Bertha von Suttner
Martha's Kinder
Bertha von Suttner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXX.

Hugo Bresser erwartete mit Ungeduld das versprochene Wort. Nach zwei Tagen traf es ein:

»Ich will Dein sein. Aber ohne Falsch und Hehl. Erst muß ich mich befreien. Also noch Geduld. Ich schreibe wieder. Bis dahin ist Dir mein Haus verschlossen. Aber nicht wahr? Das Wort genügt – ich wiederhole es: so wahr ich weiter leben will, und kann – Dein will ich sein.«

Von diesen Zeilen aufs tiefste erregt, setzte sich Hugo sogleich an seinen Schreibtisch, um zu antworten. Seine Pulse flogen, ein seliger Rausch erfaßte ihn und mit fliegender Feder schrieb er auf die erste Seite vier glühende Strophen – ein Triumphlied über das Thema: »Du willst mein sein« vielleicht das schönste Lied in dem Zyklus »An sie«, – dann fuhr er in Prosa fort:

»Sylvia, sag' nicht zum Glücke »Später!« Später kann ja eins von uns zweien gestorben sein – was wäre das für ein Raub! Du willst Dich frei machen? Bist Du's denn nicht? Spürst Du nicht, daß in beglückter Liebe eine solche Kraft liegt, daß sie alle Ketten, Skrupel, Rücksichten spielend über alle Dächer schleudert?

Das ist ja wieder ein sklavisches und ängstliches Sichbeugen unter das Joch des fremden Willens, ein Abhängigsein von fremdem Urteil, daß Du da erst Scheidungsurkunden und dergleichen brauchst, daß Du erst, dem ganzen Kreis von Tanten und Sippen höfliche Anzeigen machen willst: Meine Verehrtesten, ich liebe Hugo Bresser und will die Seine werden.

Wen geht das etwas an? Das ist unsere Welt und eine so große, so freudenhelle, daß sie für uns das ganze übrige in Nichts und ins Dunkel verdrängt ... Du bist zu stolz, um zu lügen? Vor allem sollten wir zwei zu stolz sein, unser Glück der kalten Menge bloßzulegen ... ein Glück, das um so süßer wäre, je verschwiegener es bleibt. Nicht ängstlich verschwiegen, nur sorglos, als wäre die Mitwelt nicht da. Die Liebe hat solche Isolierungsgewalt. Sie umgibt das selige Paar mit einem undurchsichtigen Netz – aus Flammen gewoben. Das ist der echte Feuerzauber.

Ich bin von einem Hochmut! ... Mir ist, als trüge die Erde niemand, der mir ebenbürtig ist. Der König aller Könige bin ich, denn Du willst mein sein ... niemand ist würdig, mir die Schuhriemen zu lösen, aber vor Dir lieg' ich im Staube – Herrin.

Doch wieder nein: nicht Dein Knecht will ich sein, sondern Dein Schützer – Kind! Du weißt nicht, welche sanfte, schmelzende Zärtlichkeit ich Dir bereit halte; ruhen sollst Du an meinem Herzen, Dich in meine Arme schmiegen, im Bewußtsein voller Sicherheit und Geborgenseins. Du hast ja viel Trübes durchgemacht – Stunden der Bitterkeit, des Ekels, des Aufruhrs – Trost brauchst Du und Rast und Stille. Fürchte nicht, daß Dein Geliebter Dich in einen ewigen Wirbelsturm der Leidenschaft mit sich reißen will – ich will Dir Frieden geben. Minuten lodernder Extase – aber auch Stunden heiterer Vernünftigkeit. Oder auch Unvernünftigkeit; wir sind gescheit genug jedes für sich, um miteinander kindisch sein zu dürfen. Ja, fröhlich wollen wir sein – scherzen und lachen. Scherz ist der Page der Königin Freude – und diese ist die Gemahlin des Königs Glück.

Dann wollen wir auch – in anderen Stunden – ernst sein, dem Leben mit seinen Rätseln tief ins Auge schauen, wir wollen – –

Ich breche ab – Ungeduld erfaßt mich. Diesen Brief trage ich selbst in Dein Haus, um ihn Deinem Mädchen in die Hand zu geben, damit er Dir schnell und sicher zukomme. Und Du: hab' Erbarmen und hab' Mut.«

Zur selben Zeit war Sylvia gleichfalls mit Schreiben beschäftigt. Es war ein Brief an ihren Mann.

»Lieber Anton!

