und gesprächig, was bewies, daß der junge Offizier mit jedem Tage besser zu heucheln verstand. Einmal versuchte er damit seine Gefühle zu verbergen, als er Mrs. George Osborne in ihrem neuen Stande sah, und zum anderen wollte er damit seine Befürchtungen maskieren, wie die schlimme Nachricht, die er brachte, auf sie wirken würde.

»Meiner Meinung nach, George«, sagte er, »wird der französische Kaiser uns mit Kavallerie und Infanterie angreifen, bevor drei Wochen vergangen sind, und dem Herzog einen Tanz liefern, gegen den der Krieg in Spanien ein bloßes Kinderspiel war. Aber weißt du, das brauchst du Mrs. Osborne nicht zu erzählen. Vielleicht kommen wir am Ende gar nicht zum Kampf, und unser ganzes Unternehmen in Belgien erweist sich als bloße militärische Okkupation. Viele teilen diese Ansicht, und Brüssel ist voll von feinen Leuten und vornehmen Damen.« Man beschloß also, Amelia die Aufgabe der britischen Armee in Belgien in diesem harmlosen Licht darzustellen.

Nachdem dieses Abkommen getroffen war, begrüßte der heuchlerische Dobbin Mrs. George Osborne ganz heiter, versuchte, ihr einige Komplimente über ihren jungen Ehestand zu machen (die, wie wir bekennen müssen, außerordentlich ungeschickt waren und jämmerlich verpufften), und fing dann an, von Brighton und der Seeluft und den Vergnügungen des Ortes, den Schönheiten der Reise und den Vorzügen des »Blitzes« und der Pferde zu sprechen – alles das in einer Art, die für Amelia völlig unverständlich schien, für Rebekka aber sehr belustigend war, denn sie beobachtete den Hauptmann, wie jeden anderen, der in ihre Nähe kam, sehr genau.

Die kleine Amelia hatte, wie wir gestehen müssen, keine sehr hohe Meinung von dem Freunde ihres Mannes, Hauptmann Dobbin. Er lispelte, hatte unschöne, grobe Gesichtszüge und war dazu noch sehr linkisch und schwerfällig. Sie konnte ihn wegen der Anhänglichkeit gegenüber ihrem Mann ganz gut leiden (darin lag nur ein geringes Verdienst) und hielt George für ungemein großmütig und gütig, weil er seinem Offizierskollegen Freundschaft schenkte. George hatte vor ihr oft Dobbins Gelispel und seine wunderlichen Manieren nachgeahmt, obgleich er, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, stets hochachtungsvoll von den guten Eigenschaften seines Freundes sprach. In den wenigen Tagen ihres Glückes, wo sie den ehrlichen William noch nicht so genau kannte, machte sie sich nichts aus ihm – und er wußte sehr gut, wie sie über ihn dachte, und ließ es sich demütig gefallen. Es sollte eine Zeit kommen, wo sie ihn besser kennenlernen und ihre Ansicht von ihm ändern würde, aber diese Zeit lag noch fern.

Rebekka kannte Hauptmann Dobbins Geheimnis, noch ehe er zwei Stunden in Gesellschaft der Damen verbracht hatte. Sie konnte ihn nicht leiden und fürchtete ihn insgeheim, aber auch er mochte sie nicht besonders. Er war so ehrlich, daß ihre Künste und Schmeicheleien bei ihm nicht wirkten, und in instinktivem Widerwillen scheute er vor ihr zurück. Und da sie keineswegs so hoch über ihr Geschlecht erhaben war, daß sie keine Eifersucht gekannt hätte, haßte sie ihn wegen seiner Verehrung für Amelia noch mehr. Trotzdem benahm sie sich sehr respektvoll und herzlich gegen ihn. Ein Freund der Osbornes! Ein Freund ihrer teuersten Wohltäter! Sie beteuerte, daß sie ihn stets aufrichtig lieben würde; sie hatte ihn von dem Vauxhall-Abend noch gut im Gedächtnis, wie sie Amelia schelmisch erzählte, und sie machte sich ein wenig über ihn lustig, als die beiden Damen sich entfernten, um sich zum Essen umzukleiden. Rawdon Crawley beachtete Dobbin fast gar nicht. Er betrachtete ihn als einen gutmütigen Einfaltspinsel und als einen unerzogenen Krämerssohn. Joseph begönnerte ihn würdevoll.

Als George Dobbin in dessen Zimmer gefolgt war, nahm Dobbin aus seinem Pult den Brief, den er im Auftrag von Mr. Osborne dem Freund übergeben sollte. »Es ist nicht die Handschrift meines Vaters«, sagte George bestürzt, und das war es auch nicht. Der Brief stammte von Mr. Osbornes Rechtsanwalt und lautete:

Bedford Row, 7. Mai, 1815

Sir,

Ich bin von Mr. Osborne beauftragt, Ihnen mitzuteilen, daß er auf dem Entschluß beharrt, den er früher schon einmal gegen Sie ausgesprochen hat, und daß er Sie infolge der Heirat, die Sie einzugehen beliebten, in Zukunft nicht mehr als Mitglied seiner Familie betrachtet. Dieser Entschluß ist endgültig und unwiderruflich.

Obwohl die während Ihrer Minderjährigkeit auf Sie verwendeten Gelder und die Wechsel, die Sie während der letzten Jahre so reichlich auf Mr. Osborne gezogen haben, bei weitem die Summe übersteigen, auf die Sie rechtmäßig Anspruch erheben können (das heißt den dritten Teil vom Vermögen Ihrer Mutter, der verstorbenen Mrs. Osborne, das bei ihrem Tode auf Sie, Miss Jane Osborne und Miss Maria Frances Osborne fiel), so soll ich Ihnen doch mit teilen, daß Mr. Osborne auf alle Ansprüche auf Ihr Vermögen verzichtet und daß die Summe von zweitausend Pfund mit vierprozentigen Jahreszinsen zum. Tageskurs (das ist das Ihnen zustehende Drittel der sechstausend Pfund) entweder an Sie selbst oder Ihren Beauftragten gegen Quittung ausgezahlt werden kann von

Ihrem gehorsamen Diener
S. Higgs.

PS: Mr. Osborne ersucht mich, Ihnen ein für allemal zu sagen, daß er keinerlei Botschaften, Briefe oder Mitteilungen von Ihnen über diese oder eine andere Frage entgegennehmen wird.

»Das hast du ja hübsch arrangiert«, rief George mit einem wilden Blick auf William Dobbin. »Da, siehst du, Dobbin«, und er warf ihm das väterliche Schreiben zu. »Ein Bettler, beim Zeus, und alles wegen meiner verdammten Rührseligkeit. Warum konnten wir nicht warten? Eine Kugel hätte mich im Laufe des Krieges erledigen können und kann es noch – und wie ist Emmy gebessert, wenn sie als Witwe eines Bettlers zurückbleibt? Das ist alles dein Werk. Du hattest weder Rast: noch Ruhe, bis du mich verheiratet und ruiniert hattest. Was, zum Henker, soll ich mit zweitausend Pfund anfangen? So eine Summe reicht keine zwei Jahre. Seitdem ich hier bin, habe ich allein hundertundvierzig Pfund bei Karten und Billard an Crawley verloren. Du verstehst es wirklich, anderer Leute Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.«

»Es läßt sich nicht leugnen, daß die Lage schwierig ist«, erwiderte Dobbin, nachdem er den Brief mit blassem Gesicht gelesen hatte, »und wie du schon sagst, ist es teilweise mein Werk. Es gibt aber doch noch Leute, die gern mit dir tauschen würden«, setzte er bitter lächelnd hinzu. »Wieviel Hauptleute im Regiment, glaubst du wohl, haben zweitausend Pfund zur Verfügung? Du mußt von deinem Sold leben, bis dein Vater nachgibt, und wenn du stirbst, so hinterläßt du deiner Frau hundert pro Jahr.«

