Bertha von Suttner
Martha's Kinder
Bertha von Suttner

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X.

Im Frühjahr 1892. Hugo Bresser war seit seiner plötzlichen Abreise in seine Heimat nicht zurückgekehrt. Einige Tage vor Sylvias Hochzeit war er nach Berlin gereist und dort hatte er sich ganz niedergelassen. In dem Brief, den er damals an Sylvia geschrieben und den sie an ihrem Hochzeitsmorgen verbrannte, war in glühenden Worten, in Versen und in Prosa seine ganze Leidenschaft niedergelegt gewesen. Wie er sie jahrelang hoffnungslos geliebt, wie erst in den letzten Tagen – trotz ihrer Verlobung – in jener Gewitterstunde eine Hoffnung in ihm erwacht war ... Sie mußte die Verlobung rückgängig machen, hatte er, der Wahnwitzige, vermeint ... es war Täuschung. Und so gehe er in freiwillige Verbannung – es sei ihm unmöglich, in dem Lande zu bleiben, wo sie an der Seite eines anderen lebte. Möge sie glücklich werden – ebenso glücklich, als er tief unglücklich ist. Nicht so unglücklich, daß er sterben müsse – nein, er wolle leben und streben in heißem Ehrgeiz, um einst den Beweis zu erbringen, daß es kein Unwürdiger war, dessen Liebe sich bis zu ihr erhoben hatte und der ein paar Stunden lang von dem Wahn beseligt gewesen, ihr Herz zu besitzen.

Jetzt nach zweieinhalb Jahren, hielt Sylvia wieder einen Brief Bressers in der Hand. Es waren nur wenige Zeilen, worin er anfragte, ob es ihm gestattet sei, während seines bevorstehenden kurzen Aufenthaltes in Wien der Frau Gräfin seine Aufwartung zu machen.

Sylvia saß mit ihrem Manne beim Frühstück, als dieser Brief ankam. Das junge Paar bewohnte den ersten Stock eines Ringstraßenpalais. Auf Delnitzkys Wunsch war man schon seit Oktober vom Lande nach Wien übersiedelt. Es war in ihm eine große Leidenschaft für die Oper erwacht. Zwei oder dreimal in der Woche nahm er seinen ständigen Sitz in der zweiten Parkettreihe ein.

Viele Leute bemerkten, daß Graf Delnitzky gerade an jenen Tagen unfehlbar in der Oper erschien, an welchen eine gewisse, wegen ihrer Schönheit und ihres Talentes vielgefeierte Primadonna beschäftigt war. Sylvia bemerkte das nicht – oder beachtete es nicht. In dieser kurzen Frist von zweieinhalb Jahren war ihre Liebe zu Delnitzky vollständig erloschen. Den ersten Schaden hatte diese Liebe schon auf der Hochzeitsreise erlitten, durch die jedes Hauches von Poesie, jedes Zartsinns entbehrende Art, in der der junge Ehemann seine Gattenrechte zur Geltung brachte. Er war leidenschaftlich in ihre Schönheit verliebt; aber diese Leidenschaft äußerte sich durch eine an Brutalität grenzende Heftigkeit. Das Feuer, das – durch mädchenhafte Scheu und keuschen Stolz gedämpft – in Sylvias jungen Sinnen geglüht, war durch solch rauhe Art vollends erstickt. Nicht die Schauer der Wonne hatte' er zu wecken gewußt, sondern eher den Schauer des Ekels eingeflößt; und ihr abwehrendes, im günstigsten Falle duldendes Verhalten unter den Ausbrüchen seiner erotischen Gewalttätigkeiten weckte in ihm das zornige» Urteil: »O, das zimperliche, kalte, temperamentlose Geschöpf!«

