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14. Kapitel

Miss Crawley daheim

Etwa um dieselbe Zeit fuhr ein wappengeschmückter Reisewagen an einem ungemein hübschen und gut eingerichteten Haus in der Park Lane vor; auf dem Bedientensitz befand sich ein unzufriedenes weibliches Wesen mit grünem Schleier und gebrannten Locken, auf dem Bock saß ein dicker, vertrauenerweckender Mann. Es war die Equipage unserer Freundin Miss Crawley, die aus Hampshire zurückkam. Die Wagenfenster waren geschlossen, das fette Hündchen, dessen Kopf und Zunge sonst aus einem Fenster heraushing, ruhte auf dem Schoß des unzufriedenen weiblichen Wesens. Als der Wagen hielt, wurde ein großes rundes Bündel von Schals mit Hilfe verschiedener Diener und einer jungen Dame herausgehoben, die dieses Paket von Bekleidungsstücken begleitete. Das Bündel enthielt Miss Crawley, die sofort die Treppe hinaufgeführt und in ein Zimmer und Bett gebracht wurde, die wie zur Aufnahme einer Kranken gehörig gewärmt worden waren. Boten wurden geschickt, um ihre beiden Ärzte herbeizuholen. Diese kamen, berieten sich, verschrieben etwas und verschwanden wieder. Die junge Begleiterin von Miss Crawley kam am Ende der Besprechung herein, um Verhaltungsmaßregeln zu empfangen, und gab ihr dann die antiphlogistischen Arzneien ein, die die ausgezeichneten Männer verordnet hatten.

Hauptmann Crawley von der Leibgarde kam am nächsten Tage von der Kaserne in Knightsbridge angeritten; sein stattlicher Rappe scharrte im Stroh vor der Tür seiner kranken Tante. Er erkundigte sich sehr liebevoll nach dem Befinden seiner guten Verwandten. Es schien viele Gründe zur Besorgnis zu geben. Er fand Miss Crawleys Kammermädchen (das unzufriedene weibliche Wesen) außerordentlich mürrisch und niedergeschlagen; er fand Miss Briggs, ihre dame de compagnie, in Tränen und allein im Salon. Sie war nach Hause geeilt bei der ersten Nachricht von der Krankheit ihrer geliebten Freundin. Sie wollte an ihr Lager fliegen, an das Lager, dessen Kissen sie, Briggs, in Stunden der Krankheit oft glattgestrichen hatte. Allein der Zutritt zu Miss Crawleys Zimmer wurde ihr verwehrt. Eine Fremde gab ihr die Arznei ein ... eine Fremde vom Lande... eine abscheuliche Miss... Tränen erstickten die Worte der dame de compagnie, und so begrub sie denn ihre grausam zurückgewiesene Liebe und ihre arme, alte, rote Nase im Taschentuch.

Rawdon Crawley ließ sich durch die mürrische femme de chambre oben melden, und Miss Crawleys neue Gesellschaftsdame kam aus dem Krankenzimmer herangetrippelt, legte ihre kleine Hand in die seine, als er eifrig auf sie zuging, um sie zu begrüßen, und warf der völlig verwirrten Briggs einen höhnischen Blick zu. Dann winkte sie den jungen Leibgardisten aus dem Salon, führte ihn die Treppe hinab in das nun verlassene Speisezimmer, wo so manches gute Mahl eingenommen worden war.

Hier sprachen die beiden etwa zehn Minuten miteinander und erörterten zweifellos die Krankheit der alten Patientin droben. Nach Ablauf dieser Zeit wurde energisch die Speisezimmerklingel gezogen, und augenblicklich erschien Mr. Bowls, der dicke vertrauenerweckende Butler (der sich zufällig während des größten Teils der Unterredung am Schlüsselloche aufgehalten hatte). Der Hauptmann trat, seinen Schnurrbart zwirbelnd, heraus und bestieg den im Stroh scharrenden Rappen, zur großen Bewunderung der kleinen Gassenjungen, die sich in der Straße versammelt hatten. Er blickte zum Speisezimmerfenster und ließ sein Pferd tänzeln und eine prächtige Kapriole schlagen – einen Augenblick konnte man das junge Mädchen am Fenster sehen, dann verschwand ihre Gestalt, und ohne Zweifel stieg sie wieder die Treppe hinauf, um die zarten Pflichten der Wohltätigkeit wieder auf sich zu nehmen.

Wer mochte wohl dieses junge Mädchen sein? An jenem Abend war im Speisezimmer für zwei Personen gedeckt. Mrs. Firkin, die Kammerjungfer, machte sich, während die neue Krankenwärterin und Miss Briggs sich zu dem kleinen Mahl niederließen, ungestüm im Zimmer ihrer Herrin zu schaffen.

Die Briggs war so mitgenommen, daß sie kaum ein Bröckchen Fleisch essen konnte. Das junge Mädchen zerlegte ein Huhn mit der größten Sorgfalt und bat so bestimmt um die Eiersoße, daß die arme Briggs, vor der diese würzige Köstlichkeit stand, zusammenfuhr, ein gewaltiges Klapperkonzert mit dem Soßenlöffel vollführte und wieder in ihre rührselige Hysterie verfiel.

»Wäre es nicht besser, wenn Sie Miss Briggs ein Glas Wein gäben?« sagte die Junge zu Mr. Bowls, dem dicken, vertrauenswürdigen Mann. Er tat es. Die Briggs griff mechanisch danach, stürzte es krampfhaft hinunter, stöhnte ein wenig und fing an, mit dem Hühnchen auf ihrem Teller zu spielen.

»Ich glaube, wir können uns selbst bedienen«, sagte die Junge mit größter Höflichkeit, »wir können daher auf die freundliche Hilfe von Mr. Bowls verzichten. Mr. Bowls, wir werden klingeln, wenn wir Sie benötigen.«

Der Butler ging hinunter ins Bedientenzimmer, wo er, beiläufig gesagt, den unschuldigen Lakaien, seinen Untergebenen, mit den fürchterlichsten Flüchen überhäufte.

»Wie können Sie sich die Sache so zu Herzen nehmen, Miss Briggs«, meinte die junge Dame mit kühler, etwas sarkastischer Miene.

»Meine liebe, liebe Freundin ist so krank und wi... i... i... i... i... ill mich nicht sehen«, gurgelte die Briggs in einem neuen Schmerzensausbruch hervor. »Sie ist nicht mehr sehr krank. Trösten Sie sich, teure Miss Briggs. Sie hat nur zuviel gegessen – das ist alles. Es geht ihr schon bedeutend besser. Bald wird sie wiederhergestellt sein. Sie ist noch schwach vom Schröpfen und von der ärztlichen Behandlung, wird sich aber bald erholen. Beruhigen Sie sich doch bitte und trinken Sie noch ein bißchen Wein.«

»Aber warum, warum will sie mich nicht sehen?« plärrte Miss Briggs. »Oh, Matilda, Matilda, ist das nach dreiundzwanzig Jahren zärtlicher Liebe der Dank für deine arme, arme Arabella?«

»Weinen Sie doch nicht, arme Arabella«, sagte die andere mit einem kaum merklichen Lächeln, »sie will Sie nur deshalb nicht sehen, weil sie sagt, ich pflegte sie besser als Sie. Es ist für mich kein Vergnügen, die ganze Nacht aufzubleiben. Ich wünschte, Sie könnten es an meiner Stelle tun.«

»Habe ich nicht viele Jahre lang das teure Lager bewacht?« fragte Arabella. »Und jetzt...«

»Jetzt zieht sie eben jemanden anders vor. Kranke haben nun einmal ihre Grillen, und man muß ihnen ihren Willen lassen. Wenn sie wieder gesund ist, werde ich gehen.«

»Nie, niemals«, rief Arabella und roch wie wahnsinnig an ihrem Riechfläschchen.

