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11. Kapitel

Arkadische Einfachheit

Neben diesen ehrlichen Schloßbewohnern, deren Einfachheit und holde ländliche Unschuld gewiß die Vorteile des Landlebens gegenüber dem Stadtleben beweisen, müssen wir den Leser mit ihren Verwandten und Nachbarn im Pfarrhause, mit Bute Crawley und Frau, bekannt machen.

Ehrwürden Bute Crawley, ein großer, stattlicher, lustiger Mann mit einem breitkrempigen Pfarrershut, war in seiner Grafschaft weitaus beliebter als sein Bruder, der Baronet. Während seiner Universitätsjahre hatte er im Christchurch-Boot als Schlagmann gerudert und die besten Boxer der Stadt besiegt. Er nahm seine Freude am Boxen und an der Athletik mit ins Privatleben, und es gab auf zwanzig Meilen in der Runde keinen Boxkampf, kein Rennen, keine Hetzjagd, keine Regatta, keinen Ball, keine Wahl, keinen Empfang oder ein gutes Gastmahl überhaupt in der ganzen Grafschaft, dem beizuwohnen er nicht Mittel und Wege fand. Wo auch immer eine Gesellschaft gegeben wurde  – in Fuddleston oder Roxby oder in Schloß Wapshot oder bei den hohen Lords der Grafschaft, mit denen er samt und sonders auf vertrautem Fuße stand – überall im Umkreis von ein paar Dutzend Meilen konnte man seinen Braunen und seine Giglaternen erblicken. Er hatte eine schöne Stimme, sang »Ein Südwind und der Wolkenhimmel« und gab das »Hollahe« im Refrain zu jedermanns Beifall wieder. Bei Hetzjagden erschien er in einem Pfeffer-und-Salz-Rock. Er war auch einer der geschicktesten Angler der Grafschaft.

Mrs. Crawley, die Pfarrersfrau, war eine lebhafte kleine Person, die dem würdigen Geistlichen die Predigten schrieb. Da sie einen häuslichen Sinn hatte und mit ihren Töchtern das Haus fast ganz allein führte, so herrschte sie unumschränkt im Pfarrhause, ließ aber ihrem Manne draußen volle Freiheit. Er konnte kommen und gehen und auswärts speisen, wann immer es ihm beliebte, denn Mrs. Crawley war eine sparsame Frau und kannte den Preis des Portweins sehr genau. Von dem Tage an, als Mrs. Bute den jungen Pfarrer von Queen's Crawley heimführte (sie war aus guter Familie, die Tochter des verstorbenen Oberstleutnants Hector MacTavish, und sie und ihre Mutter hatten sich in Harrowgate um Bute die Hacken abgelaufen und ihn bekommen), war sie ihm stets eine umsichtige und sorgliche Ehefrau gewesen. Trotz all ihrer Fürsorge aber steckte er stets in Schulden. Es kostete ihn mindestens zehn Jahre, um die noch zu Lebzeiten seines Vaters auf der Universität gemachten Schulden zu bezahlen. Im Jahre 179..., als er eben damit fertig geworden war, wettete er zweitausend gegen zwanzig, daß Känguruh verlieren würde, aber das Pferd gewann das Derby. Der Pfarrer sah sich gezwungen, das Geld zu Wucherzinsen aufzunehmen, und hatte seit jener Zeit stets mit Schulden zu kämpfen gehabt. Dann und wann half ihm seine Schwester mit einem Hunderter aus; seine große Hoffnung aber ruhte natürlich in ihrem Tode – wenn, »zum Henker« (so pflegte er zu sagen), »Matilda mir ihr halbes Vermögen hinterlassen muß«.

Der Baronet und sein Bruder hatten somit alle Gründe, die zwei Brüder nur haben können, um sich ständig in den Haaren zu liegen. In unzähligen Familienangelegenheiten hatte Bute gegenüber Sir Pitt das Nachsehen gehabt. Der junge Pitt ging nicht nur nicht auf die Jagd, sondern gründete auch noch ein Bethaus vor der Nase seines Onkels. Rawdon sollte bekanntlich den Löwenanteil von Miss Crawleys Vermögen erben. Solche Geldangelegenheiten, Spekulationen über Tod und Leben, stille Kämpfe um Erbbeute verursachen auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit heiße Liebe unter Brüdern. Ich selbst bin Zeuge gewesen, wie eine Fünfpfundnote zwischen zwei Brüdern einer fünfzigjährigen Liebe den Garaus machte; ich muß nur staunen, wenn ich bedenke, wie schön und dauerhaft doch die Liebe unter den Menschen ist.

Es stand zu erwarten, daß die Ankunft einer Person wie Rebekka in Queen's Crawley und ihr allmähliches Einschleichen in die Gunst sämtlicher Schloßbewohner Mrs. Bute Crawleys Aufmerksamkeit nicht entging. Mrs. Bute, die wußte, wie lange ein Lendenbraten im Schlosse reichte, was bei der großen Wäsche alles gewaschen wurde, wie viele Pfirsiche an der Südwand hingen, wieviel Arznei die Lady einnahm, wenn sie krank war – solche Dinge sind für gewisse Personen auf dem Lande Gegenstand von tiefschürfendem Interesse –, Mrs. Bute also konnte nicht an der Gouvernante im Schloß vorbeigehen, ohne gründliche Nachforschungen über ihre Vergangenheit und ihren Charakter anzustellen. Zwischen den Dienstboten vom Pfarrhaus und denen vom Schloß herrschte stets bestes Einvernehmen. In der Pfarrküche gab es stets ein gutes Glas Ale für die Leute vom Schloß, deren gewöhnliches Bier sehr dünn war – und tatsächlich wußte die Pfarrersfrau aufs Haar genau, wieviel Malz auf jedes Faß Bier im Schloß kam. Es bestanden auch zwischen den Dienstboten des Schlosses wie zwischen den Herrschaften verwandtschaftliche Bande, und durch diese Kanäle war jede Familie genau mit dem Leben und Treiben der anderen unterrichtet. Man kann hier beiläufig eine allgemeine Beobachtung festhalten: Stehst du mit deinem Bruder auf gutem Fuße, so interessiert dich das, was er tut, nicht; hast du dich dagegen mit ihm verzankt, so weißt du alle seine Schritte, als ob du sein Spion wärst.

