Bertha von Suttner
Martha's Kinder
Bertha von Suttner

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XXIII.

Aus Marthas Tagebuch.

Ich habe mir jetzt wieder angewöhnt – wie ich es in meiner Jugendzeit getan – ein Tagebuch zu führen. Nicht regelmäßig, nur wenn etwas mir die Seele bedrückt, halte ich so Zwiegespräch mit mir selber.

Ach, wo sind die Zeiten, da ich Einen hatte, dem ich alles, alles sagen konnte, dem alles zu sagen mir Lust und Bedürfnis war. Was ich erlebte, ward mir erst zum Erlebnis, wenn ich es mit ihm geteilt hatte. Jede Freude, jede Sorge, jeder Zweifel, jede Hoffnung, jedes Urteil kam mir erst ganz zum Bewußtsein, wenn ich darüber mit ihm gesprochen und seine Meinung darüber erfahren hatte. Mein erster Gedanke war stets: was wird Friedrich dazu sagen? Ich kannte ihn so gut, daß ich in den meisten Fällen wohl wußte, was er sagen würde – aber ich sehnte mich danach, es zu hören – und dann erst war mein Erlebnis, meine Stimmung, mein Urteil sanktioniert. Jetzt hab' ich niemand, dem ich mich so ganz vertrauen kann – als höchstens mich selber. Was ich empfinde, kommt ja doch auch dem am nächsten, was er empfunden hätte – waren wir ja so sehr eins geworden. So beschwöre ich mir seinen Geist herbei, wenn ich diese Blätter fülle ...

Unsere Sylvia macht mir Kummer. Ich sehe sie auf einem gleitenden – in einen Abgrund gleitenden Pfad. Und Schwindel – d. h. Liebesleidenschaft – hat sie erfaßt. Mein Gott, ich kenne das nicht ... ich habe wohl auch geliebt, aber so ruhig, so innig, so – gesetzlich, nur den eigenen Gatten, niemals einen anderen, was weiß ich also von den tollen, betäubenden Gluten verbotener Liebe. Ich kann nicht urteilen, darf also auch nicht richten ... Und das Predigen, das ich neulich versuchen wollte, das mißlang gar kläglich. Sie lehnte sich auf. Dabei warf sie mir vor, daß ich ja auch eine Auflehnerin sei und ihr Vater ein Revolutionär gewesen. Ich frage mich: sind nicht alle Stufen der Befreiung von Jammer, Qual und Fesselung durch Auflehnung erreicht worden? Die ersten Empörer sind freilich oft die Märtyrer ihrer Kühnheit, aber sie sind es, die den Nachkommenden ein Stück – ein dann unbestrittenes Stück Freiheit errungen haben. Mir ist, als hätte Sylvia vor mir einen Vorhang aufgehoben, hinter dem bislang ein ganzes Stück Welt für mich verborgen lag, eine Kette von Dingen, über die ich eigentlich nie recht nachgedacht...

Neulich hatte ich eine kleine Diskussion mit meiner Freundin Ranegg. »Na ja, Du«, sagte sie, »Du denkst da ganz anders, Du bist eben eine moderne Frau.«

Großer Gott – wie wenig trifft diese Bezeichnung zu! Das fühle ich jetzt ganz deutlich. Rokoko bin ich zwar nicht, auch der Metternich-Ära bin ich entwachsen und unter unseren reaktionären kirchen- und militärfrommen Kreisen gebe ich die neuerungskühnste Aufwieglerin ab – aber der wirklichen Modernität gegenüber stehe ich da, kopfschüttelnd, auffassungslos. Ästheten, Dekadenten – Übermenschen – the new woman ... Ich sehe wohl, daß eine ganz neue Geschmacksflora (in der sich auch eine absonderliche Typenfauna zu regen beginnt) um mich her aufsprießt – eine Kunst, neuer Stil, neue Sensationen – aber verstehen, mich damit identifizieren, das will nicht gehen. Wenigstens nicht so schnell. Ich versuche es ja, denn mein Entwicklungsglaube schützt mich vor dem bei alten Leuten gebräuchlichen Widerstand gegen das Neue; daß aber alles Neue auch das Bessere sein müsse – wie so viele junge Leute meinen – vor diesem Glauben schützt mich die Erkenntnis, daß so manches, was da auftaucht, nur vergängliche Mode oder krankhafte Entartung ist. Oder auch eine Übergangsform, aus der –

So weit hatte Martha geschrieben, als sie mit der Meldung unterbrochen wurde, Graf Delnitzky frage, ob die Frau Baronin ihn empfangen könne.

