Bertha von Suttner
Martha's Kinder
Bertha von Suttner

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XXIV.

Sylvia saß in einer Parkettloge des Burgtheaters – allein. Sie hielt den Zettel in der Hand.

Zum ersten Male:
Der tote Stern.
Märchenspiel in 4 Aufzügen von Hugo Bresser.

Am selben Morgen hatte sie eine Sendung des Dichters aus Dresden erhalten, wohin er sich begeben hatte, um der Generalprobe seines Stückes beizuwohnen, das dort gleichzeitig mit Wien aufgeführt werden sollte. Doch war ihm die Burgtheater-Premiere die wichtigere und mit dem Sechsuhrzuge wollte er heute hier eintreffen.

In jener Sendung war die Sammlung der Gedichte »An sie« enthalten. »Ich wollte Ihnen diese Lieder erst schicken«, schrieb er dazu, »wenn ich zu Weltruhm gelangt wäre, damit die Huldigung Ihrer würdiger sei. Doch nein – so lange will ich nicht warten – wer weiß, ob ich je zu Weltruhm gelange ... Und nicht die Außenwelt – Sie habe ich mir zum Richter eingesetzt. Was ich in den Augen jener bin, die ich besinge – das entscheidet. Und diese könnte mich nicht ganz beurteilen, wenn sie von meinen Dichtungen nicht kennte, was meiner innersten Seele entrungen, was mit meinem Herzblut geschrieben ist – was ich schreiben mußte.«

Mehrere Stunden des Tags hatte Sylvia mit lesen und wieder lesen der zwanzig Gedichte zugebracht, und sie stand von dieser Lektüre auf, so leidenschaftlich aufgewühlt und süß erschöpft, als wäre diese Stunden über der Dichter selber zu ihren Füßen gelegen. So geliebt zu sein, so anbetungsvoll, so schmerzlich, so zärtlich und heiß – das hätte sie sich niemals träumen lassen.

Das Theater war noch leer – es fehlten beinahe zwanzig Minuten bis zur angesetzten Anfangszeit. Sylvia hätte um alles in der Welt nicht das erste Aufziehen des Vorhangs, das erste Stimmen der Orchesterinstrumente versäumen wollen. Daß dieser Theaterabend zu den wichtigsten, angst- und doch zugleich genußreichsten ihres Lebens gehören würde, fühlte sie, und so wollte sie ihn ganz und gar ausnützen, auch die Vorstimmung kosten – auf dem Kampfplatze selber. Nie noch im Leben – selbst an ihrem Hochzeitstage nicht – war sie so erregt gewesen, wie an diesem Abend. So muß einst den Rittersfrauen zu Mute gewesen sein, die von ihrer Galerie auf den Turnierplatz herabsahen, wo der von ihnen still und heiß Geliebte entweder siegen oder in den Staub fallen sollte ...

Ein Viertel vor sieben. Das Publikum fängt an, die letzten Parkettreihen und die höchste Galerie zu füllen. Noch ein paar Minuten und die Musikanten kommen zum Orchestertürchen herein und setzen sich an ihre Pulte. Die Logen sind noch leer. Sylvia späht nach der Direktionsloge ... wo mag Hugo sein? Man sieht ihn nicht ... vermutlich hinter dem Vorhang ... wenn es ihm nur einfiele, jetzt auf einen Augenblick zu ihr zu kommen – mit einem Händedruck hätte sie ihm Mut machen wollen und selber ermutigt werden – sie hatte vielleicht größere Angst als er ...

Fünf Minuten vor sieben. Jetzt füllt sich das Parkett, auch in den ersten Reihen und in den Logen beginnt es, sich zu regen. Die Galerien sind bis auf den letzten Platz gefüllt und im Stehparterre sind die Zuschauer dicht gedrängt.

Punkt sieben. Der Kapellmeister gibt das Zeichen und das Orchester setzt ein. Zwei Erzherzöge nehmen am Rand der Inkognitologe Platz und in der Kammerherrenloge zeigen sich ein halbes Dutzend uniformierter Herren und Hofdamen.