Sehr bald nach ihrer Ankunft fing Rebekka an, in Mrs. Crawleys Bulletin vom Schloß einen ständigen Platz einzunehmen. So ein Bulletin hatte folgenden Inhalt: »Das schwarze Schwein ist geschlachtet – wog soundso viel Kilo – die Seiten eingesalzen – Wurst und Schweinskeule zum Mittagessen. Mr. Cramp aus Mudbury bei Sir Pitt, wegen John Blackmores Gefängnisstrafe – Mr. Pitt im Bethaus (nebst den Namen aller Anwesenden) – Lady Crawley wie gewöhnlich – die jungen Damen bei der Gouvernante.«

Dann kam wieder ein Bericht, etwa folgenden Inhalts: »Die neue Gouvernante eine ganz Gerissene – Sir Pitt sehr nett zu ihr – auch Mr. Crawley – liest ihr Traktate vor.« –»Was für eine lockere Spitzbübin!« rief die böse, geschäftige, brünette kleine Mrs. Bute Crawley aus.

Schließlich lauteten die Berichte, die Gouvernante habe jedermann »eingewickelt«, schreibe für Sir Pitt Briefe, erledige seine Arbeiten, führe seine Rechnungen, beherrsche das ganze Haus, die Lady, Mr. Crawley, die Mädchen, überhaupt alles – worauf Mrs. Crawley erklärte, die Gouvernante sei ein verschlagenes Weibstück und habe fürchterliche Absichten. So gaben die Vorgänge im Schloß den Gesprächen im Pfarrhaus immer neue Nahrung, und Mrs. Butes helle Augen spionierten alles aus, was im feindlichen Lager geschah – alles, und noch manches andere.

Mrs. Bute Crawley an Miss Pinkerton, The Mall, Chiswick

Pfarrhaus, Queen's Crawley, ...ten Dezember

Meine sehr verehrte Dame. – Obgleich viele Jahre verflossen, seit ich Ihren köstlichen und unschätzbaren Unterricht genoß, habe ich doch nie aufgehört, für Miss Pinkerton und das teure Chiswick die innigste Liebe und Hochachtung zu empfinden. Hoffentlich geht es Ihnen gesundheitlich gut. Die Welt und die Sache der Erziehung können Miss Pinkerton noch auf Jahre hinaus nicht entbehren. Als meine Freundin, Lady Fuddleston, mit gegenüber erwähnte, daß ihre lieben Töchter eine Erzieherin brauchten (ich bin zu arm, um für die meinigen eine Gouvernante einzustellen; aber bin ich nicht in Chiswick erzogen worden?), rief ich sogleich: »Bei wem können wir besseren Rat einholen als bei der vortrefflichen, der unvergleichlichen Miss Pinkerton?« Mit einem Wort, teure Madame, haben Sie auf Ihrer Liste Damen, deren Dienste meine liebe Freundin und Nachbarin in Anspruch nehmen könnte? Ich versichere Ihnen, daß sie nur eine Gouvernante Ihrer Wahl nehmen wird.

Mein lieber Mann sagt immer, daß er an allem, was aus Miss Pinkertons Schule kommt, Gefallen finde. Ach, wie gern möchte ich ihm und meinen lieben Mädchen die Freundin meiner Jugend und die bewunderte Freundin des großen Lexikographen unseres Landes vorstellen! Mr. Crawley bittet mich, zu schreiben, daß er hofft, wenn Sie einmal nach Hampshire kommen sollten, daß unser ländliches Pfarrhaus dann mit Ihrer Gegenwart geziert werden wird. Es ist das bescheidene, aber glückliche Heim

Ihrer liebevoll ergebenen Martha Crawley.

PS: Mr. Crawleys Bruder, der Baronet, mit dem wir leider nicht ganz so einig sind, wie es Brüdern geziemt, hat für seine kleinen Mädchen eine Gouvernante, die, wie ich erfuhr, das große Glück hat, in Chiswick erzogen worden zu sein. Man erzählt verschiedenerlei über sie, und da ich das zärtlichste Interesse für meine kleinen Nichten fühle und sie, ungeachtet aller Familienstreitigkeiten, gern meinen eigenen Kindern zuführen möchte – und da ich das sehnlichste Verlangen habe, mich gegen jede Ihrer Schülerinnen aufmerksam zu erweisen –, so bitte ich Sie, meine teure Miss Pinkerton, mir die Geschichte dieser jungen Dame mitzuteilen, der ich um Ihretwillen von ganzem Herzen Freundschaft erzeigen möchte. – M. C.

Miss Pinkerton an Mrs. Bute Crawley
Johnson-Haus, Chiswick, im Dezember 18..

Sehr geehrte Dame. Ich habe die Ehre, den Empfang Ihres freundlichen Schreibens zu bestätigen, und beeile mich, dasselbe zu beantworten. Es ist höchst erfreulich für eine Person in meiner mühevollen Position, festzustellen, daß meine mütterliche Sorgfalt eine entsprechende Liebe erweckt hat, und in der liebenswürdigen Mrs. Bute Crawley meine vortreffliche Schülerin aus früherer Zeit, die lebhafte und talentvolle Miss Martha MacTavish, wiederzuerkennen. Ich schätze mich glücklich, die Töchter vieler Ihrer ehemaligen Mitschülerinnen in meiner Anstalt jetzt unter meiner Obhut zu haben. Welches Vergnügen würde es mir bereiten, wenn auch Ihre lieben jungen Damen meiner Aufsicht und Belehrung bedürften.

Ich spreche Lady Fuddleston meine respektvollsten Komplimente aus und habe die Ehre, der gnädigen Frau brieflich meine beiden Freundinnen, Miss Tuffin und Miss Hawky, vorzustellen.