»Du glaubst doch wohl nicht, daß ein Mann von meinen Lebensgewohnheiten von seinem Sold und jährlich hundert leben kann«, rief George zornig. »Du mußt ein Narr sein, daß du so reden kannst, Dobbin. Wie, zum Teufel, kann ich meine Stellung in der Welt mit einem so erbärmlichen bißchen halten? Ich kann meine Gewohnheiten nicht ändern. Ich muß meine Bequemlichkeiten haben. Ich bin nicht mit Haferbrei aufgezogen worden wie MacWhirter oder mit Kartoffeln wie der alte O'Dowd. Denkst du etwa, meine Frau soll den Soldaten die Wäsche waschen oder dem Regiment in einem Gepäckwagen nachfahren?«

»Nun, nun«, sagte Dobbin immer noch gutmütig, »es wird uns schon ein besseres Fahrzeug einfallen. Aber versuch daran zu denken, daß du jetzt bloß ein entthronter Prinz bist, George, mein Junge, und verhalte dich ruhig, solange der Sturm dauert. Lange kann er nicht anhalten. Laß erst mal deinen Namen in der ›Gazette‹ stehen, und ich verspreche dir, daß der alte Vater dann nachgibt.«

»Mein Name in der ›Gazette‹ !« höhnte George. »Und in welchem Teil? Unter den Toten und Verwundeten, und höchstwahrscheinlich an der Spitze der Liste.«

»Pah! Wenn wir verwundet werden, ist Zeit genug zu schreien«, sagte Dobbin. »Und wenn etwas passiert, so weißt du, George, daß ich etwas besitze. Ich gedenke nicht zu heiraten und werde in meinem Testament meinen Patensohn nicht vergessen«, setzte er lächelnd hinzu. Damit endete der Streit – wie schon Hunderte von Unterredungen zwischen den beiden Freunden früher geendet hatten: Osborne erklärte, es sei unmöglich, mit Dobbin lange böse zu sein, und verzieh ihm großmütig, nachdem er ihn ohne allen Grund beschimpft hatte.

»Du, Becky«, rief Rawdon Crawley aus seinem Ankleideraum seiner Frau zu, die sich in ihrem Zimmer zum Essen anzog.

»Was ist?« antwortete Beckys schrille Stimme. Sie blickte über die Schulter in den Spiegel. Sie hatte das hübscheste, frischeste weiße Kleid an, das man sich nur denken kann, und sah mit den bloßen Schultern, einer kleinen Halskette und einer hellblauen Schärpe wie ein Bild jugendlicher Unschuld und mädchenhaften Glücks aus.

»Du, was wird Mrs. Osborne tun, wenn George mit dem Regiment auszieht?« fragte Crawley und trat ins Zimmer, wobei er mit zwei riesigen Haarbürsten auf seinem Kopfe ein Duett spielte und unter seinem Haar hervor sein hübsches Weibchen bewundernd anblickte.

»Ich denke, sie wird sich die Augen ausweinen«, antwortete Becky. »Schon bei dem bloßen Gedanken hat sie bereits ein halbes dutzendmal gewinselt, als ich dabei war.«

»Dir macht es wahrscheinlich nichts aus«, sagte Rawdon, halb ärgerlich über die Gefühllosigkeit seiner Frau.

»Du armer Tropf! Weißt du denn nicht, daß ich mitkommen werde?« erwiderte Becky. »Zudem ist es mit dir ganz anders. Du gehst als General Tuftos Adjutant. Wir gehören nicht zur Linie«, sagte Mrs. Crawley und warf ihren Kopf mit einer Miene in den Nacken, die ihren bezauberten Gatten veranlaßte, sich niederzubeugen und sie zu küssen.

»Rawdon, Lieber – meinst du nicht auch, daß es ganz gut wäre, wenn du das – Geld von Cupido bekämst, ehe er weggeht?« fuhr Becky fort, während sie eine reizende Schleife befestigte. Sie nannte George Osborne Cupido. Sie hatte ihm bereits einige Dutzend Male mit seinem guten Aussehen geschmeichelt. Sie schenkte ihm ihre Aufmerksamkeit, wenn er abends für eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen in Rawdons Zimmer kam, um noch ein bißchen Ekarté zu spielen.

Oft hatte sie ihn einen schrecklichen, ausschweifenden Schurken genannt und ihm gedroht, Emmy von seinem nichtsnutzigen Lebenswandel und seinen unartigen, verschwenderischen Gewohnheiten zu erzählen. Sie brachte seine Zigarre und zündete sie ihm an; sie kannte die Wirkung dieses Manövers, hatte sie es doch schon früher an Rawdon Crawley erprobt. Sie schien ihm lustig, lebhaft, schelmisch, vornehm, entzückend. Bei ihren kleinen Spazierfahrten und Mahlzeiten stellte Becky natürlich die arme Emmy ganz in den Schatten. Amelia war stumm und schüchtern, während ihr Mann und Mrs. Crawley drauflosschwatzten und Hauptmann Crawley und Joseph (nachdem er sich zu dem neuvermählten Paar gesellt hatte) schweigend aßen.

Emmy ahnte nichts Gutes; Rebekkas Witz, ihr Temperament und ihre Talente versetzten sie in schmerzvolle Unruhe. Sie waren erst eine Woche verheiratet, und schon langweilte sich George und suchte eifrig die Gesellschaft anderer! Sie zitterte für die Zukunft. Wie kann ich ihm eine Gefährtin sein, dachte sie, da er so klug und glänzend ist und ich ein so unbedeutendes törichtes Geschöpf bin? Wie edel war es von ihm, mich zu heiraten, alles aufzugeben und sich zu mir herabzulassen! Ich hätte ihn zurückweisen sollen, aber ich konnte es nicht übers Herz bringen. Ich hätte daheim bleiben und mich um den armen Papa kümmern sollen. Zum erstenmal fielen ihr ihre vernachlässigten Eltern ein (tatsächlich war die Anklage des schlechten Gewissens gegen das arme Kind ja nicht ganz unbegründet), und sie wurde schamrot. Oh! dachte sie, wie bin ich doch böse und selbstsüchtig gewesen! Selbstsüchtig, weil ich sie in ihrem Kummer vergaß, selbstsüchtig, weil ich George zwang, mich zu heiraten. Ich weiß, daß ich seiner nicht würdig bin; ich weiß, er wäre ohne mich glücklich – aber ich habe doch immer wieder versucht, ihn aufzugeben.

Es ist hart, wenn solche Gedanken und Geständnisse sich einer jungen Frau aufdrängen, noch ehe sieben Tage der Ehe vergangen sind. Aber so war es nun eben. Am Abend vor Dobbins Ankunft, einem schönen prachtvollen mondbeschienenen Maiabend, so warm und balsamisch, daß die Fenster zum Balkon aufgemacht wurden, standen George und Mrs. Crawley draußen und blickten auf das ruhige Meer hinaus, das vor ihnen glänzte, während drinnen Rawdon und Joseph Puff spielten. Amelia aber hockte völlig verlassen in einem großen Sessel und beobachtete die beiden Gruppen, und es bemächtigte sich ihrer Verzweiflung und Reue, die gewiß bittere Gesellschafter für diese zarte, einsame Seele waren. Kaum eine Woche war vergangen, und so weit war es schon gekommen! Hätte sie die Zukunft ins Auge gefaßt, so hätten sich ihr trübe Aussichten geboten. Aber Emmy war irgendwie viel zu scheu, dahin zu blicken und sich allein auf das weite Meer zu wagen, das sie ohne Führer und Beschützer doch nicht befahren konnte. Ich weiß, daß Miss Smith keine sehr hohe Meinung von ihr hat. Aber wie viele, mein teures Fräulein, besitzen Ihre ungeheure Geistesstärke?