»Nie wieder gesund sein oder nie gehen, Miss Briggs?« fragte die andere mit derselben herausfordernden Gutmütigkeit. »Pah – in vierzehn Tagen ist sie wieder auf den Beinen, und dann gehe ich zu meinen kleinen Schülerinnen nach Queen's Crawley und zu deren Mutter zurück, die weit kränker ist als unsere Freundin. Sie brauchen nicht eifersüchtig auf mich zu sein, meine liebe Miss Briggs. Ich bin ein armes kleines Mädchen ohne Freunde und tue keinem was zuleide. Ich will Sie gar nicht aus Miss Crawleys Gunst verdrängen. Wenn ich eine Woche fort bin, wird sie mich vergessen haben. Ihre Freundschaft dagegen ist das Werk von vielen Jahren. Bitte, geben Sie mir ein bißchen Wein, meine liebe Miss Briggs, wir wollen Freundinnen sein. Ich brauche Freunde so sehr.«

Die versöhnliche und weichherzige Miss Briggs reichte ihr auf diese Bitte hin wortlos die Hand, aber trotzdem traf sie die Abtrünnigkeit tief, und sie beklagte heftig die Unbeständigkeit ihrer Matilda. Als nach einer halben Stunde das Essen vorüber war, verfügte sich Miss Rebekka Sharp (denn so heißt sie merkwürdigerweise, die bisher sinnreich als »das junge Mädchen« beschrieben worden ist) wieder in die Zimmer ihrer Patientin und komplimentierte mit ausgesuchter Höflichkeit die arme Firkin wieder hinaus. »Ich danke Ihnen, Mrs. Firkin, das genügt vollkommen; wie nett Sie das machen! Ich werde klingeln, wenn etwas benötigt wird. Ich danke Ihnen.« Und die Firkin kam herab in einem Sturm der Eifersucht, der um so gefährlicher war, als sie ihn im Busen verbergen mußte.

War es wohl dieser Sturm, der die Salontür aufblies, als sie am Treppenabsatz des ersten Stockes vorüberging? Nein, sie wurde verstohlen von der Hand der Briggs geöffnet. Die Briggs hatte auf der Lauer gelegen. Nur zu gut hatte die Briggs die zähneknirschende Firkin die Treppe herabkommen und den Löffel in der Haferbreischüssel, die die vernachlässigte Frau trug, klappern hören.

»Nun, Firkin?« sagte sie, als die andere ins Zimmer trat. »Nun, Jane?«

»Schlimmer und schlimmer, Miss Briggs«, sagte die Firkin kopfschüttelnd.

»Es geht ihr also nicht besser?«

»Sie hat nur ein einziges Mal gesprochen. Ich habe sie gefragt, ob sie sich etwas wohler fühle, und sie hat mir geantwortet, ich solle meinen dummen Mund halten. Oh, Miss B., daß ich diesen Tag noch erleben mußte!« Und die Wasserspiele setzten erneut ein.

»Was für ein Mensch ist diese Miss Sharp eigentlich, Firkin? Ich habe es mir nicht träumen lassen, als ich das Weihnachtsfest in dem vornehmen Hause meiner treuen Freunde, Ehrwürden Lionel Delameres und seiner liebenswürdigen Gattin, zubrachte, zu entdecken, daß eine Fremde meinen Platz im Herzen meiner teuersten, immer noch teuersten Matilda eingenommen hat!« Wie man aus der Sprache der Miss Briggs ersehen kann, war sie eine literarisch gebildete und sentimentale Dame. Sie hatte schon einmal einen Band Gedichte mit dem Titel »Das Schluchzen der Nachtigall« auf Subskription herausgegeben.

»Alle sind wie vernarrt in dieses junge Frauenzimmer, Miss B.«, erwiderte die Firkin. »Sir Pitt hätte sie gar nicht gehen lassen, aber er wagte nicht, Miss Crawley etwas abzuschlagen. Mrs. Bute im Pfarrhause ist genauso schlimm – sie ist nicht glücklich, wenn sie sie nicht sieht. Der Hauptmann ist ganz verrückt nach ihr, Mr. Crawley kannibalisch eifersüchtig. Seit Miss Crawley krank ist, will sie niemanden um sich haben als Miss Sharp; ich kann überhaupt nicht sagen, wie oder warum; ich stell mir nur vor, irgendwas hat alle verhext.«

Rebekka verbrachte jene Nacht wachend bei Miss Crawley. In der nächsten Nacht schlief die alte Dame so ruhig, daß Rebekka einige Stunden auf dem Sofa am Fußende ihrer Gönnerin schlafen konnte; und sehr bald war Miss Crawley wieder so wohlauf, daß sie aufsitzen konnte und über die vollendete Nachahmung von Miss Briggs und ihrem Kummer, die Rebekka ihr vorführte, herzlich lachte. Miss Briggs' tränenreiches Geschnüffel und ihre Art, das Taschentuch zu gebrauchen, waren so täuschend wiedergegeben, daß Miss Crawley ganz lustig wurde, zur großen Verwunderung der Ärzte, denn gewöhnlich fanden sie bei ihren Besuchen diese würdige Dame von Welt bei der geringsten Krankheit total niedergeschlagen und von Todesfurcht erfüllt.

Hauptmann Crawley kam täglich und ließ sich von Rebekka über das Befinden seiner Tante Bericht erstatten. Ihre Gesundheit verbesserte sich so schnell, daß die arme Briggs ihre Gönnerin besuchen durfte. Weichherzige Leser können sich die unterdrückte Rührung dieses sentimentalen Wesens und das liebevolle Gespräch vorstellen.

Bald wollte Miss Crawley die Briggs wieder häufiger um sich haben. Rebekka pflegte sie vor ihren eigenen Augen mit dem bewundernswertesten Ernst nachzuahmen und machte dadurch die Sache für ihre würdige Gönnerin doppelt pikant.

Die Ursachen, die zu Miss Crawleys beklagenswerter Krankheit und zu ihrer Abreise aus dem Haus ihres Bruders auf dem Lande geführt hatten, waren so unromantisch, daß sie sich kaum eignen, in diesem vornehmen, sentimentalen Roman erklärt zu werden. Denn wie kann man auch nur andeuten, daß eine feine Dame aus guter Gesellschaft zuviel gegessen und getrunken habe und daß der allzu reichliche Genuß von warmen Hummern bei einem Abendbrot im Pfarrhaus die Ursache eines Unwohlseins gewesen sei, das Miss Crawley selbst einzig und allein dem feuchten Wetter zuschrieb? Der Anfall war so heftig, daß Matilda – wie Seine Ehrwürden sich auszudrücken beliebte – nahe daran war, »ins Gras zu beißen«. Die ganze Familie war in fieberhafter Erwartung wegen des Testamentes, und Rawdon Crawley sah sich noch vor Beginn der Saison in London im Besitz von mindestens vierzigtausend Pfund. Mr. Crawley schickte ein Paket auserlesener Traktätchen, zur Vorbereitung des Augenblicks, wo sie den Jahrmarkt der Eitelkeit und die Park Lane mit einer anderen Welt vertauschen würde. Aber ein tüchtiger Arzt, der noch zur rechten Zeit von Southampton herbeigerufen worden war, bezwang den verhängnisvollen Hummer und brachte sie wieder so weit zu Kräften, daß sie nach London zurückkehren konnte. Der Baronet verhehlte nicht seinen heftigen Ärger über diese Wendung der Dinge.

