Bertha von Suttner
Martha's Kinder
Bertha von Suttner

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VIII.

Die Kapelle im Schloß Brunnhof war reich mit Grün und Blumen geschmückt. Die Glashäuser waren geplündert worden und hatten alle ihre Oleander- und Orangen- und Palmenbäume in Kübeln hergeben müssen, um den Hauptaltar zu umrahmen. Und an die hohen Wachskerzen, die in den silbernen Kirchenleuchtern brannten, waren weiße Schleifen, Rosen und Kamelien befestigt. Die Rosen, mit welchen man auch in reicher Fülle die Altarstufen bestreute, waren aus Wiener Blumenhandlungen geschickt, denn in Brunnhof – man schrieb den 12. November – blühten keine mehr. Vom Eingang der Kapelle bis zu den Betschemeln des Brautpaares lief ein roter Plüschteppich und auch die ersten Reihen der Kirchenbänke waren mit rotem Stoffe ausgeschlagen.

Schon füllten sich die hinteren Bänke mit den Dorfbewohnern – in der nächsten Viertelstunde mußten die Herrschaften kommen. Die festgesetzte Stunde – elf Uhr – schlug eben von der Schloßuhr herab. In der Sakristei warteten, in vollem Ornat, der Prälat des benachbarten Stiftes, der unter der Assistenz des Pater Protus und dessen Kooperators die Trauung vollziehen sollte. Auf dem Chore saßen und standen die Musiker und Sänger bereit – tüchtige Kräfte aus Wien.

Unterdessen hatten in einem Saale des Schlosses die Hochzeitsgäste sich versammelt. Es fehlten nur noch die Braut und ihre Mutter.

Die ganze Gutsnachbarschaft war eingeladen worden und außerdem noch Verwandte aus Wien und von weiterher – im ganzen etwa sechzig bis siebzig Personen. Ein Schwarm junger Komtessen, Sylvias Ballgenossinnen der verflossenen Wintersaisons, unter ihnen die vier Brautjungfern in gleichen rosa Kleidern; – die Damen alle in lichten Toiletten, zwar hoch und mit geschlossenen Hütchen, aber dennoch mit Schleppe und Schmuck; die Herren in Galauniform oder Frack, die meisten mit Ordenskettchen im Knopfloch. Man stand in Gruppen umher und lebhaftes Stimmengewirr füllte den Raum.

In einem Nebensaale, zu dem die Türen offen standen, waren die Brautgeschenke ausgestellt: zwei lange Tische voll Schmuckkapseln, silberne Toilette-, Tisch- und Teegarnituren, Vasen, Fächer, Spitzen, Lampen, Gürtelschnallen und Sonnenschirmgriffe aus Gold und Edelsteinen und sonstigen Kostbarkeiten. Alles das hatte die Gesellschaft schon vor einer Stunde bewundert; jetzt standen vor der gehäuften Pracht nur noch zwei der jungen Mädchen, und ein stiller Neid, gemildert durch die Hoffnung, daß die Zukunft ihnen ähnliches bescheren werde, erfüllte ihre eitlen Seelchen: – ach, solche schöne Dinge besitzen, solche Brillantsterne im Haar, solche Perlenschnüre um den Hals – aus solchen Kannen den Tee eingießen, im eigenen Salon; vor solchen Spiegeln sich frisieren lassen, »Frau« genannt werden, Pferd und Wagen besitzen, Loge in Oper und Burg, und – nebstbei – auch noch einen verliebten Mann: so wundervolle Dinge gibt es auf der Welt, und gerade so wie sie heute der Sylvia zugefallen, werden sie nächstens auch ihnen zuteil. Das ist ja Tribut, den das Schicksal allen Töchtern der »Gesellschaft« sozusagen schuldet...