»Gott, was für ein schöner Abend, und wie hell der Mond scheint!« sagte George und paffte ein Zigarrenrauchwölkchen zum Himmel empor.

»Wie köstlich riecht das doch im Freien! Ich liebe es! Soll man glauben, daß der Mond zweihundertsechsunddreißig-tausendachthundertsiebenundvierzig Meilen von uns entfernt ist?« setzte sie hinzu und lächelte dem Himmelskörper zu. »Bin ich nicht gut, daß ich mich noch daran erinnere? Solchen Quatsch haben wir bei Miss Pinkerton gelernt! Wie ruhig doch das Meer ist und wie klar alles! Ich möchte sagen, ich kann fast die Küste von Frankreich sehen.« Ihre hellen grünen Augen funkelten und schossen einen Blick in die Nacht hinaus, als ob sie wirklich hindurchschauen könnten.

»Wissen Sie, was ich eines Morgens tun will?« fragte sie. »Ich kann nämlich sehr gut schwimmen, und eines Tages, wenn Tante Crawleys Gesellschafterin, die alte Briggs, wissen Sie – können Sie sich entsinnen, die Frau mit der krummen Nase und den langen Haarbüscheln? –, wenn die Briggs baden geht, dann will ich unter ihr Badezelt tauchen und im Wasser auf eine Versöhnung drängen. Ist das nicht eine Kriegslist?«

Beim Gedanken an die wäßrige Zusammenkunft mußte George laut lachen. »Was treibt ihr denn da draußen, ihr zwei?« schrie Rawdon und schüttelte den Würfelbecher. Amelia reagierte sehr töricht: sie benahm sich ganz unsinnig und hysterisch und zog sich auf ihr Zimmer zurück, um dort im stillen zu schluchzen.

Unsere Erzählung muß in diesem Kapitel scheinbar unentschlossen vorwärts und rückwärts gehen, und wenn wir mit unserer Geschichte bald bei morgen angelangt sind, so werden wir sofort wieder Gelegenheit haben, auf gestern zurückzukommen, damit die ganze Geschichte berichtet wird. Wie beim Empfang Ihrer Majestät die Wagen der Gesandten und hohen Würdenträger von einem Privatausgang davonfahren, während Hauptmann Jones' Damen auf ihre Droschke warten – wie im Vorzimmer des Sekretärs der Schatzkammer ein halbes Dutzend Bittsteller geduldig auf ihre Audienz warten und der Reihe nach hereingerufen werden, während plötzlich ein irischer Abgeordneter oder eine hochgestellte Persönlichkeit hereinkommt und sozusagen über die Köpfe aller Anwesenden hinweg zum Herrn Untersekretär hineingeht, so muß auch im Laufe einer Erzählung der Autor diese höchst parteiische Gerechtigkeit walten lassen. Wenn auch keiner der kleineren Vorfälle unerwähnt bleiben soll, so müssen sie doch vor großen Ereignissen zurückstehen. Ganz gewiß war ein Umstand wie der, der Dobbin nach Brighton führte, das heißt der Marschbefehl für Garde und Linie nach Belgien und die Vereinigung der alliierten Heere in diesem Land unter dem Kommando Seiner Gnaden, des Herzogs von Wellington, so sehr wichtig. Er berechtigte uns, allen unwichtigeren Vorfällen, woraus unsere Geschichte hauptsächlich besteht, vorauszueilen, und deshalb war eine kleine Unordnung entschuldbar und dienlich. Wir sind jetzt wieder im 22. Kapitel und nur so weit fortgeschritten, daß wir unsere verschiedenen Darsteller in ihre Ankleidezimmer befördert haben. Es ist kurz vor dem Essen am Tage von Dobbins Ankunft, das wie üblich stattfand.

George war zu menschenfreundlich oder zu sehr mit dem Binden seines Halstuches beschäftigt, um Amelia sofort alle Nachrichten mitzuteilen, die sein Kamerad aus London gebracht hatte. Aber er betrat ihr Zimmer mit so ernster und wichtiger Miene, den Brief des Rechtsanwaltes in der Hand, daß sie, stets in Erwartung eines Unheils, glaubte, das Schlimmste sei im Anzug. Sie eilte auf ihren Mann zu und bat ihren geliebten George inständig, er möge ihr doch alles sagen: Gewiß müsse er weg von England, es werde nächste Woche eine Schlacht stattfinden, sie wisse es wohl.

Der geliebte George parierte die Frage nach dem Feldzug und sagte mit melancholischem Kopf schütteln: »Nein, Emmy, das ist es nicht, nicht um mich mache ich mir Gedanken, sondern um dich. Ich habe schlimme Nachrichten von meinem Vater bekommen. Er lehnt jede Verbindung mit mir ab, er schickt uns weg und überläßt uns der Armut. Ich kann schon irgendwie durchkommen, aber du, meine Liebe, wie wirst du es ertragen? Da, lies!« Und er reichte ihr den Brief.

Amelia lauschte mit zärtlicher Unruhe im Blick ihrem edlen Helden, als er diese großmütigen Gefühle äußerte. Dann setzte sie sich aufs Bett und las den Brief, den George ihr mit hochtrabender Märtyrermiene überreicht hatte. Während sie las, erhellte sich ihr Gesicht zusehends. Der Gedanke, Armut und Entbehrung mit dem Geliebten zu teilen, hat, wie bereits gesagt, für eine warmherzige Frau nichts Abschreckendes an sich. Ja, die Aussicht war der kleinen Amelia sogar angenehm. Dann schämte sie sich, wie gewöhnlich, daß sie sich in einem so unpassenden Augenblick glücklich fühlte, bezähmte ihre Freude und sagte demütig: »O George, wie dir doch das Herz bluten muß bei dem Gedanken, daß du von deinem Papa getrennt bist.«

»Ja, das tut es auch«, sagte George mit gequältem Gesichtsausdruck.

»Aber er kann dir nicht lange böse sein«, fuhr sie fort. »Niemand könnte das, davon bin ich überzeugt. Er muß dir verzeihen, mein liebster, bester Mann. Oh, ich werde mir nie verzeihen, wenn er es nicht tut.«

»Was mich quält, meine arme Emmy, ist nicht mein Unglück, sondern deines«, sagte George. »Ein bißchen Armut stört mich nicht, und ich glaube ohne Eitelkeit sagen zu können, daß ich genug Talente besitze, um meinen Weg selbst zu machen.«

»Das stimmt«, fiel seine Frau ein, die glaubte, der Krieg werde sofort beendet werden und ihr Mann zum General befördert.

»Ja, ich werde meinen Weg machen, so gut wie jeder andere«, fuhr Osborne fort, »aber du, mein liebes Mädchen, wie kann ich es ertragen, daß dir die Bequemlichkeit entgeht und du nicht die Stellung in der Gesellschaft einnehmen kannst, die dir als meiner Frau gebührt? Mein liebstes Mädchen in einer Kaserne! Soldatenfrau beim Regiment, allen Arten von Belästigungen und Entbehrungen ausgesetzt! Es macht mich ganz elend!«

Erleichtert, daß dies ihres Mannes einziger Grund zur Beunruhigung war, ergriff sie seine Hand und begann mit freudestrahlendem Gesicht aus dem bekannten Lied »An der alten Treppe von Wapping« die Strophe zu singen, wo die Heldin, nachdem sie ihren Tom wegen seiner Unaufmerksamkeit gescholten hat, verspricht, »seine Hosen zu flicken und Grog ihm zu machen«, wenn er treu und freundlich sein und sie nicht verlassen würde. »Und außerdem«, sagte sie nach einer Pause, wobei sie so hübsch und glücklich aussah, wie eine junge Frau es sein sollte, »sind nicht zweitausend Pfund ungeheuer viel Geld, George?«

George lachte über ihre Naivität, und schließlich gingen sie zum Essen hinab. Amelia hing an Georges Arm und trällerte noch immer die Melodie von der »Alten Treppe von Wapping«. Sie war so vergnügt und lustig wie schon einige Tage nicht mehr.