Nachdem der Gatte den physischen Zauber verscheucht hatte, in dessen Bann sich Sylvia zum Bräutigam hingezogen gefühlt, schwand auch bald alle seelische Liebesempfindung; denn, ernüchtert, gewahrte sie nun in voller Deutlichkeit die Mängel seines Wesens; was ihr früher nur für kurze Augenblicke an die Nerven gegangen, das wurde ihr allmählich beständig widerwärtig. Und da sie diese Empfindungen nicht zu verbergen wußte, da sie Freundlichkeit nicht heucheln konnte, wenn sie sich geärgert und abgestoßen fühlte, so erweckte ihr Benehmen bei Delnitzky das weitere zornige Urteil: »O, das launenhafte, mürrische, zuwid're Ding!«

Zu einer Aussprache der stillen Beschwerden, zu gegenseitigen Vorwürfen kam es nicht. Es stellte sich nur eine wachsende Gleichgültigkeit ein. Der Verkehr wurde immer matter und kühler; die Gespräche immer kürzer und sachlicher – ein paar Zärtlichkeitsausdrücke und Kosenamen, die noch aus der Brautzeit stammten, wurden immer seltener angewendet, bis sie ganz ausstarben, und jeder Tag, statt die beiden immer näher und immer näher zu bringen – wie dies in Tillings und Marthas liebesgebenedeiter Ehe gewesen – jeder Tag brachte ein größeres Stück der Entfernung, der Entfremdung zwischen sie.

Im ersten Jahr war ihnen ein Kind geboren Worden. Aber auch die Mutterfreuden blieben der jungen Frau versagt. Unter furchtbaren Schmerzen und unter Lebensgefahr hatte sie das Kind zur Welt gebracht und vier Monate später mußte sie es in qualvollen Konvulsionen sterben sehen.

Sie wünschte sich kein zweites. Einsam fühlte sie sich nicht. Ihr Herz war mit der Liebe zur Mutter und zu Rudolf gerade so ausgefüllt wie zu ihrer Mädchenzeit – eher noch mehr. Ihre Anteilnahme an den Bestrebungen und Ideen des Bruders war noch gewachsen, auch der Mutter hatte sie sich inniger angeschlossen als je. Aus ihren ehelichen Enttäuschungen machte sie dieser ihrer besten Freundin gegenüber kein Geheimnis, aber sie teilte sich mit, ohne dabei in Klagen auszubrechen. Glücklich war sie freilich nicht – aber auch nicht unglücklich. Das große Los hatte sie nicht gezogen in der Heiratslotterie – aber die Niete machte sie nicht zur Bettlerin. Die Selbstvorwürfe, mit welchen Martha sich quälte, suchte sie zu verscheuchen; sie lud alle Schuld auf sich, auf ihre eigensinnige Verblendung – nichts, nicht einmal die mütterliche Autorität, hatte sie von ihrem, durch närrische Verliebtheit befestigten Entschluß abbringen können – und dafür war sie jetzt gestraft. Aber was weiter? Gibt es nicht Tausende von Frauen, die früher oder später mit ihren Männern auch in solches Stadium gegenseitiger Gleichgültigkeit geraten? Und unzählige Mädchen, die gar nicht heiraten und dabei doch Genuß am Leben finden? Übrigens – so philosophierte sie weiter – ist denn auch Genuß und ungetrübtes Glück etwas, worauf jeder berechtigten Anspruch erheben dürfe? Warum sollte gerade ihr ein Paradies erschlossen werden, wo so viele auf Erden ein Fegefeuer, gar manche sogar eine Hölle finden? Man muß sich bescheiden mit dem, was man hat; und wahrlich, sie hatte gar viel: eine herrliche Mutter, einen teuren Bruder, geistige Mitwirkung an den Lebensaufgaben dieser beiden – dazu Gesundheit, Reichtum, Rang. – »Nein, nein, Mutter, bedauere mich nicht!« So wußte sie Martha stets zu trösten, wenn diese über die zu rasche Einwilligung in die Heirat ihrer Tochter in Selbstanklagen ausbrach.

Als Sylvia die Schriftzüge auf der Adresse des Berliner Briefes erkannte, erblaßte sie.

»Von wem denn?« fragte Anton über seine Zeitung hinüber. Er las den Sportbericht im »Neuen Wiener Tagblatt«.