Während alle Welt Miss Crawley mit Aufmerksamkeiten überhäufte und Boten vom Pfarrhause stündlich der liebevollen Familie dort Nachrichten über ihr Befinden holten, lag in einem anderen Teil des Hauses eine schwerkranke Dame, um die sich jedoch keine Seele kümmerte; und dies war die Herrin von Crawley. Der gute Doktor schüttelte den Kopf, als er sie sah. Sir Pitt hatte den Besuch erlaubt, da der Arzt nicht extra dafür bezahlt werden mußte. Aber man ließ sie in ihrem einsamen Zimmer langsam dahinsiechen und kümmerte sich um sie sowenig wie um ein Unkraut im Park.

Auch die jungen Damen versäumten viel von dem unschätzbaren Segen des Unterrichts bei ihrer Gouvernante. Miss Sharp war eine so liebevolle Krankenwärterin, daß Miss Crawley nur von ihr die Medizin nehmen wollte. Die Firkin war schon lange vor der Abreise ihrer Herrin vom Lande ihres Dienstes enthoben worden. Bei ihrer Rückkehr nach London fand diese treue Dienerin einen traurigen Trost darin, zu sehen, daß Miss Briggs die gleichen Eifersuchtsqualen litt und derselben treulosen Behandlung ausgesetzt war wie sie selbst.

Hauptmann Rawdon ließ sich wegen der Krankheit seiner Tante seinen Urlaub verlängern und blieb pflichtschuldig zu Hause. Er hielt sich stets in ihrem Vorzimmer auf (sie lag im prächtigsten Schlafzimmer, das man durch den kleinen blauen Salon betreten konnte). Stets begegnete ihm dort sein Vater; und kam er auch noch so leise den Korridor herab, so öffnete sich doch stets die Tür seines Vaters, und das Hyänengesicht des alten Herrn starrte heraus. Warum bewachten sie sich gegenseitig so scharf? Ohne Zweifel war es nur edler Wettstreit, der teuren Kranken im Schlafzimmer die größte Aufmerksamkeit zu beweisen! Rebekka kam gewöhnlich heraus und tröstete beide – oder vielmehr den einen nach dem anderen. Jedem der würdigen Herren lag außerordentlich viel daran, durch die vertraute kleine Botin der Patientin Neues über sie zu erfahren.

Zum Essen kam Rebekka eine halbe Stunde herunter und stiftete immer wieder Frieden zwischen ihnen. Danach verschwand sie für die Nacht. Rawdon ritt ins Hauptquartier des 150. Regiments nach Mudbury und ließ seinen Papa bei Mr. Horrocks und seinem Grog zurück. Rebekka verbrachte zwei über alle Maßen ermüdende Wochen in Miss Crawleys Krankenzimmer; allein sie schien stählerne Nerven zu besitzen, und die beschwerlichen Pflichten und die Langeweile des Krankenzimmers erschütterten sie nicht im geringsten.

Erst viel später erzählte sie, wie mühsam ihr dieser Dienst war, was für eine launische Patientin die joviale alte Dame war, wie zornig in ihrer Schlaflosigkeit, welche Todesfurcht sie hatte, wie viele lange Nächte sie stöhnend im Bett lag, in wahnsinnigen Fieberträumen von der zukünftigen Welt, die sie als Gesunde völlig ignorierte. – Oh, hübsche junge Leserin, stell dir ein weltliches, selbstsüchtiges, gnadenloses, undankbares, gottloses altes Weib vor, das sich vor Schmerz und Angst windet, und dabei noch ohne Perücke. Stell sie dir vor, und lerne lieben und beten, ehe du alt wirst!

Die Sharp wachte an diesem gnadenlosen Bette mit unermüdlicher Geduld. Nichts entging ihr; wie eine kluge Haushälterin wußte sie alles zu gebrauchen. In späteren Jahren erzählte sie manche nette Geschichte von Miss Crawleys Krankheit – Geschichten, über die die Damen unter ihrem künstlichen Rot erröteten. Während der Krankheit war sie nie schlechter Laune und stets munter und flink; sie schlief schnell ein, da sie ein reines Gewissen hatte, und konnte auch in kürzesten Zeitspannen einen erquickenden Schlaf finden. So konnte man in ihrem Äußeren kaum Spuren der Ermüdung finden. Ihr Gesicht mochte ein klein wenig blasser, die Augenringe etwas dunkler als gewöhnlich sein; sooft sie aber aus dem Krankenzimmer trat, lächelte sie und sah in ihrem Morgenröckchen und dem Häubchen so nett und frisch aus wie im schönsten Abendkleid.

Dieser Ansicht war wenigstens der Hauptmann, der sie in sonderbarer Erregung umschwärmte. Der Liebespfeil war in sein dickes Fell eingedrungen. Sechs Wochen Nähe und Gelegenheit hatten ihn völlig besiegt. Ausgerechnet seine Tante im Pfarrhaus zog er ins Vertrauen. Sie verspottete ihn deshalb, sie hatte seine Torheit schon bemerkt; sie warnte ihn, aber sie endete damit, daß sie zugab, die kleine Sharp sei das gescheiteste, drolligste, komischste, gutmütigste, einfachste, freundlichste Geschöpf in ganz England. Rawdon dürfe aber mit ihren Gefühlen nicht spielen, die liebe Miss Crawley würde ihm das nie vergeben; denn auch sie sei von der kleinen Gouvernante ganz hingerissen und liebe die Sharp wie eine Tochter. Rawdon solle fort – zurück zu seinem Regiment, in das leichtfertige London  – und dürfe nicht mit den Gefühlen eines armen, harmlosen Mädchens spielen.

Oft und oft gab diese gutmütige Dame dem armen Leibgardisten aus purem Mitleid mit seinem Zustand Gelegenheit, Miss Sharp im Pfarrhause zu sehen und mit ihr nach Hause zu gehen, wie wir bereits gesehen haben. Wenn eine gewisse Sorte Männer verliebt sind, meine Damen, so müssen sie, ob sie wollen oder nicht, den Köder verschlucken, auch wenn sie den Haken und die Schnur und das ganze Instrument, womit sie gefangen werden sollen, sehen; und einen Augenblick später werden sie schnappend an Land gezogen. Rawdon erkannte, daß Mrs. Bute es offenbar darauf anlegte, ihn für Rebekka einzunehmen. Er gehörte nicht zu den Gescheitesten, war aber doch Weltmann genug und hatte verschiedene Saisons mitgemacht. Ein Licht dämmerte in seiner trüben Seele auf, als er über einen Ausspruch von Mrs. Bute nachdachte.

»Gib acht auf meine Worte, Rawdon«, sagte sie. »Eines Tages wird Miss Sharp noch deine Verwandte werden.«

»Was für eine Verwandte? – Etwa meine Cousine, he, Mrs. Bute? Ist Francis hinter ihr her?« fragte der mutwillige Offizier.