So war denn das Mittagsmahl, das endlich zustande kam, gar nicht traurig, sondern im Gegenteil ungemein lebhaft und lustig. Die Aufregung beim Gedanken an den bevorstehenden Feldzug wirkte bei George der Niedergeschlagenheit, die durch den Enterbungsbrief verursacht worden war, entgegen. Dobbin bewährte sich als unermüdlicher Plauderer. Er belustigte die Gesellschaft mit Berichten über die Armee in Belgien, wo es nichts anderes gab als Festlichkeiten, Vergnügungen und vornehme Leute. Sodann ging der geschickte Hauptmann zur Beschreibung der Majorin O'Dowd über, wobei er ein besonderes Ziel verfolgte. Er erzählte, wie sie ihre und ihres Majors Garderobe eingepackt hatte und wie sie seine besten Epauletten in einer Teebüchse verstaut hatte. Ihr berühmter gelber Turban, mit dem Paradiesvogel, in Packpapier gewickelt, war in die blecherne Hutschachtel des Majors gewandert. Dobbin hätte gern wissen mögen, welche Wirkung der Turban wohl am Hofe des französischen Königs in Gent oder auf den großen Offiziersbällen in Brüssel haben würde.

»Gent! Brüssel!« rief Amelia und fuhr vor Schreck hoch. »Hat das Regiment Marschbefehl bekommen, George, hat es Marschbefehl bekommen?« Schrecken malte sich in dem lieblichen, lächelnden Gesicht, und sie klammerte sich instinktiv an George an.

»Hab keine Angst, Liebste«, sagte er gutmütig, »die Überfahrt dauert nur zwölf Stunden. Es wird dir nichts passieren. Du sollst auch mitkommen, Emmy.«

»Ich gehe jedenfalls mit«, sagte Becky, »ich bin beim Generalstab, General Tufto gehört zu meinen eifrigsten Anbetern, nicht wahr, Rawdon?« Rawdon brach in sein übliches schallendes Gelächter aus. William Dobbin wurde rot. »Sie kann nicht mitkommen«, sagte er, »denk doch an die...«, die Gefahr wollte er hinzufügen; sollte aber denn nicht sein ganzes Tischgespräch beweisen, daß es keine Gefahr gab? Er wurde sehr verlegen und schweigsam.

»Ich muß und will gehen«, rief Amelia mit größter Lebhaftigkeit. George lobte ihren Entschluß, tätschelte sie unterm Kinn und fragte alle Anwesenden, ob sie je eine so ungestüme Frau gesehen hätten. Er war einverstanden, daß sie ihm Gesellschaft leisten würde. »Wir haben Mrs. O'Dowd als Anstandsdame für dich«, sagte er. Was kümmerte sie sich darum, solange ihr Mann in der Nähe war? Und so wurde denn die Bitterkeit des Abschieds sozusagen hinweggegaukelt. Wenn es auch Krieg und Gefahr gab, so konnte es doch noch Monate dauern, bis Krieg und Gefahr sich bemerkbar machten. Auf jeden Fall war es ein Aufschub, der die schüchterne kleine Amelia fast ebenso glücklich machte, wie die aufgehobene Gefahr es getan hätte. Selbst Dobbin mußte im Innern zugeben, daß es so ganz günstig sei. Amelia sehen zu dürfen war nämlich jetzt das größte Glück und die Hoffnung seines Lebens, und insgeheim überlegte er, wie er sie bewachen und beschützen wollte. Ich hätte sie nicht mitgehen lassen, wenn sie meine Frau wäre, dachte er. Aber George war nun einmal der Herr, und sein Freund hielt es nicht für angemessen, ihm Vorstellungen zu machen.

Den Arm um Amelias Taille geschlungen, führte Rebekka ihre Freundin schließlich vom Tisch fort, wo so viele wichtige Dinge besprochen worden waren. Sie ließen die Herren in der heitersten Stimmung der Welt, trinkend und plaudernd, zurück.

Im Laufe des Abends erhielt Rawdon von seiner Frau ein kleines Familienbriefchen. Obgleich er es zerknüllte und sofort an der Kerze verbrannte, glückte es uns doch, über Rebekkas Schulter zu lesen. »Wichtige Neuigkeiten«, schrieb sie. »Mrs. Bute ist fort. Verschaff dir noch heute abend das Geld von Cupido, da er morgen höchstwahrscheinlich abfährt. Denk daran. R.« Als daher die kleine Gesellschaft unterwegs war, um im Zimmer der Damen Kaffee zu trinken, berührte Rawdon Hauptmann Osborne am Ellbogen und sagte freundlich: »Hören Sie, Osborne, mein Junge, wenn es Ihnen recht ist, so möchte ich Sie um die Kleinigkeit bemühen.« Es war George nicht recht, aber trotzdem leistete er eine bedeutende Abschlagszahlung in Banknoten aus der Brieftasche und gab ihm für den Rest einen in acht Tagen bei seinem Beauftragten zahlbaren Wechsel.

Nachdem die Sache erledigt war, hielten George, Joseph und Dobbin bei einer Zigarre Kriegsrat und beschlossen, am folgenden Tage alle in Joes offenem Wagen nach London aufzubrechen. Joseph hätte es ganz gern gesehen, wenn man bis zu Rawdon Crawleys Abreise in Brighton geblieben wäre, aber Dobbin und George überstimmten ihn, und so ließ er sich denn herbei, die Gesellschaft in die Stadt zu bringen, und bestellte, wie es seiner Würde angemessen war, vier Pferde. Damit fuhren sie am folgenden Tage nach dem Frühstück mit Gepränge ab. Amelia war sehr zeitig aufgestanden und hatte mit großem Eifer ihre Köfferchen gepackt, während Osborne im Bett lag und bedauerte, daß sie kein Mädchen hatte, das ihr helfen könnte. Amelia war aber nur zu froh, diese Arbeit selbst tun zu können. Ein vages, unheimliches Gefühl beschlich sie, wenn sie an Rebekka dachte, und obgleich sie sich beim Abschied recht zärtlich küßten, so wissen wir doch, was Eifersucht ist; und die besaß Mrs. Amelia neben den anderen Tugenden ihres Geschlechtes.

Wir dürfen nicht vergessen, daß neben diesen ankommenden und abfahrenden Personen sich noch einige andere alte Bekannte von uns in Brighton befanden: Miss Crawley nämlich und ihr Gefolge. Obgleich Rebekka mit ihrem Mann nur ein paar Steinwürfe von der kranken Miss Crawley entfernt wohnte, so blieb doch für beide die Tür zu der alten Dame ebenso unbarmherzig verschlossen wie zuvor in London. Solange Mrs. Bute Crawley bei ihrer Schwägerin war, sorgte sie dafür, daß ihre geliebte Matilda nicht durch ein Zusammentreffen mit ihrem Neffen aufgeregt wurde. Fuhr die alte Jungfer aus, so saß die treue Mrs. Bute neben ihr im Wagen. Schöpfte Miss Crawley in einem Rollstuhl Luft, so ging Mrs. Bute auf einer Seite des Gefährts, während die ehrliche Briggs die andere einnahm. Trafen sie zufällig einmal Rawdon und dessen Frau, so ging die Gesellschaft um Miss Crawley so kalt und niederschmetternd gleichgültig vorbei, obwohl Rawdon stets unterwürfig den Hut zog, daß er anfing zu verzweifeln.