»Von Hugo Bresser ... er will auf kurze Zeit hierherkommen ... Das wird seinen Vater freuen –«

»Du, sag' mir: ist euer Hausfreund, der alte Bresser, nicht etwa ein getaufter Jud'?«

»Mag sein – ich weiß nicht.«

»Also vielleicht gar ungetauft?«

»Das sicher nicht – aber warum fragst Du? Was wäre denn weiter?«

»O, ich mag die Juden nicht – es wird auch von Tag zu Tag unfairer mit Juden zu verkehren.« »Das auch noch!« seufzte Sylvia im Innern. Es war ihr nichts widerwärtiger, als der in der Gesellschaft und in der Wiener Kleinbürgerschaft überhandnehmende Antisemitismus. Laut sagte sie nur:

»Pater Protus denkt da viel weitherziger.«

»Ach, der! Der ist auch so ein Liberaler ... Na ja, ich bin ja auch kein bigotter Duckmäuser ... aber wenn ich schon Priester wäre, so würde ich auch zu den klerikalen Ansichten halten und mich nach meinen Vorgesetzten richten. Im übrigen ist mir das alles egal ... Wird der junge Bresser jetzt im Lande bleiben und sich redlich nähren?«

»Ich sagte Dir – er kommt nur auf kurze Zeit« – sie schob den Brief hinüber: »Lies selber.«

Anton machte eine abwehrende Bewegung. »Es interessiert mich nicht ... der ganze Mensch interessiert mich nicht mit seinem sogenannten »schriftstellerischen Beruf«, von dem sein Vater immer so langes und breites erzählt.«

In der Tat: im Hause Tilling war man über die Schicksale des jungen Bresser durch die Mitteilungen des Doktors stets auf dem Laufenden geblieben. Man hatte erfahren, daß sich Hugo in Berlin in die Schriftstellerkreise eingeführt hatte, daß er rastlos produzierte und sowohl mit einem Roman, der in einer angesehenen Rundschau erschienen war, als mit einem Drama, das eben die Runde über sämtliche deutsche Bühnen machte, große Erfolge errungen hatte.

»Übrigens, wenn er kommt,« sagte Delnitzky aufstehend, »lad' ihn zum Essen ein ... Ich geh' jetzt ...«

Sylvia fragte nicht »wohin« – sie nickte einfach »Adieu!«

Allein geblieben, las sie noch ein paarmal die wenigen Zeilen durch. Die Physiognomie der Schrift war es, was sie daran fesselte – denn sie brachte ihr deutlich jenen verbrannten Brief und die – nicht unangenehme – Sensation ins Gedächtnis, welche ihr damals der Brief verursacht hatte. Eigentlich war es eine Kühnheit von dem Bresser, sich jetzt bei ihr anzumelden, als wäre nichts geschehen ... Sollte sie ihn empfangen?... Warum nicht? Die Schwärmerei von damals war ja sicherlich vergessen. Sie hatte selbst erfahren, wie die Zeit – eigentlich kurze Zeit – gar tiefe Wandlungen in verliebte Gefühle bringen kann. Und nun gar bei einem jungen Mann – einem gefeierten Autor ... der hatte in Berlin sicher mehr als ein Liebesverhältnis angeknüpft und dachte garnicht mehr an jene wesenlose Episode ... Empfinge sie ihn nicht – den Sohn des alten Hausfreundes – so wäre das auffallend. Und er selber könnte sich's auslegen, als fürchte sie sich vor ihm – und wahrlich, das lag ihr fern.

So ging sie an ihren Schreibtisch und antwortete: Es werde sie und ihren Mann sehr freuen, Herrn Bresser wiederzusehen und von seinen Erfolgen berichten zu hören. Er möge, damit man gemütlicher plaudern könne, zur Speisestunde, sechs Uhr, kommen, und zwar am nächsten Donnerstag, da erwarte sie auch ihren Bruder, der sich gewiß ebenso freuen würde, ihn zu treffen.