Jede der beiden jungen Damen ist bestens befähigt, im Griechischen, Lateinischen und in den Anfangsgründen des Hebräischen, in Mathematik und Geschichte, im Spanischen, Französischen, Italienischen und in Geographie, in der Vokal- und Instrumentalmusik, ohne Unterstützung eines Tanzmeisters im Tanzen sowie in den Grundlagen der Naturwissenschaften zu unterrichten. Beide sind im Gebrauch des Globus wohlbewandert. Außerdem kann Miss Tuffin, die die Tochter des verstorbenen Ehrwürden Thomas Tuffin (Professor im Corpus College, Cambridge) ist, in der syrischen Sprache sowie in den Grundlagen des konstitutionellen Rechts unterrichten. Da sie aber erst achtzehn Jahre alt ist und ein besonders hübsches Äußeres hat, so dürfte diese junge Dame vielleicht für Sir Huddleston Fuddlestons Familie nicht ganz geeignet erscheinen.

Miss Letitia Hawky dagegen glänzt nicht durch persönliche Reize. Sie ist 29 Jahre alt, und ihr Gesicht hat ziemlich viele Pockennarben. Sie hinkt etwas, hat rote Haare und schielt ein wenig. Beide Damen sind mit allen moralischen und religiösen Tugenden ausgestattet. Ihre Gehaltsansprüche stehen natürlich im Verhältnis zu ihren vielen Talenten. Mit den dankbarsten Empfehlungen an Ehrwürden Bute Crawley habe ich die Ehre, zu zeichnen, sehr geehrte Dame,

Ihre ergebenste und gehorsamste Dienerin Barbara Pinkerton.

PS: Miss Sharp, die Sie als Gouvernante bei Sir Pitt Crawley, Baronet und Parlamentsmitglied, erwähnten, war eine Schülerin von mir, und ich habe nichts Nachteiliges über sie zu berichten. Ihr Äußeres ist zwar unangenehm, aber wir können doch das Walten der Natur nicht hindern; und obgleich ihre Eltern einen schlechten Ruf hatten (der Vater war Maler und machte mehrere Male Bankrott, und ihre Mutter war, wie ich später zu meinem Entsetzen erfuhr, Ballettänzerin), besitzt sie doch beachtenswerte Talente, und ich brauche es nicht zu bereuen, sie aus Barmherzigkeit in mein Haus aufgenommen zu haben. Ich befürchte nur, die Grundsätze der Mutter – wie man mir schilderte, eine französische Gräfin, die durch die Schrecken der Revolution zum Auswandern gezwungen wurde, in Wirklichkeit aber, wie ich inzwischen entdeckte, eine ganz ordinäre und sittenlose Person – könnten sich auf das unglückliche junge Mädchen, das ich als Vagabund auflas, vererbt haben. Bis jetzt aber sind ihre Grundsätze (wie ich glaube) untadelhaft gewesen, und ich bin überzeugt, daß in den vornehmen und gebildeten Kreisen des hervorragenden Sir Pitt Crawley nichts sie verderben wird!

Miss Rebekka Sharp an Miss Amelia Sedley

Viele Wochen habe ich meiner geliebten Amelia nicht geschrieben; denn was konnte ich Dir schon von dem Leben und Treiben aus Schloß Einerlei, wie ich es getauft habe, berichten? Und was würde es Dich auch interessieren, ob die Rübenernte gut oder schlecht war, ob das Mastschwein fünfundsiebzig oder fünfundachtzig Kilo wog und ob das Rindvieh bei Rüben gedeiht? Seit ich Dir das letztemal schrieb, ist ein Tag wie der andere vergangen. Vor dem Frühstück ein Spaziergang mit Sir Pitt und seinen Sprößlingen, nach dem Frühstück Unterricht (was man eben so nennt) im Schulzimmer; nach dem Unterricht Lesen und Schreibereien für Sir Pitt (dessen Sekretärin ich geworden bin) wegen Advokaten, Pachtkontrakten, Bergwerken und Kanälen; nach dem Abendessen Mr. Crawleys Predigten oder Puff mit dem Baronet – beiden Belustigungen sieht die Lady mit der gleichen Ruhe zu. Sie ist in der letzten Zeit durch ihre Unpäßlichkeit etwas interessanter geworden, denn das hat in der Person eines jungen Doktors einen neuen Besucher ins Schloß geführt. Weißt Du, meine Liebe, junge Mädchen brauchen niemals zu verzweifeln. Der junge Doktor gab einer gewissen Freundin von Dir zu verstehen, daß sie, wenn sie Mrs. Glauber werden wolle, sehr gern die Zierde seiner Praxis werden könne! Ich antwortete auf seine Unverschämtheit, daß vergoldete Mörser und Stößel wohl Zierde genug seien – als ob ich zur Frau eines Landarztes geboren wäre! Mr. Glauber ging nach diesem Korb ernstlich mitgenommen nach Hause, trank dort etwas Kühlendes und ist jetzt wieder vollkommen hergestellt. Sir Pitt billigte meinen Entschluß entschieden; ich glaube, er würde seine kleine Sekretärin nur ungern verlieren, und ich bin der Ansicht, der alte Schuft hat mich so gern, wie er nur überhaupt jemanden gern haben kann. Heiraten, mein Gott! Und noch dazu einen Landarzt, nachdem ... Nein, nein, man kann alte Verbindungen nicht so schnell vergessen, aber davon will ich nicht mehr sprechen. Kehren wir nach Schloß Einerlei zurück!

