Bertha von Suttner
Martha's Kinder
Bertha von Suttner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXVIII.

»Ich werde meinem Kinde behilflich sein – nämlich die Ehescheidungssache zu ebnen trachten. Vielleicht blüht ihr doch noch ein Lebensglück an der Seite des geliebten Dichters.

Glück, Glück ... daß wir alle immer nach diesem Phantom haschen; daß wir immer glauben, wir hätten ein Anrecht darauf, nicht nur für uns selber, sondern auch für alle, die uns teuer sind ... Für mich habe ich ja schon lange abgeschlossen – aber in dem Glücke meiner Kinder hatte ich mich noch sonnen wollen, und wie ist das nun anders gekommen! Beide in Kampf und Sorgen, beide aus den normalen, gesellschaftlich gesicherten Lebenslagen gerissen, die ja der solide Untergrund sind, auf den glückliche Existenzen sich aufzubauen pflegen.

Bin ich nicht mit schuld daran? Ja – ich habe zum Kampfe aufgestachelt. Zu der Aufgabe, Friedrichs Mission fortzuführen, habe ich meinen Sohn aufgezogen. Er hat aber den Kampf auf ein Feld hinausgetragen – ein so großes und fernes – wo ich ihm nicht mehr folgen kann.

Und ebenso Sylvia. Ihr trotziges Auflehnen gegen die Urteile der Welt – wodurch sie zur künftigen Befreiung der Frauen mithelfen will: auch dahin vermag ich ihr nicht zu folgen. Sie mag ja recht haben ... Von Rudolf hätte ich gewünscht, daß er, unter Beibehaltung seiner Stellung und Gründung eines neuen häuslichen Herdes, sich auf einen Zweig der Kulturarbeit beschränkt hätte: auf die Bekämpfung des Krieges – wie sie in meinem »Protokoll« von Abbé de Saint Pierre und Leibnitz und Kant und – Tilling bis zu Frédéric Passy und Egidy reicht. Da sich einreihen, zu den Kongressen die Kraft seiner Persönlichkeit mitbringen, das Propagandawerk durch seine pekuniären Mittel unterstützen, in hohen politischen und höchsten Machtkreisen, bei denen er doch kraft seiner – nunmehr aufgegebenen! – Stellung Zutritt hatte, Proselyten zu machen trachten: das war's was ich von ihm erhoffte. Aber er ist weit darüber hinweggeflogen – zu weit, beinah ins Uferlose. Freilich: alle Übel sind mit einander verschlungen und ein Geist vermag auch die ganze Verkettung zu übersehen; aber positiv helfen, wirken, vorwärts bringen, das kann jeder einzelne nur auf einzelnem Gebiet. So scheint es mir wenigstens.

Verloren sind darum seine Arbeit und sein Streben nicht; zur allgemeinen Einsicht, wie der künftige Tempel gebaut sein soll, kann er beitragen und dadurch zur Inangriffnahme seiner Errichtung anfeuern, aber des Erfolges wird er sich nicht freuen können, der sich an das tatsächliche Einfügen eines kleinen Bausteins knüpft ...

Doch zurück zu meiner armen Sylvia. Man mag noch so großen Anteil nehmen an den Gang der öffentlichen Ereignisse, an den Phasen – den auf- und niedersteigenden – der Kultur, das Nächstliegende: Freude und Sorge, Glück und Unglück im eigenen Hause – das drängt sich doch in den Vordergrund des Denkens und Handelns. Was soll ich nur tun, um da helfend einzugreifen? Mit Delnitzky reden? Mein letzter Auftritt mit ihm hat zwar eine Schranke zwischen uns aufgerichtet ... aber wenn ich doch ihn zu bewegen trachtete, Sylvia freizugeben? Ich wünschte beinah ebenso heftig wie sie selber, die Fesseln dieser unseligen Ehe gelöst zu sehen.

Und mein anderer Wunsch wäre, daß Rudolf nicht so herzenseinsam bliebe ... ach, meine armen Kinder! Egidy hat auch Familienbande – hat eine Häuslichkeit, die ihn tief beglückt. Das hinderte ihn nicht, der Allgemeinheit eine Kraft zu weihen, die immer noch im Wachsen begriffen ist. Ich setze einiges von dem hierher, was er mir erst gestern schrieb. Briefe von solchen Menschen gehören ins Tagebuch, denn sie sind Erlebnisse:

»– – An Umsturz braucht zunächst gar nicht gedacht zu werden – nur an den Einsturz, den Zusammenbruch einer veralteten Weltanschauung.

Zum Umsturz – d. h. zum Drunter und Drüber, zu einem Schreckenszustand kann es nur kommen, wenn die Vertreter der bisherigen Ordnung in trauriger Verblendung, oder gar aus selbstischen Gründen, sich gegen den Zusammenbruch veralteter Vorstellungen auflehnen, sich gegen den Einsturz unhaltbarer Gestaltungen anstemmen. Daß sie den Zusammenbruch hindern können – daran ist ja natürlich nicht zu denken, so wenig sich jemand einbilden darf, daß er diesen Einsturz veranlaßt hat.

