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Theobalds Befreiung.

Pfarrarchiv Illfur

Anfangs September 1869 wurde der älteste Knabe nach der Waisenanstalt Saint-Charles bei Schitigheim überführt. Seine unglückliche Mutter begleitete ihn. In Saint-Charles fand auf Befehl des Hochwürdigsten Herrn Bischofs durch Generalvikar Rapp, Superior Stumpf und Pater Eicher, Superior der Straßburger Jesuiten, eine neue und ganz gründliche Untersuchung statt. Daneben wurde der Knabe von Herrn Aumônier Hausser und einem Straßburger Theologen, Herrn Abbé Schrantzer, aufs genaueste beobachtet.

Schon das Aeußere des Knaben war auffallend. Er war sehr hager und bleich, wie ein Kind, das zu schnell gewachsen war. In seinen großen, schwarzen Augen lag etwas Unstetes, Unsicheres, seine Züge schienen ermüdet wie nach einer langen Krankheit. Er war völlig taub. Die meiste Zeit blieb er ruhig und vertrieb sich die Zeit mit Spielen oder Spazierengehen auf dem Hofe. Er unterhielt sich mit den Besuchern in einem tadellosen Französisch, antwortete auch auf lateinisch, fing aber selbst niemals lateinisch zu reden an. Nur von der Kapelle wollte er nichts wissen. Man mochte ihm auch die Augen verbinden, ihn kreuz und quer durch die Korridore führen, sobald er in die Nähe der Kapelle kam, sträubte er sich mit aller Gewalt und war nicht mehr weiterzubringen. Dabei heulte er wie ein Hund. Brachte man ihn mit Gewalt hinein, dann ließ er sich hinfallen wie ein Klotz; sein Angesicht war gräßlich anzusehen, und wenn man ihn mit Weihwasser besprengte, krümmte er sich wie ein getretener Wurm. Er ward erst wieder ruhig, als man ihn zur Kapelle hinausgebracht hatte.

Am Sonntag, den 3. Oktober, stand ein Fuhrwerk im Hofe der Waisenanstalt Saint-Charles. Der hochwürdigste Herr Superior, die Generaloberin und der Pater Exorzist sollten von Straßburg abgeholt werden. Schon war alles zur Abfahrt bereit, da übergab Herr Abbé Schrantzer dem Kutscher eine geweihte Medaille des hl. Benediktus. Theobald war in einem andern Teil des Hofes und konnte die Uebergabe der Medaille auf keinen Fall bemerken, da ein Gebäude dazwischen stand. Um zwei Uhr kamen die Herren an und unternahmen alsobald den Exorzismus. Der Knabe wurde mit Gewalt in die Kapelle gebracht und von den Herren Schrantzer und Hausser, sowie vom Gärtner Herrn André festgehalten. Er stand auf einem Teppich, vor der Kommunionbank, das Angesicht gegen den Tabernakel gewendet; dasselbe war krebsrot, wie bei einem Fieberkranken. Von den Lippen floß dicker Schaum bis zur Erde. Der Besessene drehte und wand sich, als säße er auf einem glühenden Rost. Immer wieder drehte er sich gegen die Türe. Jedesmal, wenn Herr Schrantzer seine Brust mit dem Kruzifix berührte, wölbte sich dieselbe und blies sich auf wie ein Ballon.

Nun begannen die Zeremonien der Austreibung. Pater Souquat, der vom Bischof mit der schwierigen Hufgabe betraut war, zögerte anfangs, er glaubte nicht recht an die Besessenheit, da er mit den Knaben bisher noch nicht oder nur ganz kurz in Berührung getreten war. »Pack dich los,« rief der Satan, »scher dich los, du Dreckler.« In Gegenwart von 5 Geistlichen (es waren erschienen Herr Erzpriester Spitz, Herr Stumpf, der Superior des Priesterseminars, Herr Professor Rossé, Herr Aumônier Hausser und Herr Abbé Schrantzer), 6 Schwestern und der Mutter des Knaben fing Pater Souquat mit der Allerheiligen-Litanei an. Bei den Worten: »Heilige Maria, bitt' für uns,« schrie der Teufel fürchterlich. – »Hinaus aus dem Saustall! Stinker. – Ich will nicht.« So rief er allemal, wenn der Name eines großen Heiligen genannt wurde, besonders, als man betete: »Alle heiligen Engel und Erzengel bittet für uns.« Als der Pater an die Worte kam: »Vor den Nachstellungen des Teufels erlöse uns, o Herr,« bebte der Besessene und zitterte am ganzen Leibe, schrie ganz gewaltig und drehte und wand sich so heftig, daß die zwei Geistlichen und der Gärtner ihn kaum halten konnten.