Erwartungsvolle Spannung scheint über dem ganzen Haus zu schweben – Premièrenstimmung. Der Vorhang rollt auf. Sylvias Herz pocht und sie atmet schwer. Den ersten Akt kennt sie ja, hat sie ihn doch selber vorgelesen; sie weiß noch, wie entzückt sie von der Schönheit der Sprache gewesen – aber würde das, hier auf der Bühne, so zur Geltung kommen?

Von der ersten Szene, durch drei oder vier Minuten, verstand sie kein Wort. War es, weil ihr das Blut im Kopfe tobte, oder weil man immer erst eine Zeitlang an die Stimmen, die von der Bühne dringen, sich gewöhnen muß, bis man die Worte auffaßt und bis man sich überhaupt den Vorgängen dort gefangen gibt? Und die Leute da herum, die gleichgültigen Leute, und die nörgelnden Rezensenten, diese ganze? einem Neuling gegenüber instinktiv widerstrebende Menge – wann wird es dem Dichter gelingen, die mitzureißen, wenn sogar sie, seine glühendste Bewunderin noch dasaß, verständnislos, unaufgetaut?...

Aber es währte nicht lange und die Reden und Gegenreden der Schauspieler drangen deutlich und lebendig ins Haus. Sylvia erkannte einige der Verse, die ihr bei jener ersten Lektüre aufgefallen waren, und sie hatte die Genugtuung, daß Stellen, deren Schönheit sie frappierte, auch vom Publikum aufgefaßt zu werden schien. Nicht etwa durch laute Bravos bekundete sich das, denn damit halten die kritischen Zuschauer in den Eingangsszenen einer Erstaufführung zurück; es ist nur wie ein kaum hörbares Aufseufzen – vielleicht ist es nicht einmal ein Laut, sondern nur ein Zucken jenes elektrischen Rapports, der eine Menge den gleichzeitig erweckten Beifall empfinden läßt.

Mit beruhigtem, immer sicherer werdenden Genuß gibt sich Sylvia jetzt dem Bühnenspiel gefangen. Zu der Süßigkeit der Versmelodien, zu der Pracht der hinwogenden Rede, die sie schon beim Lesen so entzückt hatte, war nun auch der Zauber dargestellten Lebens hinzugekommen. Die Träger der Hauptrollen Fritz Krastel und Stella Hohenfels – waren die verkörperte Poesie. Das eigentümliche Silbergeriesel des Hohenfelsschen unvergleichlichen Organs verlieh den Versen neben ihrer Gedankentiefe noch den sinnlichen Reiz des Klanges. Und dazu: was es zu schauen gab! Das Stück war ein Märchenspiel, also waren der Phantasie des Dichters keine Grenzen gesetzt. In verschwenderischer Üppigkeit boten die vorgeführten Bilder, was ein Maler nur erträumen kann – an Farbenglut und Formenpracht. Nach der ersten Verwandlung war der Schauplatz ein Zaubergarten. Eine Fee, eine wirkliche Fee, hatte der Regie geholfen ein Bild zu schaffen, das für das Auge ein Rausch war – die Fee Elektrizität. Mit ihren unwahrscheinlichen Leuchteffekten, ihren violetten, blauen und rosa Feuern, mit ihren Siiberlichtern und Goldgluten und Lavaflammen, tauchte sie die Gestalten und Dekorationen in immer neue und magische Glanzwogen; eine Flora, wie sie noch kein irdisches Auge gesehen, wucherte in diesem »Garten des Glücks,« in dessen Hintergrund ein diamantener Tempel ragte. Die Lust des Schauens beeinträchtigte aber nicht die Lust des Hörens, denn die Dichtung erlahmte keinen Augenblick. Auch da glitzerte es von Witz und strahlte in Pathos. Als der Vorhang fiel, brach das Haus in lauten Beifall aus.

»Bresser, Bresser,« rief man von mehreren Seiten. Aber Bresser erschien nicht. In seinem Namen dankte der Regisseur.

Sollte er den Zug versäumt haben, oder verschmähte er es, sich zu zeigen? Sylvia empfand es als eine Erleichterung, daß er dem Hervorruf nicht gefolgt war. Die Schöpfung war dem Publikum preisgegeben, zu Beifall oder Tadel – nicht der Schöpfer. Nur sein Geist schwebt über dem Werke, nicht seine Person hat sich davor zu stellen. Wie kommt er dazu, sich vor jenen zu verbeugen, die er beschenkt hat, warum soll er dafür danken, daß sie ihm dankbar sind?

