Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

21. Kapitel

Streit um eine Erbin

Eine junge Dame mit den Eigenschaften der Miss Swartz mußte wohl geliebt werden, und der alte Mr. Osborne gab sich plötzlich ehrgeizigen Träumen hin, die sie verwirklichen sollte. Er ermutigte die liebenswürdige Anhänglichkeit seiner Töchter für die junge Erbin mit größter Freundlichkeit und Begeisterung und beteuerte, daß er als Vater sehr froh sei, daß seine Mädchen ihre Liebe gerade ihr geschenkt hatten.

»Mein liebes Fräulein«, pflegte er zu Miss Rhoda zu sagen, »Sie werden in unserem bescheidenen Hause am Russell Square nicht den Glanz und Rang finden, den Sie von West End her gewohnt sind. Meine Töchter sind einfache, uneigennützige Mädchen, aber das Herz sitzt ihnen auf dem rechten Fleck, und sie haben eine Zuneigung zu Ihnen gefaßt, die ihnen Ehre macht – ich sage, die ihnen alle Ehre macht. Ich bin ein schlichter, einfacher, bescheidener britischer Kaufmann – ein ehrlicher, wie meine verehrten Freunde Hulker und Bullock, die ehemaligen Geschäftsfreunde Ihres viel betrauerten seligen Vaters, bezeugen können. Sie werden in uns eine einfache, glückliche und, ich darf wohl sagen, angesehene Familie finden, die gut zusammenhält, einen einfachen Tisch, schlichte Leute, aber ein warmes Willkommen, meine liebe Miss Rhoda – lassen Sie mich Rhoda sagen, denn mein Herz erwärmt sich für Sie, wirklich. Ich bin ein freimütiger Mann, und ich habe Sie gern. Ein Glas Champagner, Hicks! Champagner für Miss Swartz!«

Es besteht kaum ein Zweifel, daß der alte Osborne alles glaubte, was er sagte, und daß es den Mädchen mit ihren Freundschaftsbeteuerungen gegenüber Miss Swartz wirklich ernst war. Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit schließt man sich ganz natürlich reichen Leuten an. Die einfachsten Menschen schon blicken nicht unfreundlich auf den großen Reichtum (ich fordere jedes Mitglied der britischen Öffentlichkeit auf, zu sagen, ob die Vorstellung von Reichtum nicht etwas Ehrfurchteinflößendes und Anziehendes in sich birgt. Und wenn du erfährst, daß dein Tischnachbar eine halbe Million besitzt – betrachtest du ihn nicht auch mit einem gewissen Interesse?). Wenn einfache Menschen das Geld so wohlwollend ansehen, wieviel mehr erst so ein alter Weltmann! Ihre Neigung stürzt sich auf das Geld und heißt es herzlich willkommen. Freundliche Gefühle gegenüber den interessanten Besitzern erwachen unvermittelt. Ich kenne achtbare Leute, die es sich nur dann gestatten, Freundschaft für jemanden zu empfinden, wenn dieser ein gewisses Vermögen oder eine Stellung in der Gesellschaft hat. Bei passender Gelegenheit machen sie dann ihren Gefühlen Luft. Als Beweis dafür kann dienen, daß der größte Teil der Familie Osborne, dem es fünfzehn Jahre lang unmöglich gewesen war, eine Zuneigung zu Amelia Sedley zu fassen, im Laufe eines einzigen Abends Miss Swartz so liebgewann, daß es sich selbst der romantischste Verteidiger der Freundschaft auf den ersten Blick nicht besser wünschen konnte.

Was für eine vortreffliche Partie wäre das für George (waren sich die Schwestern und Miss Wirt einig), und wie war sie der unbedeutenden kleinen Amelia doch überlegen. So ein schneidiger Bursche wie er, von so gutem Aussehen, Rang und solchen Talenten wäre gerade der rechte Mann für sie. Visionen von Bällen am Portland Place, Vorstellungen bei Hofe und beim halben Adel schwebten den jungen Damen vor, die mit ihrer geliebten neuen Freundin von nichts anderem sprachen als von George und seinen vornehmen Bekannten.