»Mehr als das«, erwiderte Mrs. Bute, und ihre schwarzen Augen blitzten.

»Doch nicht etwa Pitt? Der soll sie nicht kriegen. Der Kriecher verdient sie nicht. Der ist für Lady Jane Sheepshanks bestimmt«

»Ihr Männer habt doch keine Augen im Kopf. Du dummer, blinder Kerl – wenn Lady Crawley etwas zustößt, dann wird Miss Sharp deine Stiefmutter; und so wird's kommen.«

Rawdon Crawley stieß einen ungeheuren Pfiff aus, zum Zeichen des Erstaunens, das diese Nachricht bei ihm auslöste. Er konnte es nicht leugnen. Die offensichtliche Zuneigung seines Vaters für Miss Sharp war ihm nicht entgangen. Er kannte den Charakter des alten Herrn sehr gut, und ein skrupelloser alter... Er beendete den Satz nicht, sondern ging unter heftigem Schnurrbartzwirbeln nach Hause. Er war überzeugt, daß er den Schlüssel zu Mrs. Butes Geheimnis gefunden hatte.

Beim Zeus, das ist zu schlimm, dachte Rawdon, zu schlimm, beim Zeus! Ich glaube wirklich, das Weib möchte, daß das arme Mädchen zugrunde gerichtet wird, damit sie nicht als Lady Crawley in die Familie kommt.

Als er Rebekka allein traf, zog er sie in seiner anmutigen Art mit seines Vaters Zuneigung auf. Sie warf ihren Kopf verächtlich in den Nacken, sah ihm voll ins Gesicht und sagte:

»Nun, nehmen wir einmal an, er hat mich gern. Ich weiß, daß er das tut, und andere tun es auch. Sie glauben doch wohl nicht, daß ich vor ihm Angst habe, Hauptmann Crawley? Sie nehmen doch wohl nicht an, daß ich außerstande bin, meine Ehre zu verteidigen?« Diese Worte sprach das junge Mädchen mit der Miene einer Königin.

»Oh – ach – na – will Sie bloß warnen – müssen sich in acht nehmen, wissen Sie, weiter nichts«, stammelte der Schnurrbartzwirbler.

»Spielen Sie etwa auf etwas Unehrenhaftes an?« fuhr Rebekka hoch.

»Oh – Gott – wirklich – Miss Rebekka«, warf der schwerfällige Dragoner ein.

»Glauben Sie etwa, ich hätte keine Selbstachtung, weil ich arm und allein bin und weil reiche Leute keine haben? Denken Sie etwa, weil ich Gouvernante bin, habe ich nicht so viel Verstand und Gefühl und Bildung wie ihr Adligen in Hampshire? Ich bin eine Montmorency. Glauben Sie etwa, eine Montmorency ist nicht ebenso gut wie ein Crawley?«

Wenn Miss Sharp aufgeregt war und auf ihre Verwandten mütterlicherseits anspielte, sprach sie immer mit einem kaum merklichen Akzent, was ihrer klaren, tönender. Stimme einen besonderen Reiz verlieh. »Nein«, fuhr sie in ihrem Gespräch mit dem Hauptmann fort und wurde immer hitziger, »Armut kann ich ertragen, aber keine Schande.; Hintansetzung, aber keine Beleidigung; und dann gerade Beleidigungen von – von Ihnen.«

Hier übermannten sie ihre Gefühle, und sie brach in Tränen aus.

»Zum Henker, Miss Sharp – Rebekka – beim Zeus – bei meiner Seele, das wollte ich nicht für tausend Pfund. Halt, Rebekka!«

Aber schon war sie fort. An diesem Tage fuhr sie mit Miss Crawley aus. Es war vor der Krankheit der Dame. Beim Mittagessen war sie ungemein strahlend und witzig; aber weder von den Anspielungen noch von dem Nicken, noch von den plumpen Vorstellungen des gedemütigten, betörten Leibgardisten wollte sie Notiz nehmen. Solche Scharmützel fanden während des kleinen Feldzuges ständig statt. Es wäre zu ermüdend, von allen zu erzählen, zumal sie alle zu ähnlichen Resultaten führten. Die Crawleysche schwere Kavallerie wurde durch die Niederlagen fast rasend, aber täglich wieder in die Flucht geschlagen.

Hätte der Baronet von Queen's Crawley nicht befürchtet, das Vermächtnis seiner Schwester vor der Nase zu verlieren, so hätte er seinen lieben Mädchen niemals die segensreiche Erziehung durch ihre unschätzbare Gouvernante vorenthalten. Das alte Haus schien eine Einöde ohne Rebekka, so nützlich und angenehm hatte sie sich dort gemacht. Keiner schrieb Sir Pitts Briefe und korrigierte sie, keiner führte seine Bücher. Seine häuslichen Geschäfte sowie seine vielfältigen Pläne blieben unerledigt, seitdem seine kleine Sekretärin fort war, und am Ton und der Orthographie der vielen Briefe, die er ihr schrieb und in denen er sie bat und aufforderte zurückzukommen, konnte man leicht erkennen, wie nötig ihm ein solcher Amanuensis war. Fast jeder Tag brachte einen portofreien Brief vom Baronet, mit den dringendsten Bitten an Becky, doch zurückzukommen, und für Miss Crawley die pathetischsten Darstellungen von den Folgen der vernachlässigten Erziehung seiner Töchter. Von diesen Dokumenten nahm Miss Crawley jedoch kaum Notiz.

Miss Briggs war zwar nicht förmlich entlassen worden, aber ihre Stelle als Gesellschafterin war eine Sinekure und ein wahrer Hohn; ihre Gesellschaft war der fette Schoßhund im Salon oder gelegentlich die mißvergnügte Firkin im Zimmer der Haushälterin. Doch obgleich die alte Dame auf keinen Fall etwas von Rebekkas Abreise hören mochte, war auch das Mädchen in der Park Lane in ihrem neuen Amt nicht regulär eingestellt worden. Wie viele reiche Leute, so hatte auch Miss Crawley die Gewohnheit, ihren Untergebenen so viele Dienste wie möglich abzufordern und sie dann gutmütig wieder abzuschieben, wenn sie sie nicht länger benötigte. Bei gewissen reichen Leuten ist Dankbarkeit nicht selbstverständlich oder etwas, woran man denken muß. Sie betrachteten die Dienste der Ärmeren als eine Pflichterfüllung. Du armer Schmarotzer und demütiger Schmeichler hast keinen Grund, dich zu beklagen! Deine Freundschaft mit dem Reichen ist in der Regel ebenso echt wie der Lohn, den du gewöhnlich dafür empfängst. Du liebst das Geld und nicht den Menschen; und müßte Krösus die Stellung mit seinem Diener vertauschen – du armer Schelm wüßtest wohl, wem du Treue beweisen würdest.

Ich bin nicht sicher, ob die schlaue alte Londonerin, an die diese Schätze der Freundschaft verschwendet wurden, trotz Rebekkas Einfachheit, Behendigkeit, Sanftmut und unermüdlicher guter Laune, nicht doch die ganze Zeit über ein geheimes Mißtrauen gegen ihre liebevolle Wärterin und Freundin hegte. Miss Crawley mußte doch sicher oft der Gedanke gekommen sein, daß niemand etwas umsonst tut. Wenn sie ihre eigenen Gefühle gegenüber der Welt maß, so mußte sie wohl auch in der Lage sein, die Gefühle der Welt ihr gegenüber gehörig abschätzen zu können. Vielleicht überlegte sie auch, daß es gewöhnlich das Los der Menschen sei, keine Freunde zu haben, wenn sie sich selbst um niemanden kümmern.