Die Gemeinsamkeit ist ein lebender Organismus, dessen Schäden nur von innen heraus, nur durch ein neues, reines, warmes Herzblut geheilt werden können. Keine Empfindelei, kein Sich-verlieren in Betrachtungen, kein klingelndes Wortgetöse. Sich-entschließen-Wollen. Jeder in seiner Weise auch tun. Wir wollen praktische, wollen verwirklichungsvolle Tatidealisten sein.

Nicht mit einem Male wird alles anders werden, sondern allmählich, natürlich; aber das Tempo entscheidet. Allmählich sagen alle, es kommt nur darauf an, ob langsamer Schritt – eins – nochmal zurück – eins – nochmal zurück – zwei ... (Sie kennen doch den Kasernenhof?) oder natürlicher, etwas flotter, meinetwegen auch mal bißchen Geschwindschritt – braucht ja nicht Sturmschritt mit tambours battants zu sein. Und es wird. Es muß werden. Der Durchbruch der neuen Weltanschauung wird – nicht ohne Weh und Ach – aber doch als ein natürlicher Vorgang, eine Geburt sich vollziehen.

»Sie sprechen von meiner Arbeitskraft, verehrte Baronin. Nun ja, ich habe Arbeitskraft und Schaffensdrang und wie sehne ich mich danach, beides unmittelbar zur Geltung zu bringen. Geredet und geschrieben haben schon viele; wurden sie aber dann vor das »Tun« gestellt, so versagten sie; sie schlossen elende Kompromisse mit der seichten Unabänderlichkeit und anderen Elendsbegriffen ab. Die Ehrlichkeit, die Übereinstimmung, das In-Übereinstimmung-bringen von Lehre und Leben, darum handelt es sich für mich. Und darin weiche ich nicht um eine Nagelbreite von meiner Erkenntnis zurück.«

Wahrlich, ich kenne keinen Menschen, auf den besser als auf Egidy die Worte paßten:

Von Halbheit halte den Pfad rein,
Der ganze Mann setzt ganze Tat ein
Und wahre Ehre muß ohne Naht sein.

(Ernst Ziel.)

Daß solche Menschen leben, wie Moritz von Egidy, und in die Welt hinaustreten, ihre Lehren zu verkünden, das ist doch ein großer Trost. Selbst wenn man an die Macht der Heroen nicht glaubt, wenn man meint, daß die Kulturentwicklung sich unabhängig vom Einfluß einzelner vollzieht, so kann man diese einzelnen – wenn nicht als Bildner, so doch als Symptome der Kulturwandlung betrachten. Von der langsamen, aber stetigen Entfaltung der Anti-Kriegsbewegung – dieser mein Lieblingsaspekt jener Wandlung – gibt mir mein »Protokoll« fortgesetzt Kunde. Bei der letzten Konferenz – in Bern – der interparlamentarischen Union sprach Bundespräsident Schenk die Worte: »Es freut mich, so viele Volksvertreter zu sehen, die für Friedensjustiz und Abrüstung ihre Stimme erheben; noch mehr würde es mich freuen, wenn offizielle Vertreter der Regierungen zu einer Konferenz über denselben Gegenstand zusammenträten. Und eine solche Konferenz wird kommen.«

Ob sich diese Wahrsagung erfüllen wird? Die Idee von einer Umkehr in dem allgemeinen Rüstungswettlauf ist schon in die Kabinette gedrungen, das weiß ich. Lord Salisbury hat vor kurzem ein vertrauliches Dokument vorbereitet, in welchem die jährlichen Kosten des Militärs in Europa detailliert aufgestellt waren. Da zeigte es sich z. B., daß in den Jahren 1882 bis 1886 die Staaten Frankreich, Deutschland, Österreich-Ungarn, Großbritannien, Spanien und Italien zusammen eine Summe von 974 715 802 £ einzig für Heereszwecke verausgabt hatten. Das Memorandum war anfänglich ausschließlich für das englische Ministerium bestimmt, aber Lord Salisbury teilte es dem Deutschen Kaiser mit, der so frappiert davon war, daß er privatim seine Absicht kundtat, eine europäische Konferenz einzuberufen zwecks Erwägung praktischer Maßnahmen, den allgemeinen Frieden zu sichern. Daraufhin erhielt die halboffizielle Presse den Befehl, die Frage aufzuwerfen – das Jahr 1890, ich erinnere mich, brachte eine förmliche publizistische Kampagne über diesen Gegenstand. Das Projekt wurde in Frankreich schlecht aufgenommen, wo man sich auf Elsaß-Lothringen als auf ein jeden Abrüstungsgedanken ausschließendes Hindernis berief. Der Deutsche Kaiser ließ hierauf die Idee fallen. Solche Ideen pflegen aber nach einer Zeit wieder aufgenommen zu werden, wenn nicht an derselben Stelle, so an einer anderen. Ideen sind – Kraft, daher ebenso keimfähig und unvertilgbar wie Stoff.


 << zurück weiter >>