Die Gespräche der Herren im Saale drehten sich fast ausschließlich um die Jagd. Es war ja eben die Jahreszeit, da man von einem Schloß zum anderen fuhr, um Hasen, Rehe und Fasane zu erlegen, und einer erzählte dem andern, oder fragte, bei wem gestern gejagt worden, und bei wem morgen gejagt werde und wieviel man dort geschossen habe und wieviel da. Einige waren so glücklich, von kaiserlichen und erzherzoglichen Jagden erzählen zu können, an denen sie teilgenommen hatten, oder die ihnen bevorstanden. Rudolf, der Hausherr, brachte Einladungen zu den Brunnhofer Jagden vor, die vom 21. bis 23. November stattfinden sollten. Auch in die Unterhaltung der Damen mischte sich häufig das Wort »Jagd«. Wenn auch nur wenige unter ihnen waren, die sich aktiv, mit dem Gewehr auf der Schulter, an dem Sport beteiligten, so gehörte doch die ganze Sache um diese Herbstzeit so sehr zur Lebensausfüllung ihrer Kreise, daß sich ihre Gedanken und Gespräche damit beschäftigen mußten. All den Hausfrauen, denen das Empfangen und Bewirten der Gäste obliegt, ist das Thema beinahe ebenso wichtig, wie für die Jagdherren. »Wieviel ist geschossen worden?« das ist die erste Frage, welche die gastliche Wirtin an die heimgekehrten, vor dem Diner im Salon versammelten Jäger richtet, worauf dann jeder einzelne nach mit lebhaftestem Interesse um die Zahl seiner Beutestücke befragt wird. »Wieviel haben Sie geschossen? Und wieviel Sie?« Den Franzosen und den Engländer fragt man: »Wieviel Stück haben Sie getötet?« Der letztere fügt der genannten Zahl höflich hinzu: Oh, it was exzellent sport.«

Sport? Also nur Vergnügen? Mit nichten. Das Ding wird als eine Art Berufspflicht aufgefaßt, als etwas, das man – dem gegenseitigen Rang und Reichtum angemessen – sich und seinen Standesgenossen schuldig ist. »Der erste Bock«: das ist nicht nur ein Jubelbewußtsein für das junge Gräflein – auch seine Mutter erzählte ihren Freundinnen mit Stolz, daß der Gusti oder der Fredi neulich seinen ersten Bock geschossen. Wenn das in Marthas Gegenwart geschah, so blieb sie stumm. »Das arme Reh!« war, was sie dabei dachte, und auch ein wenig »Der arme, Bub'«, denn wenn das als freudvolles Ehrgeizziel gelten soll: die Vernichtung eines unschuldigen Lebens ...

Alle Gespräche sind plötzlich verstummt. Sylvia tritt über die Schwelle in einer weißen Glorie von Atlas, Tüll und Myrtenblüten. Zwei kleine Knaben – in Pagenkostüm – tragen ihre Schleppe.

Zugleich war auch Baronin Tilling erschienen. Diesmal hatte sie doch die gewohnte tiefe Trauer abgelegt und war in lichtes Grau gekleidet. Beide Frauen waren blaß und hatten gerötete Augen. Die anderen fanden das natürlich: der Abschied und die Feierlichkeit der Lebenswende – das ist ja Grund genug zum Tränenvergießen. Sie hatten aber nicht nur aus diesem Grund geweint – Mutter und Tochter. Ein banges Weh hatte sie beide erfaßt, ein Gefühl beinahe wie Furcht und Reue.

Jetzt aber stürzten die vier Kranzeljungfern auf die Braut zu und umarmten sie stürmisch; von allen Seiten Händedrücke, Küsse, Gratulationen, Verbeugungen ... Sylvias Bangen wich dem wiedererwachenden Bewußtsein, daß sie der vielbeneidete, vielbewunderte Mittelpunkt dieser glänzenden, wichtigen Feier war. Und auch von ihrer verliebten Leidenschaft strömte wieder eine beglückende Welle zu ihrem Herzen empor, als sie nun ihren schmucken Bräutigam, der auf sie zueilte, in die freudestrahlenden Augen sah.

Noch ein paar Minuten der Begrüßungen und der Gespräche, dann begann, unter Rudolfs Anordnung, der Zug sich zu bilden.

Der Weg aus den Salons zur Schloßkirche – wenn man nicht ins Oratorium, sondern in das Schiff gelangen wollte – führte über zwei Treppen und einen langen Korridor. Dieser ganze Weg war teppichbelegt und mit Reisig und Blumen bestreut. Davon stieg ein Duft auf, der an Fronleichnamsprozessionen mahnte. Glocken- und Orgelklänge drangen auch schon aus dem Kirchlein herüber. Am Arm des Brautführers – ein junger Vetter, Graf Althaus –, schritt Sylvia langsam dahin, hinter ihr die schleppetragenden Pagen; es war ihr dabei zu Mute, halb als ob sie träume, halb als ginge sie über eine Theaterbühne, und nicht, als wäre das alles wirkliches Erlebnis.