Unterdessen aber war ihr Becky eine große Stütze und Annehmlichkeit, und sie schenkte ihr dafür ein paar neue Kleider sowie eine alte Halskette und einen ebenso alten Schal und bewies ihr ihre Freundschaft, indem sie alle ihre früheren Freundinnen gegenüber ihrer neuen Vertrauten beschimpfte. (Einen rührenderen Freundschaftsbeweis kann es wohl kaum geben!) Sie dachte auch beiläufig daran, ihr künftig noch irgendeine große Wohltat zu erweisen, sie zum Beispiel an Clump, den Apotheker, zu verheiraten oder sie sonst irgendwie vorteilhaft zu versorgen. Auf alle Fälle wollte sie sie nach Queen's Crawley zurückschicken, wenn sie ihre Dienste nicht mehr benötigte und die Saison in London erst richtig begonnen hätte.

Als Miss Crawley einigermaßen wiederhergestellt war und in den Salon hinabging, sang Rebekka ihr vor oder unterhielt sie anderweitig. Als sie wieder ausfahren konnte, mußte Becky sie begleiten. Und welches andere Ziel wählte Miss Crawleys bewundernswürdige Gutmütigkeit und Freundschaft bei einer dieser Ausfahrten als das Haus von John Sedley am Russell Square in Bloomsbury?

Vor diesem Ereignis waren selbstverständlich zwischen den beiden guten Freundinnen viele Briefe gewechselt worden. Während der Monate, die Rebekka in Hampshire verbrachte, hatte die ewige Freundschaft natürlich bedeutend Einbuße erlitten und war so hinfällig und altersschwach geworden, daß sie ganz zu sterben drohte. Das kam, weil beide den Kopf mit ihren eigenen Angelegenheiten voll hatten: Rebekka mit ihrem Fortkommen bei ihren Arbeitgebern, Amelia mit dem Thema, das sie völlig in Anspruch nahm. Als unsere beiden sich wiedersahen und einander mit dem Ungestüm junger Mädchen in die Arme flogen, spielte Rebekka ihre Rolle bei der Umarmung mit vollendeter Lebhaftigkeit und Energie. Die arme kleine Amelia errötete, als sie die Freundin küßte, und dachte, sie habe sich doch einer gewissen Kälte gegen sie schuldig gemacht.

Ihre erste Unterhaltung dauerte nur einige Augenblicke. Amelia war gerade im Begriff, spazierenzugehen. Miss Crawley wartete unten in ihrer Kutsche, und ihre Leute wunderten sich über den Ort, zu dem sie gefahren waren, und starrten den ehrlichen Sambo, den schwarzen Diener von Bloomsbury, als einen der komischen Eingeborenen dieses Ortes an. Dann kam Amelia freundlich lächelnd herab. Rebekka mußte sie ihrer Freundin vorstellen, Miss Crawley war so erpicht darauf, sie zu sehen, war aber noch zu krank, den Wagen zu verlassen. Als Amelia erschien, wunderte sich die Livreearistokratie von der Park Lane noch mehr, daß Bloomsbury so etwas hervorbringen könne, und Miss Crawley war ganz hingerissen von dem süßen, errötenden Gesicht der jungen Dame, die so schüchtern und anmutig auf sie zutrat, um der Beschützerin ihrer Freundin ihre Aufwartung zu machen.

»Was für ein Teint, meine Liebe! Was für eine liebliche Stimme!« sagte Miss Crawley, als sie nach der kurzen Unterhaltung wieder gen Westen fuhren. »Meine teure Sharp, Ihre junge Freundin ist ja bezaubernd. Bitten Sie sie doch, einmal nach der Park Lane zu kommen, hören Sie?« Miss Crawley hatte einen guten Geschmack. Sie liebte natürliches Benehmen – etwas Schüchternheit hob es nur noch hervor. Sie hatte gern hübsche Gesichter um sich, ebenso wie sie schöne Gemälde und hübsches Porzellan gern hatte. An dem Tage sprach sie noch ein halbes dutzendmal mit Entzücken von Amelia. Sie erwähnte sie gegenüber Rawdon Crawley, der pflichtschuldigst kam, um am Hühnchen seiner Tante teilzuhaben.

Daraufhin gab Rebekka natürlich sofort zu verstehen, daß Amelia mit einem gewissen Leutnant Osborne verlobt sei, eine alte Liebe.

»Dient er in einem Linienregiment?« fragte Hauptmann Crawley, dem nun nach einiger Mühe – typisch Leibgardist – auch die Nummer des Regiments einfiel.

Rebekka meinte, es sei dies wahrscheinlich das Regiment. »Der Hauptmann heißt Dobbin«, erklärte sie.

»Ein langer, linkischer Bursche, der über jedermann stolpert«, meinte Crawley. »Den kenne ich, und Osborne, ist das ein gutaussehender Kerl mit großem, schwarzem Backenbart?«

»Ungeheuer groß und ungeheuer stolz darauf, das können Sie mir glauben«, versicherte Miss Rebekka Sharp.

Als Antwort brach Hauptmann Rawdon Crawley in ein heiseres Gelächter aus. Die Damen forderten ihn dringend auf, eine Erklärung abzugeben; als daher der Heiterkeitsausbruch vorüber war, sagte er: »Er bildet sich ein, ein guter Billardspieler zu sein. Zweihundert habe ich ihm im ›Kakaobaum‹ abgewonnen. Der und spielen, dieser Grünschnabel! Er hätte an dem Tag alles aufs Spiel gesetzt, aber sein Freund, Hauptmann Dobbin, holte ihn weg. Zum Henker mit ihm!«

»Rawdon, Rawdon, führ nicht so lose Reden«, warf Miss Crawley vergnügt ein.

»Na, unter allen jungen Burschen von der Linie ist der da wohl der grünste. Tarquin und Deuceace nehmen ihn ganz schön aus. Er würde zum Teufel gehen, bloß um mit einem Lord gesehen zu werden. Er bezahlt ihre Essenrechnungen in Greenwich, und sie laden die Gesellschaft ein.«

»Wahrscheinlich eine nette Gesellschaft?«

»Ganz richtig, Miss Sharp. Richtig, wie gewöhnlich, Miss Sharp. Eine ungewöhnlich nette Gesellschaft, haha!« Und der Hauptmann, der glaubte, er hätte einen guten Witz gemacht, lachte immer lauter.

»Rawdon, sei nicht unartig!« rief seine Tante.

»Sein Vater ist Citykaufmann, ungeheuer reich, heißt es. Zum Henker mit diesen Cityleuten; sie müssen geschröpft werden, und ich bin mit ihm auch noch nicht fertig, das kann ich euch bloß versichern. Haha!«

»Pfui, Hauptmann Crawley, ich werde Amelia warnen. Ein Ehemann, der spielt!«

»Abscheulich, nicht wahr?« versetzte der Hauptmann feierlich und fügte dann, als ihm plötzlich ein Gedanke kam, hinzu: »Bei Gott, Tante, wir werden ihn hierher einladen.«

»Ist er denn gesellschaftsfähig?« fragte die Tante.