»Wir könnten ebensogut in London sein wie hier«, sagte Rawdon oft mit niedergeschlagener Miene.

»Ein komfortabler Gasthof in Brighton ist besser als das Schuldgefängnis in der Chancery Lane«, antwortete seine Frau, die ein fröhliches Temperament besaß. »Denk nur an die beiden Adjutanten von Mr. Moses, dem Gerichtsvollzieher, die unsere Wohnung eine ganze Woche lang bewacht haben. Unsere Freunde hier sind zwar sehr geistlos, aber Mr. Joe und Hauptmann Cupido sind immerhin bessere Gesellschafter als Mr. Moses' Leute, mein lieber Rawdon.«

»Ich wundere mich, daß mir die Haftbefehle nicht hierher gefolgt sind«, fuhr Rawdon immer noch verzagt fort.

»Wenn sie noch kommen, dann werden wir ihnen schon entwischen«, sagte die unerschrockene kleine Becky und setzte ihrem Mann den Vorteil und Nutzen, daß sie Joe und Osborne getroffen hatten, auseinander. Hatte doch diese Bekanntschaft Rawdon einen willkommenen kleinen Vorrat an Bargeld eingebracht.

»Es wird kaum reichen, die Gasthofrechnung zu bezahlen«, brummte der Leibgardist.

»Warum sollen wir sie denn bezahlen?« fragte die Dame, die auf alles eine Antwort wußte.

Durch Rawdons Diener, der mit den männlichen Dienstboten von Miss Crawley immer noch gelegentlich Umgang pflegte und angewiesen worden war, den Kutscher, sooft sie zusammenkamen, zum Trinken einzuladen, erfuhr unser junges Paar so beinahe alle Schritte der alten Miss Crawley; Rebekka kam auch noch auf den glücklichen Gedanken, unwohl zu sein und denselben Arzt zu rufen, der die alte Jungfer behandelte, so daß sie, im großen ganzen, einigermaßen unterrichtet waren. Übrigens war Miss Briggs, die zwar gezwungen war, äußerlich eine feindliche Haltung einzunehmen, im Innern Rawdon und seiner Frau nicht unfreundlich gesinnt. Sie hatte von Natur aus ein gutmütiges, versöhnliches Wesen, und jetzt, wo kein Grund mehr zur Eifersucht vorhanden war, verschwand auch ihre Abneigung gegen Rebekka, und sie erinnerte sich nur noch an ihre freundlichen Worte und ihre gute Laune. Tatsächlich stöhnten sie und Mrs. Firkin, die Kammerfrau, und das ganze Dienstpersonal von Miss Crawley insgeheim unter der Tyrannei der glorreichen Mrs. Bute.

Wie es oft vorkommt, verfolgte diese gute, aber herrschsüchtige Frau ihren Vorteil zu weit und ihr Glück zu unbarmherzig. Im Laufe weniger Wochen war es ihr gelungen, die Kranke in einen solchen Zustand hilfloser Fügsamkeit zu versetzen, daß die arme Seele sich völlig den Befehlen ihrer Schwägerin unterwarf und sich nicht einmal bei der Briggs oder der Firkin über ihre Sklaverei zu beklagen wagte. Mit unwiderstehlicher Genauigkeit maß Mrs. Bute die Gläser Wein ab, die Miss Crawley täglich trinken durfte – zum großen Ärger der Firkin und des Butlers, die sich nun sogar der Herrschaft über die Sherryflasche beraubt sahen. Sie teilte die Kalbsmilch, Gelees und Hühnchen nach Menge und Reihenfolge aus. Abends, mittags und morgens brachte sie die vom Arzt verordneten abscheulichen Tränke, die die Kranke mit einem so rührenden Gehorsam schluckte, daß die Firkin sagte: »Meine arme Herrin nimmt ihre Arznei wie ein Lamm ein.« Sie bestimmte, wann sie in der Kutsche oder im Rollstuhl ausgefahren werden sollte; mit einem Wort: sie zermürbte die alte Dame während ihrer Genesung, wie es nur einer so rechtschaffenen, mütterlichen, moralischen Frau gelingt. Leistete die Patientin einmal einen schwachen Widerstand und bat um ein wenig mehr Essen oder einen Tropfen weniger Arznei, dann drohte ihre Wärterin ihr mit augenblicklichem Tode, und Miss Crawley gab sofort nach. »Es ist gar kein Leben mehr in ihr«, bemerkte die Firkin gegenüber der Briggs, »schon seit drei Wochen hat sie mich nicht mehr Dummkopf genannt.« Schließlich nahm sich Mrs. Bute vor, die eben erwähnte ehrliche Kammerfrau, den dicken, vertrauenerweckenden Mr. Bowls und die Briggs wegzuschicken und dafür ihre Töchter aus dem Pfarrhaus kommen zu lassen, bevor man die teure Patientin nach Queen's Crawley bringen konnte. Es ereignete sich aber ein böser Unfall, der sie von ihren angenehmen Pflichten wegrief. Ehrwürden Bute Crawley, ihr Mann, war nämlich eines Abends beim Heimritt vom Pferd gestürzt und hatte sich das Schlüsselbein gebrochen. Fieber und eine Entzündung stellten sich ein, und Mrs. Bute mußte Sussex verlassen und nach Hampshire fahren. Sie versprach, zu ihrer teuersten Freundin zurückzukehren, sobald Bute wiederhergestellt wäre, und hinterließ bei ihrer Abreise für die Dienerschaft strengste Vorschriften, wie ihre Herrin zu behandeln war. Kaum aber hatte sie den Southamptoner Postwagen bestiegen, als sich im ganzen Haus von Miss Crawley ein Jubel verbreitete und alle so erleichtert aufatmeten, wie es die Gesellschaft dort seit vielen Wochen nicht erlebt hatte. Noch am gleichen Tage ließ Miss Crawley ihre Nachmittagsdosis an Medizin aus, noch am gleichen Nachmittag öffnete Bowls nur für sich und Mrs. Firkin eine Flasche Sherry, noch am gleichen Abend frönten Miss Crawley und Miss Briggs einem Spiel Pikett, anstatt einer Predigt von Porteus. Es war ganz wie in dem alten Ammenmärchen, wo der Prügel vergaß, den Pudel zu schlagen, und der ganze Lauf der Ereignisse eine friedliche und glückliche Veränderung erfuhr.

Zwei- oder dreimal in der Woche pflegte Miss Briggs morgens in aller Frühe einen Badekarren aufzusuchen und sich in einem Flanellgewand und einer Öltuchhaube im Wasser zu vergnügen. Wie wir gesehen haben, war Rebekka dieser Umstand nicht unbekannt, und obgleich sie nicht versuchte, die Briggs zu stürmen, wie sie angedroht hatte, nämlich plötzlich vor der Dame aufzutauchen und sie unter ihrem geheiligten Zelt zu überraschen, so beschloß Mrs. Rawdon doch, die Briggs anzugreifen, wenn sie erfrischt und gestärkt und wahrscheinlich in guter Laune vom Bade käme.