Seit einiger Zeit ist es nicht mehr Schloß Einerlei. Stell Dir vor, meine Liebe, Miss Crawley ist angekommen mit ihren dicken Pferden, ihren dicken Bedienten und ihrem dicken Schoßhund – die bedeutende, reiche Miss Crawley, mit siebzigtausend Pfund in fünfprozentigen Papieren, die – nicht Miss Crawley, sondern eher das Geld – ihre zwei Brüder anbeten. Sie sieht sehr apoplektisch aus, die gute Seele; kein Wunder also, daß ihre Brüder ängstlich um sie besorgt sind. Du solltest nur sehen, wie sehr sie miteinander wetteifern, wenn es gilt, ihr die Kissen zurechtzurücken oder den Kaffee zu reichen! »Wenn ich aufs Land fahre«, sagte sie (denn sie hat Sinn für Humor), »lasse ich meine Speichelleckerin, Miss Briggs, zu Hause. Hier sind meine Brüder meine Speichellecker, und wahrhaftig, ein hübsches Paar!«

Wenn sie zu uns aufs Land kommt, so hat unser Schloß offene Türen, und mindestens einen Monat lang könnte man sich einbilden, der alte Sir Walpole sei wieder lebendig geworden. Wir geben Gesellschaften, fahren vierspännig aus, die Diener tragen das neueste Kanariengelb, wir trinken Rotwein und Champagner, als ob wir nie etwas anderes bekämen. Im Unterrichtszimmer haben wir Wachskerzen und Feuer, um uns aufzuwärmen, Lady Crawley muß das schönste Erbsengrüne anziehen, das ihre Garderobe aufzuweisen hat, und meine Schülerinnen legen ihre dicken Schuhe und engen alten Schottenkittel ab und tragen seidene Strümpfe und Musselinröcke, wie es sich für Baronetstöchter von Welt schickt. Rose kam gestern übel zugerichtet heim – die Wiltshire-Sau, ihr erklärter Liebling, hatte sie umgerannt und war auf ihrem hübschen, lilageblümten Seidenkleid herumgetrampelt. Wäre dies vor einer Woche geschehen, so hätte Sir Pitt greulich geflucht, das arme Ding tüchtig geohrfeigt und sie einen Monat lang auf Wasser und Brot gesetzt. Alles, was er jetzt sagte, war: »Warte nur, bis deine Tante fort ist«, und dabei lachte er über den Vorfall, als sei es etwas ganz Unbedeutendes. Wir wollen hoffen, daß sein Zorn verflogen ist, wenn Miss Crawley abreist. Ich hoffe es sehr um Miss Roses willen. Was für ein bezaubernder Versöhner und Friedensstifter doch das Geld ist!

Eine weitere wunderbare Wirkung Miss Crawleys und ihrer siebzigtausend Pfund zeigt sich in dem Betragen der beiden Brüder Crawley. Ich meine den Baronet und den Pfarrer, nicht unsere Brüder. Die beiden, die sich das ganze Jahr über hassen, werden zu Weihnachten ganz liebevoll gegeneinander. Ich habe Dir im vergangenen Jahre geschrieben, wie der abscheuliche Pferderenn-Pfarrer uns in der Kirche andauernd mit plumpen Predigten auf den Leib rückt und wie Sir Pitt mit Schnarchen antwortet. Sobald aber Miss Crawley kommt, hört man nichts mehr von Zank und Streit, das Schloß besucht das Pfarrhaus und umgekehrt, der Pfarrer und der Baronet unterhalten sich freundschaftlich ohne jeglichen Zank beim Wein über Schweine und Wilddiebe und Grafschaftsgeschäfte. Miss Crawley will tatsächlich nichts von ihren Streitereien wissen und schwört, sie werde ihr Geld den Shropshire Crawleys hinterlassen, wenn man sie ärgere. Wenn diese Shropshire Crawleys nur ein bißchen schlau wären, so könnten sie wahrscheinlich alles bekommen; der Shropshire Crawley ist jedoch Geistlicher wie sein Hampshire-Vetter und hat Miss Crawley durch seine engstirnigen Moralauffassungen tödlich beleidigt, als sie einmal in einem Wutanfall gegen ihre widerspenstigen Brüder zu ihm geflohen war. Er wollte, glaube ich, zu Hause das Beten einführen.

Unsere Predigtbücher werden zugeklappt, wenn Miss Crawley kommt, und Mr. Pitt, den sie verabscheut, findet es besser, nach London zu fahren. Statt seiner erscheint dann der junge Geck – Stutzer nennt man so einen wohl –Hauptmann Crawley, und wahrscheinlich willst Du wissen, was für ein Mensch er ist.

Nun, er ist ein langer, junger Geck, sechs Fuß groß und spricht sehr laut; er flucht viel und kommandiert die Dienstboten herum, die ihn aber trotzdem anbeten, denn er ist nicht knauserig mit seinem Geld, so daß sie alles für ihn tun. Vergangene Woche haben die Wildhüter beinahe einen Gerichtsdiener und seinen Gehilfen umgebracht, die von London gekommen waren, um den Hauptmann zu verhaften. Sie wurden ertappt, als sie an der Parkmauer entlangschlichen – die Wildhüter verprügelten sie, tauchten sie und hätten sie als Wilddiebe erschossen, wenn sich der Baronet nicht ins Mittel gelegt hätte.

Der Hauptmann zeigt gegenüber seinem Vater eine abgrundtiefe Verachtung, nennt ihn einen alten Tropf, einen alten Blödian, einen Bauerntölpel und belegt ihn mit zahllosen anderen hübschen Namen. Er hat ein schreckliches Ansehen bei den Damen. Er bringt seine Renner mit nach Hause, verkehrt mit den Squires der Grafschaft, ladet zum Essen ein, wen er will, und Sir Pitt wagt keinen Mucks, aus Angst, Miss Crawley zu beleidigen und um seinen Anteil zu kommen, wenn sie am Schlaganfall stirbt. Soll ich Dir ein Kompliment erzählen, das mir der Hauptmann gemacht hat? Ich muß, es ist zu hübsch. Eines Abends war doch tatsächlich Tanz bei uns; es waren Sir Huddleston Fuddleston mit Familie, Sir Giles Wapshot mit seinen Töchtern, und ich weiß nicht, wer noch alles, anwesend. Ich hörte ihn sagen: »Beim Zeus, das ist aber ein hübsches, kleines Füllen!«, womit er Deine ergebene Dienerin gemeint hat; er tat mir auch die Ehre an, zwei Contretänze mit mir zu tanzen. Er kommt mit den jungen Squires gut aus, trinkt mit ihnen, reitet und unterhält sich vom Jagen und Schießen; die Landmädchen aber findet er langweilig, und ich glaube wirklich, damit hat er nicht ganz unrecht. Du solltest nur sehen, mit welcher Verachtung sie auf mich armes Wesen herabblicken. Wenn sie tanzen, sitze ich ganz bescheiden am Klavier und spiele; als er aber neulich abend ziemlich erhitzt aus dem Speisesaal hereinkam und mich so beschäftigt fand, beteuerte er laut, daß ich die beste Tänzerin des Abends sei, und schwor bei seiner Ehre, daß er Musikanten aus Mudbury kommen lassen würde.