»Gesellschaftsfähig? Ei freilich. Du merkst bestimmt keinen Unterschied«, antwortete Hauptmann Crawley. »Können wir ihn nicht einladen, wenn du wieder ein paar Leute empfängst, und seine Dingsda – seine Amorosa – nicht, Miss Sharp, nennt man das nicht so ähnlich? – kann auch kommen. Bei Gott, ich will ihn in einem Briefchen einladen, und dann werden wir mal sehen, ob er ebenso gut Pikett spielen kann wie Billard. Wo wohnt er denn, Miss Sharp?«

Miss Sharp gab Crawley die Londoner Adresse des Leutnants, und einige Tage nach diesem Gespräch erhielt Leutnant Osborne einen Brief in Hauptmann Rawdon Crawleys Schülerhandschrift, dem eine Einladung von Miss Crawley beigelegt war.

Auch Rebekka schickte eine Einladung an ihre teuerste Amelia – die diese, wie man sich vorstellen kann, nicht ungern annahm, als sie hörte, daß George mit von der Partie sei. Es wurde verabredet, daß Amelia den Vormittag bei den Damen in der Park Lane zubringen solle, wo alle sehr freundlich gegen sie waren. Rebekka begönnerte sie mit ruhiger Überlegenheit; sie war ihr an Verstand so weit überlegen, und ihre Freundin war so sanft und bescheiden, daß sie stets nachgab, wenn es jemand einfiel, zu kommandieren, und deshalb ließ sie sich auch Rebekkas Befehle sanftmütig und gutwillig gefallen. Miss Crawleys Huld war ebenfalls bemerkenswert. Sie setzte ihre Begeisterungsergüsse über die kleine Amelia fort und sprach in ihrer Gegenwart von ihr, als ob sie eine Puppe, ein Dienstmädchen oder ein Gemälde wäre, und bewunderte sie wohlwollend. Ich bewundere die Bewunderung, die die vornehme Welt bisweilen den einfachen Menschen zollt. Es gibt im Leben nichts Angenehmeres, als die Mayfair-Welt sich herablassen zu sehen. Miss Crawleys übertriebenes Wohlwollen ermüdete die arme kleine Amelia doch sehr, und ich glaube sicher, daß ihr von den drei Damen in der Park Lane die ehrliche Miss Briggs noch am liebsten war. Sie sympathisierte mit Miss Briggs wie mit allen vernachlässigten, sanften Personen; sie war nicht das, was man gemeinhin als Frau mit Geist bezeichnet.

George kam zum Diner, einem Essen en garçon bei Hauptmann Crawley.

Die große Osbornesche Familienkutsche brachte ihn vom Russell Square zur Park Lane. Die jungen Damen, die selbst nicht eingeladen waren und diese Nichtachtung scheinbar mit größter Gleichgültigkeit betrachteten, schlugen trotzdem Sir Pitt Crawleys Namen im Adelskalender nach und erfuhren darin alles, was dieses Werk über die Familie Crawley und deren Stammbaum und die Binkies, ihre Verwandten und so weiter und so fort zu berichten wußte. Rawdon Crawley empfing George Osborne mit großer Freimütigkeit und war äußerst freundlich, lobte sein Billardspiel, fragte ihn, wann er Revanche haben wollte, legte viel Interesse für Osbornes Regiment an den Tag und hätte ihm wohl noch am gleichen Abend ein Pikettspiel vorgeschlagen, hätte Miss Crawley nicht das Spielen in ihrem Haus energisch verboten, so daß für diesmal wenigstens die Börse des jungen Leutnants von seinem großmütigen Gönner nicht erleichtert wurde. Sie verabredeten sich jedoch für den folgenden Tag, um ein Pferd zu besichtigen und im Park auszuprobieren, das Crawley zu verkaufen hatte; dann wollten sie zusammen speisen und den Abend in Gesellschaft einiger lustiger Kameraden verbringen. »Das heißt, wenn Sie bei der hübschen Miss Sedley nicht Dienst haben«, sagte Crawley mit schlauem Blinzeln. »Ein schrecklich nettes Mädchen, bei meiner Ehre, Osborne«, war er so gnädig hinzuzusetzen. »Vermute, eine Masse Moneten; he?«

Osborne hatte keinen Dienst; mit Vergnügen wolle er mit Crawley zusammenkommen. Als sie sich dann tags darauf trafen, lobte Crawley die Reitkunst seines neuen Freundes – was er auch ehrlich tun konnte – und machte ihn mit drei oder vier jüngeren Männern von Rang und Namen bekannt, auf deren Bekanntschaft der einfache junge Offizier außerordentlich stolz war.

»Übrigens, wie geht es der kleinen Miss Sharp?« fragte Osborne beim Wein seinen Freund mit der Miene eines Stutzers. »Ein gutherziges kleines Mädchen das. Wie macht sie sich in Queen's Crawley? Miss Sedley war sehr befreundet mit ihr im vorigen Jahr.«

Hauptmann Crawley sah den Leutnant aus seinen kleinen blauen Augen wütend an und beobachtete ihn, als er hinaufging, um seine Bekanntschaft mit der blonden Gouvernante zu erneuern. Ihr Benehmen muß Rawdon aber wieder beruhigt haben, wenn es in der Brust des Leibgardisten die Eifersucht überhaupt gab.

Als der junge Osborne hinaufgegangen und Miss Crawley vorgestellt worden war, stolzierte er großartig und gönnerhaft auf Rebekka zu. Er wollte ihr gegenüber recht freundlich sein und sie beschützen. Ja, er wollte ihr, als einer Freundin von Amelia, sogar die Hand geben; und so hielt er ihr denn mit den Worten: »Ah, guten Tag, Miss Sharp!« die linke Hand hin, in der Erwartung, daß die Ehre sie gänzlich verwirren werde.

Miss Sharp streckte den rechten Zeigefinger hin und nickte ihm leicht zu; ein so kühles und herablassendes Nicken, daß Rawdon Crawley, der den Vorgang vom Nebenzimmer aus beobachtete, sich kaum das Lachen verbeißen konnte, als er die völlige Schlappe des Leutnants bemerkte, sein plötzliches Zurückweichen, die Pause und die Ungeschicklichkeit, mit der er sich zuletzt herabließ, den angebotenen Finger zu ergreifen. »Sie würde noch den Teufel unterkriegen, beim Zeus!« jubelte der Hauptmann.

Der Leutnant fragte Rebekka liebenswürdig, um die Unterhaltung in Gang zu bringen, wie ihr ihre neue Stellung gefalle:

»Meine Stellung?« erwiderte Miss Sharp kühl. »Wie freundlich von Ihnen, mich daran zu erinnern! Es ist eine erträgliche Stellung, das Gehalt ist nicht schlecht, aber wohl nicht so hoch wie das von Miss Wirt bei Ihren Schwestern am Russell Square. Wie geht es den jungen Damen – wenn ich überhaupt fragen darf?«

»Warum denn nicht?« fragte Mr. Osborne erstaunt.

»Nun, sie haben sich doch nie herabgelassen, mit mir zu sprechen oder mich einzuladen, als ich bei Amelia war; aber wissen Sie, wir armen Gouvernanten sind dergleichen Hintansetzungen ja gewohnt.«

»Meine liebe Miss Sharp!« rief Osborne.