Nach Abbetung der Litanei stand der Pater vor ihm und betete die im Ritual vorgeschriebenen Gebete, während der Besessene in einemfort schrie: »Stinker, hinaus aus dem Saustall.« Beim Gloria Patri rief er: »Ich will nicht,« d. h. dem Vater, Sohn und Heiligen Geist die Ehre geben. Vor der Lesung des Johannesevangeliums zeichnete der Pater das kleine Kreuz auf Stirne, Mund und Brust des Besessenen, der wie ein Hund heulte und nach des Paters Hand schnappte, um ihn zu beißen. Da fragte Pater Souquat auf deutsch: »Du Geist der Finsternis, zertretene Schlange, ich, als Priester des Herrn, befehle dir im Namen Gottes, daß du mir sagst, wer du bist.« Der Teufel rief: »Das geht dich einen Dreck an, du Stinker, ich sag' es wem ich will.« Darauf erwiderte der Pater: »Das ist eben deine stolze Haltung und Rede, die du vor dem allmächtigen Gott hieltst, als er dich aus dem Himmel schleuderte, Aber ich befehle dir: Weiche von hier, Satan, aus dieser Kirche, du gehörst nicht in das Haus Gottes, du gehörst in die Finsternis der Hölle.« Da schrie der Teufel: »Ich will aber nicht, meine Zeit ist noch nicht da.«

Nach dreistündigem Gebet und von der Anstrengung ganz in Schweiß gebadet, hielt der Pater inne und verabschiedete sich, um ein andermal seine Arbeit fortzusetzen. Der Kleine wurde aus der Kapelle gebracht und beruhigte sich alsbald.

In derselben Nacht sagte er zu Herrn Abbé Schrantzer: »He, du hast gut getan, ihm ein ›Blächle‹ (Medaille) zu geben.« –»Wem denn? –»Ei, dem Kutscher.« – »Wie, weißt du das? Was hättest du sonst getan? – »Ich hätte Menschen, Pferde und Wagen umgeworfen, ich gallopierte mit neben den Pferden.« – »Gelt, wir haben dich gestern tüchtig gequält. Kennst du den der dich gesegnet hat? – »O ja, er hat schon einmal einen von unsern Herren vertrieben.« – Tatsächlich hatte Pater Souquat in jüngeren Jahren schon einmal in Deutschland den Teufel aus einem Hause verjagt. Diese Tatsache hatte jedoch der Kleine nur auf übernatürliche Weise erfahren können.

Dieses Zwiegespräch bewirkte, daß Pater Souquat nunmehr von der Besessenheit Theobalds vollständig überzeugt wurde. Am folgenden Tag, Montag nachmittags um 2 Uhr, kamen die Herren abermals aus der Stadt, und der Pater begann aufs neue den Exorzismus. Diesmal wurde der Kleine in eine Zwangsjacke gesteckt und auf einen roten Sessel gebunden. Doch der Teufel tobte ärger denn je. Er hob den Sessel mitsamt dem Knaben in die Höhe und schleuderte die wachhaltenden Herren bald links, bald rechts. Dabei brüllte und schäumte er schrecklich.

Als nach zirka zwei Stunden Litanei und liturgische Gebete zu Ende waren, erhob sich der Pater und redete den Besessenen an: »Jetzt, unreiner Geist ist deine Zeit da. Ich befehle dir im Namen der katholischen Kirche, im Namen Gottes und in meinem Namen, als Priester des Herrn, daß du mir sagst, wie viel ihr seid.« Wieder ertönte dieselbe Antwort, wie am vorigen Tage: »Das geht dich einen Dreck an, Stinker.« – Der Pater antwortete: »Das ist eben deine stolze Rede, die du führst und die in der Hölle geführt wird. Du gehörst also in den Abgrund der Finsternis und nicht zum Licht. Fahre hin in die Hölle, unreiner Satan.« – »Ich will nicht hinein, ich will an einen anderen Ort.« – »Nun Satan, beschwör ich dich, daß du mir sagst, wieviel ihr seid.« – »Wir sind nur zwei.« – »Wie heißest du?« – »Oribas.« – »Und der andere?« – »Ypès.« – »Also, ihr unreinen Geister, ich befehle euch, weichet aus dem Hause Gottes. Darin habt ihr nichts zu schaffen. Geister des Verderbens, weichet von hier, ich befehle es euch im Namen des allerheiligsten Sakramentes.« – »Ich will nicht, Stinker, du hast keine Gewalt, meine Zeit ist noch nicht da.«