Becky stand also am nächsten Morgen sehr zeitig auf, holte sich das Fernrohr in ihr Wohnzimmer, das aufs Meer hinausging, und richtete es auf die Badekarren am Strand. Bald sah sie die Briggs herbeikommen, in ihren Kasten steigen und auf das Meer hinausfahren. Rebekka war am Strande, gerade als die ersehnte Nymphe aus dem kleinen Fahrzeug kletterte und auf die Steine trat. Es war ein hübsches Bild: der Strand, die Gesichter der Badefrauen, die langen Reihen von Felsen und Häusern leuchteten rot im Sonnenlicht. Rebekka trug ein freundliches, zärtliches Lächeln zur Schau und streckte in dem Augenblick, als die Briggs aus dem Kasten auftauchte, ihre hübsche weiße Hand aus. Was konnte die Briggs anderes tun, als den Gruß zu erwidern?

»Miss Sh..., Mrs. Crawley«, sagte sie.

Mrs. Crawley ergriff ihre Hand, drückte sie an ihr Herz und umarmte und küßte die Briggs in einer plötzlichen Eingebung herzlich. »Liebe, liebe Freundin!« sagte sie mit so echtem Gefühl, daß Miss Briggs natürlich sofort zerschmolz und sogar die Badefrau weich wurde.

Es fiel Rebekka nicht schwer, die Briggs in ein langes, vertrautes und reizendes Gespräch zu verwickeln. Die Briggs beschrieb alles, was sich seit Beckys plötzlichem Verschwinden an jenem Morgen aus Miss Crawleys Haus in der Park Lane bis zu diesem Tage mit Mrs. Butes glücklichem Rückzug ereignet hatte. Ausführlich und genau, wie Frauen es gern tun, schilderte die Vertraute alle Einzelheiten von Miss Crawleys Krankheit und der ärztlichen Behandlung. Werden Frauen jemals müde, sich über ihre Krankheiten und Ärzte zu unterhalten? Die Briggs wurde es jedenfalls nicht, und Rebekka hörte unermüdlich zu. Sie war dankbar, wirklich dankbar, daß die liebe gute Briggs und die treue, unschätzbare Firkin bei ihrer kranken Wohltäterin hatten bleiben dürfen. Der Himmel segne Miss Crawley! Obgleich sie, Rebekka, sich scheinbar ungehorsam gegen die alte Dame betragen habe. Aber sei ihr Vergehen nicht natürlich und entschuldbar? Konnte sie anders, als dem Mann, der ihr Herz gewonnen hatte, ihre Hand zu geben? Die sentimentale Briggs konnte bei diesem Geständnis nur ihre Augen zum Himmel erheben und einen mitfühlenden Seufzer ausstoßen. Sie dachte daran, daß auch sie einst, vor vielen Jahren, ihr Herz verschenkt hatte, und mußte zugeben, daß Rebekkas Verbrechen nicht groß war.

»Kann ich jemals die vergessen, die der freundlosen Waise eine Freundin wurde? Nein, obwohl sie mich verstoßen hat, werde ich doch nie aufhören, sie zu lieben, und würde gern mein Leben ihrem Dienste weihen«, versicherte Rebekka. »Als meine Wohltäterin, als die angebetete Verwandte meines geliebten Rawdon liebe und bewundere ich Miss Crawley, meine teure Miss Briggs, mehr als jede andere Frau in der Welt, und danach liebe ich alle die, die ihr treu sind. Nie hätte ich Miss Crawleys treue Freundinnen so behandelt, wie die gemeine, ränkevolle Mrs. Bute es getan hat. Rawdon, der ganz Herz ist«, fuhr Becky fort, »obgleich seine Manieren rauh und unbedacht erscheinen mögen, hat wohl hundertmal mit Tränen in den Augen gesagt, er danke dem Himmel dafür, daß er seinem lieben Tantchen zwei so wunderbare Wärterinnen gesandt hat wie ihre ergebene Firkin und ihre bewundernswerte Miss Briggs.« Sollten die Anschläge der abscheulichen Mrs. Bute damit enden – und sie, Rebekka, befürchte das nur zu sehr –, daß sie jeden, der Miss Crawley liebte, von ihrer Seite verbannte und die arme Dame so ein Opfer der Harpyien im Pfarrhaus würde, so bitte sie (Rebekka) ihre Freundin (Miss Briggs), stets daran zu denken, daß ihr Haus, so bescheiden es auch sei, immer für Miss Briggs offenstünde. »Liebe Freundin«, rief sie in einem Ausbruch von Begeisterung, »es gibt Herzen, die Wohltaten niemals vergessen! Nicht alle Frauen sind Bute Crawleys! Aber weshalb sollte ich mich über sie beklagen«, setzte Rebekka hinzu, »wenn ich auch ihr Werkzeug und das Opfer ihrer Künste wurde – verdanke ich ihr nicht meinen liebsten Rawdon?« Und nun enthüllte Rebekka der Briggs das ganze Verhalten von Mrs. Bute in Queen's Crawley, ein Verhalten, das ihr damals unverständlich gewesen sei, jetzt aber durch die Ereignisse deutlich genug erklärt werde – jetzt, da die Verbindung entstanden war, die Mrs. Bute durch tausend Kunstgriffe begünstigt hatte, jetzt, da zwei Unschuldige in die Schlinge gegangen waren, die sie gelegt hatte, sich liebten, heirateten und dem Ruin entgegengingen – alles durch ihre Schliche.

Das entsprach alles der Wahrheit. Die Briggs durchschaute die Kriegslist völlig. Mrs. Bute hatte die Ehe zwischen Rawdon und Rebekka gestiftet. Obgleich die junge Frau durchaus ein unschuldiges Opfer war, so konnte doch Miss Briggs ihrer Freundin nicht ihre Furcht verhehlen, daß Miss Crawley ihre Liebe von Rebekka abgewandt habe und daß die alte Dame es ihrem Neffen nie verzeihen werde, eine so unkluge Heirat eingegangen zu sein.

In diesem Punkte hatte Rebekka ihre eigenen Ansichten und war noch immer guten Mutes. Wenn Miss Crawley ihnen auch nicht jetzt verzieh, so konnte sie sich doch später erweichen lassen. Es stand jetzt nur noch der plärrende, kränkliche Pitt Crawley zwischen Rawdon und der Baronetswürde, und sollte diesem etwas zustoßen, wäre alles gut. Jedenfalls war es eine Genugtuung, Mrs. Butes Ränke enthüllt und sich selbst ins rechte Licht gerückt zu haben – was auch Rawdons Interessen dienen konnte. Nach einem einstündigen Schwatz verließ Rebekka ihre wiedergewonnene Freundin unter den zärtlichsten Freundschaftsbezeigungen, vollkommen überzeugt, daß die Unterhaltung Miss Crawley noch vor Ablauf einiger Stunden berichtet werden würde.

Als die Unterredung zu Ende war, wurde es für Rebekka höchste Zeit, in ihr Gasthaus zurückzukehren, wo sich die ganze Gesellschaft vom vergangenen Tage zu einem Abschiedsfrühstück zusammengefunden hatte. Rebekka nahm von Amelia so zärtlich Abschied, wie es zwei Frauen, die sich wie Schwestern lieben, zukommt. Sie benutzte ausgiebig ihr Taschentuch, hängte sich der Freundin an den Hals, als ob sie sich für immer trennten, und winkte mit dem (nebenbei gesagt ganz trockenen) Taschentuch aus dem Fenster dem abfahrenden Wagen nach. Dann begab sie sich an den Frühstückstisch zurück und aß – wenn man ihre Rührung in Betracht zieht, mit gutem Appetit – ein paar Garnelen. Während sie diese Delikatessen kaute, erzählte sie Rawdon, was auf ihrem Morgenspaziergang zwischen ihr und der Briggs vorgefallen war. Ihre Hoffnungen waren hochgespannt, und sie brachte ihren Mann dazu, sie zu teilen. Es gelang ihr stets, ihren Mann für ihre Ansichten zu gewinnen, ganz gleich, ob sie traurig oder lustig waren.

