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Eine Szene in Saint-Charles.

Aufzeichnungen des Herrn Charles André.

In einem interessanten Brief des Herrn Charles André, Gärtner von Saint-Charles, an seine in Rappoltsweiler wohnenden Eltern unterm 5. Oktober 1869 lesen wir folgende ergreifende Szene, deren Augen- und Ohrenzeuge er selber gewesen war.

»Am Samstag sagte die Schwester (Sœur Damase) zu mir, ich solle das Kind (Theobald) in die Kirche (Kapelle der Anstalt) führen, koste es Gewalt oder nicht. Ich dachte, das sei ein leichtes, aber ich irrte mich. Ich nahm den 14jährigen Knaben und hielt ihn fest. Die Schwestern verbanden ihm die Augen, daß er nicht wissen sollte, wohin wir gehen wollten, und ich ging gegen die Kirche. Als wir nur einen Schritt gegen die Kirche taten, wurde er wütend, – denn bisher war er ruhig – und wollte nicht weiter gehen. Ich nahm ihn in die Höhe, um ihn zu tragen. Er war sehr schwer, und ich brauchte all meine Kräfte, um ihn zu bemeistern. Ich ging so gut ich konnte, ihn halb schleifend, halb tragend, in die Kirche. Er gab keinen andern Laut von sich, als wie ein Hund, welcher heult.

Die Schwestern wollten mir tragen helfen, und nahmen das Kind an den Füßen; da schleuderte er die Beine auseinander und die Schwestern fuhren hinweg. Als ich mit ihm auf den Kirchenstufen war, wurde er rasend und drehte sich winselnd in meinen Armen herum wie eine Schlange. Auf einmal schlug er seine beiden Füße um die meinen herum, und zwar so fest, daß niemand sie weg brachte. Ich war eingeklemmt und fiel auf die die Seite, an die Kirchenmauer. Ich schwitzte, daß mein Hemd ganz naß wurde und konnte fast nicht mehr schnaufen. Da ruhte ich ein wenig aus und ging, so gut ich konnte, mit dem Kleinen die Treppe hinauf bis an die Kirchentüre. Man öffnete sie und ich stand am Eingange.

Plötzlich wurde der Knabe wie vom Blitze getroffen und fiel in meinen Armen zusammen. Er war wie tot; Schaum bedeckte seinen Mund; seine Augen steckten tief in ihren Höhlen und blieben fest geschlossen; er gab keine Spur von Leben. Ich schleifte ihn bis mitten in die Kirche. Da fielen wir beide auf die Erde nieder. Das Kind blieb daselbst zwei Minuten wie tot liegen; da bekam es plötzlich Leben und schrie wie ein wütender Hund: »Weg mit deinem Dreck. Hinaus aus diesem Saustall!« und gelber Schaum umgab seinen Mund.

Ich wollte seine Augen gut betrachten und beugte mich über ihn, da spie er mir diesen Schaum ins Gesicht. Er drehte sich wie ein getretener Wurm und schrie fürchterlich; dabei suchte er nach der Kirchentür zu kriechen. Sehr langsam und wie zerschmettert waren jetzt seine Bewegungen. Es war fürchterlich und grausam, und die Finsternis der Nacht vermehrte noch unsern Schrecken.

Nach einer halben Stunde schleifte ich ihn wieder hinaus. Kaum war er vor der Türe, so erhob er sich von selber und lief ganz allein. Ich nahm ihn bei der Hand und führte ihn in sein Zimmer. Es hat uns alle ergriffen. Wir sprachen nichts und waren gedankenvoll und voll von Bewunderung.

Ins Zimmer zurückgekehrt, sollte der Knabe sein Abendessen einnehmen. Er rührte es jedoch nicht an, sondern legte sich aufs Bett und schlief ein. Während er schlief, fing der Teufel mit heiserer und zorniger Stimme zu sprechen an:

»O, wie bin ich in Wut!«

»Wo war Theobald heute abend?« fragte man ihn.

»Im Schweinestall!«

»Wer hat ihn dahin geführt?«

»Der Vagabund, der Dickkopf!« (Herr André.)

»Wer noch?« fragte die Schwester.

»Du?«

Hierauf fing er an zu murren und zu fluchen.