Auch der alte Osborne dachte, sie gebe eine vortreffliche Partie für seinen Sohn ab. Er müsse dann die Armee verlassen, ins Parlament gehen und in der vornehmen Gesellschaft wie im Staat eine große Rolle spielen. Sein Blut wallte in ehrlicher britischer Begeisterung, als er den Namen Osborne schon in der Person seines Sohnes geadelt sah, und er fühlte sich bereits als Stammvater einer ruhmreichen Reihe von Baronets. Er zog in der City und an der Börse Erkundigungen ein, bis er alles über das Vermögen der Erbin wußte, wie ihr Geld angelegt war und wo ihre Besitzungen lagen. Der junge Fred Bullock, eine seiner Hauptinformationsquellen, hätte zwar selbst gern auf sie geboten (so drückte sich der junge Bankier aus), aber er war ja für Maria Osborne bestimmt. Da er sie nun nicht als Frau gewinnen konnte, so war der uneigennützige Fred völlig einverstanden, sie zur Schwägerin zu bekommen. George müsse bald anfangen zu handeln und sie gewinnen, so lautete sein Rat. »Man muß das Eisen schmieden, solange es heiß ist, wissen Sie, solange sie noch neu in der Stadt ist. In ein paar Wochen kommt dann so ein verdammter Kerl von West End mit einem Titel und einem Paket Schulden und sticht uns Cityleute aus, wie voriges Jahr Lord Fitzrufus bei Miss Grogram, die eigentlich mit Podder von Podder und Brown verlobt war. Je schneller die Sache zustande kommt, um so besser, Mr. Osborne. Das ist meine Meinung«, sagte der Bursche. Als Osborne jedoch die Bank verlassen hatte, fiel Mr. Bullock Amelia ein und was für ein hübsches Mädchen sie sei und wie sehr sie an George Osborne hänge. Und so widmete er mindestens zehn Sekunden seiner wertvollen Zeit dafür, das Unglück des armen jungen Mädchens zu bedauern.

Während nun George Osbornes bessere Gefühle und sein treuer Freund und guter Genius Dobbin den Pflichtvergessenen zu Amelias Füßen zurückführten, arrangierten Georges Vater und seine Schwestern diese glänzende Partie für ihn, wobei sie sich nicht einen Augenblick träumen ließen, er könne etwas dagegen haben.

Wenn der alte Osborne jemandem einen »Wink« gab, wie er es nannte, so begriff auch der Dümmste, wo lang der Hase lief. Ein »Wink« für einen Diener, daß er entlassen sei, war es, wenn er ihn die Treppe hinunterwarf. Mit seinem gewohnten Freimut und Takt versprach er Mrs. Haggistoun einen Scheck auf zehntausend Pfund für den Tag, an dem sein Sohn ihr Mündel heiraten würde. Auch diesen Vorschlag nannte er einen Wink und betrachtete ihn als einen geschickten diplomatischen Schachzug. Zuletzt gab er George auch einen »Wink« hinsichtlich der Erbin. Er befahl ihm, sie auf der Stelle zu heiraten, ganz so, wie er dem Butler befohlen hätte, eine Flasche zu entkorken, oder seinem Buchhalter, einen Brief zu schreiben.

Dieser gebieterische »Wink« beunruhigte George doch sehr. Er war noch in der ersten Begeisterung und Freude, Amelia zum zweitenmal den Hof zu machen, was ihm unaussprechlich viel Vergnügen bereitete. Der Kontrast zwischen ihrem Benehmen und Äußeren und dem der Erbin machte ihm die Vorstellung einer Verbindung mit dieser doppelt lächerlich und verhaßt. Kutsche und Opernlogen, dachte er, man stelle sich vor, sie sehen einen darin an der Seite einer solchen mahagonifarbenen Zauberin! Zu alledem war Osborne junior ebenso eigensinnig wie Osborne senior; ebenso standhaft in seinem Entschluß, etwas, was er sich in den Kopf gesetzt hatte, zu erreichen; ebenso heftig im Zorn wie sein Vater in den schlimmsten Augenblicken.