»Mein Lieber, du wirst dich nun gefälligst an den Schreibtisch setzen und mir ein hübsches Briefchen an Miss Crawley schreiben und ihr darin sagen, daß du ein guter Junge bist und so weiter.« Er setzte sich also hin und schrieb schnell los: »Brighton, Donnerstag« und »Meine liebe Tante!« Aber hier verließ den tapferen Offizier die Phantasie. Er kaute an der Feder und sah seine kleine Frau an. Sie mußte über seine jämmerliche Miene lachen und begann nun selbst einen Brief zu diktieren, wobei sie, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab ging:

»Bevor ich England verlasse und in eine Schlacht ziehe, die sehr wahrscheinlich verhängnisvoll...«

»Was?« rief Rawdon ziemlich überrascht, begriff aber doch den Humor des Satzes und schrieb ihn grinsend nieder.

»... die sehr wahrscheinlich verhängnisvoll werden kann, bin ich hierhergekommen ...«

»Warum nicht: ›hergekommen‹, Becky? ›hergekommen‹ ist doch auch grammatisch«, fiel der Dragoner ein.

»... bin ich hierhergekommen«, wiederholte Rebekka und stampfte mit dem. Fuß auf, »um meiner liebsten und ältesten Freundin Lebewohl zu sagen. Ich flehe Sie an, ehe ich scheide, um vielleicht nie zurückzukommen, mich noch einmal die Hand drücken zu lassen, aus der ich mein Leben lang nichts als Güte empfangen habe.«

»... Güte empfangen habe«, wiederholte Rawdon, und als er die Worte hinkritzelte, war er ganz erstaunt über seinen flüssigen Stil.

»Ich erbitte von Ihnen nur, daß wir nicht in Unfrieden voneinander scheiden. In einigen Punkten, wenn auch nicht in allen, besitze ich den Stolz meiner Familie. Ich habe die Tochter eines Malers geheiratet und schäme mich dieser Verbindung nicht.«

»Nein, du kannst mich durchbohren, wenn ich das tue!« rief Rawdon.

»Du alter Einfaltspinsel«, sagte Rebekka und kniff ihn ins Ohr. Sie sah ihm über die Schulter, um zu verhüten, daß er Schreibfehler machte. »›Güte‹ schreibt man ohne h, ›Lebewohl‹ mit.« Er beugte sich der überlegenen Kenntnis seiner kleinen Herrin und verbesserte die Worte.

»Ich dachte, Sie kannten meine Liebe«, fuhr Rebekka fort, »ich wußte, daß Mrs. Bute Crawley sie guthieß und unterstützte. Aber ich mache niemandem Vorwürfe. Ich habe ein armes Mädchen geheiratet und will zu dem, was ich getan habe, stehen. Hinterlassen Sie Ihr Vermögen, liebe Tante, wem Sie wollen. Ich werde mich nie beklagen, wie Sie auch darüber verfügen mögen. Ich möchte Sie nur davon überzeugen, daß ich Sie nicht um Ihres Geldes, sondern um Ihrer selbst willen liebe. Ich möchte mich gern mit Ihnen versöhnen, ehe ich England verlasse. Bitte, bitte, darf ich Sie sehen, ehe ich gehe? In ein paar Wochen oder Monaten könnte es zu spät sein, und ich kann den Gedanken nicht ertragen, mein Vaterland ohne ein freundliches Abschiedswort von Ihnen zu verlassen.«

»Sie wird hier meinen Stil wohl kaum erkennen«, sagte Becky. »Ich habe die Sätze absichtlich so kurz und bündig gemacht.« Und nun wurde dieses authentische Schreiben an Miss Briggs' Adresse abgeschickt.

Die alte Miss Crawley lachte, als die Briggs mit äußerst geheimnisvoller Miene ihr dieses aufrichtige und ungekünstelte Schreiben überreichte. »Wir können es jetzt wohl lesen, da Mrs. Bute fort ist«, sagte sie. »Lesen Sie mir den Brief vor, Briggs.«

Als die Briggs gelesen hatte, lachte ihre Gebieterin noch mehr. »Sehen Sie nicht, Sie Gans«, sagte sie zu der Briggs, die sich den Anschein gab, als sei sie von der uneigennützigen Liebe, die aus dem ganzen Schreiben sprach, sehr gerührt, »merken Sie nicht, daß Rawdon auch nicht eine Silbe davon geschrieben hat? Sein ganzes Leben hat er mir noch nie geschrieben, ohne Geld zu verlangen, und alle seine Briefe wimmelten von Schreibfehlern, von falscher Grammatik und Strichen. Diese kleine Schlange von einer Gouvernante hat ihn an der Strippe.« Sie sind sich alle gleich, dachte Miss Crawley in ihrem Herzen. Alle möchten, daß ich tot wäre, und trachten nach meinem Geld.

»Ich habe nichts dagegen, Rawdon zu sehen«, setzte sie nach einer Pause in vollkommen gleichgültigem Ton hinzu. »Es macht nichts aus, ob ich ihm nun die Hand drücke oder nicht. Vorausgesetzt, es gibt keine Szene – warum sollten wir uns nicht sehen? Von mir aus! Aber die menschliche Geduld hat ihre Grenzen, und vergessen Sie nicht, meine Liebe, ich lehne es höflich ab, Mrs. Rawdon zu empfangen, das kann ich denn doch nicht ertragen.« Miss Briggs mußte sich nun wohl oder übel mit dieser halben Versöhnungsbotschaft zufriedengeben. Sie dachte, die beste Weise, die alte Dame und den Neffen zusammenzubringen, wäre, Rawdon zu empfehlen, auf den Klippen zu warten, wenn Miss Crawley sich im Rollstuhl dorthin bringen ließ, um Luft zu schöpfen. Dort trafen sie sich. Ich weiß nicht, ob Miss Crawley noch ein geheimes Gefühl der Zuneigung oder Rührung empfand, als sie ihren einstigen Liebling erblickte, jedenfalls hielt sie ihm lächelnd und mit gutgelaunter Miene ein paar Finger hin, als ob sie sich tags zuvor erst getroffen hätten. Rawdon wurde scharlachrot und zerdrückte der armen Briggs beinahe die Hand, so groß waren seine Begeisterung und Verwirrung bei dem Zusammentreffen. Vielleicht waren es seine Interessen, die ihn bewegten, vielleicht war es Liebe, vielleicht war es auch die Veränderung im Äußeren seiner Tante, durch die Krankheit der letzten Wochen, die ihn ergriff.

»Das alte Mädchen war immer eine treue Seele für mich«, sagte er zu seiner Frau, als er ihr von der Unterredung berichtete, »und weißt du, mir war ganz komisch zumute, na ja, und so weiter. Ich bin neben dem Dingsda – du weißt schon – hergegangen, bis vor ihre Tür, und dann kam Bowls und brachte sie hinein. Ich wollte ja auch ganz gern mit reingehen, bloß ...«

»Bist du etwa nicht mit hineingegangen, Rawdon!« schrie seine Frau.

»Nein, meine Liebe, der Teufel hole mich, aber ich hatte Angst, als es soweit war.«

»Du Narr! Du hättest hineingehen und nicht mehr herauskommen sollen«, sagte Rebekka.

»Beschimpf mich nicht!« sagte der große Leibgardist verdrießlich. »Vielleicht war ich ein Narr, Becky, aber du solltest das nicht sagen.« Und er warf seiner Frau den Blick zu, den er im Zorn haben konnte und dem man lieber nicht trotzen sollte.