Martha bejahte, unangenehm überrascht. Toni hatte nicht die Gewohnheit, seiner Schwiegermutter ohne Anlaß Besuche zu machen und unter den obwaltenden Umständen war der Anlaß vermutlich ein unerfreulicher.

Und richtig. »Ich bin gekommen«, sagte er nach der ersten Begrüßung und nachdem er sich gesetzt, »um in einer recht peinlichen Angelegenheit –« Er stockte. Martha kam ihm nicht zu Hilfe. Sie blickte nur fragend auf. »Sylvia wird Dir ja neulich gesagt haben«, hub er wieder an, »was es zwischen uns für eine Auseinandersetzung gegeben ... »Ich möchte wissen, was sie Dir erzählt hat und was Du ausgerichtet hast... Du bist doch gewiß auch dafür, daß dieser Sache mit dem Herrn Theaterdichter ein Ende gemacht werden soll –«

»Welcher Sache?«

»Ach, tu' doch nicht so... Weißt Du denn nicht, daß die Leute schon reden – ?«

»Die Leute reden mancherlei. Auch über Dich.«

»Das hat mir Sylvia auch geantwortet – als ob es dasselbe wäre, was man von einem Mann erzählt, oder von einer Frau. Das ist doch ein gewaltiger Unterschied ...«

»Die Ungerechtigkeit dieses Unterschieds fängt mir zu dämmern an.«

»Es ist schon so.«

»Ja, mit diesem Satz glaubt man allen Widerspruch abzuschneiden ... ich hab' ihn auch angewendet. Aber man sollte eher sagen: es ist noch so. Doch es wird nicht so bleiben. Der Anspruch der Frau auf die Treue ihres Gatten wird –«

»Was?« unterbrach Delnitzky, »auch Du? – Du nimmst Dich um die »Ansprüche« der Frauen an? – Bist Du unter die Frauenrechtlerinnen gegangen? Von der Seite kenne ich Dich gar nicht... Hast Dich, Gott sei Dank, dieser sogenannten Bewegung immer ferngehalten.«

»Weil man nicht überall mittun und mitsprechen kann. Du weißt, daß eine andere »sogenannte Bewegung« mir Herz und Sinn ausfüllt.«

»Na ja, die ist aber – weil ganz aussichtslos – auch harmlos, während die verflixte Frauenfrage schon ganz bedenkliche Dimensionen annimmt – neulich haben sie sogar schon einen weiblichen Doktor promoviert. Aber das hat ja im Grunde nichts damit zu tun, was ich mit Dir besprechen wollte, Mama.«

»Und was war das?«

»Einfach dies: Du mußt mir helfen, den Bresser aus Sylvias Nähe zu verbannen.« Martha machte eine Bewegung. »Du brauchst nicht zu erschrecken«, fuhr er fort, »ich glaube ja gar nicht, daß sie in den Menschen verliebt ist, aber er schwärmt für sie und, wie gesagt: die Leute munkeln – und das kann ich nicht zugeben.«

»Und wie, wenn sie ihn liebte?«

»Aber Mama – um Gotteswillen...!«

»Hast Du ihr denn geboten, was eines jungen Weibes Anspruch an das Leben ist? – Hast Du ihr Liebe gegeben? Und Treue gewahrt? ... Toni, ich habe nie über diese Dinge mit Dir gesprochen, weil ich finde, daß eine Schwiegermutter sich solcher Einmengung enthalten soll, aber heute warst Du es, der den Gegenstand – Euer eheliches Verhältnis – zur Sprache gebracht hat, und da kann ich mich nicht enthalten, Dir zu sagen: wenn dieses Verhältnis zerstört und bedroht ist, so liegt die Schuld an Dir.«

Delnitzky sprang auf: »Ich sehe schon, an Dir habe ich keine Stütze ... Ich werd' mit dem sauberen Herrn allein fertig werden müssen. Es wird mir doch nicht schwer fallen, ihn beim Rockkragen zur Tür hinauszuexpedieren.«