Und am nächsten Donnerstag, zehn Minuten vor der angegebenen Stunde, fand sich Hugo Bresser in der Delnitzkyschen Wohnung ein. Das Herz klopfte ihm, als er das Vorzimmer betrat. Ein Diener nahm ihm den Überrock ab. Vor dem Spiegel zupfte er die weiße Krawatte zurecht und überzeugte sich, daß die Gardeniablüte im Knopfloch seines Fracks gut befestigt war.

Der Diener ging voran und führte den Gast durch zwei große, nur schwach erleuchtete Salons in einen dritten, kleinen, wo die Hausfrau laß – allein.

Sylvia, in einfacher, heller Seidengaze-Toilette, kam Hugo ein paar Schritte entgegen und reichte ihm die Hand, die er ehrerbietig küßte.

»Herzlich willkommen, Herr Bresser! Wie Sie sich aber verändert haben! – Vorteilhaft verändert«, fügte sie lächelnd hinzu.

Sie sagte die Wahrheit. Hugo, der jetzt einen spitzgestutzten Bart und in der Mitte gescheiteltes Haar trug, hatte ein verändertes und vorteilhafteres Aussehen. – Auch in seinem Gesichtsausdruck, in der eleganten Sicherheit seines Auftretens war etwas Neues, etwas, das er den Erfolgen zu danken hatte, durch die er zu einem gefeierten Liebling der Berliner Gesellschaft geworden war und durch die er an Selbstbewußtsein gewonnen hatte.

Sylvias äußere Erscheinung war unverändert. Auf den ersten Blick und nach den ersten getauschten Worten fand Hugo jenes gewisse Etwas in ihren Zügen wieder, das er daran geliebt hatte – ein eigener Zauber, der, wenn sie sprach und lächelte, um ihre, die kleinen perlenweißen Zähne aufdeckenden Lippen huschte.

Die innere Bewegung dieses Wiedersehens verdeckten beide durch ein beinahe überhastetes Fragen und Antworten über die banalsten Gegenstände: »Wann sind Sie angekommen? – Wie lange bleiben Sie? – Wie gefällt es Ihnen in Berlin?« Und seinerseits: »Wie geht es dem Grafen Delnitzky, wie der verehrten Baronin Tilling? – Hatte die Frau Gräfin einen angenehmen Aufenthalt an der Riviera gehabt und hat sie wieder eine Reise vor?« Dann lenkte Sylvia das Gespräch auf Hugos literarische Erfolge, und dadurch ward es auf ein weniger flaches Gebiet gebracht und auf einen persönlichen Ton gestimmt.

»Sie sind nun ein anerkannter – man darf schon sagen ein berühmter Dichter geworden, Herr Bresser! Das muß doch ein stolzes, angenehmes Gefühl sein?«

»Das Angenehmste beim Dichten liegt nicht in der Anerkennung, sondern in der Arbeit. Das Schaffen ist eine Befreiung ... eine Besitzergreifung von erträumten Schätzen. Alles, was einem das Leben und die Welt auch bringen mag an Enttäuschung, an Schmerz, an Zorn – das braucht einen nicht im Innern zu erdrücken und zu ersticken ... das packt man, gibt ihm eine Form und bekleidet es mit seiner ganzen ausgedrückten Leidenschaft – da steht es denn da, zuckend, lodernd, weinend – aber man ist es los. Und auch die Freuden, die Seligkeiten, die stolzen Siege, die einem das Leben nicht bietet – auch die reißt man aus dem Reich der Phantasie herunter und stellt sie vor sich hin, in den Prunk der Sprache gekleidet – und sie gehören einem – man ist ja ihr Schöpfer.«

»Wie begeistert Sie von der Dichtkunst sprechen!«

»Ich nehme meinen Beruf ernst, Gräfin, ich gehe in ihm auf. Seit jeher, Sie wissen es ja, habe ich darauf gerechnet, mit der Feder zu wirken. Die Journalistik war das Feld, auf dem ich kämpfen wollte –«

»Ja, ich erinnere mich – jene Zeitung, in der auch Rudolf eine Stütze seiner parlamentarischen Aktion finden sollte –«

»Die ist ins Wasser gefallen –«

»Wie Rudolfs parlamentarische Laufbahn«, schaltete Sylvia ein.