Es gibt Dinge, die sich leichter schriftlich als mündlich sagen lassen. Ich wünsche – und wahrscheinlich komme ich dabei Deinem eigenen Wunsch entgegen – eine Trennung unserer Ehe.

Du liebst seit mehreren Jahren eine schöne Künstlerin, die Dir einen Sohn geschenkt hat; Du verbringst mehr als die Hälfte Deiner Zeit in ihrem Hause – das Du ihr geschenkt hast; Du versuchst nicht einmal den Schein der Treue gegen mich zu wahren – kurz, Du hast tatsächlich unsere Ehe schon gelöst.

Ich war allein und dadurch – frei. Ich aber blieb allein und hielt meinen Part in dem von Dir gebrochenen Vertrage aufrecht. Jetzt aber muß es anders werden. Ich habe mein Herz verschenkt und will meine Freiheit vindizieren. Betrügen will ich nicht. Weder Dich noch die Welt. Ich bitte Dich also, übereinstimmend mit mir Schritte zu einer regelrechten Scheidung anzubahnen. Von meiner Liebe lasse ich unter keinen Umständen. Solltest Du in eine Scheidung nicht willigen, so würde ich einfach abreisen – und nicht allein. Ich besitze selbständiges Vermögen, das weißt Du, und kann wo immer unabhängig leben.

Die Hauptsache ist jetzt gesagt. Das Übrige kann, wenn Du einverstanden bist, mündlich verhandelt oder zwei Rechtsbeiständen zur Durchführung übergeben werden.

Nicht ganz ohne Wehmut scheide ich von Dir; denn ich erinnere mich der Zeit, da ich glaubte, wir beide würden mit- und durcheinander glücklich werden. Es ist anders gekommen. Du warst der erste, der sein Glück fern von unserem Herde gesucht und gefunden – die Reihe ist an mir. Nur möchte ich –«

Bis hierher hatte sie geschrieben, als die Jungfer eintrat und ihr Hugos Brief übergab.

Sylvia erkannte die teuere Schrift, aber sie zerriß nicht sofort den Umschlag. Erst wollte sie ihr eigenes Schreiben vollenden und an seine Bestimmung kommen lassen.

»Warte einen Augenblick,« sagte sie und mit vor Erregung zitternder Hand – der unerbrochene Brief wirkte auf sie wie eine geliebte Nähe – warf sie noch ein paar Schlußzeilen auf den begonnenen Briefbogen und schob ihn in ein Kuvert. »So, das trage hinüber zum Herrn Grafen und übergib es ihm selber.«

»Wissen Frau Gräfin nicht, daß der Herr Graf heute früh abgefahren ist? Der Kammerdiener hat ihm seinen Koffer gebracht, dann einen Fiaker geholt ... und der Herr Graf ist auf die Südbahn, und dem Portier hat er gesagt, daß er erst morgen oder übermorgen zurückkommt –«

»Ach so – einerlei ... leg' den Brief auf seinen Schreibtisch.« Jetzt war sie allein und vertiefte sich in Hugos Zeilen. Sie las sie einmal durch, dann ein zweites Mal, Satz für Satz – jeden ein paarmal hintereinander; einzelne Worte wiederholte sie laut und lauschte ihrem Klang, als wären sie Musik: »Ein Netz – aus Flammen gewoben ... Dein Schützer, Kind ... schmelzende Zärtlichkeit ...« Alle Töne die der Briefschreiber angeschlagen – Leidenschaft, Wagemut, Ruhesehnsucht, glühende Extase und schäumender Frohsinn, alles das vibrierte in ihrer Seele nach, und weckte solches Verlangen nach seiner Nähe, daß sie »aus Erbarmen« mit sich selber mehr noch als mit ihm, ihn am liebsten gleich gerufen hätte ... Aber sie widerstand der Lockung. Rufen würde sie ihn nicht, aber wenn er käme ... Bei dem Gedanken fühlte sie eine Beklemmung, von der sie nicht hätte sagen können, ob sie Schmerz oder Seligkeit war – –

Gewaltsam raffte sie sich aus dieser Träumerei empor und klingelte ihrer Jungfer.

»Schnell, einen Fiaker,« befahl sie. Sie hatte den raschen Entschluß gefaßt, ihre Mutter aufzusuchen und bei ihr den Tag zu verbringen. Sie wollte nicht allein bleiben – allein mit ihrer gefährlichen Sehnsucht.

Aber Baronin Tilling war nicht zu Hause. Auch sie war – so sagte der Diener – diesen Morgen von Wien weggefahren, nach Grumitz, in geschäftlicher Angelegenheit.