»Mäßige Dich doch! Gerade auf diese Weise würdest Du den Eklat herbeiführen, den Du zu fürchten scheinst.«

»Was soll ich also tun? Zuschauen, wie meine Frau einen Liebhaber –«

»Schweig'! So zu sprechen hast Du kein Recht. Für Sylvias Reinheit stehe ich ein. Aber sie sollte nicht länger zuschauen, daß Du Deine Geliebte, diese –«

»Willst Du etwas Beleidigendes sagen?« unterbrach Delnitzky, »vielleicht weil sie beim Theater ist?«

»O nein, aber weil sie das Eigentum einer anderen entwendet hat.«

»Damit meinst Du mich? Glaub' mir, auf dieses Eigentum hat Deine Tochter nie viel Wert gelegt. Du weißt gar nicht, wie kalt und abstoßend sie zu mir war – gleich nach unserer Hochzeitsreise. Wir passen nicht zusammen.«

»So gehet denn auseinander ...«

»Scheidung? Wir leben in einem katholischen Land... Freilich, man könnte ungarischer Staatsbürger werden...«

»Die Idee scheint Dir nicht zu mißfallen?«

»Ach Gott, es sind da tausend Schwierigkeiten und ich hasse Schwierigkeiten ... Du willst also nichts tun, um Sylvia auf den Pfad der Pflicht zu lenken?«

»Auf den von Dir verlassenen? Ich will überhaupt nichts tun, Anton – weder für, noch gegen Dich. Wenn Sylvia meinen Rat erbittet, so werde ich ihn erteilen und sicher in der Richtung, in der ich ihre Ruhe und ihre Ehre gesichert sähe ... aber ungebeten werde ich mich nicht als Sittenpredigerin aufdrängen. Sie ist der mütterlichen Autorität entwachsen. Ich bin ihre Freundin – mehr nicht.«

»Meine Freundin bist Du nicht –«

»In aller Aufrichtigkeit: nein. Du hast mein Kind nicht glücklich gemacht... Du betrügst sie vor aller Welt – wie soll sie Dir da liebevoll zugetan sein?«

»Es ist ja auch nicht nötig, daß Du meinetwegen einschreitest, sondern ihr zu Nutz und Frommen. Wenn sie sich kompromittiert, so wird es ihr Schaden – und wenn sie sich vergißt, ihr Unglück sein. Denn ich lasse mir nichts gefallen. Mein Name darf nicht in den Schlamm gezerrt werden.«

Er war dunkelrot im Gesicht und die Stirnadern waren angeschwollen. Martha empfand etwas wie Furcht: dieser Mann wäre imstande, ihrer Sylvia ein Leid zuzufügen. Die vorhin angeregte Idee einer Scheidung nahm die Form eines Wunsches an. Freilich, kein schönes Los, eine geschiedene Frau zu sein. Aber wenn es gilt, einer Gefahr zu entrinnen, so kann man nicht erst fragen, ob der Fluchtpfad in eine liebliche Gegend mündet.

»Ich hätte mir den Besuch bei Dir ersparen können«, fuhr Delnitzky im selben zornigen Tone fort. »Auf den Einfluß, den Du auf Deine Kinder übst, brauchst Du Dir wirklich nicht viel einzubilden. Über den Rudi und sein Gebahren wird ja genug gespottet und geschimpft. Daß es geheißen hat, er würde aus der Reserve fortgejagt, hast Du wohl erfahren?«

Martha warf den Kopf zurück. »Du versuchst, mir weh zu tun. Was zwischen Rudolf und dem Kriegsminister vorgefallen, weiß ich – ich besitze meines Sohnes volles Vertrauen und ich vertraue auch ihm. Was er tun wird, wird recht getan sein. Das Gebiet seiner Pflichten liegt höher als Du weißt.«

»Verrückt ist er einfach – und Ihr alle miteinander.«

Sie stand auf: »Anton, ich ersuche Dich, mich zu verlassen. Du hast kein Recht, in meinem Hause mich und meine Kinder zu insultieren.« Sie sagte, es mit ruhiger und gar nicht erhobener Stimme, doch war sie kreidebleich geworden.

»Oh, ich gehe ja ohnehin«, antwortete der Schwiegersohn.

Und ohne zu grüßen eilte er zur Türe hinaus und schlug diese heftig hinter sich zu.


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