Und als sie die Kapelle betrat und die unzähligen brennenden Kerzen sah, die zwischen den Blattpflanzen auf und rings um den Altar flimmerten, da empfand sie etwas von dem Eindruck, den man beim Betreten eines Zimmers hat, in dem ein angezündeter Christbaum strahlt. Bescherungen und Überraschungen sollte es ja da auch geben: ein funkelnagelneuer Frauentitel, ganze Schachteln voll interessanter Pflichten – und auch Süßigkeiten, sonst verbotene ... in Fülle.

Diese Christbaumstimmung machte schnell einer anderen Platz, als sie jetzt auf den Betschemel niederkniete – Toni Delnitzky an ihrer Seite. Die Priester kamen aus der Seitentür und stellten sich an den Altar; vom knapp vor dem Brautpaar geschwungenen Weihrauchfaß qualmte der intensivste Kirchenduft empor und mahnte Sylvia an Begräbnisfeiern – begraben für ewig war ja auch die Mädchenzeit, war die Freiheit, war die Möglichkeit, das wunderbar volle Glück zweifelloser Liebe zu finden ... der Mann da neben ihr war ihr nicht Hort und Zuflucht; – erst gestern, während des Polterabends, hatte er Dinge gesagt, die ihr furchtbar mißfallen hatten – momentan hätte sie ihn beinahe hassen können ... zum Glück war nach solchen flüchtigen Regungen die verliebte Regung wieder desto wärmer aufgetaucht, aber das volle Vertrauen, das fehlte; das selige, schutzessichere Sich-schmiegen und Sich-kauern, das konnte sie an dieser Brust – da neben sich – nicht finden.

Das Kirchlein war dicht gefüllt. Oben seitlich vom Altar und in den vorderen Bänken die Verwandten und die Gäste in ihren glänzenden Uniformen und Toiletten, hinten die Beamtenschaft und die Dorfbewohner im Sonntagsstaat – gehobene Feststimmung auf allen Mienen. Auf Marthas Gesicht jedoch lag es wie Schmerz und Trauer. Das war man aber – bei feierlichen Anlässen – an ihr gewohnt. Wenn sie bewegt war, pilgerten ihre Gedanken stets zu ihrem geliebten Toten – das wußte man und ehrte man.

Die Traurede begann. Hätte Pater Protus sie gesprochen, so hätte er herzlichere und bewegendere Töne anzuschlagen gewußt. Der fremde, sehr klerikale Prälat hielt eine Predigt, die eher pro domo als für das junge Paar gehalten schien. Das heilige Sakrament der Ehe, so führte er aus, ist von Gott eingesetzt, denn es ist dem Bunde Christi mit seiner katholischen Kirche nachgebildet. Der Zweck der Ehe bestehe darin, daß sich die Eheleute gegenseitig im Glauben stärken und in der Ausübung ihrer religiösen Pflichten zu unterstützen haben, und daß sie eine Familie gründen, die, in echtem Glauben auferzogen, das Reich der Kirche immer mehr verbreite. Das Glück der Ehe ist nur zu erreichen, wenn beide Gatten eifrig beten und die Kirchengebote erfüllen; das Unglück so vieler Ehen rührt von dem leider so stark zunehmenden Indifferentismus her. Die Prüfungen und Krankheiten und Unglücksfälle, die keinem Menschenschicksal erspart bleiben, sind teils Strafen für Mangel an echter Religiosität, teils liebend auferlegte Prüfungen, aus denen man, wenn man gläubig und fromm ist, geläutert hervorgeht und dann zu einem gottgefälligen Tode gelangt, nach welchem die treuen Ehegatten im Himmel wieder zu ewiger Seligkeit vereint werden.