Der Geistliche zitterte und schwitzte; er war sehr ergriffen. Die Zuschauer waren aber nicht minder ergriffen und entsetzt. Dessen ungeachtet begann der Priester wieder aufs neue den Kampf mit dem Teufel aufzunehmen. Er nahm ein Kruzifix, hielt es ihm vor das Gesicht und sprach: »Du elender Satan, du getraust dich nicht einmal dieses Bild anzuschauen, du wendest dein Gesicht um, damit du es nicht sehest, und du trotzest dem Priester. Ich befehle dir, weiche von hier und fahre in die Hölle, welche für dich bestimmt ist.« – Der Teufel rief: »Ich will aber nicht, es ist nicht gut dort.« – Darauf der Priester: »Hättest du auf Gott gehorcht; aber dein Stolz hat dich ins Unglück gebracht. Du bist ein Geist der Finsternis. Also weiche von dem Licht und gehe in die Finsternis, die für dich bereitet ist.« Wiederum schrie der Satan: »Meine Zeit ist noch nicht da, ich gehe nicht.« – Darauf nahm der Pater eine vom Heiligen Vater geweihte Kerze und sprach: »Du stolzer Satan, ich stelle dir diese Kerze auf den Kopf, um dir den Weg in die Hölle zu zeigen. Dieses Licht ist das Licht der katholischen Kirche und du bist ein Geist der Finsternis. Also fahre in die Hölle und bleibe bei deinen Gefährten, zu denen du gehörst.« – Der Teufel antwortete: »Ich bleibe da. Wo ich jetzt bin, ist es gut, und in der Hölle ist es nicht gut.«

Endlich nahm der Pater eine Muttergottesstatue zur Hand und sprach: »Siehst du da die heilige Jungfrau Maria? Diese muß dir den Kopf nochmal zertreten Sie muß dich nochmal zeichnen und dir den Namen Jesus und Maria auf die Brust schreiben, auf daß es dich ewig brenne. Also du willst nicht weichen. Ich habe es dir befohlen im Namen Jesu, im Namen der katholischen Kirche, im Namen des heiligen Vaters des Papstes, im Namen des allerheiligsten Sakramentes. Du hörst nicht auf die Stimme des Priesters. Nun, Satan, befiehlt es dir aber die heilige Muttergottes. Sie zwingt dich, von hier zu weichen. Also, unreiner Geist, weiche vor dem Angesicht der Unbefleckten Empfängnis. Sie befiehlt dir, daß du weichest.« Unterdessen beteten alle das Memorare. Da schrie der Teufel heftiger denn je mit tiefer Baßstimme: »Jetzt muß ich weichen.« Noch einmal drehte er sich und wand sich wie eine zertretene Schlange. Da hörte man im Körper ein leises Krachen; der Knabe streckte und dehnte sich, und fiel hin wie tot. Der Teufel war fort. Ein fürchterlicher, entsetzlicher Anblick für die Zuschauer. Vor einem Augenblick noch die höchste Wut, das zornerfüllte Angesicht, die trotzigen Antworten, und nun lag der Junge da, wohl eine Stunde wie im Schlaf. Er war befreit. Er reagierte nicht mehr auf Weihwasser und Kruzifix und ließ sich ruhig in sein Zimmer tragen. Dort erwachte er nach einer Weile, rieb sich die Augen und sah verwundert auf die vielen ihm unbekannten Personen, die ihn umgaben. »Kennst du mich?« fragte ihn Herr Schrantzer. – »Nein, ich kenne Sie nicht,« erwiderte der Knabe.

Ein Freudenschrei entrang sich der Brust der überglücklichen Mutter. Ihr Theobald hörte wieder und war frei vom höllischen Geiste. Und alle dankten Gott, der seiner heiligen Kirche solche Macht über die Hölle gegeben.

Voll Freude kehrten Mutter und Sohn nach Illfurt zurück mit der festen Zuversicht, in baldiger Zeit auch Joseph erlöst zu sehen. Ihre Hoffnung sollte am 27. desselben Monats noch in Erfüllung gehen.


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