An dem Tage, an dem ihm sein Vater allen Ernstes den Wink gab, seine Liebe Miss Swartz zu Füßen zu legen, versuchte George, bei dem alten Herrn Zeit zu gewinnen. »Du hättest eher daran denken müssen, Vater«, sagte er. »Jetzt, wo wir jeden Tag Marschbefehl erwarten, geht es nicht. Warte bis zu meiner Rückkehr, falls ich zurückkehre.« Er stellte ihm vor, daß die Zeit, wo das Regiment täglich erwartete, England zu verlassen, durchaus schlecht gewählt sei und daß die wenigen Tage in der Woche, an denen sie noch zu Hause sein durften, Geschäften und nicht Liebeleien gewidmet sein müßten. Dafür bliebe immer noch genug Zeit, wenn er als Major zurückkomme, »denn ich verspreche dir«, sagte er mit selbstzufriedener Miene, »du wirst den Namen George Osborne auf die eine oder andere Art in der ›Gazette‹ lesen können.«

Die Antwort des Vaters darauf gründete sich auf die Auskunft, die er in der City erhalten hatte, daß nämlich die Erbin unfehlbar einem der faulen Kunden von West End in die Hände fallen würde, wenn man sich nicht beeilte. Wenn er sich schon nicht schnell mit Miss Swartz trauen lassen wolle, so solle er wenigstens die Verlobung schriftlich bestätigen lassen und gleich heiraten, wenn er nach England zurückkehren würde. Ein Mensch, der zehntausend pro Jahr bekommen könne, wenn er zu Hause bliebe, sei ein Narr, sein Leben auswärts aufs Spiel zu setzen.

»Du möchtest also meinen Namen als den eines Feiglings bloßgestellt sehen, bloß um des Geldes von Miss Swartz willen«, fiel George ihm ins Wort.

Diese Bemerkung beunruhigte den alten Herrn etwas. Da er aber darauf zu antworten hatte und sein Entschluß gefaßt war, erwiderte er: »Morgen ißt du mit uns, und sooft Miss Swartz kommt, bist du hier, um ihr deine Aufwartung zu machen. Wenn du Geld brauchst, dann sprich bei Mr. Chopper vor.« Damit stellte sich Georges Plänen mit Amelia ein neues Hindernis in den Weg. Er und Dobbin hielten deshalb manche vertrauliche Beratung ab. Die Ansicht seines Freundes über sein künftiges Verhalten kennen wir bereits. Und wenn sich Osborne etwas in den Kopf gesetzt hatte, machten ihn ein paar Hindernisse um so entschlossener.

Das dunkle Opfer dieser vom Haupt der Osborneschen Familie angezettelten Verschwörung ahnte von all den Plänen rein gar nichts (seltsamerweise verriet auch ihre Freundin und Anstandsdame nichts davon). Sie erwiderte die ihr entgegengebrachte Liebe mit tropischer Glut, da sie alle Schmeicheleien der jungen Damen für echte Gefühle hielt und, wie bereits gesagt, von Natur aus sehr warmherzig und ungestüm war. Um der Wahrheit willen müssen wir hinzusetzen, daß selbstsüchtige Beweggründe sie zu dem Hause am Russell Square führten, kurz gesagt, daß sie George Osborne für einen sehr netten jungen Mann hielt. Schon am ersten Abend ihrer Bekanntschaft auf dem Ball bei Hulkers hatte sein Backenbart Eindruck auf sie gemacht, und bekanntlich war sie nicht die erste Frau, die davon bezaubert war. George war gleichzeitig arrogant und melancholisch und ungestüm. Er sah aus wie ein Mann voll Leidenschaft und Geheimnis, voll geheimen Kummers und voller Abenteuer. Seine Stimme war wohltönend und tief. Er konnte in so traurigem und vertraulichem Ton seiner Partnerin ein Eis anbieten oder sagen, es sei ein warmer Abend, als ob er ihr den Tod ihrer Mutter mitteilen oder eine Liebeserklärung machen wollte. Er drückte alle jungen Stutzer an die Wand, die sich bei seinem Vater blicken ließen, und war der Held dieser drittrangigen Leute. Einige spöttelten über ihn und haßten ihn, andere wieder, unter ihnen Dobbin, bewunderten ihn fanatisch. Und sein Backenbart hatte angefangen, seine Wirkung zu tun und sich um das Herz von Miss Swartz zu winden.