Aus diesen Gedanken wurde Sylvia durch Hugos Vater gerissen, der in die Loge trat. Sie reichte ihm die Hand:

»Ich wünsche Ihnen Glück,« sagte sie, – »es ist ein Erfolg.«

»Das kann man noch nicht wissen,« antwortete der alte Herr. »Der erste Akt ist gut ... aber ein Erfolg entscheidet sich erst am Schluß ... Warum ist die Baronin Tilling nicht gekommen?«

»Mama ist unwohl – sonst wäre sie schon hier ... sie hatte sich schon lebhaft auf diese Vorstellung gefreut.«

»Und Ihr Gatte?«

»Ist heute in der Oper.«

»Ah – ja.« Ein Ausdruck des Ärgers huschte über Doktor Bressers Gesicht.

»Ihr Sohn sollte heute aus Dresden zurückkommen und nun –«

»Er ist zurückgekommen und er ist im Theater – ganz im Hintergrund der Direktionsloge verborgen. Er will sich nicht zeigen.«

Die Direktionsloge lag der ihrigen schräg gegenüber, also konnte er sie sehen – der Gedanke berührte sie angenehm. Und daß er, wie sie es vorausgesetzt, es vorzog, sich dem Applaus zu entziehen – in Bescheidenheit und zugleich in Stolz – das war ihr auch eine Genugtuung.

»Sie müssen doch große Freude an Ihrem Sohn haben, Doktor Bresser.«

»Mein Gott, wenn ich ihn glücklich wüßte ... aber das Dichterhandwerk scheint ihn stark herzunehmen – er ist oft von einer Schwermut ... als ob die Liebe zu den Musen eine unglückliche Liebe wäre.«

Sylvia wußte wohl, wer seinen Liebesgram verschuldete. Jene Schwermut war in einige der zwanzig Sonette gelegt, die sie heute zum erstenmal gelesen, von denen sie aber schon manche Strophe auswendig wußte.

Zum zweiten Male hebt sich der Vorhang. Jetzt war Sylvia gespannter wie zuvor, denn was nun folgen sollte, war ihr neu. Immer hatte Bresser sich geweigert, ihr mitzuteilen, was die übrigen Akte enthielten; und zwar aus dem Grunde, damit sie einst ganz unbefangen beurteilen könne, wie die Dichtung von der Bühne herab wirke. Sie hatte das Gefühl, als sollte nun das Stück ihr allein vorgespielt werden; die anderen waren nur so nebenher zugelassen – als Richterin war nur sie berufen. Ob ihr »der tote Stern« gefallen werde, ob sie gespannt, gerührt, erhoben, befriedigt sein würde, das war die Frage, die den in der Loge drüben verborgenen Verfasser ganz erfüllte – das wußte sie.

Der zweite Akt spielte im »Garten des Schmerzes«. So hell und lieblich die Bilder des ersten Aufzuges gewesen, so düster und erschütternd waren die Vorgänge, die sich jetzt abspielten. Die Sprache hielt sich auf gleicher Höhe, und in dramatischer Steigerung bewegte sich die Handlung weiter. Als der Vorhang zum zweitenmal fiel, erhob sich wieder lauter, langanhaltender Beifall. Hätte sich aber auch keine Hand im Saale gerührt, Sylvia hätte doch gewußt, daß dieser zweite Akt vollendet schön war. Daß aber die Bewunderung der Menge dem geliebten Manne zuflog, erfüllte sie mit stolzem Hochgefühl. Ja, sie war stolz auf ihn und – wenn sie an die Widmung seiner zwanzig Lieder dachte, – stolz auf sich. Ein bisher ganz unbekanntes Glücksgefühl durchströmte sie. Der Theatersaal war wie in einen Festsaal verwandelt und sie fühlte sich als des Festes heimliche Königin.