»Wenigstens in einigen Familien«, fuhr Rebekka fort. »Sie können sich aber kaum vorstellen, was es da für Unterschiede gibt. Wir in Hampshire sind nicht so reich wie ihr glücklichen Leute von der City. Dafür lebe ich aber in der Familie eines Edelmannes – gutes, altes, englisches Blut. Vermutlich wissen Sie, daß Sir Pitts Vater die Peerswürde ausgeschlagen hat. Dabei sehen Sie ja, wie man mich behandelt. Ich fühle mich recht wohl. Wirklich, es ist eine gute Stellung. Aber wie außerordentlich nett von Ihnen, sich zu erkundigen.«

Osborne war wütend. Die kleine Gouvernante begönnerte und verhöhnte ihn, daß es diesem jungen britischen Löwen sehr peinlich wurde. Er hatte aber nicht so viel Geistesgegenwart, sich von diesem ergötzlichen Gespräch unter irgendeinem Vorwand zurückzuziehen.

»Ich hatte doch den Eindruck, die Cityfamilien hätten Ihnen zugesagt«, sagte er hochmütig.

»Sie meinen voriges Jahr, als ich gerade aus dieser scheußlichen, gemeinen Schule kam? Natürlich, damals. Fährt nicht jedes Mädchen während der Ferien gern nach Hause? Und woher hätte ich es besser wissen sollen? Aber ach, Mr. Osborne, eine achtzehnmonatige Erfahrung macht doch einen unheimlichen Unterschied! Achtzehn Monate, die man – entschuldigen Sie, daß ich es so ausdrücke – mit Gentlemen verbracht hat. Die liebe Amelia, das gebe ich zu, ist eine Perle und würde überall bezaubern. – Na, bitte sehr, wie ich sehe, wird Ihre Laune allmählich besser; aber nein! Diese komischen Leute! Und Mr. Joe – wie geht es dem wunderbaren Mr. Joseph?«

»Mir scheint, daß Sie den wunderbaren Mr. Joseph voriges Jahr nicht so ungern sahen«, sagte Osborne liebenswürdig.

»Wie streng Sie doch sind! Nun, entre nous, seinetwegen ist mir das Herz nicht gebrochen; aber wenn er mich um das gebeten hätte, was Ihre Blicke wohl andeuten wollen (wie ausdrucksvoll und freundlich Ihre Blicke übrigens sind), so hätte ich sicher nicht nein gesagt.«

Mr. Osborne warf ihr einen Blick zu, der etwa sagen wollte: Wirklich, bin außerordentlich verbunden!

»Welche Ehre, Sie als Schwager zu haben, denken Sie nun, nicht wahr? Schwägerin von George Osborne, Esquire, Sohn von John Osborne, Esquire, Sohn von ... was war doch gleich Ihr Großvater, Mr. Osborne? Nun, nicht gleich ärgerlich werden! Sie können ja nichts für Ihren Stammbaum, und ich gebe Ihnen recht, daß ich Mr. Joe Sedley geheiratet hätte; denn konnte ein armes mittelloses Mädchen etwas Gescheiteres tun? Nun kennen Sie das ganze Geheimnis. Ich bin offen und ehrlich, und wenn ich es recht betrachte, so war es sehr nett von Ihnen, auf die Sache anzuspielen – sehr nett und höflich. Amelia, meine Liebe, Mr. Osborne und ich haben uns gerade über deinen armen Bruder Joseph unterhalten. Wie geht es ihm?«

So wurde George völlig aus der Fassung gebracht. Nicht daß Rebekka recht gehabt hätte, aber sie hatte es zuwege gebracht, ihn ins Unrecht zu setzen. Und nun ergriff er eine schimpfliche Flucht, weil er fühlte, daß er in Gegenwart Amelias zum Narren gemacht worden wäre, hätte er noch eine Minute länger verweilt.

Obgleich er Rebekka gegenüber den kürzeren gezogen hatte, war George doch nicht so gemein, eine Dame zu verleumden oder sich an ihr zu rächen; er konnte aber nicht umhin, tags darauf Hauptmann Crawley einige seiner Ansichten über Miss Rebekka anzuvertrauen – daß sie eine verschlagene, gefährliche Person, eine schreckliche Kokette sei und so weiter. All dem stimmte Hauptmann Crawley lachend bei, und ehe vierundzwanzig Stunden um waren, hatte Miss Rebekka alles erfahren. Ihre ursprüngliche Achtung für Mr. Osborne wurde dadurch noch erhöht. Ihr weiblicher Instinkt hatte ihr verraten, daß es George gewesen war, der den Erfolg ihres ersten Liebesabenteuers vereitelt hatte, und sie schätzte ihn entsprechend.

»Ich will Sie bloß warnen«, sagte er zu Rawdon Crawley mit einem schlauen Blick – er hatte das Pferd gekauft und nach dem Essen ein paar Dutzend Guineen verloren –, »ich will Sie bloß warnen – ich kenne die Frauen und rate Ihnen, auf Ihrer Hut zu sein.«

»Sehr verbunden, mein Junge«, antwortete Crawley mit besonders dankbarem Blick. »Wie ich sehe, sind Sie sehr auf Draht.« Und George entfernte sich mit dem Gedanken, daß Crawley recht habe.

George Osborne berichtete Amelia, was er getan und daß er Rawdon Crawley – einem verteufelt netten, ehrlichen Burschen – geraten habe, sich vor der schlauen, hinterhältigen kleinen Rebekka in acht zu nehmen.«

»Vor wem?« rief Amelia.

»Vor Ihrer Freundin, der Gouvernante. Gucken Sie doch nicht so erstaunt!«

»O George, was haben Sie getan?« jammerte Amelia. Denn ihre von der Liebe geschärften Frauenaugen hatten ein Geheimnis entdeckt, das Miss Crawley, der armen, jungfräulichen Briggs und vor allem den einfältigen Augen des jungen bärtigen Stutzers, Leutnant Osbornes, verborgen geblieben war.

Als nämlich Rebekka in einem Zimmer oben Amelia in ihren Schal hüllte und die beiden Freundinnen Gelegenheit gefunden hatten, ein wenig zu tuscheln und Pläne zu schmieden – für Frauen stets ein großes Vergnügen –, wandte sich Amelia ihr zu, nahm ihre beiden kleinen Hände und sagte: »Rebekka, ich begreife alles!«

Rebekka küßte sie.

Keine der beiden Frauen verrieten auch nur eine Silbe von dem süßen Geheimnis. Aber es sollte nicht mehr lange dauern, bis es an die Öffentlichkeit drang.

Kurze Zeit nach diesen Ereignissen – Miss Rebekka Sharp weilte im Hause ihrer Gönnerin in der Park Lane –konnte man in der Great Gaunt Street ein weiteres Totenschild neben den vielen anderen sehen, mit denen diese traurige Gegend gewöhnlich geziert ist. Es befand sich an Sir Pitt Crawleys Haus, zeigte aber nicht das Hinscheiden des würdigen Baronets an. Es war ein weibliches Totenschild und hatte vor wenigen Jahren beim Begräbnis von Sir Pitts alter Mutter, der verwitweten Lady Crawley, gedient. Nachdem es seine Schuldigkeit getan hatte, war es von der Hausfront entfernt worden und hatte in irgendeinem Hintergebäude von Sir Pitts Haus ein zurückgezogenes Dasein geführt. Jetzt erschien es wieder für die arme Rose Dawson. Sir Pitt war abermals Witwer. Das Wappen auf dem Schild neben seinem war zwar nicht das der armen Rose. Sie hatte kein Wappen. Aber die aufgemalten Engel paßten ebensogut für sie wie für Sir Pitts Mutter. Unter dem Wappenschild stand »Resurgam«, und zu beiden Seiten sah man die Crawleysche Taube und Schlange. Wappen, Totenschild und »Resurgam« – wahrhaftig eine schöne Gelegenheit zum Moralisieren!