»Ich will einen Contretanz spielen«, erbot sich Mrs. Bute Crawley bereitwillig (sie ist eine kleine brünette Alte mit funkelnden Augen, geht ziemlich krumm und trägt einen Turban), und als der Hauptmann und Deine arme kleine Rebekka miteinander getanzt hatten, tat sie mir doch wirklich die unglaubliche Ehre an, mir über mein Tanzen Komplimente zu machen! So etwas war noch nicht dagewesen. Die stolze Mrs. Bute Crawly, älteste Cousine des Grafen von Tiptoff, die sich nur dann herabläßt, Lady Crawley zu besuchen, wenn ihre Schwägerin auf dem Lande ist. Die arme Lady Crawley! Während dieser Vergnügen hockt sie meistens oben und schluckt Pillen.

Mrs. Bute hat plötzlich eine große Vorliebe für mich entwickelt. »Meine liebe Miss Sharp«, sagte sie, »warum kommen Sie nicht einmal mit Ihren Schülerinnen ins Pfarrhaus? Die kleinen Cousinen würden sich so freuen, sie zu sehen.« Ich weiß schon, was sie damit bezweckt. Signor Clementi hat uns nicht umsonst Klavierspielen gelehrt: Mrs. Bute aber möchte für ihre Kinder eine Lehrerin umsonst. Ich durchschaue ihre .Pläne, als ob sie sie mir verraten hätte, aber ich werde hingehen, weil ich mich angenehm machen will. Ist das nicht die Pflicht einer armen Gouvernante, die in der ganzen weiten Welt auch nicht einen Freund oder Beschützer hat? Die Pfarrersfrau machte mir auch Dutzende Komplimente über die Fortschritte meiner Schülerinnen und dachte zweifellos, das könnte mein Herz rühren – das arme, einfältige Landei! Als ob mich meine Schülerinnen auch nur einen Pfifferling scherten!

Dein indisches Musselinkleid sowie Dein Rosaseidenes, liebste Amelia, sollen mir sehr gut stehen. Sie sind schon recht abgetragen; aber Du weißt, wir armen Mädchen können uns des fraiches toilettes nicht leisten. Ach, wie glücklich, wie unendlich glücklich bist Du! Du brauchst nur zur St. James' Street zu fahren, und eine gute Mutter schenkt Dir alles, worum Du bittest. Lebe wohl, teuerstes Mädchen.

Deine Dich liebende Rebekka

PS: Schade, daß Du nicht die Gesichter der beiden Miss Blackbrook (Admiral Blackbrooks Töchter, vornehme junge Damen, mit Kleidern aus London) sehen konntest, als Hauptmann Rawdon mich armes Ding zum Tanzen aufforderte.

Als Mrs. Bute Crawley (der unsere scharfsichtige Rebekka so schnell auf die Schliche gekommen war) von Miss Sharp das Versprechen eines Besuches erlangt hatte, bewog sie die allmächtige Miss Crawley, Sir Pitt um die nötige Erlaubnis dafür anzugehen; und die gutmütige alte Dame, die selbst gern lustig war und stets alles um sich her froh und glücklich sehen wollte, war ganz entzückt und gleich bereit, zwischen ihren beiden Brüdern eine Versöhnung herbeizuführen und sie wieder zu Freunden zu machen. Es wurde daher vereinbart, daß die jungen Leute beider Familien sich in Zukunft häufig besuchen sollten. Die Freundschaft währte natürlich nur so lange, wie die joviale alte Vermittlerin da war, um den Frieden aufrechtzuerhalten.

»Warum hast du bloß diesen Halunken, den Rawdon Crawley, zum Essen eingeladen?« fragte der Pfarrer seine Eheliebste, als sie durch den Park nach Hause gingen. »Ich will den Kerl nicht. Er sieht auf uns Leute vom Lande herab, als wären wir Mohren. Er gibt sich nie zufrieden, bis er meinen Gelbsiegelwein bekommt, der mich zehn Shilling pro Flasche kostet; zum Henker mit ihm! Außerdem hat er einen teuflischen Charakter – er spielt, säuft und ist durch und durch ein Bruder Liederlich. Er hat einen Menschen im Duell getötet, steckt bis über die Ohren in Schulden und hat mich und die Meinen um den größten Teil von Miss Crawleys Vermögen gebracht. Waxy sagt, sie habe ihn« – hier schüttelte der Pfarrer die Faust zum Mond empor und stieß etwas aus, was einem Fluche nicht unähnlich klang; dann fügte er melancholisch hinzu – »in ihrem Testament mit fünfzigtausend bedacht, so daß nicht mehr als dreißigtausend zum Teilen übrigbleiben.«

»Ich glaube, sie macht nicht mehr lange«, meinte die Pfarrersfrau. »Sie war schrecklich rot im Gesicht, als wir vom Essen aufstanden. Ich mußte sie aufschnüren.«

»Sie hat sieben Gläser Champagner getrunken«, sagte der ehrwürdige Herr leise, »und dabei ist es entsetzlicher Champagner, mit dem uns mein Bruder vergiftet – aber ihr Weiber habt ja keine Ahnung.«

»So muß es wohl sein«, erwiderte Mrs. Bute Crawley.