Sooft die Aussicht bestand, George am Russell Square zu treffen, war dieses einfache und gutmütige junge Ding ganz aufgeregt, ihre lieben Osborne-Mädchen zu sehen. Sie stürzte sich in gewaltige Ausgaben für neue Kleider, Armbänder, Hüte und riesige Federbüsche. Sie putzte sich mit großer Geschicklichkeit, um dem Eroberer zu gefallen, und zeigte alle ihre bescheidenen Talente, um seine Gunst zu gewinnen. Die Mädchen pflegten sie feierlich zu bitten, ein wenig Musik zu machen, und sie sang dann ihre drei Lieder und spielte ihre zwei Stückchen, sooft man es wünschte, und ihr Vergnügen dabei steigerte sich ständig. Während dieser ergötzlichen Unterhaltung saßen Miss Wirt und die Anstandsdame dabei und studierten den Adelskalender und sprachen von den Vornehmen.

Am Tage nachdem George von seinem Vater den »Wink« erhalten hatte, lag er kurz vor dem Mittagessen in sehr kleidsamer und vollkommen natürlicher Melancholie auf einem Sofa im Salon hingestreckt. Er war auf Geheiß seines Vaters bei Mr. Chopper in der City gewesen (obwohl der alte Herr seinem Sohne große Summen zukommen ließ, setzte er ihm nie ein festes Taschengeld aus und gab ihm bloß etwas, wenn er in guter Laune war). Darauf hatte er drei Stunden bei Amelia, bei seiner lieben kleinen Amelia, in Fulham verbracht, und als er dann nach Hause kam, fand er seine Schwestern in gestärkten Musselinkleidern im Salon vor, die beiden alten Damen plaudernd im Hintergrund und die ehrliche Swartz in ihrem Lieblingskleid aus bernsteingelbem Atlas, mit Türkisarmbändern, zahllosen Ringen, Blumen, Federn und allen Arten von Besatz und Flitter, fast ebenso elegant herausgeputzt wie ein weiblicher Schornsteinfeger am ersten Mai.

Nachdem die Mädchen verschiedene vergebliche Versuche gemacht hatten, ihn ins Gespräch zu ziehen, unterhielten sie sich über Moden und die letzte Hofgesellschaft, bis er von ihrem Geschwätz ganz krank war. Er verglich das Benehmen der drei mit dem von Emmy, ihre schrillen, unangenehmen Stimmen mit Emmys zartem, klingendem Tonfall, ihre Haltung, ihre eckige Steifheit mit den bescheidenen, sanften Bewegungen und dem verschämten Liebreiz Amelias. Die arme Swartz saß auf Emmys ehemaligem Platz. Ihre juwelenüberladenen Hände lagen gespreizt in ihrem bernsteingelben Atlasschoß. Ihre Behänge und Ohrringe funkelten, und ihre großen Augen rollten durch den Raum. Völlig mit sich zufrieden, tat sie nichts und hielt sich für bezaubernd. Die Schwestern hatten noch nie etwas so Kleidsames gesehen wie Atlas.

»Verdammt«, sagte George zu seinem vertrauten Freund, »sie sah aus wie eine Porzellanpuppe, die den ganzen Tag nichts zu tun hat, als zu lächeln und mit dem Kopfe zu wackeln. Beim Zeus, Will, ich mußte mich beherrschen, daß ich ihr nicht das Sofakissen an den Kopf warf.« Diesen Gefühlsausbruch hielt er jedoch zurück.

Die Schwestern fingen an, die »Schlacht von Prag« zu spielen. »Hört auf mit dem verdammten Zeug«, brüllte George wütend vom Sofa. »Es macht mich ganz verrückt. Spielen Sie uns lieber etwas, Miss Swartz. Singen Sie etwas, irgend etwas, bloß nicht die ›Schlacht von Prag‹.«

»Soll ich ›Blauäuglein Mary‹ singen oder das Lied von der Gartenlaube?« fragte Miss Swartz.