Die Schwester fragte weiter:

»Wer hat dich mit Weihwasser besprengt?«

»Die Stinkerin, die bei den kleinen Hunden ist!«

Tatsächlich war es die Schulschwester gewesen. Der Teufel nannte die Kinder bloß: kleine Hunde.

»Du hast es ja nicht gesehen,« meinte die Schwester weiter, »du hattest ja die Augen verbunden.«

»Weißt du nicht,« antwortete er, »daß ich alles sehe?«

»Und warum hast du Theobald nicht essen lassen?«

»Der Hund brauchte das nicht. Ich habe im Schweinestall satt bekommen.«

Theobalds Mutter war in die Stadt gegangen, um der Ehrw. Generaloberin, Schwester Angelika, und dem Herrn Erzpriester Spitz zu berichten, was sich mit ihrem Kinde in Saint-Charles ereignet hatte. Als sie zurückgekommen war, erzählte der Teufel ihr und der wachhabenden Schwester alles, was sie Herrn Spitz und der Generaloberin gesagt hatte.

Man konnte den Teufel zum Sprechen zwingen wenn man den Knaben mit Weihwasser besprengte oder ihm eine Medaille auflegte, was ihn sehr erzürnte. Einmal in Wut geraten, kannte er niemand mehr. Er zerriß und zerbrach, was ihm unter die Hände fiel, und wenn man sich ihm widersetzte, wehrte er sich mit äußerster Heftigkeit, sodaß man ihn kaum zu bändigen vermochte.

Der Knabe ist taub; wir haben ihn geprüft auf alle Arten. Er redet sehr wenig des Tages, und dann redet er wie ein kleines Kind mit einer reinen Stimme. Spricht aber der Teufel aus ihm, so ist die Stimme stark wie ein starker Baß, heiser und nicht gut zu verstehen.

Er scheint sehr gleichgültig zu sein gegen das, was um ihn vorgeht. Er geht herum wie ein toller Mensch, schaut kein Kind an, welches noch nicht sechs oder sieben Jahre alt ist, rührt auch keines an; ebensowenig schaut er irgend ein religiöses Bild an. Am meisten Freude zeigt er am Vieh, wie Spinnen, Kröten; das sind seine Lieblinge. Er sucht oft solches Ungeziefer, spielt mit ihnen, läßt sie auf seiner Hand herumlaufen und reißt ihnen die Füße aus. Er ißt meistens wie ein anderer Mensch: aber er hat Zeiten, wo er Vielfraß ist, wie er auch letzthin einen großen Korb voll Aepfel leerte und alle bis auf den letzten aß.

Wenn ihm die Schwester das Essen bringt und gibt ihm einen Tropfen Weihwasser hinein oder berührt es mit einem geweihten Pfennig, und zwar in der Küche, wo der Knabe niemals hineinkommt, so weiß er es doch. Dann geht er an die Speise und beschaut sie und sagt: »Ich habe keinen Hunger; es ist Dreck drin, oder es ist vergiftet,« – und er rührt das Essen nicht an und ißt nichts, bis man ihm anderes bringt. Mit dem Trinken ist es ebenso.

Die Kirche nennt er Saustall, das Weihwasser Sauwasser oder Dreckwasser, die Priester Schwarzkutten, Pfaffen usw. Die Schwestern nennt er Patienten, die voll Dreck hängen. Die Katholiken sind Dreckler. Die Kinder heißt er Hündlein. Aber die Freimaurer lobte er, ebenso die Protestanten. Von ihnen sagte er: Das sind rechte Leute; solche muß man haben, diese wollen Freiheit.« Von ihnen redete er mit der größten Freude. Die leisten »uns Herren« viele Dienste; denn er nennt sich »Herr« und die Teufel seine »Herren«. Sie sparen ihnen viele Mühe und verschaffen ihnen viele Leute. Dagegen die Dreckler und Schwarzkutten verderben ihnen viel, machen ihnen viele Mühe und rauben ihnen zahlreiche Seelen.

Wenn der Teufel aus dem Kleinen redet, so geschieht das wie in einer Art Verzückung; er liegt wie tot. Er ist ein schöner Bub, aber bleich und melancholisch. Er lebt und geht umher wie ein Mensch in großem Kreuz.«


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