»Ich weiß ... für mich war's gut. Vielleicht auch für ihn?... Ich wurde in ein anderes Gebiet der schriftstellerischen Arbeit gedrängt und habe darin die unerwartetsten Erfolge erzielt.«

»Gesegnet sei also jenes gescheiterte Journal!«

»Nicht dieses Scheitern allein hat mich von der Journalistik zur Dichtkunst gebracht. Es war ein Erlebnis, das meine Seele aufgewühlt hatte – ein Sturm von Gefühlen, den ich nicht in Leitartikeln und Feuilletons hätte austoben lassen können.«

»Sondern in Romanen und Dramen? Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich Ihre Werke noch nicht kenne – haben Sie denn dazu Ihre eigenen Erlebnisse als Stoff verwertet?«

»Nein. Nur die tobenden Gedanken und Gefühle, die durch meine Erlebnisse erweckt wurden, habe ich in meine Versuche gelegt. Ich sage Versuche, wo Sie Werke sagen, Gräfin – denn obwohl ich ja als Anfänger Glück gehabt, so weiß ich doch am besten, daß mein bisher Geleistetes nur schwache Versuche sind ... Mein Werk, mein Kunstwerk – das werde ich erst schreiben. Nennen Sie das nicht unbescheiden, nicht Vermessenheit. Ich glaube, es kann gar keinen rechtschaffenen Künstler geben, der nicht in sich ein ganzes Chaos von brodelnden Stoffen und Kräften fühlte, das darnach strebt, eine Welt zu werden –«

»Bitt' um Verzeihung ... Hab' ich mich verspätet?« Es war Delnitzky, der hereingetreten. »Grüß' Sie Gott, Bresser – na, ich gratuliere – Sie sind ja ein Tausendsassa geworden ... das muß hübsche Tantiemen absetzen, Ihr Theaterstück, was? Du«, wandte er sich zu seiner Frau, »ich soll Dir sagen: der Rudi kann heut' nicht kommen – die Beatrix ist krank.«

»Ach, die Arme, schon wieder? Und meine Cousine hat auch abgesagt, so werden wir allein essen –«

»Das wird ja recht gemütlich so«, sagte Delnitzky, »nur laß schnell anrichten – ich geh' heut in die Oper und von »Carmen« hör' ich gern den ersten Akt.«

Während des kleinen Diners beschränkte sich die Unterhaltung auf Reminiszenzen aus der Zeit, welche Hugos Abreise und Sylvias Heirat vorangegangen war. Man sprach von den Tennis-Partien in Brunnhof, von Pater Protus, von der Taufe des kleinen Fritz, und ähnlichen Dingen. Von sich und seinen Arbeiten erzählte Hugo nichts, er wich sogar einigen darauf bezüglichen Fragen Delnitzkys aus. Wohl mochte er fühlen, daß er von dieser Seite kein Verständnis für sein Streben fände.

Als man von Tische aufstand, sah Delnitzky auf die Uhr: »Gleich sieben – ich bitte um Verzeihung – auf den Kaffee will ich verzichten, sonst komm ich wirklich zu spät ... Ich lasse die Herrschaften ja beide in guter Gesellschaft ... Jugendfreunde ... Also, ich empfehl' mich ... hat mich sehr gefreut ... Sie bleiben doch noch eine Zeit in Wien? ... Schön – also auf Wiedersehen. Adieu.« Und fort war er.

Sylvia ging mit Hugo in den Salon zurück.

»Störe ich nicht, Gräfin? Sie wollten vielleicht auch ins Theater –«

»Nein, nein, ich bleibe zu Hause – ich muß sogar – meine Freunde wissen, daß ich an Donnerstagabenden zu treffen bin.«

Sie schenkte den schwarzen Kaffee ein und reichte ihm eine Schale. Zugleich deutete sie auf einen mit Zigaretten gefüllten Becher. »Wenn Sie rauchen wollen – es ist erlaubt.«

Das Tete-a-tete hatte etwas Schwüles, Beengendes für sie. Sie fürchtete, Hugo könnte von seinem Briefe sprechen, den sie an ihrem Hochzeitstag verbrannt. Sie empfand etwas von Beschämung, denn der junge Mann mußte durchschaut haben, daß ihr eheliches Verhältnis nicht war, was es sein sollte.