»Die hübsche Gartenlaube«, sagten die Schwestern.

»Das haben wir schon gehört«, entgegnete der Misanthrop auf dem Sofa.

»Ich kann auch ›Flefe di Tasche‹ singen«, sagte die Swartz sanftmütig, »wenn ich bloß den Text hätte.« Es war das letzte Stück aus dem Repertoire des netten jungen Mädchens.

»Ach, ›Fleuve du Tage‹«, rief Miss Maria, »das Lied haben wir«, und sie ging, das Buch zu holen, in dem es stand.

Dieses damals so außerordentlich beliebte Lied war den Damen von einer jungen Freundin geschenkt worden, deren Namen auf dem Titelblatt stand. Miss Swartz hoffte vielleicht, als sie das Lied zu Georges Beifall gesungen hatte (denn der junge Hauptmann erinnerte sich, daß es ein Lieblingslied Amelias war), auf ein Dakapo. Sie spielte dabei mit den Notenblättern, als ihr Auge auf das Titelblatt fiel und sie in der Ecke »Amelia Sedley« las.

»Mein Gott!« rief Miss Swartz und drehte sich auf dem Klaviersessel wie ein Kreisel. »Ist es meine Amelia? Die Amelia, die im Pensionat von Miss Pinkerton in Hammersmith war? Ich weiß, sie ist es. Sie ist es, und... Erzählen Sie mir doch von ihr... Wo ist sie?«

»Sprechen Sie nicht von ihr!« sagte Miss Maria Osborne hastig. »Ihre Familie hat sich in Unehre gebracht. Ihr Vater hat Papa betrogen. Und ihr Name darf hier nie und nimmermehr erwähnt werden.« Das war Miss Marias Antwort auf Georges Grobheit wegen der »Schlacht von Prag«.

»Sind Sie eine Freundin von Amelia?« fragte George und sprang auf. »Gott segne Sie dafür, Miss Swartz. Glauben Sie nicht, was die Mädchen da sagen. Sie kann auf jeden Fall nichts dafür. Sie ist das beste...«

»Du weißt, du sollst nicht von ihr sprechen, George«, rief Jane. »Papa hat es verboten.«

»Wer will mich daran hindern?« rief George. »Ich will von ihr sprechen. Ich sage, sie ist das beste, freundlichste, sanfteste, süßeste Mädchen in ganz England, und bankrott oder nicht – meine Schwestern können ihr nicht das Wasser reichen. Wenn Sie sie lieben, Miss Swartz, so besuchen Sie sie, sie braucht jetzt Freunde. Und ich sage, Gott segne alle, die freundlich zu ihr sind! Jeder, der Gutes von ihr sagt, ist mein Freund. Und jeder, der gegen sie spricht, ist mein Feind. Ich danke Ihnen, Miss Swartz.« Und er stand auf und schüttelte ihr die Hand.

»George! George!« rief eine der Schwestern flehend.

»Ich sage«, sagte George heftig, »ich danke jedem, der Liebe für Amelia Sed ...« Er hielt inne. Der alte Osborne stand im Zimmer, leichenblaß vor Wut und mit Augen wie glühende Kohlen.

Obgleich George mitten im Satz abgebrochen hatte, war sein Blut doch so in Wallung gebracht, daß alle Osborneschen Generationen zusammengenommen ihn nicht einschüchtern konnten. Sofort faßte er sich wieder und erwiderte den drohenden Blick seines Vaters mit seinem eigenen, so voll Entschlossenheit und Trotz, daß der alte Mann nun seinerseits erschrak und wegsah. Er fühlte, daß der Kampf bevorstand. »Mrs. Haggistoun, erlauben Sie mir, daß ich Sie zu Tisch führe«, sagte er. »Reich deinen Arm Miss Swartz, George.« Und sie marschierten ab.