Nur Mr. Crawley hatte sich um die einsame Kranke gekümmert. Lady Crawley ging aus der Welt, gestärkt durch die trostreichen Worte, die er ihr geben konnte. Viele Jahre lang war dies die einzige Freundlichkeit, die ihr widerfahren war, die einzige Freundschaft, die diese schwache, verlassene Seele irgendwie getröstet hatte. Ihr Herz war tot, bevor ihr Körper starb. Sie hatte es verkauft, um Sir Pitt Crawleys Frau zu werden. Tagtäglich schließen Mütter und Töchter auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit den gleichen Handel ab.

Bei ihrem Hinscheiden befand sich ihr Mann in London, mit seinen zahllosen Plänen und seinen unzähligen Advokaten beschäftigt. Trotzdem hatte er Zeit gefunden, öfter in der Park Lane aufzukreuzen und Rebekka Briefe zu schreiben, worin er sie bat, ihr auftrug, zu ihren jungen Schülerinnen aufs Land zurückzukehren, die nun während der Krankheit ihrer Mutter völlig sich selbst überlassen waren. Allein Miss Crawley wollte ganz und gar nichts von ihrer Abreise hören, denn obgleich es in London keine Dame von Welt gab, die ihre Freunde leichteren Herzens aufgab, sobald sie ihrer Gesellschaft überdrüssig war (und keine wurde ihrer schneller überdrüssig), so war sie doch, solange ihr engouement anhielt, sehr anhänglich, und noch klammerte sie sich mit aller Kraft an Rebekka.

Die Nachricht von Lady Crawleys Tod erregte in Miss Crawleys Familienkreis nicht mehr Kummer oder Beachtung, als man hätte erwarten können. »Ich werde wohl die Gesellschaft, die ich am Dritten geben wollte, verschieben müssen«, meinte Miss Crawley und setzte nach einer Pause hinzu: »Hoffentlich besitzt mein Bruder den Anstand, sich nicht wieder zu verheiraten.« »Pitt wird sich totärgern, wenn er es doch tut«, bemerkte Rawdon mit seiner gewöhnlichen Hochachtung vor dem älteren Bruder. Rebekka sagte nichts. Sie schien die Ernsteste und Ergriffenste von der ganzen Familie zu sein. Sie verließ an diesem Tage das Zimmer, ehe Rawdon ging; aber zufällig trafen sie sich unten, als er sich verabschiedet hatte und gerade aufbrechen wollte. Sie sprachen lange miteinander.

Als Rebekka am nächsten Morgen aus dem Fenster blickte, erschreckte sie Miss Crawley, die ganz friedlich mit einem französischen Roman beschäftigt war, durch den Schreckensruf: »Sir Pitt kommt, Madame!« Das Klopfen des Baronets folgte dieser Ankündigung unmittelbar.

»Meine Liebe, ich kann ihn nicht sehen. Ich will ihn nicht sehen. Sagen Sie Bowls, ich sei nicht zu Hause, oder gehen Sie hinunter und sagen Sie ihm, ich sei zu krank, um jemanden zu empfangen. Meine Nerven könnten meinen Bruder in diesem Augenblick wirklich nicht ertragen«, rief Miss Crawley aus und kehrte zu ihrem Roman zurück.

»Sie ist zu krank, um Sie zu empfangen, Sir«, sagte Rebekka und trippelte Sir Pitt entgegen, der gerade die Treppe erklimmen wollte.

»Um so besser«, antwortete Sir Pitt. »Ich will ja Sie sprechen, Miss Becky. Kommen Sie mit mir in das Empfangszimmer.« Sie betraten gemeinsam das Zimmer.

»Sie müssen unbedingt nach Queen's Crawley zurück, Miss«, sagte der Baronet und heftete seine Augen auf sie, als er die schwarzen Handschuhe und den Hut mit dem breiten Trauerflor ablegte. Sein Blick war so seltsam, so starr auf sie gerichtet, daß Rebekka Sharp fast zu zittern begann.

»Ich hoffe, ich kann bald kommen«, sagte sie leise, »sobald es Miss Crawley besser geht. Dann werde ich zu – zu den lieben Kindern zurückkehren.«

»So reden Sie nun schon drei Monate lang, Becky«, erwiderte Sir Pitt, »und immer noch haben Sie sich nicht von meiner Schwester losmachen können. Die wird Sie wie einen alten Schuh wegwerfen, wenn sie Sie satt hat. Ich sage Ihnen, ich brauche Sie. Ich fahre zur Beerdigung nach Hause. Kommen Sie zurück? Ja oder nein?«

»Ich wage es nicht – ich glaube nicht – daß es sich schicken würde – so ganz allein – mit Ihnen, Sir«, sagte Becky, offensichtlich in großer Erregung.

»Ich sage es noch einmal: Ich brauche Sie«, rief Sir Pitt und hämmerte auf den Tisch. »Ich komme ohne Sie nicht weiter. Als Sie fort waren, habe ich es erst gemerkt. Im Hause geht alles schief. Es ist alles wie verdreht. Meine Rechnungen sind wieder ganz durcheinander. Sie müssen zurückkommen. Ach, kommen Sie doch zurück! Liebe Becky, kommen Sie doch!«

»Kommen – als was, Sir?« keuchte Rebekka.

»Kommen Sie als Lady Crawley, wenn Sie wollen«, sagte der Baronet und griff nach seinem Trauerhut. »So! Sind Sie damit zufrieden? Kommen Sie zurück und werden Sie meine Frau. Sie sind die Richtige. Zum Henker mit der Abstammung! Sie sind so gut eine Lady wie jede andere. Sie haben in Ihrem kleinen Finger mehr Verstand als irgendeine Baronetsfrau in der Grafschaft. Wollen Sie kommen? Ja oder nein?«

»Oh, Sir Pitt!« sagte Rebekka tief bewegt.

»Sagen Sie ja, Becky«, fuhr Sir Pitt fort. »Ich bin ein alter Mann, aber noch ganz gut beisammen. Zwanzig Jahre treibe ich es noch. Ich werde Sie glücklich machen, das werden Sie erleben. Sie können tun, was Sie möchten, können alles so einrichten, wie Sie es wollen. Ich setze Ihnen eine Summe aus. Ich werde alles in Ordnung bringen. Da, sehen Sie!« Und der alte Mann fiel auf die Knie und blinzelte wie ein verliebter Satyr.

Rebekka fuhr zurück – ein Bild der Bestürzung. Im Laufe dieser Geschichte haben wir sie noch nie die Geistesgegenwart verlieren sehen; nun tat sie es, und sie weinte einige der echtesten Tränen, die je ihren Augen entfielen.

»Ach, Sir Pitt!« sagte sie. »Ach, Sir – ich – ich bin doch schon verheiratet!«


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