»Schön, Liebster, du mußt eben morgen wieder auf der Lauer liegen und sie besuchen, ob sie dich nun einlädt oder nicht!« sagte Rebekka und versuchte, ihren zornigen Eheliebsten zu besänftigen. Dieser erwiderte darauf, daß er tun würde, was ihm beliebte, und daß er ihr raten wollte, in Zukunft ihre Zunge im Zaum zu halten. Damit entfernte sich der gekränkte Ehemann und verbrachte den Vormittag mürrisch, schweigsam und argwöhnisch im Billardzimmer.

Noch vor Ende der Nacht aber sah er sich genötigt, nachzugeben und wie gewöhnlich abermals die größere Klugheit und Vorsicht seiner Frau anzuerkennen. Ihre Ahnungen wegen der Folgen seines Fehlers bestätigten sich auf traurige Weise. Miss Crawley mußte wirklich etwas bewegt worden sein, als sie ihn nach einem so langen Bruch wiedersah und ihm die Hand drückte. Sie dachte lange Zeit über die Zusammenkunft nach. »Rawdon wird sehr dick und alt, Briggs«, bemerkte sie zu ihrer Gesellschafterin. »Seine Nase ist entsetzlich rot, und er sieht außerordentlich heruntergekommen aus. Seine Heirat mit diesem Frauenzimmer hat ihn hoffnungslos ordinär gemacht. Mrs. Bute sagte mir immer, daß sie beide trinken, und ich zweifle nicht daran, daß sie es wirklich tun. Ja, er hat ganz entsetzlich nach Gin gerochen. Ich habe es gemerkt. Sie nicht auch?«

Vergeblich wandte die Briggs ein, daß Mrs. Bute von jedermann schlecht sprach, und soweit ein Mensch in ihrer bescheidenen Stellung urteilen könne, so sei sie ein ...

»Ein gerissenes, ränkevolles Frauenzimmer, nicht wahr? Ja, das stimmt, und es stimmt auch, daß sie von jedermann schlecht spricht. Aber ich bin doch überzeugt, daß dieses Weib Rawdon zum Trinken verleitet hat. Alle diese gewöhnlichen Leute ...«

»Er war sehr ergriffen, als er Sie sah, Madame«, sagte die Gesellschafterin, »und ich bin überzeugt, wenn Sie bedenken, daß er sich nun in Gefahr begibt...«

»Wieviel Geld hat er Ihnen versprochen, Briggs?« schrie die alte Jungfer, die sich in eine nervöse Wut hineinarbeitete, »da haben wir's wieder, natürlich fangen Sie jetzt an zu heulen. Ich hasse Szenen. Warum muß ich immer gequält werden? Gehen Sie in Ihr Zimmer und weinen Sie sich dort aus und schicken Sie mir die Firkin – oder nein, bleiben Sie da, setzen Sie sich und putzen Sie sich die Nase. Hören Sie auf zu heulen und schreiben Sie einen Brief an Hauptmann Crawley.« Die arme Briggs setzte sich gehorsam an den Schreibblock. Die Blätter trugen noch Spuren der festen, energischen, schnellen Handschrift von dem letzten Amanuensis der alten Jungfer, von Mrs. Bute Crawley.

»Fangen Sie an: ›Mein sehr verehrter Herr‹ oder besser ›Verehrter Herr‹, und sagen Sie, Sie seien beauftragt von Mrs. Crawley – nein, von Miss Crawleys Arzt, Mr. Creamer, mitzuteilen, daß in meinem jetzigen Gesundheitszustand alle starken Gemütsbewegungen gefährlich seien – und daß ich deshalb jede Besprechung von Familienangelegenheiten und überhaupt jede Unterredung ablehnen müsse. Und danken Sie ihm, daß er nach Brighton gekommen ist und so weiter und bitten Sie ihn, meinetwegen nicht länger hier zu verweilen. Und, Miss Briggs, Sie können noch hinzufügen, daß ich ihm bon voyage wünsche und daß er bei meinem Rechtsanwalt am Gray's Inn Square vorsprechen kann, wenn er sich die Mühe machen will, und dort eine Mitteilung von mir finden wird. Ja, ja, das wird reichen und bewirken, daß er Brighton verläßt.« Den letzten Satz schrieb die wohlwollende Briggs mit großer Befriedigung nieder.

»Mich schon am Tag nach Mrs. Butes Abreise zu überfallen«, schwatzte die alte Dame weiter, »das war doch etwas taktlos. Briggs, meine Liebe, schreiben Sie an Mrs. Crawley und sagen Sie ihr, sie brauche nicht wiederzukommen. Nein, sie braucht nicht, und sie soll auch nicht, ich will nicht Sklavin in meinem eigenen Hause sein – und ich will nicht verhungern und vergiftet werden. Sie wollen mich alle umbringen – alle – ja, alle.« Und bei diesen Worten brach die einsame alte Frau in einen hysterischen Tränenstrom aus.

Der letzte Aufzug ihrer traurigen Komödie auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit näherte sich schnell dem Ende, die flimmernden Lampen erloschen eine nach der anderen, und der dunkle Vorhang sollte sich bald herabsenken.

Der letzte Absatz, der Rawdon an Miss Crawleys Advokaten in London verwies und den die Briggs so befriedigt geschrieben hatte, tröstete den Dragoner und seine Frau etwas nach der ersten schweren Enttäuschung über die ablehnende Antwort der alten Jungfer hinsichtlich der Versöhnung. Aber er erfüllte den Zweck, den die alte Dame beim Schreiben im Auge gehabt hatte, denn Rawdon war jetzt sehr erpicht darauf, nach London zu kommen.

Mit Josephs Geldverlusten und mit George Osbornes Banknoten bezahlte er die Gasthofrechnung, und der Wirt hat wahrscheinlich bis heute nicht erfahren, wie unsicher die Aussicht auf Bezahlung seiner Rechnung einmal war. Denn wie ein General vor dem Treffen sein Gepäck bei der Nachhut in Sicherheit bringt, so hatte auch Rebekka wohlweislich ihr wertvollstes Eigentum in Koffer gepackt und sie unter der Aufsicht von Georges Diener mit der Postkutsche nach London geschickt. Rawdon fuhr mit seiner Frau am nächsten Tag mit demselben Fahrzeug zurück.

»Ich hätte das alte Mädchen vor unserer Abreise gern noch einmal gesehen«, sagte Rawdon. »Sie sieht so krank und verändert aus, daß sie es gewiß nicht mehr lange treiben kann. Möchte wohl wissen, wie hoch der Scheck bei Waxy ist. Zweihundert – es kann doch nicht weniger als zweihundert sein, meinst du nicht auch, Becky?«

Infolge der wiederholten Besuche der beiden Herren, die wir bereits beschrieben haben, kehrten Rawdon und seine Frau nicht zu ihrer Wohnung in Brompton zurück, sondern stiegen in einem Gasthaus ab. Früh am nächsten Morgen hatte Rebekka Gelegenheit, sie zu sehen. Sie war unterwegs zu der alten Mrs. Sedley in Fulham, um ihre liebe Amelia und ihre Freunde von Brighton zu besuchen, und dabei kam sie an der Vorstadt vorbei. Sie waren alle nach Chatham und von dort nach Harwich gegangen, um sich mit dem Regiment nach Belgien einzuschiffen. Rebekka traf die gute alte Mrs. Sedley sehr gedrückt und in ihrer Einsamkeit weinend an. Als sie von dem Besuch zurückkam, fand sie ihren Mann, der in Gray's Inn gewesen war und dort sein Schicksal erfahren hatte. Wütend war er zurückgekommen.

»Beim Zeus, Becky«, sagte er, »sie hat mir nur zwanzig Pfund gegeben!«

Obgleich es sie beide betraf, war der Spaß doch zu gelungen, und Becky brach über Rawdons langes Gesicht in schallendes Gelächter aus.


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