»Nach dem Essen hat sie Kirschbranntwein getrunken«, fuhr Seine Ehrwürden fort, »und dann zum Kaffee Curaçao. Ich würde nicht für fünf Pfund ein Glas trinken, das Sodbrennen würde mich umbringen. Das kann sie nicht mehr lange aushalten, Mrs. Crawley, sie wird bald das Zeitliche segnen, Fleisch und Blut können das nicht überleben. Ich wette fünf gegen zwei – noch ein Jahr, und Matilda liegt im Grabe.«

In diese ernsthaften Erwägungen vertieft, schritt der Pfarrer mit seiner Frau eine Weile dahin und dachte an seine Schulden, an seinen Sohn James auf der Universität, an Frank in Woolwich und an die vier so wenig hübschen Mädchen, die armen Dinger, die außer dem, was ihre Tante ihnen hinterlassen würde, keinen Pfennig zu erwarten hatten.

»Pitt kann doch kein so teuflischer Schurke sein und die Anwartschaft auf die Pfründe verkaufen. Und der methodistische Weichling von einem ältesten Sohne möchte gern ins Parlament«, fuhr Mr. Crawley nach einer Pause fort.

»Sir Pitt Crawley kann man alles zutrauen«, sagte die Pfarrersfrau. »Wir müssen in Miss Crawley dringen, daß sie ihn dazu bringt, die Pfründe James zu versprechen.«

»Pitt wird alles versprechen«, erwiderte der Bruder. »Er versprach mir, meine Universitätsschulden zu bezahlen, als unser Vater starb; er versprach, den neuen Flügel an das Pfarrhaus zu bauen; er versprach mir, daß er mir Jibbs Feld sowie die sechs Morgen Wiesenland überlassen wollte – aber wie hat er seine Versprechungen gehalten! Und dem Sohn dieses Mannes, diesem Spitzbuben, Spieler, Schwindler, Mörder Rawdon Crawley, hinterläßt Matilda den Löwenanteil ihres Vermögens. Ich sage, es ist unchristlich. Beim Zeus, das ist es. Der infame Hund hat alle Laster, außer der Heuchelei, und die besitzt sein Bruder.«

»Still, Liebster! Wir sind auf Sir Pitts Grund und Boden«, fiel ihm seine Frau ins Wort.

»Ich sage, er hat jedes Laster, Mrs. Crawley. Bitte, Madame, überschrei mich nicht. Hat er nicht Hauptmann Firebrace erschossen? Hat er nicht den jungen Lord Dovedale im ›Kakaobaum‹ ausgeraubt? Hat er nicht den Kampf zwischen Bill Soames und dem Cheshire As hintertrieben, wodurch ich vierzig Pfund verlor? Das weißt du alles ganz genau. Und was die Weiber betrifft, nun, so hast du das ja in meiner eigenen Gerichtsstube gehört...«

»Um Himmels willen, Mr. Crawley«, rief die Dame, »erspare mir Einzelheiten I«

»Und diesen Schuft lädst du dir ins Haus!« fuhr der empörte Pfarrer fort. »Du, die Mutter von kleinen Kindern, die Frau eines Geistlichen der Kirche von England. Beim Zeus!«

»Bute Crawley, du bist ein Narr«, sagte die Pfarrersfrau verächtlich.

»Schön, Madame, Narr oder nicht – und ich behaupte ja auch nicht, Martha, daß ich so klug bin wie du, und habe es nie behauptet. Aber Rawdon Crawley will ich nicht sehen, damit du Bescheid weißt. Ich will zu Huddleston hinüber, ja, ganz bestimmt, und mir seinen schwarzen Windhund ansehen, Mrs. Crawley; und ich wette um fünfzig Pfund, daß Lancelot besser läuft als der oder jeder andere Hund in England. Beim Zeus, das will ich. Aber das Biest Rawdon Crawley will ich nicht sehen.«

»Mr. Crawley, du bist wieder einmal betrunken«, erwiderte seine Frau. Und als am nächsten Morgen der Pfarrer aufwachte und Dünnbier verlangte, erinnerte sie ihn an sein Versprechen, am Sonnabend Sir Huddleston Fuddleston zu besuchen, und da er wußte, daß es ein feuchter Abend werden würde, so beschloß man, daß er erst am Sonntagmorgen zurückgaloppieren sollte, um noch rechtzeitig zum Gottesdienst zu kommen. So kann man sehen, daß die Pfarrkinder von Crawley sich gleichermaßen zu ihrem Gutsherrn wie zu ihrem Pfarrer Glück wünschen konnten.

Miss Crawley hatte sich noch nicht lange im Schlosse aufgehalten, da hatten Rebekkas Reize schon das Herz der gutmütigen Londoner Müßiggängerin erobert wie früher das der unschuldigen Landleute, von denen wir sprachen. Als sie eines Tages ihre gewohnte Spazierfahrt machen wollte, hielt sie es für angemessen, zu befehlen, daß »die kleine Gouvernante« sie nach Mudbury begleiten solle. Noch ehe sie zurück waren, hatte Rebekka sie erobert, da sie die alte Dame viermal zum Lachen gebracht und während der ganzen kleinen Reise amüsiert hatte.

»Miss Sharp nicht mit an der Tafel teilnehmen lassen?« entrüstete sie sich gegenüber Sir Pitt, der einen offiziellen Empfang arrangiert und alle benachbarten Baronets dazu eingeladen hatte. »Glaubst du denn, du holdes Wesen, ich könne mich mit Lady Fuddleston über Kinderstubentratsch unterhalten oder mit dem alten Dummkopf, Sir Giles Wapshot, Friedensrichterprobleme diskutieren? Ich bestehe darauf, daß Miss Sharp dabei ist! Lady Crawley kann ja oben bleiben, wenn kein Platz mehr da ist. Aber die kleine Miss Sharp! Ja, die ist die einzige in der ganzen Grafschaft, mit der man ein vernünftiges Wort reden kann!«

Auf einen so entschiedenen Befehl hin wurde Miss Sharp, die Gouvernante, natürlich aufgefordert, mit der vornehmen Gesellschaft unten zu speisen. Und als Sir Huddleston mit großem Gepränge und vielen Zeremonien Miss Crawley zur Tafel geführt hatte und sich eben anschickte, neben ihr Platz zu nehmen, rief die alte Dame mit schriller Stimme: »Becky Sharp! Miss Sharp! Kommen Sie, setzen Sie sich neben mich und amüsieren Sie mich. Sir Huddleston kann sich ja neben Lady Wapshot setzen.«