»Miss Swartz, ich liebe Amelia, und wir sind fast unser ganzes Leben miteinander verlobt«, sagte Osborne zu seiner Partnerin. Und während des ganzen Essens plauderte George mit einer Geläufigkeit, die ihn selbst überraschte und seinen Vater doppelt furchtsam machte in Erwartung des Kampfes, der stattfinden mußte, sobald die Damen sich entfernt hatten.

Der Unterschied zwischen beiden lag darin, daß der Vater heftig und grob war, der Sohn aber dreimal soviel Mut und Seelenstärke besaß und nicht bloß angreifen, sondern auch einen Angriff parieren konnte. Und da er sah, daß der Augenblick nun gekommen war, wo der Streit zwischen ihm und seinem Vater zur Entscheidung drängte, so aß er in aller Seelenruhe mit dem besten Appetit, ehe der Kampf begann. Der alte Osborne dagegen war erregt und . trank viel. Er stockte in der Unterhaltung mit seinen Tischnachbarinnen, und Georges Kaltblütigkeit machte ihn nur noch zorniger. Er wurde halb wahnsinnig, als er bemerkte, mit welcher Gelassenheit George seine Serviette zusammenfaltete und mit galanter Verbeugung den Damen die Tür öffnete, als sie das Zimmer verlassen wollten. Dann schenkte George sich ein Glas Wein ein, trank es aus und blickte seinem Vater gerade ins Gesicht, als wollte er sagen: Meine Herren von der Garde, feuern Sie zuerst. Der alte Mann versah sich ebenfalls mit Munition, aber die Flasche klirrte gegen das Glas, als er es füllen wollte.

Er holte tief Luft und begann dann, purpurrot im Gesicht, als wollte er ersticken: »Wie kannst du dich unterstehen, den Namen dieser Person in meinem Salon vor Miss Swartz zu nennen? Ich frage dich, wie kannst du dich unterstehen?«

»Moment mal, Vater«, sagte George, »sage nicht ›unterstehen‹. ›Unterstehen‹ ist ein Wort, das man einem Hauptmann der britischen Armee gegenüber nicht in den Mund nehmen sollte.«

»Ich sage zu meinem Sohn, was ich will. Ich kann ihn enterben bis auf den letzten Shilling, wenn ich will. Ich kann ihn zum Bettler machen, wenn ich will. Ich werde sagen, was ich will«, sagte der Alte.

»Ich bin ein Gentleman, obgleich ich dein Sohn bin«, antwortete George hochmütig. »Ich muß darum bitten, daß alle Mitteilungen, die du mir zu machen, oder alle Befehle, die du mir zu geben beabsichtigst, in einer Form gehalten sind, die ich zu hören gewohnt bin.«

Sooft der junge Osborne diese hochmütige Haltung annahm, erregte er bei dem Vater entweder große Furcht oder einen gewaltigen Zorn. Der alte Osborne hatte eine geheime Angst vor seinem Sohne als dem besseren Gentleman. Und vielleicht haben meine Leser auf unserem Jahrmarkt der Eitelkeit auch schon erfahren, daß Menschen niedriger Gesinnung niemandem so mißtrauen wie einem Gentleman.

»Mein Vater ließ mir nicht die Erziehung angedeihen, die du erhalten hast, ich hatte auch nicht die Vorteile, die du gehabt, oder das Geld, das du bekommen hast. Hätte ich in der Gesellschaft verkehrt, wo ich gewissen Leuten mit meinen Mitteln ermöglicht habe, zu verkehren, so hätte mein Sohn wahrscheinlich keinen Grund, mit seiner Überlegenheit und seiner West-End-Miene zu prahlen.« (Diese Worte sprach der alte Osborne in seinem sarkastischsten Ton.) »Aber zu meiner Zeit glaubte man noch nicht, daß es einem Gentleman zieme, seinen Vater zu beleidigen. Hätte ich so etwas getan, so hätte mich meiner die Treppe hinuntergeworfen.«

»Ich habe dich niemals beleidigt, Vater. Ich habe gesagt, du möchtest nicht vergessen, daß dein Sohn ebenso Gentleman ist wie du selbst. Ich weiß sehr gut, daß du mir viel Geld gibst«, sagte George (dabei befühlte er ein Bündel Banknoten, das er am Morgen von Mr. Chopper erhalten hatte). »Das sagst du mir oft genug, Vater. Du brauchst keine Angst zu haben, daß ich es vergesse.«