Den Wagen hatte Sylvia fortgeschickt, also ging sie zu Fuß wieder in die Richtung des Rings zurück. Bei einer Kreuzung mußte sie stehen bleiben, um ein paar Wagen vorüberfahren zu lassen und plötzlich hörte sie eine Stimme hinter sich:

»Sylvia!«

Sie wandte sich um.

»Ach!« rief sie – Hugo Bresser stand neben ihr. Er war ebenso bewegt wie sie, ebenso blaß wie sie. Mit weit aufgerissenen Augen, einen fast schmerzlichen Zug um den zitternden Lippen, blickten sie einander eine Weile starr an.

Ein eilig Vorübergehender, der ein Paket trug, stieß sie unsanft an; da kamen sie rasch zur Besinnung und erinnerten sich, daß sie auf belebter Straße waren. Sylvia wandte sich zum Gehen und als wäre es selbstverständlich, schritt Hugo neben ihr.

»Sie haben meinen Brief –« begann er. Das »Du«, welches er niedergeschrieben, wollte ihm auf diesem öffentlichen Orte nicht über die Lippen und auch von dem Briefe zu reden, schien ihm garnicht am Platze und so vollendete er nicht den begonnenen Satz und fragte etwas anders:

»Woher kommen Sie?«

Diese Wendung war ihr eine Erleichterung. – »Ich komme von der Wohnung meiner Mutter – sie ist aber heute nach Grumitz gefahren, ich habe sie nicht getroffen. Wie sind die weiteren Aufführungen Ihres Stückes ausgefallen?«

»Ich habe Ihnen nicht beigewohnt. Es ist merkwürdig, wie gleichgültig mir das Stück geworden ist – vielleicht, weil ich jetzt mein eigenes Drama erlebe ...«

Sie ging schweigend weiter und er blieb an ihrer Seite. Nach einer Weile sprach er wieder:

»Ich habe heute morgen den Grafen Delnitzky fahren sehen – mit einem Koffer auf dem Bock; ist er abgereist?«

»Ja, auf ein oder zwei Tage!«

»So sind Sie allein?«

Sie verstand den Sinn, dieser Frage und antwortete:

»Ich empfange niemand.«

Sie kamen an einen Fiakerstand vorbei.

»Fahr m'r, Eu'r Gnaden?« fragte einer von den Kutschern. Hugo blieb stehen und blickte Sylvia ins Gesicht:

»Wie wär's, wenn wir einen Wagen nähmen, und –«

»Wohin?«

»Einerlei ... nach Schönbrunn, auf den Kahlenberg – es wäre ja doch nach Eden.«

Sie schüttelte den Kopf und ging weiter. Eden war ja auch ihr Ziel. Aber in Italien sollte es sein – und wenn sie sich ganz frei gemacht. Seine Worte hatten eine Vision in ihr erweckt, die in Freudenglanz getaucht war. Und überhaupt: glücklich – einfach glücklich machte sie seine Nähe.

Nach ein paar Schritten brach Hugo das Schweigen:

»Es hat mir jemand geschrieben: Ich will Dein sein.«

Sie machte eine heftige Bewegung mit der Hand, die er als Bitte auffaßte, er möge nicht hier, auf offener Straße an diesem heiligen Geheimnis rühren – und er begann von anderen Dingen zu reden: von einer hämischen Kritik, die eine Wochenschrift über sein Stück gebracht; von Rudolf, dessen Vortrag er leider nicht gehört – doch in seiner Stimme lag so innige Wärme, als hätte er stets nur wiederholt: ich liebe Dich – ich liebe Dich in Zeit und Ewigkeit. In ihr steigerte sich das Verlangen, dieses Wort von seinen Lippen zu hören und es ihm selber zu sagen, und so waren die einsilbigen, bedeutungslosen Antworten, die sie ihm gab, gleichfalls von verhaltener Zärtlichkeit durchzittert.