Wenn die Gesellschaften vorbei und die Wagen davongerollt waren, sagte die unersättliche Miss Crawley stets: »Kommen Sie mit mir in mein Ankleidezimmer, Becky, wir wollen die Leute von heute abend ein bißchen durchhecheln«, und das gelang diesem Frauenzimmer prächtig. Der alte Sir Huddleston keuchte entsetzlich beim Essen, Sir Giles Wapshot hatte eine besonders geräuschvolle Art, seine Suppe zu schlürfen, und seine Lady zwinkerte ein wenig mit dem linken Auge, und all das karikierte Becky bewundernswürdig. Ebenso wie die Einzelheiten der Abendunterhaltung, Politik, Krieg, die vierteljährlichen Sitzungen der Friedensrichter, das berühmte Rennen und all die schwerwiegenden und ermüdenden Themen, worüber Landedelleute sprechen. An den Toiletten der beiden Miss Wapshot und dem berühmten gelben Hut von Lady Fuddleston ließ Miss Sharp keinen guten Faden, zur unendlichen Belustigung ihrer Zuhörerin.

»Meine Liebe, Sie sind ja eine wahre trouvaille«, pflegte Miss Crawley zu sagen. »Ich wollte, Sie könnten zu mir nach London kommen. Aber ich könnte Sie nicht wie die arme Briggs zur Zielscheibe meines Spottes machen, nein, nein, Sie gerissenes kleines Geschöpf, Sie sind zu schlau dazu. – Nicht wahr, Firkin?«

Mrs. Firkin (die gerade damit beschäftigt war, die wenigen Haarreste auf Miss Crawleys Schädel zu frisieren) warf den Kopf in den Nacken und sagte mit mörderischem Sarkasmus: »Ich glaube, Miss ist wirklich sehr schlau.« Mrs. Firkin besaß jene natürliche Eifersucht, die eine Haupteigenschaft jeder ehrlichen Frau ist.

Nachdem Miss Crawley sich Sir Huddleston Fuddlestons entledigt hatte, befahl sie, daß Rawdon Crawley sie jeden Tag zu Tisch führen und daß Becky ihr mit dem Kissen folgen sollte, oder aber sie nahm Beckys Arm und ließ Rawdon mit dem Kissen folgen. »Wir müssen zusammen sitzen«, erklärte sie. »Wir sind die drei einzigen Christen in der Grafschaft, meine Liebe«; wenn das der Fall war, durfte es allerdings zugegebenermaßen in der Grafschaft Hampshire mit der Religion nicht eben zum besten stehen.

Miss Crawley war aber nicht nur eine fromme Christin, sie war auch, wie bereits erwähnt, von ultraliberaler Einstellung und ergriff jede Gelegenheit, ihre Ansichten offen zu verkünden.

»Was ist schon Geburt, meine Teure?« pflegte sie zu Rebekka zu sagen. »Sehen Sie sich meinen Bruder Pitt an, sehen Sie sich die Huddlestons an, die schon seit Heinrich II. hier wohnen, sehen Sie sich den armen Bute im Pfarrhause an – kann es einer von denen mit Ihnen in bezug auf Verstand und Erziehung aufnehmen? Es mit Ihnen aufnehmen? Ach du großer Gott, die können es nicht einmal mit der armen lieben Briggs, meiner Gesellschaftsdame, oder Bowls, meinem Butler, aufnehmen. Sie, meine Liebe, sind wirklich ein Musterexemplar, ein kleiner Edelstein. Sie haben mehr Verstand als die halbe Grafschaft. Würde Vortrefflichkeit belohnt, so müßten Sie eine Herzogin sein – nein, es sollte überhaupt gar keine Herzoginnen geben, aber Sie dürften niemanden über sich haben, und ich betrachte Sie, meine Liebe, in jeder Hinsicht als mir ebenbürtig; und... würden Sie bitte ein paar Kohlen nachlegen, und würden Sie bitte dieses Kleid nehmen und es ändern, wo Sie es doch so gut können?« So ließ diese alte Philanthropin die, die sie als Gleichgestellte betrachtete, ihre Aufträge ausführen, betraute sie mit ihren Näharbeiten und ließ sich von ihr jeden Abend mit französischen Romanen in den Schlaf lesen.

Wie ältere Leser sich vielleicht noch erinnern werden, war damals die vornehme Welt in beträchtliche Aufregung versetzt worden durch zwei Vorfälle, die geeignet waren, wie die Zeitungen sich ausdrücken, den Herren in den langen Roben Beschäftigung zu verschaffen. Fähnrich Shafton war mit Lady Barbara Fitzurse, Tochter und Erbin des Grafen von Bruin, entlaufen; und der arme Vere Vane, ein Herr, der bis in sein vierzigstes Lebensjahr in bestem Rufe stand und zahlreiche Kinder großgezogen hatte, verließ mit einemmal schändlicherweise sein Haus wegen Mrs. Rougemont, der fünfundsechzigjährigen Schauspielerin.

»Das war der schönste Zug an Lord Nelsons teurem Charakter«, sagte Miss Crawley, »daß er für eine Frau zum Teufel ging. In einem Mann, der das tut, muß Gutes stecken. Ich liebe alle unklugen Heiraten. Am schönsten finde ich, wenn ein Adliger eine Müllerstochter heiratet, wie Lord Flowerdale es getan hat. Das macht alle Frauen so wütend. Ich wollte, ein Mann liefe mit Ihnen davon, meine Liebe, hübsch genug sind Sie.«

»Zwei Postillione! Ach, das wäre entzückend!« gestand Rebekka.