Was in dieser Traurede gesprochen wurde, darauf achtete übrigens die anwesende Gemeinde weniger, als daß eine solche gehalten ward und daß die darin enthaltenen Worte zu der Zeremonie gehörten, kraft welcher diese beiden jungen Menschenkinder zu unlöslicher Lebensgemeinschaft verbunden werden – daß sie einander Liebe und Treue schwören und sich nie verlassen sollen – nicht in Krankheit, nicht in Armut – bis der Tod sie trennt. Das ist's – einerlei, wohin die begleitende Beredsamkeit sich versteigt – was das Priesterwort besiegelt. Auch der Ringwechsel, sowie das dazu gesprochene »Ja« war so ein zauberkräftiges Verfahren, wodurch zwei vor einer Minute noch freie Menschen aneinander gekettet waren, wodurch der eine Teil sogar den bislang getragenen Namen verloren und einen neuen erworben hat.

Sylvia empfand diese Wandlung, die doch eigentlich nur eine ideelle ist, als wäre sie mechanisch vollzogen; wie ein Ruck überkam es sie, als sie das »Ja« gesprochen und den Ring am Finger fühlte: jetzt bin ich Sylvia Delnizky.

Vom Chor herab ertönte feierlicher, andachtsvoller Gesang. Die lateinischen Worte verstand man nicht, aber aus der süßen Melodie klang es wie eine fromme Bitte um Segen für das junge Paar. Eine gerührte Stimmung bemächtigte sich aller. Als die Sänger geendet hatten, ward der pro domo-Dienst wieder aufgenommen, indem ein Credo, drei Vaterunser und drei Ave-Maria laut hergesagt wurden.

Während des Ringwechsels waren draußen Böllerschüsse gefallen und auch jetzt, nach beendeter Zeremonie, während alle Familienglieder sich um die Neuvermählten drängten, sie zu küssen, ließen die Burschen im Dorfe die Freudenschüsse knattern.

Nachdem das junge Paar und die Trauzeugen ihre Namen in das Kirchenregister eingetragen, war die ganze Handlung beendet. Von neuem formte sich der Zug, doch jetzt in anderer Ordnung: Sylvia voran am Arme des – Gatten.

Es folgte nun – alle Festlichkeiten gipfeln ja im Essen und Trinken und in Trinksprüchen – das Hochzeitsfrühstück an der mit weißen Blüten überstreuten Tafel.

Den ersten Toast brachte der Prälat aus – auf die Neuvermählten natürlich. Ein Blumensträußchen hatte er für sie gewunden. Darin war weißer Flieder, als Sinnbild der Unschuld der holden Braut; eine blaue Kornblume – die Farbe der ehelichen Treue–; eine rote Rose, das Bild der Liebe, und das Ganze zusammengehalten – damit die höchste Weihe nicht fehle – durch einen Dorn aus des Heilands Dornenkrone. Und indem er ihnen diesen Strauß auf den Lebensweg mitgebe – der aber kein Dornen-, sondern ein Rosenpfad sein möge – bringe er ein Hoch aus auf Graf Anton und Gräfin Sylvia Delnitzky.

Alle rufen »hoch« und stehen auf, um mit den beiden anzustoßen. Gar manche sind darunter, die vor mehr oder weniger Jahren das Gleiche durchgemacht, auf deren Glück ebenso stürmische »Hoch« ausgebracht wurden und die doch nichts weniger als glücklich geworden. Sylvia ist von der durchgemachten Erregung, von dem Lärm wie halb betäubt: das Wort Glück – von allen Seiten schlägt es an ihr Ohr... Aber ist diese Müdigkeit, diese Abspannung, diese zugleich glühende Neugier und fröstelnde Furcht vor dem so nahe bevorstehenden »Endlich allein«, dieses Bangen vor der lebenslänglichen Zukunft an der Seite eines – Fremden, dieser Abschied von dem teuren Mädchenheim, von den Ihren –: ist denn das »Glück«?

Sie denkt auch, mehr als sie daran denken sollte, an einen Brief, den sie vor einigen Tagen von Hugo Bresser erhalten. Einen Brief, den sie oft durchgelesen und den sie an diesem Morgen verbrannt hatte ...

Nach zwei Stunden war das Mahl zu Ende und eine weitere Stunde später bestieg das junge Paar den Wagen, der es zur Eisenbahnstation brachte. Ein kalter Novembernebel rieselte herab, doch die Hochzeitsreise ging ja in das Land der Sonne – an die Riviera.


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