Sie blickte im Hause umher. Nur wenige ihrer Bekannten waren da. Noch waren viele Mitglieder des Hochadels auf ihren Besitzungen – man schrieb Dezember – und das Interesse für literarische Ereignisse ist in diesen Kreisen überhaupt kein so reges, als daß man vom Lande herfahren würde, um der Aufführung eines neuen Stückes, von einem neuen Autor noch dazu, beizuwohnen. Ja, wenn es » theatre paré« gewesen wäre, zu Ehren irgend einer fremden Fürstlichkeit – das wäre etwas anderes. Dazu kommt man schon hergereist; es ist aber auch gar zu schön: die vielen Uniformen im Parkett, die Toiletten und den Schmuck in den Logen und dann am folgenden Tag in allen Blättern die Liste der Anwesenden, bei der kein glänzender Name, keine offizielle Persönlichkeit fehlt. Da soll man doch dabei gewesen sein; aber so ein modernes Theaterstück, da muß man erst abwarten, was die Bekannten dazu sagen, und ob man überhaupt die Komtesse hineinführen kann ...

Sylvia richtete ihr Glas von Loge zu Loge. Endlich traf sie auf ein paar bekannte Gesichter: Gräfin Ranegg mit ihren Töchtern Cajetane und Christine und bei ihnen – Kolnos. Dieser schaute eben herüber und erkannte sie. Er stand auf und verabschiedete sich – offenbar wollte er zu ihr kommen. Eine Minute später trat er auch schon in ihre Loge ein.

»Ganz allein, Gräfin Sylvia? Und Ihre Mutter?« »Sie ist nicht ganz wohl.« »Doch nichts Bedeutendes?« »Nein, eine leichte Erkältung. Was sagen Sie, Graf Kolnos, ist's nicht wunderschön?«

»Ja – er läßt sich sehr gut an. Wer hätte das hinter dem kleinen Bresser gesucht? ... Ich sehe ihn nämlich immer noch als kleinen Buben vor mir.«

»Was sagen die anderen? Wie urteilt die Ranegg?«

»Sie hat nichts über das Stück gesprochen.«

»Aber Sie haben doch schon Urteile aufgefangen? Der Beifall ist ja groß – sind die Leute nicht entzückt?« »Sind Sie es, liebe Sylvia?«

»Ja.«

»Für die anderen ist der Ausdruck zu stark. »Entzückt« über eine Dichtung – das kommt bei uns nicht vor. Man schwärmt für einzelne Künstler in gewissen Rollen – das Stück ist Nebensache. Bewunderung kehrt man höchstens für die Klassiker hervor, da ist man auf sicherem Boden ... den neuen, noch lebenden Autoren gegenüber ist man voller Mißtrauen.«

»Gehören Sie auch zu diesen »man«?«

»Einigermaßen. Ich begeistere mich auch nicht so leicht; ich müßte das Werk erst lesen – es sind so viele äußere Effekte darin, welche blenden ... beinahe wie in einem Ballett.«

»Und ist es nicht auch dichterische Kunst, wenn man mit Bildern, mit aus höchstem Phantasiereichtum geschöpften Bildern die Zuschauer in bezauberte Stimmung versetzt? ...«

»Eigentlich ja – aber warten wir erst das Ende ab.«

»Das Ende wird ebenso schön wie der Anfang – das fühle ich zuversichtlich – Hugo Bresser ist ein großer Dichter –«

»Sylvia, wissen Sie, daß die Leute sagen, daß Hugo Bresser Ihnen nicht gleichgültig ist? – O, erröten Sie nicht und entrüsten Sie sich nicht – ich bin der letzte, der daran Anstoß nähme, wenn es wahr wäre. Nur finde ich, daß es die Leute nichts angeht, daß sie's nicht zu merken brauchten ...«

»Noch nie war mir dieser Sammelbegriff gleichgültiger als heute.«

»Welcher Sammelbegriff?« »Das, was Sie Leute nannten – Leute, die so freundlich sind, mir ins Herz schauen zu wollen.«

»Mein Gott – man muß doch etwas zu reden haben. Besonders so lang etwas nur vermutet, nur gewittert wird – ist's interessant, weiß man es einmal, so schweigt man einverständlich dazu. Daß die Gräfin X ein Verhältnis mit dem Opernkapellmeister hat; daß Fürst Ypsilon schon seit Jahren der begünstigte Hausfreund der Baronin Z. ist: das sind alles so landläufige Kenntnisse, über die man kein Wort mehr verliert; höchstens konstatiert man es – aber nicht in medisantem Ton – nur um zu zeigen, daß man auf dem Laufenden ist ... Jetzt verlasse ich Sie, liebe Sylvia, der dritte Akt beginnt.«

Mit dem Aufrollen des Vorhangs war Sylvia wieder in die Zauberwelt versetzt – ein befreiender Gegensatz zu dem Stückchen wirklicher Welt, das sich in Kolno's satyrischem Berichte gespiegelt hatte.