In Bresser loderte die alte Leidenschaft wieder hell auf. In den Schatten gestellt war das Bild einer jungen Berliner Schauspielerin, die seine Geliebte war; es war ihm, als hätte er nie an eine andere gedacht – als wäre Sylvia wieder das einzige Weib, das die Welt für ihn enthielt.

Aber er wagte es nicht, sich zu verraten. Er versuchte, die Unterhaltung in demselben banalen Ton fortzusetzen, wie sie bei Tisch geführt worden war. Sylvia ging darauf ein, doch es verletzte sie, daß Bresser nicht, wie er es vor Delnitzkys Ankunft getan, sein Gespräch jetzt wieder auf einen höheren Ton stimmte. Sollte er glauben, daß sie nicht auf seinem geistigen Niveau sei, daß sie sich nur behaglich fühle in den schalen Alltäglichkeiten, welche den Stoff zu Delnitzkys Unterhaltung abgegeben hatten? So sollte ein Dichter – und ein Mann, der sie einst geliebt hatte, nicht von ihr denken. Und als er wieder irgend eine nichtssagende Bemerkung vorbrachte – ein Vergleich zwischen den Bauten von Wien und Berlin, zwischen den Kältegraden von dort und hier – da machte sie eine ungeduldige Bewegung und sagte:

»Ach, das interessiert mich nicht ... reden Sie doch nicht so mit mir ... Wie sagte doch Toni? »Wir seien ein paar Jugendfreunde« ... Freunde haben sich doch Besseres mitzuteilen als architektonische und meteorologische Beobachtungen.«

»Wir waren aber nicht Jugendfreunde, Frau Gräfin. Zwischen uns beiden gähnte ein gesellschaftlicher Abgrund – ich blickte zu Ihnen auf wie zu einem Stern ... Nur einmal – ein paar Stunden, ein paar Tage vergaß ich diese Entfernung – aber davon soll und darf ich doch nicht reden?«

»Nein, davon nicht.«

Sie schwiegen eine Weile – eigentlich hatten sie beide doch davon geredet.

»Lassen Sie uns auf Ihre literarische Laufbahn zurückkommen – das fesselt mich wirklich lebhaft. Ich sehe, daß Sie eine Lebensaufgabe haben, daß Sie großen Zielen zustreben ... wie mein Bruder. Wie schade, daß er nicht gekommen ist; Sie hätten miteinander vielleicht wieder jenen Streit aufgenommen – über den Vorrang des Gedankens oder der Tat ...«

»Wie! Sie erinnern sich noch? Wie Sie sehen, bin ich meiner Ansicht treu geblieben – ich habe mich einzig in den Dienst des Gedankens gestellt. Und da nicht einmal des grübelnden, oder auf irgend welche praktische Ziele gerichteten, sondern des frei über allen Wolken schwebenden Gedankens. Rudolf hat wohl noch immer politische und weltverbessernde Pläne? Ach, ich fürchte, verbessern läßt sich nicht viel an unserem kleinen Stückchen Umwelt ... Ich wenigstens könnte es nicht – höchstens ein klein wenig verschönern, sei es durch ein bißchen Kunst, oder ein bißchen – Liebe.«

Das Wort Liebe, in der Betonung, in der Hugo es gesprochen, verursachte der jungen Frau eine Sekunde der Beklemmung. Sie wußte selbst nicht, was diese Beklemmung eigentlich war ... Sehnsucht? Eifersucht? Sie holte einen tiefen Atemzug:

»Was schreiben Sie jetzt?« fragte sie.

Er hatte nicht Zeit zu antworten. Der Bediente meldete Besuch. Bald war der Salon mit einem Dutzend Leute gefüllt und Bresser empfahl sich von der Hausfrau.

»Wann sieht man Sie wieder?« fragte sie, ihm die Hand zum Kusse reichend.

»Sobald Sie befehlen.«


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