Manchmal verstummten sie auch ganz und gingen nur so nebeneinander her; nicht Arm in Arm, doch so nah, daß ihre Arme sich streiften ... Sylvia kam sich vor, wie in eine nie gekannte Lage versetzt. Alles, was sie umgab, war ihr fremd und eigentümlich, als hätte sie ähnliches niemals erlebt – das Geklingel der Trambahn, die Spiegelscheiben der Auslagen, die geschäftigen und die flanierenden Leute – alles war so unwirklich, es gehörte nicht zu ihr und sie gehörte nicht hinein. Überhaupt, was sie jetzt durchbebte, war nur Präludium, Prolog ... das eigentliche Stück sollte erst folgen. Auch ihr ganzes früheres Leben war wie ausgelöscht, die Gegenwart galt nicht, aber das Kommende... Sie wagte nicht, gerade hineinzuschauen in dieser Verheißung, gerade so, wie man nicht in die Sonne schaut – –

So waren sie vor dem Dotzkyschen Hause angelangt. Sie wollte ihm nun die Hand reichen und Adieu sagen – aber sie war wie gelähmt und tat es nicht. Sie konnte nicht einmal stehen bleiben, sondern bewegte sich mechanisch weiter und trat unters Tor. Er desgleichen. Da fing ihr Herz wild zu pochen an. Sie wollte gar nicht mehr, daß er sie verlasse.

Auf der Treppe bot er ihr den Arm und an der Flurtür zog er die Klingel. Jetzt konnte sie ihn noch immer wegschicken – sie tat es nicht.

Der Diener öffnete. Sylvia trat über die Vorzimmerschwelle; Hugo hinterdrein. Der Diener nahm seiner Herrin die Jacke und dem Besucher den Überrock ab und öffnete dann eine Tür. Sylvia ging voran; ohne sich umzusehen durchschritt sie die ganze Flucht der Zimmer, bis sie in ihrem kleinen Salon anlangte. Sie warf ihren Hut auf ein Möbel und wandte sich um. Hugo, der ihr in dieses Heiligtum gefolgt war, stand mit dem Rücken an die geschlossene Tür gelehnt und öffnete die Arme. Mit einem halberstickten Schrei sank sie hinein.

»O mein Geliebter, Geliebter, Geliebter ...« Ihr gesenkter Kopf war an seiner Brust geborgen. Geborgen: das war das rechte Wort für das, was sie empfand: das Vollgefühl der Erfüllung.

Er hob ihren Kopf empor und bog ihn zurück, um ihr tief in die Augen zu schauen:

»Mein, mein ...« dann drückte er seinen Mund auf ihre wie küssedurstend geöffneten Lippen.

So blieben sie zwei selige Minuten umschlungen. Dann riß Sylvia sich los und entfernte sich ein paar Schritte.

Sie ließ sich in eine Sofaecke fallen mit einem tiefen zitternden Seufzer. Er näherte sich.

»Dort,« sagte sie und wies nach einem seitlich stehenden, etwas entfernten Fauteuil.

Er gehorchte. In dieses Zimmer, das wußte er von früher her, konnte jeden Augenblick jemand hereinkommen. Nur vorhin, als er an den Türflügel gelehnt gestanden, war man vor Überraschung sicher gewesen.

»Ich habe nicht geglaubt,« sagte Sylvia, »daß ich so lieben kann.«

»Wie ich Dich liebe, weiß ich längst ... Schon damals – erinnerst Du Dich – in Brunnhof, bei dem plötzlichen Gewitter, wie Du mir entgegenliefst und ausglittest – als ich Dich in meinen Armen auffing, schon damals wußte ich: für mich kann es nur einen Himmel auf Erden geben – Dich besitzen.«

»Ja, wir werden glücklich sein, über alle Begriffe glücklich ... Und Du wirst dabei ein noch größerer Dichter werden, als Du schon bist.«

»In dieser Stunde ist mir jeder Ehrgeiz erstorben – höheres kann ich nicht erreichen, als Dich –«

»Nicht erstorben, nur betäubt. Mir ist auch so zu Mute ... wie in einem Taumel – und doch so ruhig, ruhig ... Teurer –«

Sie streckte die Hand aus. Er rückte mit seinem Fauteuil näher, um diese Hand ergreifen Zu können. Nur sagten sie sich in geflüsterten Worten – Hand in Hand und Aug' in Auge – die hundert innigen, törichten Dinge, die wie gesprochene Liebkosungen sind. Und schließlich, trotz der gefährlichen offenen Tür, fanden sich ihre Lippen wieder in einem langen, weltentrückenden Kuß.

So entrückend, daß sie nicht hörten, wie jene Tür tatsächlich aufging und jemand bis in die Mitte des Zimmers kam.

Erst ein zornig ausgestoßener Fluch schreckte sie auseinander. Hugo sprang auf – ihm gegenüber stand Anton Delnitzky.

Mit dem Ausruf: »Elender, frecher Schuft!« stürzte dieser nun auf Hugo los und versetzte diesem einen Schlag ins Gesicht.

Sylvia stieß einen Schrei aus und sank zu Boden – besinnungslos.


 << zurück weiter >>