»Und am zweitbesten gefällt mir, wenn ein armer Kerl mit einem reichen Mädchen durchbrennt; es wäre herrlich, wenn Rawdon irgendeine entführte.«

»Eine Reiche oder eine Arme?«

»Ei, ei, Sie Gänschen! Rawdon hat keinen Shilling, außer dem, was ich ihm gebe. Er ist criblé de dettes – er muß sein Glück reparieren und Erfolg in der Welt haben.«

»Ist er sehr klug?« fragte Rebekka.

»Klug, meine Liebe? Ei, er hat keine Ahnung von etwas anderem als von Pferden, seinem Regiment, seiner Jagd und seinem Spiel; aber er muß Erfolg haben – er ist so entzückend lasterhaft. Wissen Sie nicht, daß er einen Mann getötet und einem beschimpften Vater nur durch den Hut geschossen hat? Bei seinem Regiment beten sie ihn an, und alle jungen Leute bei ›Wattier‹ und im ›Kakaobaum‹ schwören auf ihn.«

Als Miss Rebekka Sharp ihrer geliebten Freundin den kleinen Ball in Queen's Crawley beschrieb und schilderte, wie Hauptmann Crawley sie zum ersten Male ausgezeichnet hatte, war ihr Bericht seltsamerweise nicht in allen Stücken genau. Der Hauptmann hatte sie schon oft zuvor ausgezeichnet. Der Hauptmann war ihr ein dutzendmal auf Spaziergängen begegnet. Der Hauptmann hatte sie fünfzigmal in Korridoren und Gängen getroffen. Der Hauptmann hatte sich abends wohl zwanzigmal über das Klavier gelehnt, wenn sie sang (die Lady war krank und hielt sich oben auf, und niemand kümmerte sich um sie). Der Hauptmann hatte Rebekka Briefchen geschrieben (die schönsten, die der große, ungeschickte Dragoner ersinnen und aufs Papier bringen konnte, aber mit Dummheit kommt man bei den Frauen ebenso weit wie mit allen anderen Eigenschaften). Als er aber sein erstes Briefchen in die Noten des Liedes gesteckt hatte, das sie gerade sang, erhob sich die kleine Gouvernante, sah ihm fest ins Gesicht, ergriff das dreieckige Briefchen, schwenkte es hin und her, als ob es ein Dreispitz wäre. Dann schritt sie auf den Feind zu und warf das Briefchen ins Feuer, und nach einem tiefen Knicks ging sie an ihren Platz zurück und sang lustiger als je weiter.

»Was ist los?« fragte Miss Crawley, die durch das plötzliche Aufhören der Musik in ihrem Nachmittagsschläfchen gestört wurde.

»Es war eine falsche Note«, lachte Miss Sharp; Rawdon Crawley dagegen platzte vor Wut und Ärger.

Wie gut war es doch von Mrs. Bute Crawley, nicht eifersüchtig zu werden, als sie Miss Crawleys offensichtliche Vorliebe für die neue Gouvernante entdeckte, sondern die junge Dame ins Pfarrhaus einzuladen, und mit ihr zusammen auch Rawdon Crawley, ihres Gatten Rivalen in den fünfprozentigen Papieren der alten Jungfer. Sie fanden viel Gefallen aneinander, Mrs. Crawley und ihr Neffe. Er gab das Jagen auf, folgte nicht mehr den Einladungen nach Fuddleston und speiste nicht mehr in der Offiziersmesse im Hauptquartier des Regiments in Mudbury; sein größtes Vergnügen war, nach dem Pfarrhause von Crawley hinüberzuschlendern, wohin sich auch Miss Crawley begab, und warum nicht auch Miss Sharp mit den Kindern, da doch deren Mutter krank war? So kamen denn auch die Kinder (die herzigen Kleinen!) mit Miss Sharp, und abends gingen gewöhnlich einige aus der Gesellschaft zu Fuß zurück. Nicht Miss Crawley – sie zog ihre Kutsche vor; aber für zwei Liebhaber des Malerischen wie den Hauptmann und Miss Rebekka war der Spaziergang im Mondschein über die Felder des Pfarrers und durch das Parkpförtchen zu den dunklen Bäumen und durch die Allee nach Queen's Crawley hinauf bezaubernd schön.

»Oh, die Sterne, die Sterne!« rief Miss Rebekka jedesmal aus und schlug ihre grünen funkelnden Augen auf. »Ich fühle mich fast wie ein Geist, wenn ich sie anschaue.«

»Oh – ah – Gott – ja, ich genauso, Miss Sharp«, antwortete der andere Enthusiast. »Meine Zigarre stört Sie doch hoffentlich nicht, Miss Sharp?« Miss Sharp liebte Zigarrenduft im Freien über alles – und sehr zierlich probierte sie selbst mal eine, paffte ein wenig, stieß einen kleinen Schrei aus, kicherte ein wenig und gab die Köstlichkeit dem Hauptmann zurück; der zwirbelte seinen Schnurrbart, paffte so heftig, daß rote Glut zwischen den dunklen Bäumen aufleuchtete, und schwor: »Beim Zeus – ah  – Gott – ah – das ist die beste Zigarre, die ich je geraucht habe – ah«, denn seine Unterhaltung war ebenso brillant wie sein Verstand und einem schwerfälligen jungen Dragoner angemessen.

Der alte Sir Pitt, der pfeiferauchend, sein Bier vor sich, mit John Horrocks über ein Schaf sprach, das geschlachtet werden sollte, erspähte vom Fenster seines Arbeitszimmers aus das solcherart beschäftigte Paar und schwor unter entsetzlichen Flüchen, daß er, wenn Miss Crawley nicht da wäre, Rawdon ergreifen und hinausschmeißen würde, wie es einem Spitzbuben seines Schlages gebühre.

»Er ist schon schlimm«, bemerkte Mr. Horrocks; »sein Diener Flethers aber ist noch schlimmer. Er hat im Zimmer der Haushälterin einen solchen Skandal wegen Essen und Bier aufgeführt, wie kein Lord es tun würde. Aber ich glaube, Miss Sharp ist ihm gewachsen, Sir Pitt«, setzte er nach einer Pause hinzu.

Und das war sie auch – dem Vater mitsamt dem Sohn.


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