»Ich wollte, du erinnertest dich anderer Dinge ebensogut«, antwortete der Vater. »Ich wollte, du erinnertest dich – solange du dieses Haus mit deiner Gegenwart beehrst, Herr Hauptmann –, daß ich darin der Herr bin, und dieser Name – und daß der – daß du – daß ich sage...«

»Daß was, Sir?« fragte George mit einem Anflug von Hohn, während er sich noch ein Glas Rotwein einschenkte.

Dem Vater entfuhr ein gräßlicher Fluch. »Daß der Name dieser Sedleys hier nicht genannt werden darf, nicht einer von der ganzen verdammten Brut!«

»Nicht ich war es, Vater, der Miss Sedleys Namen zuerst erwähnte. Meine Schwestern sprachen vor Miss Swartz schlecht über sie. Und, beim Zeus, ich werde sie verteidigen, wo es auch sein mag. Niemand soll diesen Namen in meiner Gegenwart geringschätzig aussprechen. Unsere Familie hat ihr Schaden genug zugefügt, denke ich, und jetzt, wo sie am Boden liegt, sollte man mit den Schmähungen aufhören. Ich schieße jeden, außer dir, nieder, der nur ein Wort gegen sie sagt.«

»Weiter, nur weiter so«, sagte der alte Herr mit hervorquellenden Augen.

»Weiter? Worüber, Vater? Über die Art und Weise, wie wir diesen Engel von einem Mädchen behandelt haben? Wer hieß mich, sie zu lieben? Das war dein Werk. Ich hätte eine andere Wahl treffen und dabei aus deinen Kreisen herauskommen können. Aber ich habe dir gehorcht. Und jetzt, wo mir ihr Herz gehört, befiehlst du mir, es wegzuwerfen und sie zu strafen, vielleicht gar zu töten – wegen anderer Leute Fehler. Es ist eine Schande, beim Himmel«, schrie George, der sich immer mehr in Zorn und Begeisterung steigerte, »mit der Liebe eines jungen Mädchens ein leichtfertiges Spiel zu treiben – und noch dazu eines Engels wie sie – eines Wesens, so hoch über den Menschen, unter denen sie lebt, daß sie Neid hätte erregen können, wäre sie nicht so gut und so sanft, daß es ein Wunder ist, wie jemand sie überhaupt hassen kann. Glaubst du denn, Vater, sie würde mich vergessen, wenn ich sie verließe?«

»Ich will von solchem verdammten sentimentalen Quatsch und Unsinn nichts wissen«, schrie der Vater. »In meiner Familie dulde ich keine Bettelheiraten. Wenn du achttausend pro Jahr, die du im Handumdrehen bekommen könntest, aus dem Fenster werfen willst, so tue es nur. Aber beim Zeus, dann pack deine Siebensachen und verschwinde mir aus dem Haus. Willst du tun, was ich dir sage, ein für allemal, oder willst du es nicht?«

»Die Mulattin da heiraten?« fragte George und zog den Hemdkragen hoch. »Ich mag die Farbe nicht. Frag den Schwarzen, der am Fleet Market drüben die Straße fegt! Ich jedenfalls heirate keine Hottentottenvenus.«

Mr. Osborne riß wie ein Rasender an der Klingelschnur, mit der er sonst den Butler herbeirief, wenn er Wein haben wollte, und befahl diesem dienstbaren Geist, fast schwarz im Gesicht, für Hauptmann Osborne einen Wagen zu holen.

»Ich habe es getan«, sagte George, als er eine Stunde später mit bleichem Gesicht zu Slaughters kam.

»Was, mein Junge?« sagte Dobbin.

George erzählte, was zwischen seinem Vater und ihm vorgefallen war.

»Morgen werde ich sie heiraten«, sagte er mit einem Fluch. »Ich liebe sie jeden Tag mehr, Dobbin!«


 << zurück weiter >>