Der dritte und letzte Akt überflügelten noch die zwei ersten an dramatischen Effekten und an poetischer Kunst. Zum Schluß erhob sich ein wahrer Beifallssturm. Es war ein ganzer, ein großer Erfolg.

Sylvia ließ sich im Logensalon auf das kleine Sofa fallen und mit geschlossenen Augen und zurückgelehntem Kopfe saß sie da. Sie fühlte sich so erschüttert, so berauscht, daß sie um alles in der Welt jetzt nicht da hinausgehen wollte, in das Gedränge der Korridore und Treppen, wo sie riskierte, von Bekannten angesprochen zu werden, die, als wäre nichts geschehen, sie mit einem nüchternen »Guten Abend« angesprochen hätten und dazu: »Wie hat es Ihnen gefallen – es war ja ganz hübsch.«

Sie wollte abwarten, bis sich das Publikum ganz verzogen hatte. Wie sie so dalag, rief sie sich die Bilder zurück, die an ihren geblendeten Augen vorübergezogen waren und schwelgte in den neuen Sensationen, unter denen sie erbebte und erglühte. » Grande amoureuse« – wie einmal ihre Mutter sie genannt – ja, als das fühlte sie sich jetzt. Eine große Liebende, – das heißt, daß die Leidenschaft, die sich ihrer bemächtigt hatte, sie nicht schwach, sondern stark machte, daß das Glück, das zu nehmen und geben in ihrer Macht stand – ein überwältigendes, erhebendes – mit einem Wort voll Größe war.

Ihr Bedienter wartete, wie ihm befohlen worden, geduldig vor der Tür, aber jetzt trat die Logenschließerin herein.

»Ich bitt' Euer Gnaden – es wird schon ausgelöscht.«

Sylvia erhob sich und trat vor den Spiegel, um sich das Spitzentuch um den Kopf zu schlingen. Ihr eigener Anblick in dem zurückgestrahlten Bild war ihr fremd; es lag etwas Verklärtes darin, ein süß-zärtlicher Zug um den Mund, der dunkler glühte als je, und es durchzuckte sie eine, zwar schon öfter, aber nie so intensiv empfundene Freude – die Freude, schön zu sein.

Sie trat hinaus. Der Bediente legte ihr den mit Hermelin gefütterten Theatermantel um die Schultern. Langsamen Schrittes – sie fühlte sich so seltsam müde – ging sie durch die Gänge und die Treppe hinab, in der Tat als letzte – es war schon alles leer.

Nur an dem Pfeiler neben der untersten Stufe lehnte noch ein Mann.

Als sie herankam, riß er den Hut vom Kopf und trat ihr entgegen: Hugo Bresser.

»Also endlich, also doch!« rief er.

Sie hing ihm schweigend ein und ließ sich zum Ausgang führen. Hier standen sie nun Arm in Arm, während der Diener den Wagen holte.

»Nun,« fragte er, »Ihr Urteil? – Ich will Ihr Urteil hören!«

Ihre Hand drückte schwerer auf seinem Arm:

»Herrlich!«

»Das beglückt mich ... Aber noch einen anderen Urteilsspruch erbitte ich mir ... nicht über das Stück, sondern über mich – über Tod und Leben für mich ... die zwanzig Lieder? ...«

Wieder ein Druck der weißbehandschuhten Hand auf dem schwarzen Ärmel und in innigstem Tone:

»Mein Dichter!«

Der Diener kam zurück: »So, gräfliche Gnaden, der Wagen.«

Hugo half der geliebten Frau beim Einsteigen.

»Darf ich eine Strecke mitfahren?«

Eine Sekunde zögerte Sylvia, dann aber mit Entschiedenheit:

»Nein.«

»Und wann erlauben Sie, daß ich morgen –?«

»Warten Sie eine Zeile von mir ab. Gute, gute Nacht!«

In derselben Woche hatte es noch eine Sensationspremière in Wien gegeben: Rudolfs erster öffentlicher Vortrag.


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